Im Jahr 2016 lebten 18,6 Mio. Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland, dies entsprach 22,5 % der deutschen Gesamtbevölkerung [6]. Laut Statistischem Bundesamt hat eine Person „einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde“ [6]. Im Bereich der psychischen Gesundheit gibt es bisher vorwiegend lokale Erhebungen, die teilweise widersprüchliche Daten zu Prävalenzraten psychischer Störungen bei Menschen mit Migrationshintergrund berichten [8]. Aufgrund der großen sozialen, sprachlichen und kulturellen Unterschiede in dieser Bevölkerungsgruppe [25] fokussiert sich die vorliegende systematische Übersichtsarbeit auf türkeistämmige Personen, die mit 2,8 Mio. die größte Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland darstellen [6].

Die ersten Arbeiten zur psychischen Gesundheit von türkeistämmigen Personen in Deutschland wurden in den 1970er-Jahren an den damals sogenannten „Gastarbeitern“ durchgeführt. Sie berichteten von deutlich niedrigeren Raten psychischer Erkrankungen bei diesen Personen und ihren Familien im Vergleich zur deutschen Bevölkerung. Einer der möglichen Gründe hierfür wurde darin vermutet, dass ausreisewillige Türken einer strengen körperlichen und psychischen Gesundheitsprüfung durch die deutschen Behörden unterworfen wurden. Jedoch zeigte sich schon damals, dass sich die Prävalenz mit zunehmender Aufenthaltsdauer in Deutschland derjenigen der einheimischen Bevölkerung näherte [17].

Es fanden sich insbesondere depressive und somatoforme Störungen bei den türkeistämmigen „Gastarbeitern“ [18]. Aktuelle Untersuchungen berichten bezüglich dieser Störungen im Vergleich erhöhte Prävalenzraten [12, 13]. Die Übersichtsarbeit bezieht sich auf diese häufigen Störungsbilder gemäß Kapitel F3 und F4 in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10; [5, 13, 20]).

Das Ausmaß depressiver und somatoformer Störungen wird über individuelle Faktoren der persönlichen Verletzlichkeit hinaus auch durch sozioökonomische Faktoren geprägt, so etwa durch das Einkommen, den Bildungsgrad und auf einer gesellschaftlichen Ebene den sozioökonomischen Status der Umgebung, in der man lebt oder aufwächst [15]. Dies wirft die Frage nach relevanten Umweltfaktoren auf, die zur Manifestation depressiver und somatoformer Störungen bei Menschen mit türkischem Migrationshintergrund beitragen, sowie nach ihren Krankheitsvorstellungen und den Bewältigungsmechanismen bezüglich eben dieser Erkrankungen, um die gegebenenfalls erhöhten Prävalenzraten wie auch die Zugangswege zur Gesundheitsversorgung dieser Personengruppe zu verstehen.

Methoden

Die Literaturrecherche erfolgte online über die MEDLINE-Datenbank (PubMed) sowie über PsycINFO im Zeitraum vom 03. bis 05.07.2018. Es wurden alle Studien eingeschlossen, die zwischen dem 01.01.2000 und dem 05.07.2018 publiziert und in deutscher, englischer oder türkischer Sprache verfasst wurden. Wir gehen davon aus, dass der gewählte Zeitraum die aktuelle Situation dieser Menschen widerspiegelt.

Für die Suche wurde auf PubMed folgende Wortkombination genutzt: mental health OR mental disorder OR mental disease AND Germany AND Turkish. Auf PsycINFO erfolgten drei unabhängige Suchen. Die Suchbegriffe Germany und Turkish waren in allen drei Suchen konstant, es variierten lediglich jeweils die Begriffe mental health, mental disorder und mental disease.

Zusätzlich zu den oben genannten Einschlusskriterien bezüglich des Publikationsdatums und der Sprache der Artikel wurden ausschließlich Originalarbeiten eingeschlossen, die eine definierte Gruppe von Personen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland beinhalteten, entsprechend der eingangs genannten Definition des Statistischen Bundesamts. Außerdem wurde bei Studien, die manifest psychisch Erkrankte untersuchten, darauf geachtet, dass diese Patienten Diagnosen der Gruppe F3 bzw. F4 laut ICD-10 aufwiesen. Übersichtsarbeiten wurden ausgeschlossen.

In einem ersten Schritt der Vorauswahl wurden Artikel aussortiert, deren Titel bereits erkennen ließ, dass sie nicht relevant für das Thema dieser Arbeit waren. Anschließend wurden weitere Studien nach Lesen der Zusammenfassung ausgeschlossen. Die Volltexte der verbleibenden Studien wurden nachfolgend auf ihre Relevanz für die Fragestellung untersucht.

Um die Aussagekraft der einzelnen Studien zu beurteilen, wurden die Repräsentativität der Populationsstichprobe sowie der Einschluss potenziell konfundierender Variablen bewertet.

Ergebnisse

Suchergebnisse

Die Suche in der MEDLINE-Datenbank ergab 110 Treffer. Auf PsycINFO fanden sich 35 Treffer, wenn der variierende Suchbegriff mental disorder war, 2 Treffer bei dem Begriff mental disease sowie 55 Treffer bei mental health. Innerhalb der Suche in der PsycINFO-Datenbank gab es 19 Überschneidungen, somit lieferte diese Suche 73 Ergebnisse. Zunächst wurden beide Suchabfragen abgeglichen. Dabei wurde nach Studien gesucht, die sich in beiden Datenbanken befanden. Es fanden sich 37 Studien sowohl in der MEDLINE- als auch in der PsycINFO-Datenbank, sodass insgesamt aus beiden Suchen 146 Ergebnisse verblieben. Diese wurden anhand des Titels sowie in weiteren Schritten anhand des Abstracts und des Volltexts auf ihre Eignung überprüft (Abb. 1). Insgesamt konnten 23 Studien eingeschlossen werden. Alle eingeschlossenen Studien sind Querschnittstudien, es konnten zu dieser Thematik keine Längsschnittstudien gefunden werden.

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm zur Dokumentation der Literaturrecherche

Ergebnisse der Studienanalyse

In die Analyse flossen insgesamt die Daten von 19.126 Personen ein. Davon sind 10.507 Frauen und 8403 Männer. Bei 216 Personen gab es keine Angaben zum Geschlecht. In 5 der 23 Studien wurden nur Frauen eingeschlossen. Von den untersuchten 19.126 Personen hatten 9507 einen türkischen Migrationshintergrund bzw. eine türkische Staatsbürgerschaft und 9619 waren deutschstämmig. Hier muss jedoch angemerkt werden, dass die Einteilung in einer Arbeit entsprechend der Staatsbürgerschaft erfolgte, sodass die Gruppe deutscher Staatsbürger eventuell Personen mit türkischem Migrationshintergrund enthielt [23].

Die eingeschlossenen Personen wurden in den analysierten Studien auf unterschiedliche Art und Weise rekrutiert. Unter den Stichproben der 23 untersuchten Studien fanden sich 12 Inanspruchnahmepopulationen, 7 Quotenstichproben, 3 anfallende Stichproben sowie eine Zufallsstichprobe.

Die Hauptergebnisse der einzelnen Studien sind in chronologischer Reihenfolge der Artikel in Tab. 1 aufgeführt. Die Ergebnisse ermöglichen eine Einteilung in zwei Kategorien, nach denen die weitere Ergebnispräsentation gegliedert ist:

  • Soziodemografische und migrationsbedingte Einflussfaktoren

  • Individuelle Krankheitsvorstellungen und Einstellung gegenüber Psychotherapie

Tab. 1 Charakteristika und Ergebnisse der analysierten Studien

Soziodemografische und migrationsbedingte Einflussfaktoren

Bezüglich der soziodemografischen und migrationsbedingten Merkmale weisen die Ergebnisse darauf hin, dass eine erfolgreiche Integration sich protektiv auf das Ausmaß der depressiven Symptomatik auswirkt [9, 29]. Personen, die als erfolgreich integriert gelten, identifizieren sich sowohl mit der Kultur des Aufnahmelands als auch mit der Kultur des Herkunftslands; sie waren vorwiegend in Deutschland geboren und zweisprachig aufgewachsen [16].

Untersucht man die Lebenszeitprävalenz für psychische Erkrankungen, stellt man jedoch fest, dass keine Unterschiede zwischen türkeistämmigen Personen der ersten und der zweiten Generation bestehen [12]. Diese Gruppen unterscheiden sich jedoch per Definition hinsichtlich ihres Geburtsorts. Zudem bestehen soziodemografische Unterschiede, insbesondere bezüglich des Alters, der Staatsbürgerschaft, der Muttersprache sowie des Bildungs- und sozioökonomischen Status [12]. Die Datenauswertung des Generations and Gender Survey des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung bekräftigt den Einfluss des sozioökonomischen Status, der als eine entscheidende Ursache für den Unterschied im gesundheitlichen Status zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund dargestellt wird [23].

Aichberger et al. [1] beobachteten einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und der psychosozialen Belastung bei Patientinnen mit türkischem Migrationshintergrund, wohingegen dieser Zusammenhang bei Patientinnen ohne Migrationshintergrund nicht signifikant war. In beiden Gruppen fand sich jedoch ein signifikanter Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und psychosozialer Belastung. Zur Beurteilung des sozioökonomischen Status wurden hier der aktuelle Beschäftigungsstand, der Bildungsstand sowie das Armutsrisiko (berechnet aus dem Nettoeinkommen pro Haushalt) bewertet. Die psychische Belastung wurde mithilfe des General Health Questionnaire 28 (GHQ-28) erfasst.

Die psychische Belastung wird bei türkeistämmigen Migrantinnen außerdem durch Erfahrungen sozialer Exklusion und Diskriminierung erhöht [2, 26]. Psychisch Erkrankte mit türkischem Migrationshintergrund berichten dabei häufiger von erlebter Diskriminierung als Personen ohne Migrationshintergrund [30].

Die Studie von Akbiyik et al. [3] verglich die Lebensqualität depressiver Patienten in der Türkei mit der von depressiven türkeistämmigen Personen in Deutschland und zeigte, dass die subjektiv empfundene Lebensqualität der in der Türkei lebenden Patienten deutlich höher war als die der in Deutschland lebenden Patienten. In derselben Stichprobe ergab sich eine stärkere depressive Symptomatik bei der Patientengruppe, die in Deutschland lebte [4]. Frauen mit türkischem Migrationshintergrund werden als besonders vulnerable Gruppe hervorgehoben [12, 21, 23].

Die allgemeine psychische Belastung sowie die Depressivität werden zudem vom Umfeld bestimmt: In der Studie von Balkir et al. [7] fand sich in der türkischen Stichprobe ein stärker ausgeprägtes interdependentes Selbstkonzept. Dieses Konzept kennzeichnet sich durch ein hohes Maß an Gruppenzugehörigkeit sowie Anpassung der eigenen Bedürfnisse an die Erwartungen des entsprechenden Umfelds. Patientinnen mit hoch ausgeprägtem interdependentem Selbstkonzept wiesen eine geringere psychische Belastung sowie eine geringere Depressivität auf [7].

Individuelle Krankheitsvorstellungen und Einstellung gegenüber Psychotherapie

Bezüglich der Krankheitswahrnehmung ergab sich, dass subjektive Erklärungsmodelle für psychische Erkrankungen [22] sehr heterogen sind und neben kulturellen Überlieferungen auch durch den Bildungsstand sowie das soziale Umfeld geprägt werden [35].

Bei der Analyse kultureller Faktoren zeigten sich bei türkeistämmigen Personen vorwiegend fatalistisch-externale Krankheitsvorstellungen. Das bedeutet, dass sie ihre Erkrankung häufig auf äußere Ursachen, wie religiöse oder sozioökonomische Faktoren, zurückführten und den eigenen Einfluss auf den Krankheitsverlauf entsprechend gering einschätzten. Dadurch kann die Verantwortung für die Therapie weitgehend auf das professionelle Personal übertragen werden und die Betroffenen verhalten sich bezüglich ihrer eigenen Erkrankung eher passiv. Zudem nannten sie häufiger körperliche Beschwerden, die durch ihre psychiatrische Erkrankung hervorgerufen werden [14].

Diese Beobachtung wurde in weiteren Studien bestätigt: Mewes et al. [27] berichteten von mehr somatoformen Beschwerden, Erim et al. [13] sowie Sariaslan et al. [33] von einer stärker ausgeprägten depressiven wie auch somatoformen Symptomatik bei türkeistämmigen Personen im Vergleich zu Deutschen ohne Migrationshintergrund. Bei Migranten der ersten Generation war die Somatisierung stärker ausgeprägt als in den nächsten Generationen. Wie bereits bezüglich sozioökonomischer Faktoren erwähnt, stellen Frauen hinsichtlich des Ausprägungsgrads der Somatisierung eine ausgesprochen belastete Gruppe dar [28].

Bezüglich der Aufgeschlossenheit gegenüber einer Psychotherapie fand sich, dass Personen mit türkischem Migrationshintergrund oft weniger motiviert für eine psychotherapeutische Behandlung sind. Allerdings spielt hier der Grad der Integration eine wichtige Rolle: Integrierte türkeistämmige Personen waren bezüglich einer Psychotherapie meist besser informiert und motivierter, wohingegen marginalisierte türkeistämmige Personen weniger aufgeschlossen waren und befürchteten, stigmatisiert zu werden [11]. Die Angst vor Stigmatisierung korrelierte positiv mit der Ausprägung der depressiven Symptomatik [19]. Laut Reich et al. [32] tragen besonders die fatalistisch-externalen Krankheitsvorstellungen zur fehlenden Motivation für eine Psychotherapie bei.

Diskussion

Die Qualität der identifizierten Studien unterliegt erheblichen Einschränkungen bezüglich der Repräsentativität der Erhebungen, der Vergleichbarkeit der untersuchten Kollektive und der Erhebungsinstrumente.

Patientenkollektive

Die Patientenkollektive waren in allen identifizierten Studien mit Ausnahme der Daten des Generations and Gender Survey von Kotwal [23] lokal erhoben. Bei der Studie von Kotwal [23] handelt es sich zudem um die einzige Studie mit einer Zufallsstichprobe und somit um eine repräsentative Population. Größerenteils handelt es sich bei den identifizierten Studien um Inanspruchnahmestudien. Solche Inanspruchnahmestudien umfassen ein hoch selektiertes Klientel und sind nicht repräsentativ für die Gesamtgruppe der türkeistämmigen Personen. Dies gilt auch für die anderen Studiendesigns (anfallende Stichprobe, Quotenstichprobe), wenn auch nicht in dem Ausmaß wie für die Inanspruchnahmepopulation.

Beispielsweise kann das Rekrutieren von Patienten aus ausschließlich türkischsprachigen Sprechstunden [3, 13, 29] bzw. das alleinige Rekrutieren von Personen mit einer türkischen Staatsbürgerschaft [23] dazu führen, dass besser integrierte und sprachlich kompetentere Personen, die möglicherweise nicht nur türkischsprachige Ärzte aufsuchen, sowie Personen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, in der Kohorte unterrepräsentiert sind. Da aber genau diese Faktoren das Gesundheitsverhalten bestimmen, wie unsere Analysen gezeigt haben, können wir von unseren Ergebnissen nicht auf die Gesamtpopulation rückschließen. Außerdem bietet nur die Hälfte der genannten Studien eine deutschstämmige Kontrollgruppe.

Bezüglich soziodemografischer Faktoren fanden sich häufig deutliche Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen: So unterschieden sich die Patientenkollektive der türkeistämmigen Personen von denen der einheimischen Deutschen durch einen niedrigeren Bildungsgrad und Berufsstatus sowie durch eine höhere Arbeitslosenquote und ein niedrigeres Einkommen [14, 27, 30]. Zudem wurde in einigen Studien die Ausprägung der depressiven und/oder somatoformen Symptomatik anhand von Fragebögen erfasst, ohne vorher die klinische Diagnose einer solchen Erkrankung gestellt zu haben [28, 33].

Ausprägung depressiver und somatoformer Störungen

Trotz der Heterogenität und der weitgehend mangelnden Repräsentativität der Stichproben zeigt die Zusammenstellung, dass Menschen mit türkischem Migrationshintergrund stärker ausgeprägte depressive und somatoforme Störungen aufweisen [13, 27, 33]. Ein niedriger Bildungs- und sozioökonomischer Status sowie erfahrene Diskriminierung sind mögliche Ursachen für die erhöhte psychische Belastung [1, 23, 26]. Frauen mit türkischem Migrationshintergrund stellen in dem Zusammenhang eine besonders vulnerable Gruppe dar [12, 23]. Der Bildungsstatus hat zusätzlich zu kulturellen Faktoren einen Einfluss auf die Krankheitsvorstellungen, die bei Türkeistämmigen häufig external attribuieren, weshalb diese Personen ihre Krankheit als unkontrollierbar wahrnehmen und zu einer Psychotherapie wenig motiviert sein können [14]. Integrierte Patienten litten demgegenüber weniger ausgeprägt unter psychischen Erkrankungen und standen einer psychotherapeutischen Behandlung aufgeschlossener gegenüber [11].

Sozioökonomische Faktoren

Bezüglich der sozioökonomischen Faktoren ist der Zusammenhang eines niedrigen sozialen Status und eines schlechteren Gesundheitsstatus durch zahlreiche epidemiologische Studien gut belegt [24]. Untersuchungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zeigen, dass Menschen mit türkischem Migrationshintergrund einen niedrigeren Bildungsstatus, geringere Bildungsabschlüsse und weniger Einkommen haben als andere Personengruppen in Deutschland [36]. Wengler [37] folgert aus der Auswertung der Daten des Generations and Gender Survey, dass die gesundheitlichen Unterschiede zwischen Personen mit türkischem Migrationshintergrund und Deutschen ohne Migrationshintergrund durch die Differenzen im sozioökonomischen Status und den damit verbundenen Bewältigungsstrategien bedingt sind.

In mehreren der analysierten Studien fanden sich dazu passend deutliche Unterschiede zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen bezüglich des Bildungsniveaus, der Arbeitslosigkeit, des Nettoeinkommens und des allgemeinen sozioökonomischen Status [14, 30]. Zudem stellten wir fest, dass innerhalb des Kollektivs der türkeistämmigen Personen Unterschiede in der Symptomausprägung [27] und den Krankheitsvorstellungen [14] bestehen, die sich teilweise durch Unterschiede im Bildungs- und sozioökonomischen Status innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe erklären lassen [33].

Migrationsbedingte Faktoren

Mehrere Studien verwiesen auf den Einfluss migrationsbedingter Faktoren wie Akkulturation und erfahrener Diskriminierung, wobei sich Unterschiede zwischen sozial integrierten und marginalisierten Personen zeigten [29]. Eine schlechte Integration sowie schlechte Sprachkenntnisse beeinflussen die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems und modifizieren das Gesundheitsverhalten, beginnend damit, dass die Ärzte entsprechend den Sprachkenntnissen gewählt werden. Diese Faktoren hängen zudem auch voneinander ab: Gute Kenntnisse der deutschen Sprache finden sich häufiger in der integrierten sowie in der assimilierten Gruppe [9]. Integrierte Personen haben außerdem im Vergleich zu marginalisierten Personen zwei Systeme sozialer Unterstützung: sowohl ihre ethnische Gruppe als auch die Gastgesellschaft [29], was bezüglich der Krankheitsbewältigung von Bedeutung sein kann.

Unterschiedliche Erklärungsmodelle psychischer Erkrankungen können zu Missverständnissen zwischen deutschstämmigen Behandlern und Patienten mit türkischem Migrationshintergrund führen, die die Nutzung des Gesundheitssystems beeinträchtigen [31]. Die Studie von Vardar et al. [35] warnt allerdings vor Pauschalisierungen und weist darauf hin, dass die Krankheitsmodelle von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Abhängigkeit vom Bildungsgrad und anderen Faktoren genauso heterogen ausfallen wie die der Menschen ohne Migrationshintergrund, sodass die individuelle Anamnese nicht durch generelle Kenntnisse kultureller Traditionen ersetzt werden kann.

Individuelle Unterschiede im Verständnis, wie psychische Störungen entstehen, aufrechterhalten und behandelt werden, werden durch unterschiedliche Coping-Strategien im Umgang mit der psychischen Erkrankung ergänzt, die durch Ressourcen des sozialen Umfelds ebenso geprägt werden wie durch das individuelle Selbstwertgefühl oder das Ausmaß verschiedener Persönlichkeitsfaktoren einschließlich der Extraversion [10].

Limitationen

Die Hauptlimitation der vorliegenden systematischen Übersicht besteht in der mangelnden Repräsentativität der analysierten Studien. Mit einer Ausnahme [23] machen die Größe der Kohorten sowie die oft unsystematische Rekrutierung das Studiendesign anfällig für Konfundierungen und fehlerhafte Interpretationen. Eine weitere Limitation besteht darin, dass nur die Datenbanken PubMed und PsycINFO zur Literaturrecherche genutzt wurden, allerdings wurden alle weiteren einschlägigen Studien, die sich im Verlauf der Untersuchung in den gefundenen Artikeln fanden, ergänzend einbezogen.

Kritisch anzumerken ist die Heterogenität der Patientenkollektive der untersuchten Studien. Diese bestehen manchmal nur aus Personen mit einer türkischen Staatsbürgerschaft [30], in einigen Studien aus Menschen mit türkischem Migrationshintergrund gemäß der eingangs genannten Definition [2, 6, 16] und in anderen aus Menschen der ersten und/oder zweiten Einwanderergeneration [11, 19].

Personen der ersten Migrationsgeneration sind in der Türkei geboren, haben häufig bessere Türkisch- als Deutschkenntnisse und identifizieren sich mehr mit der Kultur des Herkunftslands als mit der des Gastlands [29]. Aus diesen Gründen würden wir bei dieser Gruppe eine stärkere Symptombelastung bei depressiven und somatoformen Störungen erwarten, da die Analyse gezeigt hat, dass die oben genannten Faktoren in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen [28, 29]. Das erschwert deutlich die Interpretation der Studien, in denen die Kollektive Personen mehrerer Migrationsgenerationen enthalten, da diese sich bezüglich entscheidender Faktoren unterscheiden, die sowohl die Krankheitsvorstellungen als auch die Entstehung und den Umgang mit ihrer Erkrankung zu beeinflussen vermögen.

Die eigene Migrationserfahrung, Deutschkenntnisse, der Akkulturationsgrad sowie der sozioökonomische Status variieren somit entsprechend dem Patientenkollektiv sowie innerhalb der Patientenkollektive und erschweren es, einzelne Faktoren zu identifizieren, die bei türkeistämmigen Personen die Unterschiede im Bereich der psychischen Gesundheit erklären. Zudem sind fast alle Personengruppen in Großstädten (Berlin, Essen, Hamburg und Marburg) rekrutiert worden, sodass Studien im ländlichen Gebiet weitgehend fehlen.

Die Erhebung der Daten erfolgte in allen Studien mit standardisierten Fragebögen, die sich jedoch je nach Zielsetzung unterschieden und somit verschiedene Fragen und Skalen beinhalteten. Da der Fokus dieser Übersichtsarbeit somatoformen und depressiven Störungen galt, wurden Studien, die sich auf andere psychiatrische Störungen beziehen, nicht einbezogen.

Resümee

Zusammenfassend bieten die analysierten Studien trotz aller Limitationen wichtige Erkenntnisse zur psychischen Gesundheit von Personen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland. Weitgehend übereinstimmend zeigte sich eine erhöhte Prävalenz depressiver und somatoformer Störungen, [12, 34]. Besonders stark ausgeprägt war sie bei vulnerablen Gruppen wie Frauen [28] und/oder Personen mit relativ geringen psychosozialen Ressourcen [1] und verstärkter Exposition gegenüber sozialer Diskriminierung und Exklusion [2, 26, 32]. Die Gruppe der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund ist heterogen, auch bezüglich ihrer Erklärungsmodelle psychischer Krankheit [35], die nicht pauschal voraussetzbar sind, sondern im individuellen therapeutischen Kontext erfragt werden müssen. Nationale Erhebungen fehlen weitgehend. Es besteht Bedarf an Längsschnittstudien mit repräsentativen Kohorten.

Fazit für die Praxis

  • Die erhöhte Prävalenz depressiver und somatoformer Störungen bei Personen mit türkischem Migrationshintergrund ist multifaktoriell bedingt.

  • Zu diesen Faktoren gehören insbesondere der sozioökonomische und der Bildungsstatus sowie soziokulturelle Faktoren, psychosoziale Ressourcen und erfahrene Diskriminierung.

  • Frauen mit türkischem Migrationshintergrund stellen eine besonders vulnerable Gruppe dar.