Ionisierende Strahlung kann zu Gewebeveränderungen und Tumorinduktion führen. Bei der diagnostischen und therapeutischen Applikation werden immer normale Gewebestrukturen exponiert. Mögliche Folgen können teilweise erst nach Jahrzehnten auftreten. Die Kenntnis der biologischen Mechanismen kann zur Individualisierung der Therapie und für biologisch begründete Ansätze zur Verminderung der Nebenwirkungen dienen. Bei der Aufklärung von Patienten, welche eine Strahlenexposition erfahren sollen, müssen Nutzen und Risiko erläutert und ausgeglichen gegeneinander abgewogen werden. Ionisierende Strahlung kann eingeteilt werden in Wellen- (Röntgen-, Gammastrahlung) und Partikelstrahlung (Elektronen, Ionen, Neutronen). Daneben kann Wellenstrahlung auch nichtionisierend sein (z. B. Radiowellen, Infrarot-, UV-Strahlung). Die vorliegende Arbeit bezieht sich ausschließlich auf ionisierende Strahlung.

Zeitlicher Verlauf der Strahlenwirkung

In Geweben bewirkt ionisierende Strahlung eine Reihe physikalischer, chemischer und biologischer Veränderungen, deren zeitliche Abfolge sich vom Nanosekundenbereich bis über viele Jahrzehnte hinweg erstrecken kann [15, 19]. Sie sind die Grundlage der sog. Schadensverarbeitung (s. unten); Abb. 1 illustriert diesen Verlauf.

Abb. 1
figure 1

Zeitlicher Ablauf geweblicher Strahleneffekte. Bereits zum Zeitpunkt der Energiedeposition durch ionisierende Strahlung beginnen erste physikalische Prozesse, v. a. in Form von Ionisationsereignissen. Diese leiten chemische Veränderungen auf anorganischer, später auch auf organischer Ebene ein, welche letztendlich zur Manifestation früher und später deterministischer und auch stochastischer Strahlenfolgen führen

Physikalische Phase

Die initiale, physikalische Phase umfasst die Interaktion von Wellen- und Teilchenstrahlung mit den Atomen des exponierten Gewebes, die primär zur Bildung von Ionen führt. Die damit verbundene Energiedeposition ist die Grundlage für alle nachfolgenden Prozesse. Sie definiert die absorbierte Dosis (Energiedosis) mit der Einheit Gray (Gy), basierend auf der deponierten Energie (in Joule) und der exponierten Masse (in kg). Somit ist 1 Gy = 1 J/kg.

Chemische Phase

Die rein chemische Phase beginnt bereits während des Ablaufs der physikalischen Prozesse und dehnt sich über wenige Sekunden aus. Sie umfasst v. a. die Spaltung anorganischer Moleküle und die damit einhergehende Generierung reaktiver Radikale, beispielsweise in Folge der Zerstörung von Wassermolekülen, und deren weitere Folgereaktionen. Dabei sind die Qualität der Radikale und deren Reaktion abhängig von der lokalen Sauerstoffkonzentration; dies begründet den sog. Sauerstoffeffekt (s. unten). Die chemische Phase beinhaltet aber bereits auch initiale Reparaturprozesse, wie die Wiederherstellung zerstörter Bindungen zwischen Molekülen. Durch den Übergriff der Radikalreaktionen auf biologische Moleküle besteht ein fließender Übergang zur biologischen Phase.

Biologische Phase

Diese Phase umfasst alle nachfolgenden Prozesse; sie kann sich über mehrere Jahrzehnte hinziehen. Initial beinhaltet sie die (Ketten‑)Reaktion anorganischer Radikale mit Biomolekülen sowie organischer Moleküle untereinander. Relevant ist v. a. eine Schädigung der DNA in Form von Basenschäden, Zuckerveränderungen, DNA-DNA- und DNA-Proteinvernetzungen sowie Einzel- und Doppelstrangbrüchen. Ein Großteil dieser Veränderungen kann von den geschädigten Zellen effektiv repariert werden. Jedoch können gehäufte Schädigungen die Reparatursysteme überlasten und so zur Beeinträchtigung der Proliferationsfähigkeit bis hin zur Abtötung der Zelle führen.

Die infolge der strahleninduzierten Störungen der Zellfunktion, -proliferation, -differenzierung oder auch Abtötung der Zellen entstehenden geweblichen („deterministischen“) Veränderungen werden auf der Basis ihres ersten Auftretens, d. h. der Zeit zwischen (erster) Strahlenexposition und klinischer Erstdiagnose (Latenzzeit) in frühe (akute) und chronische (späte) Effekte unterteilt [4, 8, 12]. In der Radioonkologie gelten alle Normalgewebsreaktionen mit Erstdiagnose vor dem 90. Tag nach Beginn der Therapie als Früheffekte. Die Latenzzeit von Spätreaktionen kann Monate bis Jahre, im Falle sehr später Reaktionen (Herz, Niere) auch mehrere Jahrzehnte betragen; sie ist invers dosisabhängig, d. h. je höher die Dosis ist, desto früher treten Spätreaktionen ein [4, 15]. Somit sollte zur umfassenden Dokumentation eine entsprechend strukturierte langfristige Nachsorge erfolgen [21].

Durch die Entstehung nichtzytoletaler Mutationen, die zu einer malignen Transformation der betroffenen Zelle führen, können auch Tumoren durch die Einwirkung ionisierender Strahlung induziert werden. Die Zeit bis zu deren klinischer Manifestation kann mitunter ebenfalls mehrere Jahrzehnte betragen [10, 15, 23, 24]. Betreffen diese Mutationen Keimzellen, können genetisch bedingte Veränderungen bei den Nachkommen auftreten; sog. hereditäre Effekte sind jedoch mit heute gebräuchlichen medizinischen Expositionsmustern sehr selten.

Pathobiologie geweblicher Strahlenreaktionen

Deterministische Strahleneffekte manifestieren sich im Gegensatz zu stochastischen Effekten erst nach dem Erreichen einer effektspezifischen Schwellendosis. Diese kann, beispielsweise beim Embryo oder für die Augenlinse, sehr gering sein. Dennoch sind bei der ordnungsgemäßen Applikation ionisierender Strahlung im Rahmen der radiologischen und nuklearmedizinischen Diagnostik Gewebeeffekte – u. a. aufgrund der generell geringen Strahlendosen, welche regelhaft unterhalb der Toleranzdosen für gewebliche Strahleneffekte liegen – kaum zu erwarten. Aus diesem Grund wird nachfolgend auf die für die Strahlentherapie und für Strahlenunfälle relevanten Gewebereaktionen, deren Mechanismen und Einflussfaktoren eingegangen.

Frühe Strahlenreaktionen

Typische Frühreaktionen einer Strahlenexposition treten v. a. in Umsatzgeweben wie der Epidermis, den Epithelien der Schleimhäute oder dem Knochenmark auf [4, 7, 8]. Die klinische Reaktion basiert grundsätzlich auf einer strahleninduzierten Hemmung der Proliferation bei einem unabhängig von der Strahlenexposition fortbestehenden physiologischen Zellverlust [4, 7, 14]. Dieses Ungleichgewicht führt zu einer progressiven Hypoplasie bis hin zum vollständigen Zellverlust, mit den entsprechenden klinischen Konsequenzen: Desquamation der Epidermis, Ulzerationen der Schleimhäute, Reduktion der Blutzellzahlen. Die Latenzzeiten sind abhängig von den Umsatzzeiten der Gewebe, sobald die spezifische Schwellendosis überschritten wird [4]. Diese sind verbunden mit einem Risiko für lokale und systemische Infektionen. Diese Prozesse werden begleitet von einer vaskulären und inflammatorischen Komponente [11].

Frühe Strahlenreaktionen sind in der Regel reversibel. Die Heilung basiert im Wesentlichen auf im Bestrahlungsvolumen überlebenden oder von außen einwandernden gewebespezifischen „Stamm-“Zellen und ist in der Regel primär vollständig. Der typische zeitliche Verlauf früher Strahlenreaktionen ist in Abb. 2a dargestellt.

Abb. 2
figure 2

Dosisabhängigkeit des Zeitverlaufs deterministischer Endpunkte. Frühe Strahleneffekte (a) zeigen eine dosisunabhängige Latenzzeit; die Zeit zum Erreichen des maximalen Schweregrades ist dosisabhängig. Diese Strahleneffekte sind in der Regel vollständig reversibel; die Zeit bis zur klinischen Heilung ist ebenfalls dosisabhängig. Dagegen ist die Latenzzeit für chronische Strahleneffekte (b) invers dosisabhängig ebenso wie die Progressionsrate. Sie sind in der Regel irreversibel

Chronische Strahlenreaktionen

Chronische Strahleneffekte finden sich grundsätzlich in allen Geweben. Die Pathogenese ist komplexer als bei Frühreaktionen [4, 7, 8, 12, 15]. Es besteht grundsätzlich eine Beteiligung der organspezifischen Gewebekomponenten (z. B. Pneumozyten in der Lunge), aber in allen Fällen – in unterschiedlicher Beteiligung – des Gefäß- und Bindegewebes, aber auch des Immun- und Nervensystems. Strahlenspätfolgen sind in der Regel irreversibel und verlaufen progressiv [4, 12, 15], d. h. sie folgen dem in Abb. 2b illustrierten Verlauf, mit einer ebenfalls dosisabhängigen Progressionsrate.

Grundsätzlich sind Früh- und Spätreaktionen in ihrer Pathogenese voneinander unabhängig. Eine Ausnahme stellen konsekutive Späteffekte („consequential late effects“, CLE) dar, bei welchen das Risiko für eine Spätreaktion von der Ausprägung der Frühreaktion im gleichen Organ abhängt [4, 9]. Dazu zählen beispielsweise Osteoradionekrosen des Unterkiefers nach ausgeprägten Mundschleimhautreaktionen, chronisch erhöhte Miktionsfrequenzen nach frühen radiogenen Zystitiden, oder chronische Darmveränderungen nach einer ausgeprägten frühen Enteritis. Diese CLE folgen den strahlenbiologischen Eigenschaften (s. unten) der entsprechenden Frühreaktion.

Einflussfaktoren der biologischen Strahlenwirkung

Diejenigen Parameter einer Strahlenexposition, welche letztendlich deren Wirksamkeit bestimmen, werden häufig als die „R“ der Strahlenbiologie zusammengefasst [8, 12]. Dies sind:

  • intrinsische Radiosensitivität,

  • Erholung (Recovery),

  • Repopulierung,

  • Redistribution/Zellzykluseffekte,

  • Reoxygenierung,

  • bestRahltes Volumen,

  • molekulare Radiopathologie.

Die Strahlenempfindlichkeit von Geweben wird – entsprechend dem Stammzellkonzept [4, 8, 12, 15] – durch 2 Komponenten bestimmt:

  • die intrinsische Strahlenempfindlichkeit gewebespezifischer Stammzellen (d. h. derjenigen Zellen, die nach einer Schädigung die Gewebestruktur und -funktion wieder herstellen können) bzw. der verschiedenen für den spezifischen Strahleneffekt relevanten Stammzellpopulationen und

  • die Anzahl dieser Stammzellen (im bestrahlten Gewebevolumen) zum Zeitpunkt der Exposition.

Da diese sog. Stammzellen in der großen Mehrzahl der Gewebe derzeit nicht identifiziert werden können, ist dieses Konzept zwar hypothetisch, kann aber in Bezug auf die Strahlenwirkung als valide angesehen werden [4, 15].

Erholung

Erholungsvorgänge führen dazu, dass eine Aufteilung einer definierten Gesamtdosis auf mehrere Fraktionen („Fraktionierungseffekt“) oder eine drastische Reduktion der Dosisrate („Dosis-Leistungs-Effekt“) die Wirksamkeit der Exposition reduzieren [15]. Auf geweblicher Ebene manifestiert sich dies in einer Erhöhung der für einen bestimmten Effekt nötigen Dosis („Isodosis“); Dosis-Effekt-Kurven verschieben sich hin zu höheren Gesamtdosen bzw. die Inzidenz des betrachteten Effekts bei einer bestimmten Gesamtdosis verringert sich (Abb. 3). Die Mechanismen der Erholung auf geweblicher Ebene sind komplex und involvieren DNA-Reparaturprozesse, sind jedoch nicht darauf beschränkt.

Abb. 3
figure 3

Effekt der Dosisfraktionierung für gewebliche Endpunkte. Für die Inzidenz deterministischer Endpunkte ergeben sich sigmoide Dosis-Effekt-Kurven (DEK). Wird die Gesamtexpositionsdosis auf mehrere Fraktionen aufgeteilt, welche in einem zeitlichen Abstand (von mindestens einigen Stunden) appliziert werden, verschiebt sich die DEK nach rechts. Dies bedeutet, dass isoeffektive Dosen, wie beispielsweise die ED50 (Dosis, bei welcher der Endpunkt bei 50 % der Betroffenen erwartet wird) zunehmen (schwarzer Pfeil), bzw. dass bei einer bestimmten Gesamtdosis die Inzidenz abnimmt (blauer Pfeil)

Erholungsprozesse sind typischerweise stark ausgeprägt für chronische Normalgewebseffekte, jedoch auch signifikant nachweisbar für Frühreaktionen. Die große Mehrzahl der Tumoren zeigt – wie die Frühreaktionen – einen geringen Fraktionierungseffekt; Ausnahmen sind z. B. Melanome, Prostata- und Mammatumoren, bei denen der Fraktionierungseffekt vergleichsweise groß ist [2].

Der Fraktionierungseffekt wird häufig beschrieben durch den sog. α/β-Wert [1, 2]. Dieser beschreibt die Veränderung der isoeffektiven Dosis für die Auslösung eines bestimmten Effekts, d. h. das Ausmaß der Verschiebung der Dosis-Effekt-Kurve (Abb. 3), mit der Veränderung der Dosis pro Fraktion [1]. Ein niedriger Wert (<6 Gy) entspricht einem ausgeprägten Einfluss der Fraktionsdosis/Dosisleistung auf die Ausprägung des betrachteten Effekts.

Repopulierung

Repopulierungsvorgänge resultieren in einer Zunahme der Strahlentoleranz infolge einer Verlängerung der Expositionsdauer [2, 5, 25]. Im Rahmen der Strahlentherapie wird dies typischerweise für Strahlenfrühreaktionen beobachtet und für eine Reihe von Tumoren (z. B. Kopf, Hals, Lunge, Mamma, Zervix). Als Konsequenz sollte für diese Tumorentitäten eine ungeplante Verlängerung der Gesamtbehandlungszeit, z. B. in Folge von Geräteausfällen, Feiertagen, etc., unbedingt vermieden werden [3, 20]. Die zugrunde liegenden biologischen Prozesse sind äußerst komplex [5, 15, 22].

Zellzykluseffekte, Synchronisation und Redistribution

Die Strahlenempfindlichkeit von Zellen variiert über den Zellzyklus hinweg: Während der S‑Phase ist sie in den meisten Zellen hoch, in der Mitose- und G2-Phase am geringsten. Bei einer Strahlenexposition von Geweben werden bevorzugt Zellen in den sensitiveren Phasen abgetötet, wodurch sich eine verbleibende Fraktion an Zellen in resistenten Zellzyklusphasen ergibt [15, 25]. Zudem durchlaufen geschädigte Zellen infolge einer temporären Blockade (G2-Block) am G2-Mitose-Übergang nach erfolgter Reparatur gemeinsam die nächste Zellteilung (Synchronisation). Aufgrund von Unterschieden in den Zellzykluszeiten erfolgt anschließend eine Rückverteilung (Redistribution) auf alle Zellzyklusphasen. Diese Effekte sind hauptsächlich in Untersuchungen an Zellkulturen und anderen experimentellen Modellen dokumentiert; eine Nutzbarkeit im Rahmen einer Strahlentherapie ist bisher nicht bestätigt.

Reoxygenierung

Die Wirksamkeit einer Strahlenexposition wird definiert durch die lokale Sauerstoffkonzentration infolge der unterschiedlichen Generierung reaktiver Radikale (s. oben). Der Effekt einer bestimmten absorbierten Dosis sinkt mit sinkender Sauerstoffspannung um bis zu einem Faktor 3 (Sauerstoffverstärkungsfaktor, „oxygen enhancement factor“, OER [15, 16]), d. h. hypoxische Zellen und Gewebe sind weniger strahlenempfindlich. Hypoxische Situationen kommen in Normalgeweben selten und dann nur in einer konstanten Form vor (z. B. Knorpel). Dagegen existieren in (größeren) Tumoren aufgrund des Wachstums und der unphysiologischen Gefäßversorgung in den meisten Fällen hypoxische Areale, welche naturgemäß auch strahlenresistente rezidivfähige Zellen („Stammzellen“) enthalten. Im Laufe einer Strahlentherapie kann sich der Hypoxiegrad in den Tumoren infolge der komplexen Reaktion des Tumors selbst und des versorgenden Gefäßsystems vermindern („Reoxygenierung“ [15, 16]), was – im Gegensatz zu Repopulierungsvorgängen (s. oben) – zu einer Zunahme der Strahlenempfindlichkeit mit zunehmender Gesamtbehandlungszeit führt.

Bestrahltes Volumen

Der technische Fortschritt in der Radioonkologie führte zu einer progressiven Konformität des Hochdosisbereichs auf das Zielvolumen. Dies geht einher mit einer insgesamt verminderten Gesamtdosis in den Normalgeweben, aber auch mit zunehmenden Dosisinhomogenitäten und einer Veränderung des Niedrigdosisvolumens. Das mit Dosen oberhalb der Toleranzdosis exponierte Volumen eines Organs muss daher als wichtiger Parameter der Strahlenreaktion betrachtet werden [13]. Dabei ist die Konsequenz einer Exposition mit einer derartigen Dosis abhängig von der funktionellen Struktur des Organs, ähnlich der Folgen einer chirurgischen Intervention. Zu unterscheiden ist zwischen Organen, deren Gewebeanteile weitgehend unabhängig voneinander arbeiten, und solchen, die „sequenziell“ aufgebaut sind, in denen also die Funktion eines Abschnitts von der eines anderen abhängt. Wird beispielsweise ein bestimmtes Volumen der Leber mit „sterilisierenden“ Dosen exponiert, kann dies bis zu einem gewissen Grad toleriert werden. Geschieht ähnliches jedoch in einem nur kleinen Abschnitt des Rückenmarks, sind gravierende klinische Folgen für dessen weiter distal liegenden Abschnitte zu erwarten.

Molekulare Radiopathologie

Der klinischen Manifestation geweblicher Strahlenfolgen liegt – in allen exponierten Zellpopulationen – eine Reihe früher Veränderungen auf molekularer, zellulärer und geweblicher Ebene zugrunde (s. oben, Abschn. „Zeitlicher Verlauf der Strahlenwirkung“), welche in der Strahlenbiologie als „Schadensverarbeitung“ zusammengefasst werden [6, 8, 12]. Diese sind vielfältig und reichen in den betroffenen Zellen von der Induktion der reaktiven Radikale über die konsekutive Modulation der Aktivität von Transkriptionsfaktoren in der DNA bis hin zur Modifikation von intra- und interzellulären Signaltransduktionsketten und epigenetischen Veränderungen. Dies hat Folgen bzgl. der zellulären Proliferation, Differenzierung und Funktion in allen beteiligten Zellpopulationen [6, 12]. Hinzu kommt die Beteiligung des Gefäß- und Immunsystems, u. a. in Form inflammatorischer Prozesse.

Die Ausprägung – qualitativ und quantitativ – dieser frühen „molekularen“ Veränderungen kann einerseits die Grundlage bilden für die Abschätzung der Wirksamkeit einer Strahlenexposition bzgl. der Normalgewebs-, aber auch – bei der Strahlentherapie – der Tumorwirkung der Strahlenexposition in Form früher Biomarker zur individuellen Gestaltung der Therapie und der Nachsorge. Die präzise Kenntnis dieser Prozesse, welche mithilfe präklinischer Untersuchungen (in Zell- und Gewebekulturmodellen, im Wesentlichen aber auch in Tierexperimenten), mit klinikrelevanten Endpunkten und Bestrahlungsprotokollen erzielt werden muss, kann aber auch dazu dienen, auf einer individuellen Basis biologisch begründete Strategien zur Optimierung der Therapieansätze, aber auch – nach entsprechender präklinischer Validierung – der Optionen zur Reduktion von Strahlenwirkungen an den Normalgeweben zu definieren [6, 8, 12].

Tumorinduktion durch Strahlenexposition („Strahlenrisiko“)

Das Risiko der Induktion von Tumoren durch eine Strahlenexposition – akzidentiell, diagnostisch oder therapeutisch – wird grundsätzlich sehr kontrovers diskutiert. Hier soll kurz auf die biologischen Grundlagen und die Größenordnungen dieses Risikos eingegangen werden. Primär ist dabei zu beachten, dass zwischen der Strahlenexposition und der klinischen Manifestation einer Tumorerkrankung sehr viel Zeit vergehen kann. Diese betrug nach Ganzkörperexposition, beispielsweise bei den Überlebenden der Atombombenabwürfe in Japan (Life Span Study [15, 17, 23]), für Leukämien im Mittel 7 bis 12 Jahre, für solide Tumoren dagegen deutlich länger. Bei Strahlentherapiepatienten wurden für die Induktion solider Tumoren vergleichbare Latenzzeiten berichtet [10, 24].

Für eine Strahlenexposition mit niedrigen (z. B.) diagnostischen Strahlendosen liegen Abschätzungen bzgl. des Induktionsrisikos eines Tumors vor. Allerdings muss angemerkt werden, dass diese vornehmlich auf der Wirkung einer Ganzkörperexposition beruhen, welche bei einer diagnostischen Maßnahme in den seltensten Fällen gegeben ist. Die erwartete Todesrate für strahleninduzierte Tumoren liegt in der Größenordnung von ca. 5 % pro 1 Gy Ganzkörperdosis [18], und scheint einer linearen Dosisabhängigkeit zu folgen [17]. Die Wirkung einer Teilkörperdosis wird über die sog. Organwichtungsfaktoren und die daraus resultierende effektive Dosis abgeschätzt, deren Wert allerdings massive Unsicherheiten aufweist und deshalb bei Patienten nicht angewendet werden sollte [18, 23].

Bei einer therapeutischen Strahlenapplikation sind wesentlich mehr Faktoren bzgl. der Manifestation eines Sekundärtumors zu bedenken [23], wie Geschlecht und Alter bei Exposition, genetische Disposition, Expositionsmuster und betroffene Gewebe, zusätzliche Behandlungen (Chemo-, Hormontherapie) oder das Fortbestehen ätiologischer Faktoren. Hinzu kommt, dass nach einer Strahlentherapie chronische Gewebeveränderungen eintreten können, die einen präkanzerogenen Prozess darstellen, wie etwa chronische Darm- und Harnblasenveränderungen nach der Strahlentherapie von Prostatatumoren [10].

Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass das Risiko für die Induktion von Tumoren durch die Strahlenexposition in der Diagnostik zu vernachlässigen ist und auch in der Radioonkologie als sehr gering eingeschätzt werden muss. Die übereinstimmende Abschätzung der mit den Risiken einer Strahlenapplikation befassten Fachgesellschaften liegt im niedrigen einstelligen Prozentbereich, und dies nach einem Zeitintervall, welches deutlich über dem Überlebenszeitraums einer unbehandelten initialen Erkrankung liegt. Bei pädiatrischen Patienten scheinen die Werte allerdings höher zu sein.

Patientenaufklärung

Die Risiken einer Strahlenexposition im Rahmen diagnostischer oder therapeutischer Strahlenexpositionen sind vielfältig. Zudem herrscht in der Bevölkerung und damit auch bei den Patienten eine große Unsicherheit aufgrund mangelnder Aufklärung. Dies betrifft die Induktion deterministischer Strahleneffekte, aber v. a. auch das stochastische Tumorrisiko.

Dank verbesserter Therapiestrategien steigen die Langzeitüberlebensraten bei Krebspatienten. Dadurch nimmt die Fraktion sog. „cancer survivors“ in der Bevölkerung progressiv zu – welche im Risiko stehen, späte und sehr späte Folgen der Therapie zu entwickeln. Eine entsprechende Nachsorge wird empfohlen [21]. Die entsprechenden Risikoabschätzungen für Therapiefolgen müssen dem Patienten natürlich im Rahmen der Aufklärung erläutert werden. Dies muss jedoch in einer ausgewogenen Weise mit einer klaren Darlegung des Nutzens der Strahlenexposition erfolgen.

Fazit für die Praxis

  • Die durch ionisierende Strahlung induzierten physikalischen, chemischen und biologischen Veränderungen sind die Grundlage der sog. Schadensverarbeitung.

  • Deterministische Strahleneffekte manifestieren sich im Gegensatz zu stochastischen Effekten erst nach dem Erreichen einer effektspezifischen Schwellendosis.

  • Die Strahlenempfindlichkeit von Geweben wird durch die intrinsische Strahlenempfindlichkeit gewebespezifischer Stammzellen und die Anzahl dieser Stammzellen (im bestrahlten Gewebevolumen) zum Zeitpunkt der Exposition bestimmt.

  • Es kann festgestellt werden, dass das Risiko für die Induktion von Tumoren durch die Strahlenexposition in der Diagnostik zu vernachlässigen ist und auch in der Radioonkologie als sehr gering eingeschätzt werden muss.

  • In der Bevölkerung herrscht eine große Unsicherheit aufgrund mangelnder Aufklärung hinsichtlich der Risiken einer Strahlenexposition. Deshalb muss eine Aufklärung der betroffenen Patienten in sachlicher Weise bzgl. des Nutzens der Strahlenexposition erfolgen.