Das vergangene Jahrhundert hat drei Influenzapandemien gesehen, die mit erhöhter Morbidität und Mortalität einhergegangen sind. Obwohl die ersten inaktivierten Influenzaimpfstoffe bereits 1945 in den USA zugelassen wurden [1], kamen sie bei den Pandemien 1957/58 und 1968/69 nur sehr begrenzt zum Einsatz. Im Rahmen der Vorbereitungen auf eine mögliche neue Pandemie wurden aber im vergangenen Jahrzehnt, vor Auftreten der Pandemie 2009, verstärkt Überlegungen angestellt, den Einsatz von spezifischen Impfstoffen zur Bekämpfung einer Pandemie deutlich zu verbessern. Der vorliegende Beitrag beschreibt die Eigenschaften, die von einem Pandemieimpfstoff erwartet werden, und das Design, das sie weitgehend erfüllt.

Charakteristika der konventionellen Influenzaimpfstoffe

Schutz gegen eine Influenzainfektion bieten nicht nur, aber vor allem Antikörper gegen ein bestimmtes Protein der Virushülle, das Hämagglutinin, das die Bindung des Influenzavirus an seinen zellulären Rezeptor (N-Acetyl-Neuraminsäure) vermitteltFootnote 1. Dieses Hämagglutinin ist sehr variabel. Man unterscheidet zurzeit insgesamt 16 Subtypen, die mit H1 bis H16 bezeichnet werden. Eine Immunantwort gegen einen Subtyp schützt nicht gegen einen anderen. Auch innerhalb eines Subtyps entwickeln sich laufend neue Stämme, die der Immunantwort, die sich gegen andere Stämme des gleichen Subtyps aufgebaut hat, entkommen.

Konventionelle Influenzaimpfstoffe enthalten 15 µg Hämagglutinin der Subtypen H1 und H2 von Influenza A sowie eines Influenza-B-Typs. Der Impfstoff wird jährlich an die zirkulierenden Influenzastämme angepasst, um ihre Wirksamkeit gegen die sich permanent ändernden Stämme aufrechtzuerhalten.

Trotz vielfältiger Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, Impfstoffe zu finden, die subtypübergreifend wirksam sind (indem sie zum Beispiel gegen andere Virusbestandteile gerichtet sind). Impfstoffe, die innerhalb eines Subtyps eine breite Wirksamkeit haben, wurden im Verlauf der Vorbereitungen auf eine Pandemie entwickelt (siehe unten).

Zeitbedarf zur Herstellung eines Impfstoffes gegen ein neues Influenzavirus

Die Pandemien des vergangenen Jahrhunderts wurden durch neu auftauchende Viren ausgelöst, die entweder einem neuen, bisher in der menschlichen Population noch nicht beobachteten Subtyp angehören oder sich von zirkulierenden Stämmen eines Subtyps so tief greifend unterscheiden, dass in der Bevölkerung kein ausreichender Immunschutz vorliegt [2]. Da subtyp- oder stammübergreifende Influenzaimpfstoffe nicht zur Verfügung stehen, kann ein Impfstoff gegen einen pandemischen Stamm also erst dann entwickelt werden, wenn die Pandemie begonnen hat und der auslösende Virusstamm isoliert worden ist. Kann ein solcher Impfstoff dann noch zur Bekämpfung der Pandemie eingesetzt werden?

Die Pandemien des 20. Jahrhunderts sind in Wellen verlaufen [3], manchmal in Abständen von einem oder sogar mehreren Jahren, manchmal nur im Abstand von wenigen Monaten. Bei der Pandemie 1918/19 betrug der Abstand zwischen den Wellen 15 bis 20 Wochen. Soll also ein Impfstoff zur Abschwächung einer zweiten Welle eingesetzt werden, so muss er, um auch für einen ungünstigen Fall vorbereitet zu sein, spätestens 15 bis 20 Wochen nach Isolierung des Pandemievirus zur Verfügung stehen.

Allerdings müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein, bis mit einer Impfstoffproduktion begonnen und der Impfstoff schließlich ausgeliefert werden kann. Weltweit beruht der weitaus größte Anteil an Produktionskapazitäten auf einer Technologie, bei der Influenzaviren auf embryonierten Hühnereiern vermehrt werden. Wildvirusisolate, wie sie zu Beginn einer Pandemie zur Verfügung stehen, vermehren sich entweder schlecht oder führen sogar zum Absterben der Hühnerembryonen. Daher müssen zunächst sogenannte Reassortanten zwischen dem Isolat und einem Virusstamm hergestellt werden, der sich gut auf Eiern vermehren lässt. Diese Reassortanten enthalten dann das Hämagglutinin des Pandemiestammes bei unveränderten Wachstumseigenschaften. Diese Arbeiten werden von weltweit fünf Kooperationszentren der WHO, in Europa vom National Institute for Biological Standards and Control, Potters Bar, UK, durchgeführt. Der Zeitbedarf zur Herstellung der Reassortanten beträgt etwa sechs Wochen, weitere vier bis zwölf Wochen werden zur Durchführung von Sicherheitstests benötigt. Im Falle einer Pandemie kann der Zeitaufwand auf insgesamt etwa zehn Wochen verkürzt werden.

Die Notwendigkeit der Herstellung eines geeigneten Impfstammes entfällt, wenn die Impfviren auf Zellkulturen vermehrt werden sollen. Diese Technologie, die also einen Zeitvorsprung von zehn Wochen mit sich bringen würde, deren Kapazität weltweit allerdings beschränkt ist, kämpft mit der Schwierigkeit, dass sich nicht alle Influenzastämme gleich gut in Zellkulturen vermehren lassen, manche Stämme sogar nicht ausreichend. Außerdem müssen beim Einsatz von Wildstämmen die Produktionsbedingungen besonderen Sicherheitsvorgaben (S3-Bedingungen) entsprechen.

Zwischen der Verfügbarkeit des Saatvirus und dem Zeitpunkt der Auslieferung der ersten Impfstoffdosen vergehen weitere zehn bis zwölf Wochen. Diese Zeit wird für Vorbereitungen (zum Beispiel Erstellen von Saatvirusbanken (eine Voraussetzung für gleichmäßige Produktion) und Materialien (Antikörper für die Qualitätskontrolle) und die eigentliche Produktion einschließlich Verpackung und die Qualitätskontrolle benötigt.

Insgesamt vergehen also unter günstigen Bedingungen etwa 20 Wochen, bis die ersten Chargen eines Pandemieimpfstoffes ausgeliefert werden könnten. Bei einem Pandemieverlauf wie 1918/19 wäre dies gerade noch rechtzeitig, um während der zweiten Welle mit der Impfung beginnen zu können.

Wichtig ist jedoch nicht nur der Zeitraum, der bis zur Auslieferung der ersten Impfstoffe verstreicht, sondern die Zeit, die benötigt wird, bis die Zielgruppe, gegebenenfalls die gesamte Bevölkerung, durchgeimpft ist. Diese Zeit hängt ganz entscheidend von der Produktionsgeschwindigkeit ab, das heißt von der Menge an Impfstoffdosen, die pro Woche ausgeliefert werden kann. Eine Vervierfachung des wöchentlichen Ausstoßes führt zu einer Verkürzung der Durchimpfungszeit um den Faktor vier!

Rolle des Immunstatus in der Bevölkerung

Klassische inaktivierte Kinderimpfstoffe, zum Beispiel gegen Diphtherie, Wundstarrkrampf oder Keuchhusten, müssen innerhalb weniger Wochen mehrfach verabreicht werden, bis eine optimale Immunantwort beim Impfling aufgebaut ist. In späteren Lebensjahren ist dann eine einmalige Auffrischimpfung (Booster) ausreichend, um die vorhandene Immunität zu verstärken. Konventionelle Influenzaimpfstoffe werden in einer Saison nur einmal verabreicht. Sie entsprechen insofern einer Auffrischimpfung, wobei allerdings gleichzeitig eine Verbreiterung der Immunantwort gegen neue Stämme des zirkulierenden Subtyps erzielt wird. Dass dieser Ansatz erfolgreich ist, liegt an einer durch (stille) Infektion oder Impfung erzeugten Basisimmunität in der erwachsenen Bevölkerung. Unter diesen Bedingungen ist es auch möglich, einen Impfstoff ohne Adjuvans (Wirkverstärker) einzusetzen, während die klassischen inaktivierten Kinderimpfstoffe durchgängig mit einem Adjuvans (meist Aluminiumhydroxid und/oder Aluminiumphosphat) versetzt sind.

Kinder verfügen nicht über eine vorbestehende Immunität gegen Influenzaviren. Daher ist es notwendig, sie zweimal im Abstand von mindestens vier Wochen mit einem konventionellen Influenzaimpfstoff zu impfen, wenn ein entsprechender Schutz angezeigt ist [4].

Eine Pandemie wird nun durch ein Influenzavirus ausgelöst, „gegen das die meisten Menschen keine Immunität haben“ [2]. Im Gegensatz zu einem konventionellen Influenzaimpfstoff muss ein Pandemieimpfstoff so ausgelegt sein, dass er auch in einer derartigen „immunologisch naiven“ Population rasch zu einem Immunschutz führt.

Eine Möglichkeit besteht darin, den Pandemieimpfstoff zweimal innerhalb weniger Wochen, zum Beispiel innerhalb von sechs Wochen, zu verabreichen. Nun ist aber zu Beginn der Impfkampagne mit einem Mangel an Impfstoff zu rechnen, dessen erste Einheiten erst etwa 20 Wochen nach Identifikation des Pandemiestammes ausgeliefert werden können. Es kann sich daher eine Situation einstellen, dass, bevor die ganze Zielgruppe, gegebenenfalls die gesamte Bevölkerung, die erste Impfdosis erhalten hat, die Zweitimpfungen bei den zuerst geimpften Gruppen anstehen. Die Kommunikation, dass manche Personen schon die zweite Impfdosis bekommen, während vermutlich eine große Zahl von Personen noch nicht einmal die erste Impfung erhalten hat, dürfte im Falle einer Pandemie eine besondere Herausforderung sein. Sie könnte vermieden werden, wenn der Impfstoff nach Produktionsbeginn so rasch hergestellt werden könnte, dass die Zielgruppen einmal vollständig durchgeimpft sind, bevor es Zeit für die zweite Impfung wird.

Aus diesen Überlegungen ergeben sich zwei Grundvoraussetzungen für das Design eines Pandemieimpfstoffes:

  1. 1.

    Ein Pandemieimpfstoff muss in einer immunologisch naiven Bevölkerung wirksam sein.

  2. 2.

    Die Produktion muss spätestens vor dem Höhepunkt der zweiten Pandemiewelle beginnen und sollte einen wöchentlichen Ausstoß haben, der groß genug ist, um die Zielgruppen auch rasch durchimpfen zu können. Im Idealfall sollte bei der Notwendigkeit von zwei Impfungen eine vollständige Durchimpfung der Zielgruppen im Intervall zwischen den Impfungen möglich sein.

Selbstverständlich müssen alle Kriterien, die hinsichtlich Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit an Arzneimittel und Impfstoffe gestellt werden, ebenfalls erfüllt sein. Die Strategie, dies auch im Falle einer Pandemie zu erreichen, wird im Beitrag von M. Pfleiderer in diesem Heft erläutert.

Wege zu einem Pandemieimpfstoff

Die folgenden Möglichkeiten bieten sich an, um die Wirksamkeit eines Impfstoffes in einer immunologisch naiven Bevölkerung zu verbessern:

  1. 1.

    mehrfache Verabreichung,

  2. 2.

    Erhöhung der Antigenmenge pro Dosis,

  3. 3.

    Zusatz eines Wirkverstärkers (Adjuvans).

Eine Erhöhung des Produktionsausstoßes lässt sich durch folgende Maßnahmen erreichen:

  1. 1.

    Erhöhung der Produktionskapazität (Ausbau oder Neubau von Produktionsstätten),

  2. 2.

    Erhöhung der Ausbeute,

  3. 3.

    Senkung der Antigenmenge pro Dosis.

Der Aus- oder Neubau von Produktionsstätten ist relativ langwierig und erfordert hohe Investitionen. Dennoch waren entsprechende Aktivitäten in den vergangenen Jahren zu beobachten. Auch in Deutschland wurde die Produktionskapazität ausgebaut, in Nordamerika wurden sogar neue Fabriken errichtet. Jedoch führen diese Maßnahmen nur zu einer geringen Vervielfachung des Ausstoßes. Eine Verdopplung wäre schon viel.

Eine Erhöhung der Ausbeute wäre zweifellos wünschenswert. Vor allem mit Blick auf die aus den 1940er-Jahren stammende Technologie der Vermehrung von Influenzaviren in embryonierten Hühnereiern wurde viel Hoffnung auf Zellkulturtechniken gesetzt. Obwohl mehrere Hersteller sich dieser Technik intensiv widmen, lässt die Verlässlichkeit einer erfolgreichen Vermehrung aller Influenzastämme auf Zellkulturen noch auf sich warten. Eine Erhöhung der Ausbeute zeichnet sich daher derzeit nicht ab.

Es liegt auf der Hand, dass eine Senkung der Antigenmenge pro Dosis theoretisch zu einer deutlichen Erhöhung des Ausstoßes führt. Angenommen, die wöchentliche Produktionskapazität läge bei 15 g Hämagglutinin, entsprechend einer Million Dosen eines konventionellen (monovalenten) Impfstoffes, so würde eine Senkung der Antigenmenge auf 3,75 µg, also um den Faktor vier, zu einer Vervierfachung des wöchentlichen Ausstoßes führen. Nur klinische Studien können zeigen, ob solche Verringerung bei Erhalt der Wirksamkeit möglich ist.

Schon früh wurden Studien durchgeführt, die zeigen sollten, ob die Erhöhung des Antigengehalts in konventionellen Influenzaimpfstoffen die tatsächliche Wirksamkeit erhöht. Als Modell diente das hochpathogene Geflügelinfluenzavirus H5N1 („Vogelgrippevirus“), da sich in der menschlichen Bevölkerung keine Hinweise auf eine vorbestehende Immunität gegen dieses finden lassen. Die Untersuchungen [5] verliefen jedoch enttäuschend. Auch eine Erhöhung des Hämagglutiningehaltes pro Dosis von 15 µg auf 90 µg und eine zweimalige Verabreichung führten nur bei knapp 60% der Probanden zu einem schützenden Antikörpertiter. Von den Zulassungsbehörden wird jedoch als Wirksamkeitsbeleg ein ausreichender Titer bei mindestens 70% der Probanden gefordert.

Einen Ausweg könnte der Einsatz von Adjuvanzien mit sich bringen. Ihre Wirkungsmechanismen sind unterschiedlich, von einer Verzögerung der Antigenfreisetzung über einen Transport des Antigens zu den Lymphknoten bis zur Stimulierung des Immunsystems durch geeignete Signalsubstanzen. Adjuvanzien tragen auch dazu bei, dass der Antigengehalt im Impfstoff verringert werden kann.

Aufgrund der vorstehenden Überlegungen müsste ein geeigneter Pandemieimpfstoff, der sowohl wirksam ist als auch mit geeigneter Geschwindigkeit produziert werden kann, folgende Eigenschaften haben:

  1. 1.

    reduzierter Antigengehalt (deutlich weniger als 15 µg Hämagglutinin pro Dosis),

  2. 2.

    Zusatz eines geeigneten Adjuvans,

  3. 3.

    zweifache Verabreichung.

Dass ein solcher Impfstoff grundsätzlich möglich ist, auch wenn sich bei der Weiterverfolgung des Konzeptes unerwartete Schwierigkeiten auftaten, wurde bereits im Jahre 2004 gezeigt. In der Studie von Hehme et al. [6] erwies sich ein Ganzvirus-Influenzaimpfstoff mit einem Gehalt von 3,7 µg Hämagglutinin pro Dosis als wirksam in der Induktion einer guten Immunantwort gegen das derzeit nicht zirkulierende humane Influenzavirus H2N2.

Entwicklungen bis zur Impfstoffzulassung

Bei Diskussionen in der WHO [7] und im Dialog mit der Industrie hat das dargelegte Impfstoffmodell mehr und mehr Zustimmung gefunden. Intensive Bemühungen zur Entwicklung geeigneter Pandemieimpfstoffe haben seit 2005 Fahrt aufgenommen. Dabei zeigte sich bald, dass die Kombination eines Ganzvirusimpfstoffes mit Aluminiumadjuvanzien Grenzen hat. Dagegen zeigte sich die Kombination stärker aufgearbeiteter Virusantigene mit einem modernen Öl-in-Wasser-Adjuvans als viel versprechend. Diese Kombination ruft auch eine breitere, stammübergreifende Immunantwort hervor [8], zweifellos ein Vorteil, wenn das Pandemievirus nicht stabil bleibt, sondern sich rasch weiterentwickelt.

Der erste, am 21.3.2007 in Europa zugelassene Pandemieimpfstoff (Daronrix) war ein Ganzvirusimpfstoff mit einem Aluminiumadjuvans, der zweite, am 2.5.2007 zugelassene ein Untereinheitenimpfstoff mit einem Öl-in-Wasser-Adjuvans (Focetria). Während Ersterer in der H1N1-Pandemie 2009 aus den angeführten Gründen keine Rolle spielte, fand der zweite breite Anwendung.