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Vorverlagerter Tod

Probleme des Kausalitätsnachweises

Premature death

Problems in establishing causality

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Rechtsmedizin Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Hintergrund

Die vorliegenden Ausführungen basieren auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Kausalität zwischen unterlassenem ärztlichen Handeln und Tod von Patienten.

Fragestellung

Hat die Rechtsprechung des BGH zu einer verschärften ärztlichen Haftung geführt, und welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für den gutachterlichen Alltag?

Material und Methode

Daten zur höchstrichterlichen Rechtsprechung und der einschlägigen medizinrechtlichen Literatur wurden ausgewertet.

Ergebnisse

Der BGH hat als oberstes deutsches Strafgericht in den 1980er Jahren einige Urteile gefällt, in denen Ärzte wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurden, da sie durch eine unterlassene ärztliche Handlung die Lebenserwartung der Patienten um einen Tag oder nur um wenige Stunden verkürzt hatten. Der Tatbestand der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB als fahrlässiges Erfolgsdelikt setzt voraus, dass der Verstoß gegen allgemein anerkannte fachliche Standards für den Tod des Patienten ursächlich gewesen ist. Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung setzt also voraus, dass die Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfalt kausal für den strafrechtlich inkriminierten Erfolg war. Die Abkürzung fremden Lebens um einen Tag oder einen Zeitraum von wenigen Stunden unterfällt dem Schutzzweck der fahrlässigen Tötung und ist insoweit tatbestandlich einschlägig. Lediglich eine irrelevante Lebensverkürzung ist vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 222 StGB als unwesentlich und damit auch tatbestandlich unbeachtlich aufzufassen.

Schlussfolgerung

Die Lebensverkürzung aufgrund unterlassener ärztlicher Handlungen in einem Zeitraum von wenigen Stunden wird mit empirisch-wissenschaftlichen Methoden nicht exakt bestimmbar sein, sondern höchstens als Plausibilitätserwägung begründet werden können. Wenn der Überlebenszeitraum aber naturwissenschaftlich nicht exakt bestimmt werden kann, sollten die beauftragten Gutachter äußerst zurückhaltend sein, exakte Angaben zur potenziellen Dauer der Lebensverlängerung bzw. zur Kausalität festzustellen. Denn aufgrund einer – wenn auch sachverständigen – Schätzung kann eine strafrechtliche Sanktionierung nicht erfolgen.

Abstract

Background

This article is based on the judgment of the German Federal Court of Justice (Bundesgerichtshof) on the causality between omission of medical treatment and the death of patients.

Question

Has the jurisdiction of the German Federal Court of Justice led to an intensified medical liability and what can the consequences be for the routine of expert consultants?

Material and method

An analysis of the jurisdiction as well as of the relevant literature concerning medical law was carried out.

Results

In the 1980s the German Federal Court of Justice passed several judgments in which physicians were convicted of involuntary manslaughter. Due to omission of medical treatment the life expectancy of patients was reduced by 1 day or a few hours. As a condition for being convicted of involuntary manslaughter (in accordance with § 222StGB, German Penal Code) the violation of a generally accepted professional medical standard has to be the direct cause of the patient's death. Thus, the violation of the objectively accepted standard of treatment must be the reason for the death of the patient in order for a physician to be convicted. The reduction of life expectancy by 1 day or a few hours underlies the protective purpose of involuntary manslaughter. Only an irrelevant reduction of life expectancy can be juristically immaterial due to the protective purpose of involuntary manslaughter in accordance with § 222StGB.

Conclusion

The reduction of life expectancy by a few hours caused by the omission of medical treatment cannot be exactly defined through empirical scientific methods and nothing more than plausible conjectures can be made. If it is not possible to define the survival period exactly, the expert consultants should be extremely reserved when determining exact information regarding the potential duration of extended life expectancy as well as regarding causality because a criminal sanctioning cannot be based on an estimation even by an expert.

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Notes

  1. RGSt. 25 375.

  2. Vgl. Püschel et al., Wandel der Begutachtungskriterien am Beispiel der übersehenen Myokardinfarkte, in: Madea/Dettmeyer (Hrsg.), Medizinschadensfälle und Patientensicherheit, 2007, 153, 155.

  3. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, S. 266.

  4. BGH, Urteil vom 20. Mai 1980, NStZ 1981, 218 mit zustimmender Anmerkung von Wolfslast.

  5. BGHSt 11, 1 ff.

  6. Ständige Rechtsprechung. vgl. nur RGSt 58, 130 f.; BGH 2 StR 494/87, BGH NJW 2000, 2754 f., m.w.N.

  7. Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013, BGBl 2013, S. 277.

  8. So zu Recht Ulsenheimer, Aus der Praxis des Arztstrafrechts, MedR 1984, S. 161, 163.

  9. Ständige Rechtsprechung seit BGHSt 11, 1 f., vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl., 2008, Rn. 219; Tag, Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und Lex artis, S. 403, jeweils m.w.N.

  10. OLG München VersR 1966, 63,64; vgl. auch BGH NJW 1984, 661; Ulsenheimer, Der Arzt im Strafrecht, in: Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2010, § 140, 1619.

  11. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rn. 262.

  12. Ulsenheimer, Aus der Praxis des Arztstrafrechts, MedR 84, 161, 163.

  13. Nachweis diesbezüglich bei Ulsenheimer, MedR 84, a.a.O.

  14. Sachverhaltsdarstellung bei Ulsenheimer, MedR 84 161 163. Ergänzend ist auf die Urteilsbegründung des BGH hinzuweisen – 1 StR 177/80 –, demnach in der Hauptbehandlung des LG München 4 Fachchirurgen, also kein Rechtsmediziner, angehört wurden. Urteil zitiert nach juris, dort Rn. 11.

  15. BGH, Urteil vom 20. Mai 1980, 1 StR 177/80, zitiert nach juris, dort Rn. 18 a. E.

  16. BGH, Urteil vom 10.08.1984, 1 StR 9/84, NStZ 1985, 26, 27.

  17. BGH Urteil vom 12.10.1987, 2 StR 494/87, MedR 1988, 10.

  18. BGH, Urteil vom 8. Juli 1987, 2 StR 269/87, MedR 1988, 25 f.

  19. Ulsenheimer, Das Strafrecht in der Praxis, S. 265, Rn. 224; ders., in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 140, Rn. 42.

  20. § 1 Abs. 2 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetages 2011.

  21. BayObLG, JZ 1973, 319 f.

  22. So zu Recht Tag, a.a.O. 402.

  23. BT-Drs. 17/10488, 24.

  24. Fischer in: Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, 50. Aufl. § 212, Rn. 3, m.w.N.

  25. BGH, Urteil vom 20.05.1980, NSTZ 1981, 218 f. zitiert nach juris, dort Rn. 16 a. E.

  26. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 225.

  27. Schlund, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2010, § 122, Rn. 21.

  28. Dies kann auch Ulsenheimer nicht anführen. Vgl. Rechtliche Grundlagen und Schranken rechtsmedizinischer Gutachtertätigkeit im Strafprozess, in: Klose, Uehmichen (Hrsg.) Rechtsmedizinische Forschungsergebnisse – Festschrift für Otto Pribilla zum 70. Geburtstag.

  29. Ulsenheimer, a.a.O.

  30. Eisenmenger, in: Madea/Winter (Hrsg.) Begutachtung des ärztlichen Behandlungsfehlers aus Sicht der Rechtsmedizin, in: Medizin-Ethik-Recht, 1994.

  31. Vgl. Püschel et al., Wandel der Begutachtungskriterien am Beispiel der übersehenen Myokardinfarkte, in: Madea/Dettmeyer (Hrsg.), Medizinschadensfälle und Patientensicherheit, 2007, S. 153, 155.

  32. Ulsenheimer, in: Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl., 2010, § 140, Rn. 41.

  33. BGH, Urteil vom 20.05.1980, NStZ 1981, 218 f., zitiert nach juris, Rn. 11.

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Böhmann, D. Vorverlagerter Tod. Rechtsmedizin 25, 208–213 (2015). https://doi.org/10.1007/s00194-015-0006-9

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