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Zwangssterilisation bei erblicher Taubheit im Dritten Reich

Auswirkung auf die wissenschaftliche Diskussion innerhalb der HNO-Ärzteschaft

Forced sterilisation of the hereditary deaf in the Third Reich

Its reflection in the scientific ENT literature

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Zusammenfassung

Hintergrund

Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (Deutschland: 1934; Österreich: 1940) verfügte die Zwangssterilisation u. a. bei erblicher Taubheit. Die Ärzte waren verpflichtet, bekannte Fälle zu melden und an der Feststellung der Erbbedingtheit mitzuwirken.

Methode

Anhand der Durchsicht von 3 deutschsprachigen HNO-Journalen der Jahrgänge 1934–1944 wurde die fachliche Diskussion zu Fragen des Nachweises der Erbtaubheit analysiert.

Ergebnis und Diskussion

Das Ergebnis zeigt eine intensive, nicht unkritische Behandlung des Themas. Einige HNO-Ärzte treten als „Protagonisten“ des eugenischen Programms bei Hörgestörten in Erscheinung, indem sie es durch Publikationen und Vorträge unterstützen. Ihnen stehen „Skeptiker“ gegenüber, die – ohne die Zwangssterilisierung explizit abzulehnen – vor einer leichtfertigen Vollzugspraxis warnen. Es scheint, dass die „Skeptiker“ durch die Betonung der Unsicherheit des Erblichkeitsnachweises erreichen konnten, dass die Diagnose der erblichen Taubheit zurückhaltend gestellt wurde. Die ärztliche Verpflichtung, zum Wohl des Patienten zu handeln, wurde aber preisgegeben zugunsten der politischen, zum Wohl des „Volks“ zu handeln.

Abstract

Background

The Law for the Prevention of Genetically Diseased Offspring (enacted in Germany in 1934 and in Austria in 1940) allowed the forced sterilisation of people with hereditary disorders, including hereditary deafness. Doctors were required to register their patients who qualified under the Law and to cooperate in establishing the diagnosis.

Method

This study investigated how the questions and problems related to this topic were discussed in three German-language scientific ENT journals published between 1934 and 1944.

Results and discussion

A few ENT specialists appeared as “protagonists” of the eugenics programme and supported its implementation. Others seemed to be “sceptics” of the programme who, though not overtly objecting to it, warned against its uncritical application. The scientific discussion was nevertheless objective and not distorted by ideological motives. Apparently, the “sceptics” were influential enough to widely establish a restrictive practice of diagnosing hereditary deafness. Nevertheless, the physicians failed to comply with their professional obligation to advocate the welfare of the patient rather than that of “the nation”.

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Weichbold, V., Zorowka, P. Zwangssterilisation bei erblicher Taubheit im Dritten Reich. HNO (2008). https://doi.org/10.1007/s00106-008-1814-y

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