Die Analyse der interpersonellen Interaktionen in Gruppen und Organisationen erweitert und bereichert schon lange die sozial- und organisationspsychologische Forschung, zum Beispiel bei der Frage, warum manche Teams effektiver sind als andere.

Der Effekt einer Input-Variablen (z. B. der Heterogenität des Wissens der Gruppenmitglieder) auf eine Output-Variable (z. B. die Güte der Entscheidung einer Gruppe) muss sich im Interaktionsprozess der Gruppe (z. B. im Ausmaß, in dem Gruppenmitglieder ihre Expertise einbringen) manifestieren (McGrath 1964). Der Schlüssel für die Effektivität von Teams liegt im Interaktionsprozess. Nicht die Input-Faktoren sind per se ausschlaggebend für den Teamerfolg. Vielmehr ist die Frage, wie gut es der Gruppe gelingt, ihre Ressourcen im Interaktionsprozess einzusetzen.

Diese Grundannahme der IPO-Modelle korrespondiert mit systemtheoretischen Betrachtungsweisen von Gruppen, die sich im Prinzip der Äquifinalität konkretisieren (von Bertalanffy 1956). Das Prinzip der Äquifinalität besagt, dass verschiedene Anfangszustände zu gleichen Endzuständen führen können, aber auch verschiedene Ergebnisse auf dieselben Anfangszustände zurückzuführen sein können. Bezogen auf das IPO-Rahmenmodell bedeutet dies, (a) dass verschiedene Inputfaktoren in Gruppen zu gleichen Outputs führen (b) und dass sich aus den gleichen Input-Variablen unterschiedliche Outputs ergeben können (vgl. Kauffeld 2006). Dem Prinzip der Äquifinalität offener Systeme folgend ist es nicht sinnvoll, die Erklärung für das Zustandekommen des Ergebnisses in den Anfangsbedingungen zu suchen. Vielmehr gilt es den Prozess zu betrachten.

Folgt man der Definition des Interaktionsprozesses von Hackman und Morris (1975) als beobachtbares Verhalten zwischen zwei willkürlich festgelegten Zeitpunkten, kommt man am Einsatz prozessanalytischer Beobachtungsverfahren nicht vorbei. Als Nachteil vorhandener prozessanalytischer Untersuchungen wurde noch in den 90er-Jahren gesehen, dass die genutzten Messinstrumente oft unreliabel und insensitiv sind und dass mit diesen häufig für den Teamerfolg irrelevante Variablen gemessen wurden (Baker und Salas 1992; Dyer 1984). Prozessanalysen beruhten bis dato zudem oft auf Simulationen bei denen dann die Interaktion betrachtet wurde oder/und adhoc zusammengesetzten Studierendengruppen. Zudem waren diese Verfahren so aufwändig, so dass der Einsatz oft nicht gerechtfertigt erschien.

Auch praktische Interventionen in Gruppen und Organisationen richten sich häufig auf die Reflexion und Veränderung der Interaktionen in und zwischen Gruppen. Um Prozesse betrachten, Dynamiken beschreiben und daraus Handlungen ableiten zu können, sind zahlreiche Methoden der Interaktionskodierung und -analyse entwickelt worden. Diese Methoden beruhen entweder auf generischen Ansätzen der Interaktionsanalyse, zum Beispiel der klassischen Interaktionsprozessanalyse (IPA) von Bales (1950), oder nutzen speziell für die Fragestellung entwickelte Kategoriensysteme zur Kodierung der Interaktionen (z. B. Roter 1977).

Wie sich die Zugänge zur Interaktionsanalyse in den letzten 20 Jahren verändert haben und wie die „Black Box“ „Interaktionsprozess“ geöffnet wird, zeigen die folgenden Beispiele.

Kolbe und Grande beschreiben das Phänomen des „Speaking Up“ im Krankenhaus. Es handelt sich dabei um ein Verhalten, in dem Verfahrensweisen, zum Beispiel bei der Narkoseeinleitung in einem Anästhesieteam, hinterfragt, korrigiert oder geklärt werden. Dieses Verhalten erfordert Mut und Engagement für die Qualität der eigenen Arbeit, vor allem, wenn es von in der Organisationshierarchie niedriger positionierten Mitarbeitenden gezeigt werden soll. Welche Rolle spielen Gruppenprozesse und Organisationskultur, um das oft hierarchie- und rollengebundene Schweigen im Krankenhaus aufzugeben und „speaking up“ zu praktizieren? Die AutorInnen zeigen Mechanismen auf, die Speaking up begünstigen und die es behindern und können belegen, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Speaking up und der Teamleistung und damit auch potentiell der Patientensicherheit gibt.

Gockel und Vetter betrachten Humor als Interaktionsphänomen in Veränderungsprozessen. Sie beschreiben unterschiedliche Arten von Humor, die unterschiedlich interpretiert werden können und auch unterschiedliche Auswirkungen nach sich ziehen können. So kann aggressiver Humor der Mitarbeitenden z. B. als Indikator für den Widerstand gegen eine organisationale Veränderungsmaßnahme interpretiert werden. Erfolgreiche Führungskräfte können Humor jedoch auch nutzen, um die Emotionen der Mitarbeitenden im Veränderungsprozess positiv zu beeinflussen. Wie Humor diagnostisch in Organisationen genutzt und wie Humor gefördert werden kann, um z. B. eine Fehlermanagement-Kultur in Unternehmen zu etablieren, zeigen die Autorinnen auf.

Meinecke und Kauffeld demonstrieren, wie die systematische Beobachtung der Gruppeninteraktion helfen kann, einen Zugang zu vermittelnden Gruppenprozessen zu erhalten. Sie skizzieren das Vorgehen bei der quantitativen Interaktionsanalyse. Anhand eines Fallbeispiels zeigen sie auf, was das bloße, wenn auch geschulte Auge, übersieht und stellen den Nutzen systematischer Interaktionsanalysen in der Praxis dar. Sie zeigen, wie hilfreich Interaktionsanalysetools sein können, die auf das einzelne Team in der Organisation angewendet werden. Der soziale Kontext, Dynamiken der Virtualität von Teams und Fragen der Ökonomie werden als Herausforderungen diskutiert.

Bei der Interaktionsanalyse werden Interaktionen zunächst meist transkribiert oder in eine Kodiersoftware überführt. Sie werden dann in Einheiten zerlegt, denen Inhaltskategorien entsprechend der Fragestellung zugeordnet werden. Für die Transkription und Kodierung gibt es bewährte Verfahren. Dagegen bleibt die Einteilung der Kodiereinheiten häufig der Intuition der Kodierenden überlassen. Dies schränkt die Reliabilität des Kodierens ein. Kolbe, Boos, Stein und Strack stellen SYNSEG – eine Methode zur syntaxgeleiteten Segmentierung von Kodiereinheiten – anhand von zehn Regeln vor, die auf der deutschen Grammatik beruhen.

Von der Oelsnitz und Busch legen dar, wie dynamisch auf Teaminteraktionen hervorgehende, d. h. emergente Teamphänomene aus jedem Team eine idiosynkratische Einheit machen, die es in dieser Ausprägung nur einmal gibt. Warum ein Team nicht dem anderen gleicht, erklären sie mit Hilfe solch teamdynamischer Prozesse, unter denen sie emergente Denk-, Gefühls- und Machtmuster subsummieren, die sich dynamisch und zeitabhängig aus den Interaktionen der Teammitglieder im Arbeitsalltag heraus entwickeln. Der Beitrag erweitert das klassische IPO-Modell der Gruppenforschung um das Konzept der emergenten Zustände hin zu einem ganzheitlich-dynamischen Teammodell. Er fasst interessante Ansätze neuerer Gruppenforschung zusammen und weist auf die Notwendigkeit hin, das allzu mechanistische Denken in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen in Richtung einer Suche und Gestaltung von Bedingungen guter Gruppenarbeit zu entwickeln.

Die Beiträge des offenen Teils thematisieren ebenfalls Gruppenprozesse. Paulsen und Kauffeld zeigen die Rolle geteilter Gefühle für Gruppenprozesse und -ergebnisse auf. Lerchster beleuchtet die Gruppendynamik als kollektives und individuelles Wachstumsvehikel zur gegenwärtigen Migrationsherausforderung. Martin und Steffens beschreiben, wie Führungskräfte gemeinsam die Meditationskissen entdecken.

Mit dem Heft versuchen wir Einblicke in die Interaktion von Gruppen in Organisationen zu gewinnen, die der Einzigartigkeit eines Teams gerecht werden und gleichzeitig Muster und Regelmäßigkeiten identifizieren helfen. In den verschiedenen Beiträgen werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie Prozesse im Team sichtbar gemacht werden können, um u. a. ein Lernen zu ermöglichen. Dafür ist es auch notwendig, Interaktionsanalyse-Tools so weiterzuentwickeln, dass Theorie und Praxis in Austausch kommen. Die Gruppenprozessforschung kann Modelle, Methoden und Instrumente bereitstellen, deren Tauglichkeit für Teams in der Praxis überprüft werden müssen. Sie sollen als Anregung dienen, Interpretationshilfen bieten und Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen.