Die Patientensicherheit hat in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung sowie einen immer größer werdenden Raum an Aufmerksamkeit in den anästhesiologischen Fachgebieten und in der Medizin allgemein eingenommen.

Patientensicherheit ist definiert als die „Abwesenheit unerwünschter Ereignisse“ bzw. die Aktivitäten, diese zu vermeiden. Unerwünschte Ereignisse (feststehender Begriff im englischen Sprachraum „adverse events“) werden als schädliches Vorkommnis bezeichnet, das im Rahmen der Behandlung und nicht auf der eigentlichen Erkrankung des Patienten beruht. Es kann vermeidbar und auch unvermeidbar sein [1]. Handlungen, die zu einem unerwünschten Ereignis führen könnten oder dessen Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, stellen ein kritisches Ereignis dar („critical incident“; [1]).

Reason et al. erstellten ein anschauliches Modell zur Vermeidung von unerwünschten Ereignissen und beschrieben damit eine der konzeptionellen Grundlagen zur Verbesserung der Patientensicherheit. Darstellbar wird dies anhand eines „Schweizer-Käse-Modell“: Je mehr Käsescheiben den Weg des unerwünschten Ereignisses versperren und je kleiner die „Schlupflöcher“ in den einzelnen Maßnahmen sind, desto erfolgreicher ist die Verhinderung eines Schadens [2, 3].

Historie von Patientensicherheit

Der Grundgedanke der Patientensicherheit reicht weit zurück und spiegelt sich schon seit dem Jahr 50 nach Chr. in den Maximen der Ärzteschaft wider: „Primum non nocere – erstens nicht schaden“. Mit der Veröffentlichung des Berichts „To err is human“ durch das US-amerikanische Institute of Medicine 1999 [25] wurde ein Meilenstein in der Wahrnehmung des Themas Patientensicherheit gesetzt. Weitere wichtige Entwicklungen und Errungenschaften im vergangenen Jahrzehnt waren 2008 die Etablierung der Surgical Safety Checklist durch die World Health Organisation (WHO) [4,5,6,7] und dessen wissenschaftliche Evaluierung. Im Jahr 2010 wurde die Helsinki Declaration on Patient Safety in Anaesthesiology der European Society of Anaesthesiology (ESA) [8] verfasst, und 2013 folgte die Gründung einer European Patient Safety Foundation [9].

Die WHO hat zum Thema Patientensicherheit folgende beunruhigende Daten veröffentlicht: Medizinische Fehler und unerwünschte Ereignisse treten in der Gesundheitsversorgung in 8–12 % der Klinikaufenthalte auf, und einer von 10 Patienten wird während der Gesundheitsversorgung geschädigt [10,11,12]. Des Weiteren stellte die WHO fest, dass bei konsequenter Verwendung von Strategien zur Reduzierung unerwünschter Ereignisse allein in der Europäischen Union (EU) jährlich 750.000 schadenverursachende medizinische Fehler verhindert werden könnten, die Klinikaufenthalte um mehr als 3,2 Mio. Tage reduziert werden könnten und – die wohl erschreckendste Zahl – die Anzahl der Todesfälle um rund 95.000/Jahr in der EU reduziert werden könnte [10, 11].

Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit

Selbst wenn die oben genannten erhobenen Zahlen der WHO bezüglich medizinischer Fehler und vermeidbarer Ereignisse geringer wären, bleibt die Frage nach Strategien zur Reduktion unerwünschter Ereignisse absolut notwendig. Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit existieren bereits heute zahlreiche. Die verschiedenen Konzepte und Aktion reichen von etablierten „critical incident report systems“ (CIRS, [13]) über standardisierte Medikamentenaufkleber [14] bis hin zur Vermeidung von nosokomialen Infektionen durch Aktionen wie „saubere Hände“. Darüber hinaus scheint aber auch insbesondere das Thema standardisierte medizinische Übergaben eine vielversprechende Investition in die Patientensicherheit zu sein, da dadurch die therapiebestimmenden Informationen maßgeblich beeinflusst werden.

Standardisierte Übergaben

Der Transfer professioneller Verantwortung für verschiedene Aspekte der Versorgung eines Patienten zu einer anderen Person oder Gruppe auf temporärer oder permanenter Basis wurde von der Joint Commission als Übergabe definiert (http://www.jointcommission.org, [15]). Übergabesituationen erfolgen im medizinischen Alltag wiederholt, stellen jeweils eine komplexe kommunikative und für die Behandlungsstrategie des Patienten entscheidende Maßnahme dar; sie sind vergleichbar mit einer Hochrisikosituation. Schulungsmaßnahmen zu standardisierten Übergaben sind rar bzw. fehlen z. T. komplett während der medizinischen Aus‑, Weiter- und Fortbildung. Die Konsequenzen einer insuffizienten Übergabe sind folgenschwer und können durch nachfolgende Punkte illustriert werden: Verzögerung in Diagnostik und Therapie, Behandlungsfehler, erhöhte Kosten, verlängerte Krankenhausaufenthalte und vieles mehr [16, 17]. Dies macht eindrücklich klar, welchen hohen Stellenwert standardisierte Übergaben haben. Primär wurden standardisierte Übergabe mittels Checklisten wie SBAR („situation – background – assessment – recommendation“) in der US Navy oder der Flugzeugindustrie eingesetzt, um in limitierter Zeit effizient wichtige Informationen auszutauschen [18, 19]. Diese Übergabe-Checkliste wurde weltweit an viele Gesundheitssysteme adaptiert, und der Einsatz wird zunehmend, wie bereits von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) erfolgt, empfohlen [20, 21].

Der Übersichtsartikel von Merkel et al. illustriert anschaulich das Thema „strukturierte Übergaben“ und damit essenzielle und für den klinischen Alltag immer wichtiger werdende Instrumente in Bezug auf Patientensicherheit. Den Autoren gelingt es, strukturierte Übergaben als eine zentrale Säule der Patientensicherheit zu adressieren. Klar benannt werden z. T. bereits etablierte Checklisten und Protokolle der strukturierten Übergabe wie „SBAR“. Im Beitrag wird darauf hingewiesen, wie z. B. strukturierte Übergaben in verschiedenen Untersuchungen Patienten-Outcome, verbesserte Informationsweitergabe und optimierte Kommunikationskultur beeinflussen können. Auch werden wichtige Zusammenhänge zu anderen sicherheitsrelevanten Bereichen aus der Luftfahrt und dem Militär dargestellt. Mit der Übersicht wird eine ausreichende Anzahl an Studien zusammengefasst, um dem Leser einen guten Fundus an unterschiedlichen Effekten von strukturierten Übergaben darzustellen. Des Weiteren sind gute Implementierungsbeispiele aus der eigenen Klinik und auch anderen internationalen Zentren dargestellt.

Betrachtet man die Weiterentwicklungen der im Beitrag von Merkel et al. dargestellten Checkliste SBAR, so findet man diverse Modifikationen in der Literatur. So wurde z. B. das „I“ für „identification“ eingefügt, um noch klarer auf die Themen Identifikation und „Übergabeidentität“ einzugehen. Die Checkliste ISBAR stellt ebenfalls ein vergleichbares standardisiertes Kommunikationskonzept dar, das in den meisten klinischen Situationen anwendbar und einfach umzusetzen ist. Betrachtet man die aktuellsten Entwicklungen, so erfolgte die Weiterentwicklung zu ISOBAR und ISBAR3 der Checkliste, in dem die Punkte „read back“ und „Risk“ ergänzt wurden [18]. Ebenfalls wird in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema standardisierte Übergaben ein anderes Checklisten-Konzept z. B. I‑PASS („illness severity, patient summary, action list, situation awareness and contingency plans, and synthesis by receiver“ [22]) verfolgt. Dieses Konzept fokussiert bei gleichwertigen Inhalten, jedoch mit anderer Terminologie und Akronym auf die Übermittelung von Informationen in erschwerten Situationen. Somit stellen all die oben erwähnten Checklisten Tools bzw. Gedankenstützen zur strukturierten Weitergabe von Informationen dar.

Neben der Existenz von Checklisten ist mit deren klinischer Anwendung auch ein Implementierungsprozess der darin enthaltenen Maßnahmen von hoher Bedeutung. Hier besteht die Notwendigkeit nach Akzeptanz und intuitiver Nutzbarkeit der Checklisten in der Standardsituation, und in besonderen Situationen mit neuen Begebenheiten auch die begründete Abweichung von diesen. Daraus resultiert ein Informations- und Schulungsbedarf des Personals und damit auch für die Erläuterung von Vorteilen bei der Anwendung von Checklisten. Auch auf diese Aspekte gehen Merkel et al. ein und beschreiben internationale Anwendungsbeispiele.

Um eine optimale Schulung für die praxisorientierte Anwendung von Checklisten durchzuführen, eignen sich z. B. optimal die didaktische Methode des Simulationstrainings („high fidelity simulation“, [16, 23, 24]) ganz wie in der ursprünglichen Anwendung der militärischen und der zivilen Luftfahrt (wie z. B. bei den Flugsimulatoren der großen Fluggesellschaften). Die zivile Luftfahrt kennt keine hochkomplexen Situationen ohne die Anwendung von Checklisten und Sicherheitsprotokollen sowie ohne vorherige Schulungen und Debriefing-Situation. So übersteigt es hierzulande vermutlich das Vorstellungsvermögen eines Passagiers, von einem Piloten befördert zu werden, der nicht regelmäßig an Flugsimulator-Trainings teilnimmt.

Ausblick

Die Bedeutung von standardisierten Übergaben wird für die Medizin augenscheinlich größer, und eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Standardisierung und der Implementierung von Checklisten und Protokollen dazu scheint vielversprechend und unumgänglich. Wir sind gespannt auf weitere Bespiele, die die Bedeutung dieser Maßnahmen in der internationalen und insbesondere der deutschsprachigen Medizin erhöhen.

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L. Vogt