Zusammenfassung
Kommen als Täter einer Kindesmisshandlung beide Eltern in Betracht und schweigen diese zu dem Geschehen, ist die Aufklärung des Tathergangs häufig stark erschwert. Beide Eltern sind als Beschützergaranten jedoch verpflichtet, ihr Kind vor Übergriffen des anderen zu schützen, sodass stets an eine Verurteilung wegen Begehung durch Unterlassen zu denken ist. Dieser Beitrag zeigt die Möglichkeiten und Problemstellungen der Unterlassenstrafbarkeit in diesen Fällen auf. Im Einzelnen können Nachweisschwierigkeiten bestehen; dies gilt insbesondere für die Frage nach dem Vorsatz. In den Fällen, in denen der Sachverhalt überhaupt nicht aufzuklären ist und die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt, ist zu betonen, dass sie zu Hinweisen bezüglich der Erkenntnisse über eine Kindeswohlgefährdung an die zuständigen Stellen (Jugendamt und Familiengericht) verpflichtet ist.
Abstract
In cases of child maltreatment both parents often make use of the right to remain silent in judicial proceedings. It is then difficult to determine which parent has wilfully injured the child. Before aquitting both and closing the case, the court and the prosecution has to take into account that parents are guarantors for their child’s safety and are therefore obligated to protect their child from being assaulted by the other parent, which can lead to criminal liability by omission. This article aims to examine the possibilities and issues connected with this topic. Providing evidence can be complicated in individual cases especially regarding mens rea. If it turns out to be impossible to shed light on the circumstances of the maltreatment and thus the proceedings have to be closed, the prosecution has to report any concerns about the child's welfare to the competent authorities (American equivalent to the German authorities: Youth Welfare Office and Domestic Relations Court).
Notes
Tsokos/Guddat, Deutschland misshandelt seine Kinder, S. 127 – wenngleich der Schwerpunkt des Werkes und seiner Rezeption nicht auf Unzulänglichkeiten im Strafverfahren liegt.
§§ 225 Abs. 1 1. Fall StGB, 25 Abs. 2 StGB.
§§ 225 1. Fall StGB, 13 StGB.
Wenn es nicht nur um Tun und Unterlassen bezüglich desselben Tatbestandes geht, sondern um verschiedene Tatbestände, die nicht in einem Stufenverhältnis zueinander stehen, so ist das eine ungleichartige Wahlfeststellung (zu den Problemen vgl. Fischer, StGB, 62. Auflage 2015, § 1 Rn. 40 f.).
§ 13 StGB.
§ 323c StGB.
§ 1626 Abs. 2 BGB.
BGH NStZ 2004, 94, 95; Heilmann/Salgo in Jacobi: Kindesmisshandlung und Vernachlässigung, 2008, S. 444.
BGHSt 41, 113−119.
Vgl. die Nachweise und Anmerkungen bei Fischer, StGB, 62. Auflage 2015, § 211 Rn. 29−31.
BGH FamRZ 2003, 450−451.
BGH, Urteil vom 04. Juli 2002 – 3 StR 64/02 –, juris.
§§ 13, 25 Abs. 2 StGB.
§§ 13, 27 StGB.
Vgl. Haas, Die Beteiligung durch Unterlassen, ZIS 2011, 392, 392 f.
Z. B. BGH NStZ 2009, 321.
Vgl. LG Aachen v. 15.12.2003 (65 KLs/27 Js 430/01) Rn. 445 f.
Vgl. LG Bonn v. 24.11.2011 (24 Ks 920 Js 665/10) Rn. 231.
Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2015 § 170 Rn. 2.
§ 170 Abs. 2 StGB.
§ 22a Abs. 2 FamFG (die Staatsanwaltschaft darf mitteilen – Ermessen), Nr. 35 Abs. 1 (zwingende Mitteilung), Abs. 2 Nr. 1 MiStra. Im Fall Yagmur unterblieb die Mitteilung an das Familiengericht, vgl. den Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses der Freien und Hansestadt Hamburg, Drucksache 20/14100, S. 126 ff.
Vgl. den Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses der Freien und Hansestadt Hamburg, Drucksache 20/14100, S. 195 ff.
§§ 13, 49 StGB.
§ 171 StGB.
§ 222 StGB.
§ 229 StGB.
Umgekehrt dürfen aber plausible Varianten nicht bloß wegen des Schweigens ausgeklammert bleiben, da sonst das Aussageverweigerungsrecht untergraben würde.
So schon BGH NStZ 2004, 94, 95.
Danksagung
Die Verfasser danken Prof. Dr. Ludwig Salgo für fruchtbare Diskussionen über die Thematik.
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Interessenkonflikt
C. Trendelenburg und V. Lauer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Beide Autoren engagieren sich im Deutschen Kinderschutzbund, Bezirksverband Frankfurt a. M. Der Beitrag gibt ausschließlich ihre privaten Einschätzungen wieder.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Trendelenburg, C., Lauer, V. Erwiesene Kindesmisshandlung durch hypothetisches Unterlassen. Rechtsmedizin 25, 237–242 (2015). https://doi.org/10.1007/s00194-015-0031-8
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