Da mit klassischen Methoden der Krebsbekämpfung eine vollständige Krebseradikation („Krebsbeseitigung“) oft nicht möglich ist, verursachen die überlebenden, wieder wachsenden Krebszellen die Bedrohung. Die neuen Daten erklären jetzt, wie Immunität und Immuntherapien den Krebs domestizieren und das Auswachsen von Krebs verhindern können

Bis heute ist es ein wichtiges Ziel der Krebstherapie, möglichst alle Krebszellen zu töten. Doch zeigen die letzten 50 Jahre, dass überlebende Krebszellen auch nach intensiver, Zell-tötender Therapie wieder wachsen und Metastasen verursachen können. Daher gibt es schon lange Zweifel an der einseitig auf Zerstörung ausgerichteten Strategie der Krebstherapie geäußert. Es wird nach neuen Wegen gesucht, Krebs zu domestizieren.

Das Forscherteam um Prof. Martin Röcken fand einen entscheidenden, bisher unerkannten Mechanismus der Krebstherapie.

„Sie erkannten, dass das Immunsystem die Fähigkeit besitzt, das Krebs-Wachstum zu stoppen“

Das Immunsystem kann Krebs und Krebszellen in einen Dauerschlaf versetzen, sie paralysieren. Dieser Dauerschlaf wird wissenschaftlich Seneszenz genannt und hält das Wachstum der Krebszellen permanent an. Selbst dann wenn das Immunsystem die Tumoren nicht töten kann, können die Zytokine Interferon und Tumor Nekrose Faktor die Entwicklung der Krebszellen permanent einfrieren. Gemeinsam bringen die beiden Botenstoffe damit Krebszellen wieder zu einem normalen Verhalten, der „Krebs schläft domestiziert im Körper“. Dies wurde experimentell zuerst bei einem Krebs der Inselzellen aus der Bauchspeicheldrüse gezeigt .

Die gleichen Botenstoffe können eine Reihe anderer Krebszellen der Maus und sogar des Menschen in die Seneszenz treiben. Für den Menschen hat das u.a. folgende wichtige Bedeutung: Zum einen schützt sich offensichtlich der menschliche Körper ganz natürlich vor Krebs, indem das Immunsystem wachsende Krebszellen in die Seneszenz treibt. Zum anderen scheinen Immuntherapien besonders dann wirksam zu sein, wenn die Therapie den Krebs in seinem Wachstum dauerhaft anhält .

Zwei in der Krebstherapie und Infektionsimmunologie bestens bekannte Signalstoffe rücken dabei wieder in den Blickpunkt der Medizin: die Interferone und der Tumor Nekrose Faktor. Eine gemeinsame Aktion der beiden Botenstoffe Interferon und Tumor Nekrose Faktor kann sogar verschiedene Krebszellen des Menschen anhalten und in die Seneszenz überführen. Im Tierexperiment konnte die Seneszenz unerwartet lange den Krebs verhindern.

Wichtiger noch: wurden die „schlafenden Tumorzellen“ aus den Tieren isoliert und in gesunde, immundefiziente Mäuse transplantiert, wachten sie nicht wieder auf, sondern blieben - auch ohne Therapie - weiter im Ruhezustand. Sie verhielten sich nicht mehr wie ungehemmt wachsender Krebs.

Dieses neue Therapiekonzept bietet die Möglichkeit, dem Ziel einer sinnvoll lebensverlängernden, möglichst nebenwirkungsarmen Krebstherapie nahe zu kommen. „Wahrscheinlich kann und muss Krebs nicht nur durch Zerstörung besiegt werden“, so Professor Röcken, „stattdessen muss es das Ziel sein, dem Körper wieder die Immunkontrolle über den Krebs zurück zu geben.“

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Rot gefärbt sind ehemals bösartige Tumorzellen (Melanomzellen), die im Rahmen der natürlichen Immunkontrolle in den dauerhaften Wachstumsstopp, die Seneszenz (rote Markierung) übergegangen sind. Braun gefärbt sind noch verbleibende Pigment beladene Zellen.

© Universitätsklinikum Tübingen