Wenn ich an meine Assoziationen zum „Alpenraum“ oder zu „Alpinen Einzugsgebieten“ vor meiner Berufsausbildung denke, so beziehen sich diese vor allem auf eine sehr vielfältige und schöne Gebirgslandschaft, einerseits verbunden mit Herausforderungen für das Leben dort und andererseits mit wunderbaren Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Diese Assoziationen sind nach wie vor und vielleicht umso stärker präsent. Als Wasserbauer beschäftigen mich mittlerweile auch andere Aspekte, etwa der Eingriff menschlicher Aktivitäten in die natürlichen Fließgewässerprozesse oder das Verständnis, die Nachbildung und Vorhersagbarkeit dieser Prozesse.

Der Mensch hat sich im Laufe der letzten Jahrhunderte sehr gut an das Leben in alpinen Einzugsgebieten angepasst. Natürliche Ressourcen wie die Wasserkraft werden immer effizienter genutzt. Naturgefahren wird mit immer besseren Modellen, effizienteren Maßnahmenkonzepten und zunehmenden Erfahrungswerten entgegnet. Allerdings verändern sich die Rahmenbedingungen für das Leben in alpinen Einzugsgebieten zunehmend. Bevölkerungsentwicklung, steigender Siedlungsdruck, die Wiederbesinnung der Gesellschaft auf einen ökologisch nachhaltigen Umgang mit der Natur und nicht zuletzt der Klimawandel mit einhergehenden Veränderungen natürlicher Prozesse sind allgegenwärtige Aspekte. In Österreich sind lediglich 38 % der Fläche als Dauersiedlungsraum geeignet. Etwa zwei Drittel davon liegen in Wildbach- und Lawineneinzugsgebieten. Das Leben wird dort unmittelbar vom Umgang mit den Naturgefahren beeinflusst und bestimmt.

Aus wasserbaulicher Sicht ergibt sich in den kommenden Jahren eine Reihe von Herausforderungen für das Leben im Alpenraum. Naturgefahrenprozesse verändern sich in ihrer Charakteristik. Ihr Auftreten wird künftig noch schwieriger zu prognostizieren sein. Die Prozessintensitäten nehmen zu und der jeweilige Auswirkungsraum betrifft in größerem Ausmaß Siedlungsräume, landwirtschaftliche Flächen und Verkehrsinfrastruktur. Integrale Planungsansätze zum Schutz vor diesen Gefahren, in denen Fachleute aller betroffenen Disziplinen sowie Planer und Betroffene über behördliche und kommunale Grenzen hinweg gleichermaßen einbezogen werden, sind hier anzustreben.

Alpine Speicher zur Wasserfassung unterbrechen das natürliche Sedimentkontinuum. Mit zunehmender Lebensdauer verlanden diese Anlagen und beeinträchtigen auch den Betrieb von Wasserkraftanlagen. Die Entlandung von bereits vor Jahrzehnten errichteten Speichern ist in den kommenden Jahren weltweit und besonders auch im Alpenraum ein sehr wichtiges Thema. Schonende Eingriffe und hydraulische Spülkonzepte, die das Feststoffkontinuum zumindest teilweise wieder herstellen und den bestehenden Lebensraum in den Unterliegern nicht beeinträchtigen, sind hier anzustreben. Generell gilt es, die Prozesse in den Einzugsgebieten noch besser zu verstehen, maßgebende Parameter zu identifizieren und quantifizieren, Messdaten zu sammeln, neue Messmethoden zu entwickeln und darauf aufbauend entsprechende Prozessmodelle weiterzuentwickeln.

Die folgenden Beiträge befassen sich mit diesen angesprochenen Fragestellungen aus Forschung und Praxis. Sie weisen in dieser Form einen besonderen Bezug zum Alpenraum bzw. zu alpinen Einzugsgebieten auf und streichen dabei die gegenwärtigen Möglichkeiten und Grenzen wasserbaulicher Versuche und numerischer Modellwerkzeuge hervor.

Ungeachtet der angesprochenen Herausforderungen bedeutet der Alpenraum für mich einen an natürlichen Ressourcen sehr reichen und privilegierten Lebensraum. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich in diesem Umfeld aufgewachsen bin, dort leben darf und dass sich auch meine berufliche Tätigkeit damit befasst. Ein sorgsamer und nachhaltiger Umgang mit diesem Lebensraum sollte unsere natürliche Verpflichtung sein.