Zellen sind wesentliche funktionale Bausteine des Menschen und der meisten anderen Lebewesen. Sie sind in ihren vielen unterschiedlichen Spezialisierungen wahre Alleskönner: von der Bildung wesentlicher Strukturelemente wie Knochen bis hin zur Informationsverarbeitung im Nervensystem – alle physiologischen Vorgänge sind mit der Funktion entsprechend spezialisierter Zellen verknüpft. Fehlfunktionen führen zu mehr oder minder schweren Störungen im Körper und resultieren häufig in schwerwiegenden Erkrankungen. Das ungebremste Wachstum von außer Kontrolle geratenen Zellen kann beispielsweise zu einem Tumor führen, der (funktionale) Ausfall Insulin-produzierender Zellen zu Diabetes.

Daher ist es naheliegend, Zellen auch zur Therapie und Heilung von Krankheiten nutzbar zu machen. In den letzten Jahren wurden Erkenntnisse aus der zellbiologischen Forschung zunehmend in die gezielte Gewinnung und Aufbereitung von Zellen für neue therapeutische Konzepte umgesetzt. Damit werden Zellen zu Arzneimitteln und unterliegen den entsprechenden gesetzlichen Regularien. Vor nunmehr 8 Jahren, im November 2007, wurden mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 die Regularien für Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP) festgelegt. In der Folge erschienen 2010 und 2011 im Bundesgesundheitsblatt zwei Themenhefte zu ATMP, die diesen regulatorischen Rahmen beschreiben. Fünf Jahre später wird diesem Thema nun erneut ein Heft gewidmet, das sich jetzt aber auf zellbasierte Arzneimittel fokussiert.

Zu Beginn wird zunächst die Klassifizierung von Zelltherapeutika thematisiert (Scherer und Flory), da hier ein neues Reflektionspapier des Ausschusses für neuartige Therapien der Europäischen Arzneimittelagentur verfügbar ist, das die bisherigen Konzepte fortschreibt und weiter verdeutlicht. Zellbasierte Arzneimittel werden zu einem großen Teil von kleinen Biotechnologie-Unternehmen bzw. akademischen Einrichtungen entwickelt, die häufig einen hohen Beratungsbedarf haben. Jost et al. beschreiben die verfügbaren Beratungsmöglichkeiten und die bei diesen Beratungen gemachten Erfahrungen des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI). Eine entscheidende Rolle bei der Arzneimittelentwicklung spielen auch die Tiermodelle für die nicht-klinische Entwicklung. Lehmann et al. diskutieren und erläutern die bei der Wahl eines adäquaten Tiermodells relevanten Überlegungen. Ein Dauerbrenner, und auch bereits in den Themenheften 2010 und 2011 adressiert, sind die mikrobiologischen Qualitätsaspekte der zellbasierten Arzneimittel. Schurig et al. beschreiben die aktuellen Konzepte zur mikrobiologischen Sicherheit von zellbasierten ATMP, während Stühler und Blümel sich dieses Mal auf die Virussicherheit von Produktionshilfsstoffen konzentrieren. Gerade bei zellbasierten Arzneimittel und ihren ggf. sehr langfristigen Wirkungen spielt die Pharmakovigilanz eine wichtige Rolle. Funk et al. beschreiben das Pharmakovigilanzsystem für diese Arzneimittel.

Im zweiten Teil des vorliegenden Themenheftes werden verschiedene Konzepte zellbasierter Arzneimittel und der jeweilige Entwicklungsstand dargestellt. Den Anfang machen Vahlensieck et al. mit einem alten Bekannten, den blutbildenden Stammzellen zur hämatopoetischen Rekonstitution. Da in dieser seit langem etablierten Indikation für Stammzellen umfangreiche Erfahrungen vorliegen, können Antragsteller für die erforderliche Genehmigung auf ein von wissenschaftlichen Fachgesellschaften erarbeitetes Zentralgutachten Bezug nehmen. Dieser kooperative Ansatz verschiedener Hersteller stellt ein interessantes und effizientes Modell zur Erfüllung der regulatorischen Anforderungen dar. Er könnte auch für andere zellbasierte Arzneimittel, bei denen eine hinreichende Vergleichbarkeit der Präparate verschiedener Hersteller gegeben ist, als Vorlage dienen.

Dendritische Zellen stellen ein wesentliches Element der Immunabwehr dar; ihr Einsatz als Tumorimpfstoff steht im Mittelpunkt des Artikels von Schummer et al. Im Februar 2015 wurde das erste stammzellbasierte ATMP europaweit zugelassen. Der Beitrag von Bakker und Langer geht auf diese Zulassung ein und illustriert auf eindrückliche Weise den Begriff „regenerative Medizin“. Durch die Anwendung von Stammzellen soll eine Regeneration der Cornea nach Verletzungen und damit eine deutliche Verbesserung bzw. Wiederherstellung des Visus erreicht werden. Diese Zulassung verdeutlicht, dass die zellbasierten Arzneimittel nach und nach in der klinischen Praxis ankommen. Die Verwendung von mesenchymalen Stammzellen zur Therapie der Graft versus Host Disease (GvHD) hat in Europa allerdings noch nicht das Stadium der Zulassung oder Genehmigung erreicht, erscheint aber sehr vielversprechend und findet breites klinisches Interesse. Die Probleme und den aktuellen Entwicklungsstand beschreiben Schüle und Berger. Die möglichen Bearbeitungsverfahren von Zellen schließen auch deren genetische Modifikation ein, was vielfältige weitere Optionen eröffnet. Anliker et al. stellen verschiedene Therapieansätze vor, bei denen genetisch modifizierte Zellen zum Einsatz kommen, u. a. auch T-Zellen mit chimärem Antigenrezeptor (CAR).

Die Behandlung von Diabetes mellitus (DM) mit der regelmäßigen Injektion von Insulin ist ein gut etabliertes Verfahren, das auf eine lange klinische Praxis zurückblicken kann, aber auch mit verschiedenen Nachteilen verbunden ist. Vor allem für metabolisch instabile Patienten mit Typ 1 DM stellen hypoglykämische Episoden eine lebensbedrohliche Situation dar. Seit langer Zeit wird versucht, Pankreasinseln zu transplantieren, um eine stärkere oder gar völlige Unabhängigkeit von der exogenen Gabe von Insulin zu erreichen. Die Verfügbarkeit von Pankreata, die zur Isolation von Inseln geeignet sind, stellt hier eine entscheidende Limitation dar und könnte durch die Verwendbarkeit tierischer Inseln überwunden werden. Godehardt et al. beschreiben den Kenntnisstand zur Behandlung des Typ-1-Diabetes mittels porziner Pankreasinseln.

Abgerundet wird das Bild durch zwei weitere Artikel. Engelmann et al. thematisieren die Gabe von Thrombozytenkonzentraten bei der Chirurgie des Makulaforamens. Auch wenn man die kernlosen Thrombozyten nicht als Zellen im engeren Sinne betrachtet, so fügt sich dieser Artikel doch gut in die breite Palette der vorgestellten Therapiekonzepte mit zellbasierten Arzneimittel und unterstreicht einmal mehr die Bedeutung, auch die Wirksamkeit autologer Zellpräparate systematisch zu untersuchen. Zu guter Letzt erweitern Kuhlmann-Gottke und Duchow das Spektrum der Anwendung von zellbasierten Arzneimittel im Menschen mit dem Veterinärbereich. Auch hier wird versucht, Zelltherapeutika zur Therapie einzusetzen.

Die verschiedenen Beiträge illustrieren auf eindrucksvolle Weise, welches Potenzial und welche vielfältigen Möglichkeiten die Verwendung von Zellen bei der Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln bietet. Diese Chancen sollten genutzt, die Sicherheit der Patienten dabei aber nicht vernachlässigt werden. Wie auch bei anderen klassischen Arzneimitteln, sollte die Wirksamkeit und Sicherheit eines zellbasierten Arzneimittels in klinischen Prüfungen untersucht werden, um eine adäquate Bewertung des Nutzen-Risiko-Profils vornehmen zu können.

Die Exploration des Nutzen-Risiko-Profils ist nicht nur im Rahmen der notwendigen Zulassungs- bzw. Genehmigungsverfahren von Bedeutung, sondern sollte auch Grundlage sein für die Einführung neuer Zelltherapien in die therapeutische Praxis und für eine kontinuierliche wissenschaftliche Weiterentwicklung dieses spannenden und dynamischen Forschungsfeldes.

Ihre

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Jürgen Scherer

Rainer Seitz

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