Die Beratung von Frauen mit nicht abgeschlossener Familienplanung hat für alle Frauenärzte große Bedeutung: Kontrazeption heute – Reproduktion morgen – erneute Kontrazeption übermorgen. Dabei ist die natürliche Fertilität zweifelsohne der wichtigste Beratungsinhalt. Aus diesem Grund haben wir das aktuelle Wissen um die natürliche Fertilität im Leitthema der vorliegenden Ausgabe von Gynäkologische Endokrinologie zusammengestellt. Abhängig vom Alter und den Lebensumständen ist eine spontane Konzeption einmal ein unerwünschtes Ereignis, ein anderes Mal die Erfüllung eines innigen Wunschs.

Das Wissen um die natürliche Fertilität droht immer wieder in Vergessenheit zu geraten, da natürliche Zyklen durch eine oft jahrelange Einnahme oraler Kontrazeptiva maskiert sind. Es gibt bei Paaren sicherlich Lebensabschnitte, in denen die klare Trennung zwischen dem Risiko und der Chance einer Konzeption nicht möglich ist. In diesen Abschnitten kann „fertility awareness“ eine wertvolle Methode der Fruchtbarkeitskontrolle sein. Die jahrelange Einnahme einer „Antibabypille“ suggeriert nämlich, dass das Risiko einer Schwangerschaft immer extrem hoch ist.

Wir Frauenärzte müssen über Apps zur Zyklusüberwachung informiert sein

In den Lebensabschnitten, in denen die Zykluskontrolle vor der Zyklusmaskierung steht, suchen heute viele Frauen Rat im Internet und nutzen eine der zahlreichen Apps zur Zyklusüberwachung. Diese Apps sind bisher nie von Fachleuten systematisch erfasst, kategorisiert und bewertet worden. Wir als Frauenärzte müssen aber informiert sein, um unsere Patientinnen kompetent beraten zu können. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir aktuelle Entwicklungen begleiten – auch in nichtärztlichen Bereichen. Hier ist auch für die Aufsichtsbehörden dringender Handlungsbedarf gegeben, da seit Oktober 2015 alle Apps, die zur Empfängnisregelung genutzt werden können, unter das Medizinproduktegesetz fallen.

Die Nachfrage nach reproduktionsmedizinischen Hilfen wird bei Verschiebung des Kinderwunschs in das letzte Viertel der fruchtbaren Zeit auch in Zukunft weiter steigen. Im Zuge dieses unbestrittenen Trends wird die Indikation zur Sterilitätsdiagnostik und ggf. invasiven Sterilitätstherapie immer seltener aufgrund harter Faktoren wie eines Tubenverschlusses oder einer Azoospermie gestellt. Stattdessen findet ein Abwägen der noch bestehenden Spontankonzeptionsaussichten gegen die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin statt, damit das Ziel Familiengründung noch in Erfüllung gehen kann. Für die Chancenabwägung sind harte Daten zur natürlichen Fertilität dringend nötig. Sie gehören zu jedem Beratungsgespräch über die weitere Sterilitätsdiagnostik und ggf. Sterilitätstherapie.

Wir hoffen, dass dieses Leitthema zu einem alltäglichen Begleiter für alle Frauenärzte wird, die Frauen und Paare mit Kinderwunsch beraten. Es soll auch ein alltäglicher Begleiter für all diejenigen werden, die Indikationen zur Sterilitätsdiagnostik und -therapie stellen und diese durchführen. In diesem Sinne wünschen wir allen Lesern viel Spaß bei der Lektüre und hilfreiche Erkenntnisse für den Beratungsalltag.

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C. Gnoth

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G. Griesinger