Seit Mai 2013 liegt die seit vielen Jahren erwartete Neuauflage des von der American Psychiatric Association (APA) herausgegeben „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“, das DSM-5, nun als Buch vor [4]. In dieser Ausgabe von Der Nervenarzt werden in sechs störungsbezogenen Beiträgen die wichtigsten Änderungen und ihre klinischen Implikationen für die Praxis diskutiert. Eine umfassende Darstellung aller Änderungen hätte die Möglichkeiten eines Schwerpunkheftes weit gesprengt. Mit der autorisierten vollständigen deutschen Übersetzung des DSM-5 ist im Herbst 2014 im Buchhandel zu rechnen. Einen empfehlenswerten raschen Überblick über alle wesentlichen Änderungen im amerikanischen Original findet sich auf der Internetseite der APA [5].

Ziel der American Psychiatric Association war es, die fast 20 Jahre alte letzte Version des DSM, das DSM-IV-TR, auf den aktuellen Wissenschaftsstand zu bringen und insbesondere den klinisch tätigen Personen präzisere Möglichkeiten zur Diagnosestellung zu geben [2]. In Deutschland und den meisten europäischen Ländern wird das DSM-5 zwar überwiegend nur für Forschungszwecke genutzt – zur „offiziellen“ medizinischen Diagnosestellung wird in diesen Ländern bekanntlich das ICD-10 der World Health Organization (WHO) verwendet – dennoch ist sein Einfluss auf die psychiatrische Klassifikation und Diagnosestellung global gesehen beträchtlich. Die DSM-Task Force begann ihre Arbeit (einschließlich der Feldstudien) vor 15 Jahren im Jahre 1999. Allein daraus ist zu erkennen, wie umfangreich, aber auch wie offenbar kontrovers die Erarbeitung von DSM-5 für die zahlreichen verschiedenen Arbeits-und Studiengruppen (DSM-5 Work Groups und DSM-5 Study Groups) gewesen sein muss.

Die ausgeprägtesten Veränderungen betreffen die „neurokognitiven Störungen“

Das Kapitel „Neurocognitive Disorders“ enthält vermutlich die ausgeprägtesten Veränderungen, die sich im DSM-5 im Vergleich zu DSM-IV finden: Der klassische Begriff Demenz wird nicht mehr explizit angeführt und ist unter einer neuen, umfassenderen Kategorie „neurokognitive Störung“ subsumiert. Diesem neuen diagnostischen Begriff werden auch amnestische Störungen und leichtere Vorstadien von Demenzen (derzeit auch als leichte kognitive Störungen [MCI] geläufig) zugeordnet. Durch die Neueinführung der Diagnose „leichte neurokognitive Störung“ wurde die Schwelle für eine Krankheitsdiagnose deutlich gesenkt. Weit weniger wichtige Änderungen gibt es bei der Schizophrenie: Das Kapitel Schizophrenie und andere psychotische Störungen bleibt weitgehend das, was es bereits im DSM-IV war. Änderungen im DSM-5 im Bereich Schizophrenie und andere psychotische Störungen („Schizophrenia Spectrum and Other Psychotic Disorders“) sind die Einführung neuer Verlaufskriterien und Vorgaben zur Schweregradeinschätzung psychotischer Symptome sowie der Verzicht auf die bisherige Subtypisierung der Schizophrenie. Bipolare Störungen („Bipolar and Related Disorders“) finden sich erstmalig in einem eigenen Kapitel wieder, lokalisiert zwischen den Kapiteln „Schizophrenia Spectrum and Other Psychotic Disorders“ sowie „Depressive Disorders“. Wesentliche Veränderungen betreffen die erstmalige Formulierung diagnostischer Kriterien für verschiedene bisher als unterschwellig anzusehende bipolare Störungen und das Hinzukommen einer Zunahme zielgerichteter Aktivität/Energie als obligatorisches Symptom für (hypo)manische Episoden.

Auch im Bereich der „klassischen“ Angststörungen gibt es nur wenige bedeutsame Änderungen, die für die klinische Praxis relevant sind. Das Angstkapitel ist kürzer und übersichtlicher und durch die Themenstrukturierung und die neue Metastruktur leichter anwendbar und umsetzbar geworden. Da zudem die Kriterien über alle Angststörungen hinweg weitestgehend vereinheitlicht wurden, dürfte die Praktikabilität wesentlich gesteigert worden sein; dies betrifft vor allem die vereinfachte Klassifikation der Panikstörung und der Agoraphobie, welche nunmehr separat kodiert werden. DSM-5 berücksichtigt nun eine aus der Gruppe der Angststörungen ausgegliederte, eigenständige „trauma- und stressorbezogene Störungsgruppe“. Diese umfasst für den Versorgungsbereich der Erwachsenenpsychiatrie einerseits die posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) und die akute Belastungsstörung (ASD), andererseits die Anpassungsstörungen. Im Bereich der Suchterkrankungen wird im DSM-5 nicht mehr zwischen schädlichem Gebrauch und Abhängigkeitserkrankungen unterschieden. Stattdessen werden Substanzmissbrauch und -abhängigkeit in einer Gruppe von Störungen durch Substanzgebrauch mit einer entsprechenden Schweregradeinteilung geführt.

Im Vorfeld der Veröffentlichung des DSM-5 wurde eine Debatte um medizinische Klassifikationssysteme entfacht und insbesondere in den Medien befürchtet, dass es neue Diagnosen geben könnte und die neuen Kriterien zu einer Ausweitung der Grenzen und damit der Krankheitsfallzahlen führen würde [1]. Prominente Kritiker bemerken, dass aufgrund neuer Diagnosekategorien und gesenkter diagnostischer Schwellen der Krankheitsbegriff ausgeweitet wird („Pathologisierung normaler psychischer Zustände“ [3]).

Das Ergebnis der jahrelangen Arbeit am DSM-5 ist für uns und viele Experten insgesamt eher ernüchternd, weil DSM-5 nur in wenigen Diagnosegruppen substanzielle Neuheiten beinhaltet. Für viele ist das Ergebnis sogar enttäuschend, da überhaupt nicht auf die Befunde biologischer und neurowissenschaftlicher Forschungsarbeiten zurückgegriffen wurde, was initial als dezidiertes Ziel benannt wurde. Dennoch wurden im DSM-5 die diagnostischen Kriterien an vielen Stellen präzisiert und verbessert, und mithilfe vieler umfangreicher und zugleich konziser Kommentierungen in den Störungskapiteln kann der Leser sein Wissen über ein Störungsbild rasch vertiefen. Man darf gespannt sein, wie rasch es zu einer Revision des DSM-5 kommen wird und wie der Einfluss auf die in Arbeit befindliche ICD-11 sein wird.

Prof. Dr. Dr. M. Bauer

Prof. Dr. W. Maier

Prof. Dr. Dr. F. Schneider

Prof. Dr. Dr. H.-P. Kapfhammer