Träume sind eine höchstpersönliche Angelegenheit, so persönlich, dass unsere eigenen Träume uns bisweilen fremd erscheinen. Viele werden das Gefühl kennen, wenn man sich nach einem Traum die Augen reibt und sich fragt, wie man denn diese Geschichte hat generieren können.

Obgleich (oder weil) Träume so persönliche Angelegenheiten sind, bestand offenbar seit eh und je das Bedürfnis, sie einem anderen Menschen zu erzählen. Offenbar ist den Menschen schon seit langer Zeit bewusst, dass Träume „gelesen“ werden können und müssen. Träume verlangen danach, gedeutet, verstanden zu werden. So sind der Mundschenk und der Bäcker des Pharaos, die sich dessen Zorn zugezogen hatten und deswegen im Gefängnis saßen, bedrückt. „Es hat uns geträumt, und wir haben niemand, der es uns auslege“ (1. Mose, 40, 8).

„Es hat uns geträumt“, eine sehr passende alte Formulierung, die wir inzwischen durch die aktive Form „Wir haben geträumt“ ersetzt haben. „Es hat uns geträumt“ zeigt sprachlich an, dass Träume ein „Widerfahrnis“ sind, sie geschehen uns, wir haben keinerlei Kontrolle darüber, was wir träumen und wann. Und zugleich sind sie doch unsere Kreationen.

Nun, die beiden von damals hatten das Glück, auf einen göttlich versierten Traumdeuter zu stoßen. Joseph bot sich an, die Träume zu deuten, zuerst den des Mundschenks. Der Bäcker, der zunächst nur zugehört hatte, „sah, dass die Deutung gut war“, und beschloss, seinen Traum ebenfalls Joseph zu erzählen. Wohlgemerkt: Er sah, dass die Deutung gut war, ohne dass er die mit ihr verbundene Voraussage schon hätte überprüfen können. Nein, Josephs Deutung schien ihm schlüssig. Warum?

So erzählte der Bäcker seinen Traum, aber Josephs Deutung hätte er sicher lieber nicht gehört, denn Joseph sah für ihn kein gutes Ende voraus.

Obwohl die Deutungen Josephs in der Bibel als Vorhersagen erscheinen, war es vielleicht vielmehr so, dass Joseph ein gutes Verständnis für Beziehungen hatte. Die Gefangenen saßen bereits eine ganze Weile in ihrem Verlies zusammen und sie werden sich allerlei erzählt haben. Vielleicht ist Joseph aus diesen Erzählungen deutlich geworden, wie die Beziehungen zwischen den Beteiligten lagen, und vielleicht auch, dass der Pharao nicht allzu lange auf den Mundschenk würde verzichten wollen, während es der Bäcker mit seinem Chef gründlich verdorben hatte. Bekanntermaßen machte Joseph mit seiner Gabe Karriere. Es dauerte nicht lange, und auch der Pharao hörte von diesem Traumdeuter und verlangte die Deutung seiner Träume. Dem Mundschenk fallen daraufhin die Fähigkeiten des einstigen Mitgefangenen wieder ein, den er, kaum dem Verlies entronnen, sehr bald vergessen hatte …

Joseph wird also zum Traumdeuter des Pharaos. Was auch hier wie eine Weissagung aussieht, ist weniger Hexerei als gesunder Menschenverstand. Die sieben fetten und die sieben mageren Kühe … Dass Ernten sehr unterschiedlich ausfallen und man nicht darauf bauen kann, dass sie ewig gut sind, das dürfte auch damals schon bekannt gewesen sein. „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“

Aber sowohl dem Mundschenk als auch dem Bäcker und schließlich dem Pharao, ihnen allen waren ihre Träume fremd. Alle spürten sie das große Bedürfnis danach, den Traum zu erzählen und ihn „gedeutet“ zu bekommen, eben, weil sie offenbar auch sehr gut wussten, dass der Traum – so rätselhaft er ihnen erscheint – gleichwohl mit ihnen zu tun hat. Das Deuten wirkt dann wie eine Erleichterung, eine Erleichterung, ein Verständnis, für das es eine menschliche Beziehung braucht.

Träumen als Beziehungsarbeit, so lautet denn auch der Schwerpunkt des vorliegenden Hefts des Forum der Psychoanalyse.

Den Anfang macht Verena Kast, die in vielen spannenden Beispielen aus ihrer Praxis darlegt, wie Träume nicht nur Beziehungen und Beziehungskonflikte abbilden, sondern auch, wie sich Beziehungskonflikte durch die gemeinsame Arbeit an den Träumen des Patienten verändern. Dabei geht die Autorin auch auf die wichtige Funktion von Initialträumen ein.

Es folgt die Arbeit von Jean-Michel Quinodoz, in der er auf die Schwierigkeiten bei der Traumdeutung eingeht, wenn Patienten zunächst noch an einer Symbolisierungsschwäche leiden. In solchen Fällen würde es wenig Sinn machen, nach dem Muster der klassischen Traumdeutung vorzugehen. Stattdessen schlägt der Autor, in Anlehnung an Segal, vor, sich gemeinsam mit dem Patienten zunächst der Funktion der Träume und erst in einer zweiten Stufe deren Inhalt zuzuwenden. Dabei stoße man dann auf wichtige Aspekte der Übertragungsbeziehung.

Thomas Anstadt beschäftigt sich in seiner Arbeit mit dem Traumgenerierungsmodell von Ilka von Zeppelin und Ulrich Moser, indem er anhand dieses Modells eine detaillierte Analyse von „Irmas Traum“ durchführt und auf diese Weise die Leser am „Offline“-Deutungsgeschehen, quasi in statu nascendi, teilhaben lässt. Im Unterschied zu „Online“-Deutungen während einer psychoanalytischen Stunde, wolle dieses Verfahren versuchen, zunächst alle Elemente und Interaktionen sowie Veränderungen objektiv zu erfassen und zu beschreiben, im Gegensatz zu der subjektiven Auswahl, die eine Analytikerin beim Zuhören einer Traumerzählung trifft.

Den Abschluss bildet dann die Arbeit von Janine Euler, Miriam Henkel, Astrid Bock und Cord Benecke. Die Autorinnen und der Autor beziehen sich ebenfalls auf das Traumgenerierungsmodell von Moser und von Zeppelin. Dabei untersuchen sie die Zusammenhänge zwischen Traummerkmalen und dem Strukturniveau von Patienten, wobei sich in dieser Untersuchung mit 139 Probanden offenbar am ehesten Zusammenhänge zwischen den Traummerkmalen und der Reife der Abwehr feststellen ließen.