Einführung

Die Huntington-Krankheit (HK) ist eine der häufigsten autosomal-dominant vererbten monogenetischen Erkrankungen des Erwachsenenalters. Die Prävalenz beträgt weltweit etwa 4–10 pro 100.000 Personen, was bedeutet, dass es in Europa etwa 30.000 bis 40.000 Betroffene gibt (in Deutschland geht man von etwa 10.000 Betroffenen aus). Wenn man die Definition eines „Betroffenen“ auf Risikoträger, also Verwandte ersten Grades von HK-Patienten erweitert, erhöhen sich diese Zahlen auf über das Dreifache.

Die klassische Beschreibung der HK stammt von dem US-amerikanischen Arzt George Huntington, der 1872 bereits die entscheidenden klinischen Merkmale (Bewegungsstörung, dementielle Entwicklung, psychiatrische Auffälligkeiten) erfasste und das autosomal-dominante Vererbungsmuster erkannte [1]. Letzteres ist umso bemerkenswerter, als die Mendelschen Gesetzmäßigkeiten seinerzeit noch nicht bekannt waren. Die Kartierung und im Jahr 1992 die Klonierung des Huntington-Gens stellt einen weiteren Meilenstein der Genetik dar, da mit ihr erstmals die Identifikation einer krankheitsrelevanten Mutation in einem bis dahin unbekannten Gen gelang [2].

Diagnosestellung, Neuropathologie und klinischer Verlauf

Klinisch ist die HK klassischerweise durch eine Kombination aus Bewegungsstörung, kognitivem Abbau und psychiatrischen Auffälligkeiten gekennzeichnet. Im Gegensatz zu den kognitiven und psychiatrischen Symptomen sind die motorischen Symptome recht spezifisch für die HK. Für die klinische Diagnosestellung der HK wird daher der Nachweis eindeutiger motorischer Symptome gefordert, auch wenn sich vorher in der Regel unspezifische motorische und nicht motorische Symptome als Ausdruck eines Prodromalstadiums manifestieren, welche 12–15 Jahre vor eindeutig motorischen Symptomen auftreten können [3]. Außerdem kann zur differentialdiagnostischen Diagnosesicherung bei der betreffenden Person die Huntington-Genmutation nachgewiesen werden. Bei einer positiven Familienanamnese, wie sie in >90 % der HK-Fälle vorliegt, ist die Diagnose auch als gesichert anzusehen, wenn bei mindestens einem Familienmitglied eine entsprechende Mutation nachgewiesen wurde. Sollte eine Huntington-Mutation ausgeschlossen sein, sind entsprechend der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) eine Reihe von Differentialdiagnosen zu bedenken, auch Phänokopien bei Mutationen in anderen Genen (z. B. C9orf72 oder SCA17) sind beschrieben worden [26].

Der Symptombeginn der HK ist schleichend und setzt typischerweise zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr ein. Es sind allerdings erhebliche Abweichungen möglich, so gibt es Fallberichte über Erstmanifestationen vom ersten bis zum 80. Lebensjahr, wobei es sich bei den juvenilen Erkrankungsfällen in der Regel um paternal vererbte Mutationen handelt [11]. Der Verlauf selbst zieht sich meist über 15–20 Jahre hin und ist von schweren und zunehmenden körperlichen und geistigen Einschränkungen gekennzeichnet. Bemerkenswerterweise sind sich viele HK-Patienten in der Frühphase der Erkrankung ihrer Symptome kaum bewusst (im Sinne einer Anosognosie), was zu Spannungen mit dem familiären und beruflichen Umfeld führen kann und eine behutsame Beratung des Patienten selbst und, wenn möglich, der Angehörigen erfordert.

Neuropathologisch ist die HK durch eine globale Hirnatrophie gekennzeichnet, die striatal und kortikal besonders akzentuiert ist [4]. Auf neuronaler Ebene sind charakteristischerweise die striatalen Projektionsneurone und die striatalen Interneurone besonders betroffen. Die striatale Atrophie korreliert mit der Schwere der Erkrankung und ist in volumetrischen Studien mit jährlicher Verlaufskontrolle ebenfalls bereits 12 bis 15 Jahre vor Manifestation der klinischen Symptome im MRT nachweisbar [5].

Als neurologisches Kardinalsymptom wird häufig die Chorea angeführt, eine hyperkinetische Bewegungsstörung aus abrupt einsetzenden, kurzzeitigen, unregelmäßigen, distal betonten Entäußerungen, die anfangs oft in Verlegenheitsbewegungen eingebaut werden. Chorea ist jedoch kein obligates Symptom der HK, weshalb der veraltete Begriff „Chorea“ Huntington irreführend ist und nicht mehr verwendet werden sollte [6]. Im Krankheitsverlauf wandelt sich das motorische Bild meist in eine Hypo- und Bradykinesie mit Rigor. Die psychiatrischen Symptome sind in Schwere und Ausprägung sehr vielfältig und reichen von Reizbarkeit über Akzentuierung der Primärpersönlichkeit zu Depressivität, Zwangsstörungen und psychotischen Zuständen. Die psychiatrischen Symptome gehen den motorischen oft um Jahrzehnte voran und verursachen initial im Allgemeinen wesentlich mehr Leidensdruck als die Bewegungsstörung. Die kognitiven Symptome sind ebenfalls sehr beeinträchtigend, beginnen oft als frontale Dysfunktion und münden fast immer in einer Demenz.

Treten HK-Symptome vor dem 16. Lebensjahr auf, spricht man von juveniler HK (Westphal-Variante). Sie macht weniger als 10 % der HK-Fälle aus und ist durch einen besonders schweren Verlauf gekennzeichnet mit ausgeprägtem hypokinetischen Syndrom und kognitivem Abbau, oft vergesellschaftet mit zerebralen Krampfanfällen, Dystonie, Myoklonien und Gangunsicherheit.

Auch bei adult Erkrankten finden sich allerdings Patienten mit vorwiegend bradykinetisch, dystonen Bewegungsstörungen oder Patienten, bei denen ein kognitiver Phänotyp im Vordergrund steht. Analog dazu gibt es auch die Spätform der HK, die mit ca. 20 % der Fälle etwas häufiger ist und einen vergleichsweise milden Verlauf zeigt. Die Chorea und Gangstörung stehen hier im Vordergrund, während die nicht motorischen Symptome nur gering ausgeprägt sind.

Genetik

Die HK wird durch eine Mutation im HTT-Gen, welches auf dem kurzen Arm von Chromosom 4 (4p16.3) lokalisiert ist, verursacht. Bei dieser Mutation handelt es sich um eine über das Normalmaß hinaus verlängerte, instabile Cytosin-Adenin-Guanin (CAG)-Wiederholungssequenz, die dann im Genprodukt, dem Huntingtin-Protein (HTT), zu einer verlängerten Polyglutaminsequenz (PolyQ) translatiert wird [7]. Damit zählt die HK zu den Trinukleotidexpansionserkrankungen. Das HTT-Gen enthält 67 Exone, die sich über 180 kb verteilen, das CAG-Repeat befindet sich in Exon 1 an Aminosäureposition 18. Gesunde Personen weisen in der Regel 6 bis 35 CAG-Repeats auf, während bei Huntington-Patienten 36 bis über 200 Repeats zu finden sind [8]. Allele zwischen 27 und 35 CAG-Repeats sind daher nicht mit Krankheitssymptomen assoziiert (sog. Intermediärallele), jedoch besteht für Nachkommen ein erhöhtes Risiko einer Expansion in den pathologischen Bereich (Antizipation) [9]. Eine unvollständige Penetranz liegt im Bereich von 36 bis 39 CAG-Repeats vor, d. h. nicht alle dieser Patienten entwickeln im Laufe des Lebens Symptome [10]. Beim Großteil der HK-Patienten liegt die Länge der CAG-Region bei über 39 Wiederholungen, welche mit einer vollständigen Penetranz einhergehen. Die längste bisher dokumentierte CAG-Repeatlänge wurde mit 256 CAG-Wiederholungen bei einem Mädchen nachgewiesen, das im Alter von 1,5 Jahren an der HK erkrankte [11].

Wie oben beschrieben, wird eine Antizipation bei der HK beobachtet, was auf eine Instabilität der CAG-Wiederholungen während der Meiose zurückgeführt wird. Diese Instabilität kann insbesondere bei der paternalen Vererbung zu einer Expansion, seltener zu einer Retraktion, der CAG-Repeats führen [12]. Dies kann für die genetische Beratung der Patienten wichtig sein, da die CAG-Wiederholungen maßgeblich verantwortlich für die Ausprägung der Erkrankung sind. Zu etwa 42 bis 73 % bestimmen sie das Erkrankungsalter [13, 14]. Dabei korreliert das Erkrankungsalter invers mit der Anzahl der CAG-Wiederholungen. Je länger die CAG-Repeatsequenz, desto früher zeigen sich bei Huntington-Patienten die ersten Symptome. Die restlichen 27 bis 58 % der Varianz im Erkrankungsalter werden von weiteren Faktoren bestimmt oder modifiziert. Hierfür kommen sowohl genetische Faktoren, aber auch Umwelteinflüsse infrage. Eine Reihe von potenziellen genetischen Modifikatoren wurde über einen Kandidatengen-Ansatz nachgewiesen. Zuletzt konnten über GWAS-Studien in einer großen Kohorte mit mehr als 4000 HK-Patienten 3 Loci identifiziert werden, die signifikant mit einem früheren (durchschnittlich 1,5 Jahre) oder späteren (durchschnittlich 6 Jahre) Ausbruch der HK korrelierten [15]. Interessanterweise sind diese Loci mit MLH1 und dem DNA-Reparatur Pathway assoziiert.

Molekulare Mechanismen und Tiermodelle

Obwohl das HTT-Gen vor 25 Jahren entdeckt wurde, ist über die genaue Funktion und Wirkungsweise von Huntingtin noch vieles nicht bekannt. HTT wird ubiquitär exprimiert. Seine stärkste Expression findet sich aber im Gehirn und im Hoden. Ein kompletter Knockout von HTT ist in Mäusen bereits in der Embryonalphase letal, sodass es vital wichtige Funktionen während der Embryonalentwicklung haben muss. HTT besitzt neben der PolyQ-Kette auch eine PolyProlin-Domäne, nukleäre Import- und Exportsignale, multiple HEAT-Domänen und Aggregationsmotive. HTT ist hauptsächlich im Zytoplasma, aber auch in Zellmembranen (mit Assoziation zum Endoplasmatischen Retikulum und Golgi-Apparat) und im Nukleus zu finden. Eine Reihe von Mechanismen wurde mit der HK-Pathogenese in Verbindung gebracht, darunter DNA-Reparatur, transkriptionelle Dysregulation, Mitochondriendysfunktion und Energiehaushalt, Autophagie, proteolytische Spaltung des HTT, intrazellulärer Transport von Vesikeln und Organellen und synaptische Transmission. Alle diese Mechanismen sind von großem Interesse in der HK-Forschung, sind aber bisher noch nicht ausreichend untersucht, um eine effektive, zielgerichtete Therapie zu entwickeln [16]. Neue Gesichtspunkte ergeben sich aus der Entdeckung, dass pathologische Repeatexpansionen zur ATG-unabhängigen Initiation der Transkription („repeat-associated non-ATG translation“, RAN-translation) von kurzen Mono- bis Oligopeptiden führen, den sogenannten RAN-Peptiden. Diese Oligopeptide haben neurotoxische Eigenschaften und tragen möglicherweise zur HK-Pathologie bei [17, 18].

Die Entdeckung der ursächlichen Mutation hat zur Entwicklung einer Reihe von Maus- und Rattenmodellen für die HK geführt und ermöglichte so die Aufdeckung potenzieller Pathogenesemechanismen (s. oben) und mögliche Ansatzpunkte für eine Therapie. Die meisten dieser transgenen Tiermodelle haben große CAG-Repeats (>80 CAGs), die beim Menschen mit der juvenilen Form der HK einhergehen. Die R6/2 Maus gehört in diese Kategorie und exprimiert ein kurzes N‑terminales Fragment von Huntingtin mit ca. 150 CAG-Wiederholungen [19]. Aufgrund seines sehr schnell auftretenden und fulminanten, aber gut reproduzierbaren Phänotyps, ist dieses HK-Modell das am häufigsten verwendete für präklinische und pathogenetische Studien. Mausmodelle mit CAG-Repeats im Bereich der häufigsten adulten Form der HK und sogenannte Knock-in-Modelle, die das mutierte HTT im endogenen Lokus tragen und damit genetisch gesehen exakter sind, entwickeln hingegen nur wenige oder gar keine Symptome wie motorische Defizite oder neuropathologische Veränderungen. Um Tiermodelle zu entwickeln, die möglichst nahe die menschliche Erkrankung widerspiegeln, wurden daher auch transgene Tiermodelle in anderen Spezies generiert. So hat die Ratte z. B. einige Vorteile gegenüber der Mause (u. a. besser geeignet für Bildgebung und neurophysiologische Untersuchungen), und es wurden bisher zwei Rattenmodelle für die HK veröffentlicht, u. a. ein transgenes Rattenmodell, welches Volle-Länge mutiertes HTT exprimiert. Dieses Rattenmodell zeigt einen HK-ähnlichen Phänotyp mit motorischen und kognitiven Defiziten sowie charakteristischen neuropathologischen Auffälligkeiten [20]. Da die bisherigen Nagermodelle aber keine deutliche Neurodegeneration aufweisen (möglicherweise aufgrund ihrer kurzen natürlichen Lebensspanne) und beträchtliche physiologische Unterschiede allein in der Größe des Gehirns zum Menschen bestehen, wurden größere Tiermodelle für die HK u. a. im Schwein, Schaf und nicht humanen Primaten entwickelt [21]. Bemerkenswerterweise zeigte ein vor Kurzem generiertes Knock-in Minipig-Modell für die HK eine selektive Neurodegeneration im Striatum [22]. Nichtsdestotrotz hat jedes Tiermodell seine Vor- und Nachteile und es kommt auf die Fragestellung an, welches Tiermodell für die Bearbeitung dieser Fragestellung am besten geeignet ist.

Besonderheiten genetischer Beratung (prädiktive Diagnostik/Schwangerschaft)

Grundsätzlich besteht seit der praktischen Verfügbarkeit des molekulargenetischen Nachweises der HK-Mutation auch die Möglichkeit asymptomatische Personen prädiktiv zu testen. Da die prädiktive Diagnostik derzeit reinen Informationscharakter und keine therapeutischen Konsequenzen hat, werden besondere Anforderungen gestellt, die vor einer genetischen Untersuchung erfüllt sein sollten und dies ist in Deutschland seit 2010 im Gendiagnostikgesetz (GenDG) geregelt. In 1994 wurden erstmalig Richtlinien durch die „International Huntington Association and the World Federation of Neurology Research Group on Huntington’s Chorea“ für die prädiktive Testung aufgestellt und in einem Dokument des Europäischen Huntington Netzwerks revidiert [23]. So sollte eine psychotherapeutische Betreuung am besten bei einem hierfür geschulten Therapeuten gewährleistet sein, sie muss aber vom Ratsuchenden nicht in Anspruch genommen werden. Und es sollte eine begleitende Vertrauensperson benannt werden. Darüber hinaus kann es unter Umständen sinnvoll sein, vor Durchführung einer Diagnostik auf Anlageträgerschaft eine neurologische Untersuchung durchführen zu lassen, um zu klären, ob der Ratsuchende symptomatisch oder asymptomatisch ist. Diese neurologische Untersuchung kann dem Ratsuchenden bei der Entscheidung für oder gegen eine prädiktive Testung eine Hilfe sein, sollte aber eine Einzelfallentscheidung bleiben. Bei möglichen Problemen wie z. B. einer Diagnoseverschleppung mit weitreichenden Folgen oder einer Anosognosie des Ratsuchenden gegenüber bereits vorliegenden Symptomen sollten diese im Rahmen eines interdisziplinären Kolloquiums mit Humangenetikern, Neurologen und Psychologen besprochen werden. Dies erfolgt z. B. regelmäßig im NRW Huntington-Zentrum in Bochum und hat sich in der Vergangenheit gut bewährt.

Die prädiktive Diagnostik verläuft in mehreren Abschnitten (Erstberatung und ggf. weitere Nachberatungen, Blutabnahme und Ergebnismitteilung), wobei zwischen den einzelnen Abschnitten ausreichend Bedenkzeit (in der Praxis jeweils mindestens vier Wochen) und damit die Möglichkeit, vom Test Abstand zu nehmen, für den Ratsuchenden liegen sollte. Im Rahmen der Beratung werden auch soziale und versicherungstechnische Aspekte besprochen und prinzipiell besteht auch die Möglichkeit einer anonymen Beratung und Testung, falls dies von den Ratsuchenden gewünscht wird.

Patientenautonomie ist eines der höchsten Güter in der Medizin, und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst neben dem Recht auf Wissen auch ein Recht auf Nichtwissen [24]. Im GenDG ist dies unter § 1 und § 9 festgeschrieben. In der Praxis ist es ist für den Arzt oft sehr schwierig, das Recht auf Wissen und das Recht auf Nichtwissen miteinander zu vereinbaren. Oft wird das Wissen, dass überhaupt ein Risiko besteht, von den Betroffenen als wesentlich belastender erfahren als die Größe des Risikos selbst. In der Praxis hat sich hier eine non-direktive Gesprächsstrategie bewährt, bei welcher der beratende Arzt nicht unidirektional Informationen kommuniziert, sondern ergebnisoffen aufklärt und dabei aufmerksam, entsprechend dem Bedarf des Ratsuchenden, dosiert. Dies erfordert neben einem vielseitig und gut informierten Arzt ausreichend Zeit. Ein gelungenes Aufklärungsgespräch findet dann idealerweise eine individuell angepasste Balance zwischen Wissen und Nichtwissen.

Eine pränatale Diagnostik auf spätmanifestierende Erkrankungen ist in Deutschland nicht erlaubt (§ 15 Abs. 2 GenDG), dies schließt im Regelfall auch die Huntington-Erkrankung ein (allerdings ohne dass das Gesetz die Huntington-Krankheit speziell benennt). Unklar bleibt auch nach Ansicht der Leitlinien der DGN die rechtliche Situation bei möglicher Frühmanifestation und hinsichtlich eines Prodromalstadiums der Erkrankung [26]. Der wissenschaftliche Beirat der Deutschen Huntingtonhilfe (DHH) bezweifelt, dass die Einordnung der HK als „spätmanifestierende Erkrankung“ sachgerecht ist und verweist auf HK-Patienten mit Manifestation vor dem 18. Lebensjahr und darauf, dass im Prodromalstadium der Erkrankung Veränderungen des Gehirns mindestens zehn Jahre vor klinischer Manifestation bildmorphologisch messbar sind.

Therapie

Trotz großer Fortschritte beim Verständnis der zugrunde liegenden pathologischen und genetischen Mechanismen ist die HK bislang nicht heilbar und die Interventionsmöglichkeiten beschränken sich auf Symptomkontrolle und palliative Maßnahmen [3, 26]. Da die genetische Ursache der HK eindeutig geklärt ist, stellen Strategien zur Hemmung der Bildung von Huntington-Genprodukten besonders vielversprechende Therapieperspektiven dar [25]. Eine erste entsprechende klinische Phase I/IIa ASO-Studie hat aktuell sehr ermutigende Ergebnisse gezeigt, weitere Entwicklungen werden von Patienten und Angehörigen verständlicherweise sehr aufmerksam verfolgt und diskutiert (www.hdbuzz.net). Am weitesten entwickelt ist zurzeit die nicht allelspezifische „Stummschaltung“ („silencing“) des Huntingtin-Genlokus mittels intrathekaler Gabe von Antisense-Oligonukleotiden (www.clinicaltrials.gov Identifikationsnummer: NCT02519036). Die Ergebnisse dieser Phase I/II-Studien sind noch nicht im Peer-Review-Prozess publiziert worden, aber in Pressemitteilungen wurde mitgeteilt, dass eine Senkung der Huntingtin-Spiegel im Liquor erreicht wurde. Die Sicherheits- und Verträglichkeitsdaten haben dazu geführt, dass eine Phase-III-Wirksamkeitsstudie aufgelegt wird. Andere DNA- (Crispr/Cas „Genschere“ oder Zinkfingerproteine) und RNA- (Antisense [ASO] und RNA-Interferenz) basierte Gen-Silencing-Methoden befinden sich ebenfalls in fortgeschrittenen Stadien der präklinischen Entwicklung [25].

Ausblick

Die Behandlung monogenetischer Erkrankungen im Allgemeinen und der Huntington-Krankheit im Speziellen steht durch die Entwicklung von genspezifischen Therapieansätzen vor einem möglichen Umbruch. Bei der 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie hat eine Antisense-Oligonukeotid basierte Therapie (Nusinersen) bereits die klinische Praxis erreicht. Sollte dies für die HK ebenfalls gelingen, müssen wesentliche Aspekte der genetischen Beratung und der Behandlung von HK-Patienten und Risikopersonen überdacht werden. Auch wenn dies noch nicht der Fall ist, machen sich die Fortschritte in der klinischen Praxis bemerkbar. Durch die sozialen Medien sind viele HK-Familien sehr gut über den aktuellen Stand der Forschung und die neuesten Studienergebnisse informiert. Selbsthilfegruppen (www.dhh-ev.de) und Netzwerke wie das EHDN-Netzwerk (www.ehdn.org) und Beobachtungsstudien wie die ENROLL-Studie (www.enroll-hd.org) haben für viele Patienten und Risikopersonen nun einen neuen Stellenwert und Patienten und Angehörige sollten unbedingt auf die entsprechenden Zentren und Ressourcen hingewiesen werden.

Fazit für die Praxis

Eine wirksame neuroprotektive oder kausale Therapie für die Huntington-Erkrankung ist weiterhin nicht verfügbar. Durch die intensive Erforschung der zugrunde liegenden molekularen Mechanismen sind jetzt allerdings hochspezifische, genbasierte Therapieoptionen in greifbare Nähe gerückt. Hier sei ausdrücklich auf die kürzlich aktualisierten Leitlinien der DGN verwiesen:

Gene-Silencing mit Antisense Oligonukleotiden haben ein vielversprechendes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil gezeigt und werden voraussichtlich demnächst in einer Phase-II-Studie auf Wirksamkeit geprüft.

Mit dem seit 2010 in Deutschland wirksamen GenDG werden besondere Anforderungen an Patientenaufklärung, Einwilligung und Datenschutz gestellt. Eine pränatale Diagnostik für spätmanifestierende Erkrankungen darf in Deutschland nicht vorgenommen werden (GenDG § 15 Abs. 2). Da sich die Huntington-Krankheit (HK) sehr selten auch vor dem 18. Lebensjahr manifestieren kann, sollte die Indikation zur pränatalen Diagnostik in Sonderfällen kritisch diskutiert werden.

Erste Zentren für eine Präimplantationsdiagnostik (PID) wurden in Deutschland zugelassen. Die Entscheidung, ob bei einer HK eine PID zulässig ist, trifft die zuständige Ethikkommission an den PID-Zentren nach Antrag durch das ratsuchende Paar in einer Einzelfallentscheidung.