FormalPara Leserbrief zu:

Fartek W et al (2016) Stellenwert von Hydroxyethylstärkelösung in der Volumenersatztherapie. Ergebnisse eines österreichischen Expertentreffens. Wiener klinisches Magazin 19(5):154–169. doi: 10.1007/s00740-016-0139-9

Mit großem Interesse haben wir das Manuskript „Stellenwert von Hydroxyethylstärkelösung in der Volumenersatztherapie: Ergebnisse eines österreichischen Expertentreffens“ von Fartek et al. [1] gelesen.

Da an unseren Kliniken (Klinik für Allgemeine und Chirurgische Intensivmedizin sowie Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck) seit vielen Jahren Gelatine mit gutem Ergebnis eingesetzt wird, möchten wir einige Falschaussagen, die hier in Bezug auf Gelatine gemacht werden, nicht unkommentiert lassen:

Die Autoren geben an, dass der Volumeneffekt von Gelatine lediglich bei etwa 50 Prozent liegen soll. Sie zitieren hierfür Rehm M et al. 2001 („Changes in blood volume during acute normovolemic hemodilution with 5 % albumin or 6 % hydroxyethyl starch and intraoperative retransfusion“, [2]). Diese Studie untersuchte allerdings nicht Gelatine, wie schon unmissverständlich aus dem Titel hervorgeht. Aus neueren Daten geht hervor, dass mittels moderner 4 %iger succinylierter Gelatine ein 100-prozentiger Volumenersatz bzw. ein gleichwertiger Volumenersatz wie mit HES-Präparaten gewährleistet werden kann [3,4,5].

Die Daten bzgl. der angeblich hohen Anaphylaxierate stammen aus veralteten Studien und beziehen sich in erster Linie auf harnstoffvernetzte Gelatine – nicht auf succinylierte Gelatine [6]. An der Klinik für Allgemeine und Chirurgische Intensivmedizin Innsbruck wird seit mehr als zehn Jahren ausschließlich 4 %ige succinylierte Gelatine zum Volumenersatz eingesetzt, ohne dass bisher eine einzige anaphylaktische Reaktion beobachtet werden konnte. Diese Erfahrung wird im Übrigen von vielen anderen Intensivmedizinern geteilt. Interessanterweise wird auf die UAW Pruritus in Zusammenhang mit Verabreichung von HES im vorliegenden Manuskript nicht hingewiesen, welche die Lebensqualität der betroffenen Patienten nachhaltig und deutlich reduziert. Möglicherweise ist Pruritus als Symptom für die bewiesene Akkumulation und Speicherung von HES-Molekülen zu betrachten [7, 8].

Des Weiteren behaupten die Autoren, dass eine Übertragung des Erregers der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) „grundsätzlich nicht vollständig ausgeschlossen werden kann“. Diese Aussage ist grundsätzlich falsch und durch den Herstellungsprozess ausgeschlossen. Die in der Produktbeschreibung angeführten Zertifikate belegen dies unmissverständlich.

Außerdem weisen die Autoren auf die Situation in den USA hin. Dort sei aufgrund „von Sicherheitsbedenken Gelatine in den USA bereits seit 1978 nicht mehr zugelassen“. Dies ist grundsätzlich korrekt – allerdings wird sehr differenziert, da es sich hier um eine 6 %ige unmodifizierte Gelatine gehandelt hat, welche nicht vergleichbar mit modifizierter 4 %iger Gelatine ist. Interessanterweise passiert hier der gleiche Fehler, der von den Autoren beispielsweise in der VISEP-Studie kritisiert wird: nämlich, dass hier eine „alte hyperonkotische HES-Lösung verwendet wurde, die zu Studienbeginn bereits von isoonkotischen Lösungen mit einem niedrigeren Molekulargewicht von 130 kDa als Standard abgelöst war“. Die aktuell in Europa und Österreich verwendeten Gelatinelösungen haben ebenfalls wenig mit der USA-Gelatine von 1978 zu tun, und trotzdem machen die Autoren basierend auf diesen Informationen eine sehr fragwürdige Aussage zur Sicherheit des Präparates. Die Sicherheitsbedenken, die in den USA zum Tragen gekommen sind, bezogen sich in erster Linie auf die negativen Auswirkungen auf die Blutgerinnung. Verglichen mit 130/04 HES hat Gelatine einen erwiesenermaßen geringer ausgeprägten Einfluss auf die Blutgerinnung, insbesondere auf die dilutionsbedingte Fibrinogenpolymerisationsstörung, welche nach Verabreichung von HES-Präparaten nicht nur ausgeprägter, sondern zudem noch schwerer zu reversieren ist [9, 10, 11].

Bemerkenswert ist außerdem, dass lt. Angaben der Autoren das Manuskript ohne Unterstützung durch die Industrie erstellt wurde. Offen bleibt, wer die Firma „Update Europe“ finanzierte, welchen Umfang die Firma bei der Manuskripterstellung eingenommen hat und inwiefern hier möglicherweise doch Interessen von „Dritten“ verfolgt werden.