Beim G7-Gipfeltreffen in Japan im Mai 2016 wurde auf das bereits 1948 von der WHO geäußerte Recht auf bestmögliche Gesundheitsversorgung der Menschen weltweit hingewiesen.

Offensichtlich gibt es in Deutschland, aber auch weltweit einen Mangel an Zugänglichkeit zu moderner neurologischer Versorgung. Ebenso offensichtlich und wiederholt nachgewiesen ist, dass die Neurologie zunehmend ein Notfallfach geworden ist, in dem die zeitkritische Versorgung erkrankter Menschen wesentlich für das Überleben und den Grad der Behinderung der Patienten ist, dies nicht nur beim Schlaganfall, sondern auch bei vielen anderen Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarks, wie z. B. Entzündungen.

Im dem vorliegenden Leitthemenheft von Der Nervenarzt werden Antwortmöglichkeiten aufgezeigt, die den Nutzen der Telematik und Telemedizin aufzeigen, aber auch ihre Limitierungen benennen werden.

Weitergabe von Wissen durch Telematik ist eine große Chance

In Patientenbefragungen sind Patienten in der Mehrzahl sehr interessiert an Telematiklösungen, während die Ärzte die Anwendung von Telematik und Telemedizin oft kritisch sehen. Geklärt werden müssen juristische Fragen, Fragen der Verantwortlichkeit, des Datenschutzes und der Vergütung. Zweifellos aber ist, dass eine Entwicklung wie die der digitalen Revolution unserer Zeit niemals zurückzudrehen sein wird – ebenso wie bei der Entwicklung des Hochrads und der Dampfmaschine, die als gesundheitsschädlich verurteilt wurden, waren wir Neuem gegenüber immer skeptisch eingestellt. Sieht man aber auf der anderen Seite den Mangel an Fachpersonal, einerseits in Deutschland, aber auch weltweit, ist die Erreichbarkeit von Wissen, Spezialkenntnis und Beratung durch Telematik eine große Chance.

Die folgenden Artikel werden Beispiele der Telematik und Telemedizin vorstellen, die zukunftsweisend sind und Alternativen und Ergänzungen darstellen, um einen der kostbarsten Rohstoffe unserer Zeit, die Zugänglichkeit zu modernster Neurologie, zu Ausbildung und Wissenschaft, in Deutschland und weltweit nutzbar zu machen.

Der Beitrag von Keidel et al. zeigt beispielhaft wie Rehabilitation bei Sprachstörungen nach einem Schlaganfall telemedizinisch gelöst werden kann, hier werden zwei neurolinguistische Studien zur virtuellen Telesprachtherapie vorgestellt.

Die Stroke-Angel-Initiative von Rashid et al. gibt ein Beispiel zur präklinisch-klinischen Akutversorgung des Schlaganfalls. Der Beitrag zeigt die Verbesserung der Kommunikation zwischen Rettungsdienst und Klinik auf, wodurch die Abläufe rund um die Stroke-Unit optimiert werden konnten. Hierdurch können schnellere Versorgungszeiten und ein verbessertes Outcome der Patienten erreicht werden.

Ein Beispiel für ein Schlaganfallnetzwerk mit Telemedizin wird von Breuer et al. aufgezeigt. Dieses Netzwerk schlägt die Brücke von maximalversorgenden Kliniken zu Kliniken der Grund- und Regelversorgung ohne neurologische Expertise.

Ein weiteres Beispiel für die Anwendung von Telematik, welches das gesamte neurologische Spektrum abdeckt, kommt aus Frankfurt. Die Klinik für Neurologie am Krankenhaus Nordwest hat unter der Leitung von Meyding-Lamadé eine neurologische Klinik über eine Entfernung von 12.000 km hinweg erfolgreich aufgebaut. Hier wird unter anderem die Facharztausbildung maßgeschneidert im Land telematisch durchgeführt.

Ein weiterer Beitrag aus Frankfurt beschäftigt sich mit der Telewissenschaft. Craemer et al. geben einen Überblick des derzeitigen Standes zum Thema Telewissenschaft sowie Beispiele für erfolgreiche Kooperationen mittels Telematik.

Vielleicht ist es an der Zeit, Wissen und Behandlungskenntnis mit angemessenen Möglichkeiten dahin weiterzugeben, wo es gebraucht wird: in die Wohnzimmer der geh- oder sprachbehinderten Patienten, ebenso wie tausende von Kilometern entfernt. Dies könnte unserem Land neben dem erfolgreichen Export von Fahrzeugen und Fußballern auch den Export von Spitzenneurologie ermöglichen, nicht nur im Sinne des Gutmenschentums, sondern auch als anständiger Wirtschaftsfaktor, dessen Produkt Medizin ist.

Und sind wir ehrlich: Da man überall in der Welt durch moderne Medien weiß, wie es anderswo zugeht, würden wir uns nicht auch in Schlauchboote setzen, um geliebten kranken Menschen eine bessere Versorgung zu ermöglichen?

Telematik ist die moderne, wirtschaftlich interessante und humanitäre Antwort aufs Schlauchboot.

figure b

Prof. Dr. Uta Meyding-Lamadé