In der Behandlung schwerer chronischer Schmerzsyndrome hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein eindrucksvoller Paradigmenwechsel vollzogen. Zunächst standen die maßgeblich durch das Fachgebiet der Anästhesiologie entwickelten monomodalen Therapieansätze der Blockadetechniken und der Opioidtherapie im Vordergrund, und es wurde mit großem Nachdruck an der technischen Verfeinerung der invasiven Techniken, der gesellschaftlichen Akzeptanz und der Verfügbarkeit der Opioidtherapie gearbeitet. Mittlerweile ist mehr als deutlich geworden, dass diese Ansätze die in sie gesetzten Hoffnungen bei Patienten mit schweren chronifizierten Schmerzen oft nicht oder nur für sehr spezifische Subpopulationen erfüllen. Dies gilt für epidurale Injektionen [1, 2, 3] und auch für die Opioidlangzeittherapie von chronischem Nichttumorschmerz [4, 5]. Bisweilen können monomodale Techniken sogar selbst zur Chronifizierung beitragen [6].
Dagegen wurde in den letzten Jahren immer deutlicher, dass Programme zur sog. interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (MMST) auch bei hohem Chronifizierungsgrad erstaunliche sowie anhaltende Verbesserungen der Lebensqualität und der funktionellen Beeinträchtigungen bewirken können. Der Übersichtsbeitrag von Kopf et al. in der vorliegenden Ausgabe der Zeitschrift Der Anaesthesist erläutert die physiologischen Grundlagen, die Inhalte, die notwendigen Struktur- und Prozesskriterien sowie die Erfolge dieses Konzepts. Die Autoren weisen insbesondere auf die Notwendigkeit qualifizierten Personals aus den beteiligten Disziplinen, einer ausreichenden Therapieintensität und einer echten interdisziplinären Zusammenarbeit hin:
„Multimodal“ bedeutet also eine personelle, räumliche und inhaltliche Verflechtung, nicht nur die Kombination verschiedener Therapiemethoden.
Von besonderer Bedeutung ist die psychotherapeutische Komponente dieser Programme, zumal die meisten Patienten mit chronischen Schmerzen bereits eine Odyssee monomodaler pharmakologischer, interventioneller und physiotherapeutischer Behandlungen hinter sich haben, aber sehr selten einem schmerztherapeutisch erfahrenen Psychotherapeuten vorgestellt worden sind. Multimodale Schmerztherapie setzt obligat ein ebenfalls interdisziplinäres Assessment voraus, das die geeigneten Patienten identifiziert. Wegen ihrer Komplexität werden solche Verfahren meist stationär oder tagesklinisch durchgeführt. Eine ambulante Durchführung ist theoretisch möglich, unter den heutigen Bedingungen ambulanter Medizin jedoch schwer realisierbar und nach Ansicht der Autoren mit einem schlechteren Outcome verbunden.
Eine relative Überversorgung von chronischen Schmerzpatienten mit Opioiden und Operationen sowie ein Defizit an echten multimodalen Therapieangeboten wird auch im Health-Technology-Assessment(HTA)-Bericht 111 zur Versorgungssituation in der Schmerztherapie [7] konstatiert, und die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf bei der Verbesserung der Versorgung mit MMST [8]. Die Kostenträger konnten anhand eigener Versorgungsdaten zeigen, dass multimodale Therapieangebote langfristig ökonomischer sind als Operationen oder Injektionsbehandlungen [9].
Trotz dieser zahlreichen Argumente für multimodale Therapiekonzepte, trotz deutlicher Belege für ineffektive und teure monomodale Ansätze bei schwer chronifizierten Schmerzpatienten gibt es bisher keine flächendeckende Versorgung mit MMST. In vielen Bundesländern zögern die Kostenträger, entsprechende Therapiekonzepte ausreichend zu finanzieren, propagieren „Schmerztherapie light“ oder rehabilitative Ansätze, die häufig nicht die notwendigen (insbesondere personellen) Voraussetzungen für eine echte MMST erfüllen. Aber auch aufseiten der Leistungserbringer – also bei uns Ärzten – gibt es immer noch Widerstände gegen solche Konzepte, gespeist aus einem mechanistischen Krankheitsmodell, aus dem Unwillen, die vorhandenen Nachweise zur (In-)Effektivität lieb gewordener Methoden zur Kenntnis zu nehmen, oder bisweilen auch aus ökonomischen Gründen. Und so manchem „Spezialisten“ fällt es offenbar schwer sich einzugestehen, dass die Grundphilosophie der MMST aus Teamarbeit und der unmittelbaren Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen besteht und eben keine „one man show“ omnipotenter Alleskönner ist.
Anästhesisten sind – meist – gute „team player“ und lernen früh, kooperativ mit anderen Professionen und Disziplinen zusammenzuarbeiten. Auch wenn unsere fachspezifischen Schmerztherapiemethoden bei der Behandlung schwer chronifizierter Schmerzpatienten in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung eingebüßt haben, können Anästhesisten eine wichtige (und oft koordinierende) Rolle in multimodalen Schmerztherapieteams spielen. Und nicht zuletzt: Selten erlebt man so dankbare Patienten.
W. Meißner
Literatur
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Benyamin RM, Wang VC, Vallejo R et al (2012) A systematic evaluation of thoracic interlaminar epidural injections. Pain Physician 15(4):E497–514
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Chaparro LE, Furlan AD, Deshpande A et al (2013) Opioids compared to placebo or other treatments for chronic low-back pain. Cochrane Database Syst Rev 8:CD004959
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Dietl M, Korczak D (2011) Versorgungssituation in der Schmerztherapie in Deutschland im internationalen Vergleich hinsichtlich Über-, Unter- oder Fehlversorgung. Schriftenreihe Health Technology Assessment (HTA) in der Bundesrepublik Deutschland. Deutsche Agentur für Health Technology Assessment des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information, Köln
Bundesministerium für Gesundheit (2013) Antwort der Bundesregierung auf kleine Anfrage „Versorgungslage chronisch schmerzkranker Menschen“. BT-Drs 17/14357
Marschall U, L’hoest H, Wolik A (2012) Vergleich der Kosteneffektivität von Operation, multimodaler und interventioneller Schmerztherapie bei Rückenschmerzen: eine Analyse mit Krankenkassendaten. BARMER GEK Gesundheitswesen aktuell, S. 262–285. https://www.barmer-gek.de
Interessenkonflikt
W. Meißner ist Leiter einer schmerztherapeutischen Tagesklinik.
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Meißner, W. Multimodale Schmerztherapie. Anaesthesist 64, 93–94 (2015). https://doi.org/10.1007/s00101-015-2424-1
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