Die Entdeckung des humanen Genoms und die Entwicklung wirksamer bioinformatischer Werkzeuge haben zu einem exponentiellen Wachstum des biomedizinischen Wissens geführt. Zu den Gebieten, die davon am meisten profitieren, gehört insbesondere die Hämatoonkologie. Ergebnis ist, dass einerseits mehr Patienten mit kurativem Ansatz behandelt werden und durch komplexe, aggressive Therapiestrategien trotz Komorbidität und hohen Alters erfolgreich behandelt werden können. Andererseits bleibt eine Reihe von v. a. soliden Tumorerkrankungen unheilbar, doch der Einsatz von „small molecules“ kann viele von ihnen zu chronischen Krankheiten transformieren.

Für das Jahr 2013 werden etwa 500.000 neue Krebserkrankungen in Deutschland erwartet. Immer mehr Patienten werden ein immer höheres Risiko für die Entwicklung von lebensbedrohlichen Situtationen entwickeln.

Das Vorliegen eines onkologischen Notfalls schließt eine Heilung der malignen Grunderkrankung nicht aus [1].

Da fast alle Fachdisziplinen Tumorpatienten (mit-)behandeln und onkologische Notfälle zu selten auftreten, als sie aus der täglichen Praxis sicher zu beherrschen wären, muss die hämatoonkologische Notfallkompetenz mehr in den Fokus von ärztlicher Aus- und Weiterbildung gerückt werden. Im Folgenden werden einige der häufigsten onkologischen Notfälle besprochen:

Hyponatriämie

Hyponatriämie ist die häufigste Elektrolytstörung und ist definiert als Serumnatriumkonzentration <135 mmol/l.

Ursachen

Meistens handelt es sich um einen relativen Wasserexzess! Das Syndrom der inadäquaten Sekretion von antidiuretischem Hormon (SIADH) ist ein häufiger Grund für eine Hyponatriämie. Viele Tumoren können potenziell ADH produzieren, insbesondere kleinzellige Bronchialkarzinome, aber auch Karzinome des Gastrointestinal- und des HNO-Bereichs. Darüber hinaus kann bei zentralnervöser Metastasierung letztlich jedes Malignom ein SIADH verursachen.

Bei zentralnervöser Metastasierung kann jedes Malignom ein SIADH verursachen

Des Weiteren können diverse Chemotherapeutika, beispielsweise Cisplatin, Vincristin und Ifosfamid, zu einer gesteigerten Freisetzung von ADH aus dem Hypophysenhinterlappen führen. Die Folge ist eine vermehrte renale Rückresorption von Wasser im Sammelrohrs, mit der Entwicklung eines relativen Wasserüberschusses. Weitere Kofaktoren, die zum Auftreten eines SIADH führen, sind

  • zerebrale Prozesse (z. B. Infektionen, Insulte, multiple Sklerose),

  • pulmonale Prozesse (z. B. Pneumonien, Tuberkulose oder Asthma) sowie

  • als häufige Auslöser Psychopharmaka (insbesondere Serotoninwiederaufnahmeinhibitoren),

  • schwere Übelkeit und

  • (postoperative) Schmerzen [2].

Ein Salzverlust in Folge von Erbrechen und Diarrhö kann ebenfalls eine Hyponatriämie bedingen. Letztere Situation tritt häufig bei Krebspatienten in Folge der therapiebedingten Hyperemesis, Mukositiden, antibiotika-/pathogenbedingten Diarrhöen sowie einer Graft-versus-Host-Erkrankung auf.

Klinik

Eine leichtgradige Hyponatriämie verläuft häufig asymptomatisch. Dies gilt auch für höhergradige Hyponatriämien, die nicht akut aufgetreten sind. Bei symptomatischen Patienten können erste leichte Anzeichen durch Vigilanzveränderungen im Sinne von ausgeprägter Müdigkeit, Konzentrations- und Merkschwächen sowie Veränderungen der Persönlichkeit charakterisiert sein. Eine rasch aufgetretene, beziehungsweise ausgeprägte Hyponatriämie ist ein potenziell lebensgefährliches Krankheitsbild mit Verwirrung, Halluzination, Zephalgien, Übelkeit, epileptischem Krampfgeschehen.

Diagnostik

In der Diagnostik des SIADH ist die Harnuntersuchung von zentraler Bedeutung, wobei die Harnosmolalität und das Harnnatrium wesentliche Parameter sind. Bei niedriger Serumosmolalität (<275 mOsm/kg) ist die Harnosmolalität als Ausdruck der gestörten Regulation der Harnkonzentration erhöht (>100 mOsm/kg). Typisch ist ein erhöhtes Harnnatrium (>40 mmol/l). Dieser Befund ist jedoch nicht spezifisch und kann durch mehrere Faktoren hervorgerufen werden, beispielsweise durch die Verabreichung von Diuretika. Klinisch besteht Euvolämie. Das heißt, in Abwesenheit anderer Erkrankungen haben die Patienten in der Regel keine Anzeichen einer Exsikkose oder Überwässerung (wie z. B. kardiopulmonale Stauungszeichen oder periphere Ödeme). Ein typischer Befund ist ein niedriger Harnsäurewert (ganz im Gegensatz zu einer z. B. diuretikainduzierten Hyponatriämie).

In der Regel reicht die genannte Befundkonstellation in Zusammenschau mit der Klinik aus, um die Diagnose eines SIADH stellen zu können, vor allem dann, wenn bereits eine entsprechende Tumorerkrankung bekannt ist. Die ADH-Spiegel müssen nicht routinemäßig bestimmt werden. Differenzialdiagnostisch sollte eine Hypothyreose ausgeschlossen werden.

Therapie

Neben der Therapie der Grunderkrankung bzw. des kausalen Auslösers (Erbrechen etc.) steht die Herstellung eines physiologischen Verhältnisses von freiem Wasser und Natrium im Zentrum der Therapie. In vielen Fällen genügt eine Wasserrestriktion. Bei ausgeprägten Fällen (z. B. <115 mmol/l), signifikanter Klinik oder dokumentierten, schnellem Natriumanfall kann eine Natriumsubstitution notwendig werden. Dabei ist ein langsamer Ausgleich wichtig; als Faustregel kann ein Ansteigen von maximal 0,5 mmol/l pro Stunde gelten. Andernfalls besteht die Gefahr einer zentralen pontinen Myelinolyse (ZPM). Bei rasch aufgetretenen schweren Hyponatriämien kann auch ein rascherer Ausgleich erwogen werden. Je nach Urinosmolarität (meist deutlich >400 mOsmol) muss ein Ausgleich mit 3% NaCl-Lösung erfolgen (eine 0,9%ige NaCl-Lösung kann unter Umständen die Hyponatriämie verstärken!). Eine langfristige Therapie kann danach mit einem selektiven ADH-Antagonisten erfolgen (Vaptane, z. B. Tolvaptan; [3]). Die Therapie sollte interdisziplinär onkologisch, nephrologisch und intensivmedizinisch erfolgen.

Prognose

Die mit schwerer Hyponatriämie assoziierte Mortalität liegt bei 10−20%, und ist weitestgehend unabhängig von der Grunderkrankung.

Hyperkalzämie

Malignomassoziierte Hyperkalzämien (MAH) treten bei etwa einem von 4 Krebspatienten auf. Mehr als ein Drittel dieser Patienten stellt sich wegen Beschwerden im Rahmen einer Hyperkalzämie in der Notfallaufnahme vor [4].

Ursache

Eine MAH findet sich

  • bei Malignomen, die PTH-related-Protein produzieren,

  • bei lokalen Osteolysen durch Knochenmetastasen oder osteolytischen Befall einer hämatologischen Neoplasie,

  • bei lymphomassoziierter Calcitriolproduktion oder

  • durch ektope PTH-Sekretion [5].

Klinik

Die Symptomatik der malignominduzierten Hyperkalzämie ist initial unspezifisch abhängig von der Serumkalziumkonzentration. Bei einer leichten Hyperkalzämie, oft ein Zufallsbefund im Labor, sind die meisten Patienten beschwerdefrei. Erste klinische Zeichen einer Hyperkalzämie sind häufig Müdigkeit sowie Polyurie und Polydipsie als Folge der osmotischen Diurese. Bei nicht ausreichendem Volumenersatz kann der vermehrte Flüssigkeitsverlust zu einer Exsikkose des Patienten führen mit zusätzlichem prärenalem Nierenversagen. Bei weiterem Kalziumspiegelanstieg kann es v. a. zu gastrointestinalen, renalen, neurologischen und kardialen Beschwerden kommen. Als Terminus geprägt ist die Trias „Stein-, Bein-, Magenpein“. Diese Symptomkombination findet sich bei der MAH aber eher selten. Eine schwere Hyperkalzämie kann zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen, der unverzüglich behandelt werden muss (Tab. 1).

Tab. 1 Symptome für eine Hyperkalzämie

Diagnostik

Durch die Bestimmung des Serumkalziums bei entsprechenden Symptomen fallen Verschiebungen sofort auf. Für die Symptomatik entscheidend ist das ionisierte, nicht proteingebundene Kalzium; daher ist bei der Beurteilung des Schweregrades der Hyperkalzämie der Serumalbuminspiegel zu berücksichtigen. Bei einer Hypalbuminämie beispielsweise kann der Anteil des ionisierten Kalziums unterschätzt werden. Hinsichtlich des klinischen Managements muss darauf hingewiesen werden, dass regelmäßig das im Rahmen von Blutgasanalysen bestimmte freie Kalzium als falsch-niedriger Gesamtkalziumwert fehlinterpretiert wird.

Therapie

Die Prinzipien der akuten Behandlung der tumorassoziierten Hyperkalzämie sind:

  • Ausgleich des hyperkalzämieinduzierten Volumenmangels,

  • Steigerung der renalen Exkretion,

  • Behandlung der zugrundeliegenden Tumorerkrankung (wenn möglich)

  • Hemmung der Kalziummobilisierung aus dem Knochen und

  • Reduktion der enteralen Kalzium Resorption.

Bei den häufig dehydrierten Patienten ist die Rehydratation mit forcierter Diurese unter dem Einsatz von Schleifendiuretika Primärtherapie. Wichtig ist, dass vor Einsatz der Diuretika eine häufig bestehende Exsikkose zunächst ausgeglichen werden muss (3–4 l), um nicht eine weitere Verschlechterung der Nierenfunktion zu bewirken. Bedeutend ist weiterhin der Einsatz von Kortison und Bisphosphonaten, die rasch die Kalziummobilisierung aus dem Knochen hemmen. Der Wirkungseintritt der Bisphophonate tritt zeitlich verzögert nach 2 bis 4 Tagen ein und hält etwa 2 bis 4 Wochen an. Dies schafft Zeit für eine begleitende Radiatio bzw. Chemotherapie.

Bei lebensbedrohlichen Komplikationen kann eine Akutdialyse zur raschen Elektrolytnormalisierung eingesetzt werden.

Ferner sind bei hämatologischen Neoplasien hoch dosierte Kortikoide häufig passager sehr effektiv. Eine weitere Therapieoption mit schnellerem Wirkungseintritt bei hyperkalzämischer Krise ist Kalzitonin.

Prognose

Die Prognose hängt ab vom Schweregrad der Symptome bzw. Komplikationen und der zugrundeliegenden hämatoonkologischen Grunderkankung.

Tumorlysesyndrom

Das Tumorlysesyndrom (TLS) entsteht durch einen raschen Zerfall von Tumorzellen mit Austritt von Zellbestandteilen, was schwerwiegende systemische Konsequenzen nach sich ziehen kann. Insbesondere tritt es nach Beginn einer zytoreduktiven Therapie bei aggressiven hämatologischen Erkrankungen auf, z. B. bei der akuten Leukämie und dem Burkitt-Lymphom. Allerdings kann ein TLS bei hoch proliferativen Erkrankungen als Ausdruck des hohen Zellumsatzes auch spontan und unabhängig von zytoreduktiven Therapien auftreten. Wesentlich seltener kommt ein TLS auch bei soliden Tumoren mit hoher Tumorlast und gutem Ansprechen auf zytoreduktive Therapien vor [6, 7].

Ursache

Durch Tumorzellzerfall treten kurzfristig hohe Konzentrationen von Nukleinsäuren, Kalium und Phosphat auf, welche die exkretorische Kapazität der Niere überschreiten können. Nukleinsäuren werden umgehend in Harnsäure umgewandelt, die kaum wasserlöslich ist und in verschiedenen Geweben auskristallisiert. In den Nierentubuli kann dies zu renaler Dysfunktion und eventuell akutem Nierenversagen führen, wodurch die durch den Zellzerfall entstehende Hyperkaliämie aggraviert werden kann.

Klinik

Neben den Symptomen von Elektrolytentgleisungen kommt es zu Störungen in diversen Organsystemen durch Auskristallisierung der Harnsäure. Auftreten können Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Überwässerung mit Ödembildung und Herzinsuffizienz bis zu Herzrhythmusstörungen, Muskelkrämpfen, Vigilanzstörungen, Synkopen, zerebralen Krampfanfällen und plötzlichem Herztod.

Diagnostik

Unterschieden wird das laborchemische TLS vom klinischen TLS. Ersteres wird definiert, wenn mindestens zwei der aufgeführten Laborwerte pathologisch verändert sind (Tab. 2).

Tab. 2 Tumorlysesyndrom, Veränderungen der Elektrolytserumkonzentrationen

Von einem klinischen TLS spricht man, wenn ein laborchemisches TLS nachgewiesen wird und zusätzlich mindestens eine der folgenden pathologischen Veränderungen vorliegt:

  • Serumkreatininanstieg (≥1,5 des Normwerts),

  • Herzrhythmusstörungen mit lebensbedrohlichen Arrhythmien und/oder

  • neurologische Veränderungen bis zu epileptischen Anfällen.

Der Schweregrad wird nach den Cairo-Bishop-Kriterien festgelegt (Tab. 3).

Tab. 3 Cairo-Bishop-Kriterien

Therapie

Wichtigste therapeutische Intervention ist die Vermeidung des TLS. Daher ist die Gabe einer niedrig dosierten Chemotherapie bei Malignomen mit hoher Proliferationsrate im Sinne einer Vorphase überlegenswert.

Optimale Intervention ist die Vermeidung des TLS

Die Säulen der Therapie sind eine Steigerung der Diurese durch adäquate Bewässerung bzw. Einsatz von Diuretika sowie die Senkung der Harnsäurewerte bei erhöhtem Risiko oder manifestem TLS [6].

Flüssigkeitsmanagement

Aggressive i.v. Hydratation: 2–3 l/m2KOF; Ziel: Urinausscheidung 80–100 ml/m2KOF/h, ggf. Einsatz von Diuretika. Cave: Überwässerung bei Niereninsuffizienz und Herzinsuffizienz, der Ausschluss eines postrenalen Nierenversagens im Sinne von Abflussstörungen mittels Sonographie ist obligat.

Harnsäuresenkung

Allopurinol führt durch die Hemmung der Xanthinoxidase zu einem reduzierten Anfall von Harnsäure, entfernt jedoch nicht bereits zirkulierende Harnsäure. Bei eingeschränkter GFR muss eine Dosisreduktion erfolgen. Es bestehen klinisch bedeutsame Interaktionen mit 6-Marcaptopurinen beziehungsweise Azathioprin.

Rasburicase ist ein Äquivalent der Uratoxidase, ein Enzym, das bei manchen Säugetieren die Umwandlung von Harnsäure in Allantoin katalysiert. Beim Menschen kommt es nicht vor und wird rekombinant hergestellt. Allantoin ist sehr gut wasserlöslich und wird renal ausgeschieden. Rasburicase ist kontraindiziert bei Glucose-6-Phosphatdehydrogenasemangel, induziert in etwa 10% der Fälle spezifische Antikörper, muss aber bei Nierenfunktionsstörungen nicht dosisreduziert werden. Rasburicase entfaltet die Wirkung auch unter Raumtemperatur, sodass zur Kontrolle der Harnsäurewerte unter Therapie die Blutabnahmeröhrchen unmittelbar nach der Gewinnung gekühlt werden müssen, um falsch-negative Harnsäurewerte zu vermeiden.

Allopurinol

Allopurinol wird bei intermediärem oder hohem Risiko und normalen Harnsäurewerten (≤7,5 mg/dl) in der Dosierung 100 mg alle 8 h 1 bis 2 Tage vor Beginn der zytoreduktiven Therapie verabreicht und 3 bis 7 Tage (je nach Entwicklung des Risikoprofils) fortgesetzt.

Rasburicase

Rasburicase wird als prophylaktische Maßnahme bei hohem Risiko für das Auftreten eines TLS bei Hyperurikämie und bestehendem „Labor-TLS“ oder klinischem TLS in der Dosierung 0,1–0,2 mg/kg empfohlen. Die Dauer der Therapie richtet sich nach den Harnsäurewerten.

Harnalkalisierung

Von einer routinemäßigen Harnalkalisierung, die viele Zentren zur Erhöhung der Harnsäurelöslichkeit durchführen, wird ausdrücklich abgeraten, da das Risiko für ein Ausfallen von Kalzium-Phosphat-Präzipitaten und eine Natriumbicarbonat-induzierte Hypernatriämie besteht und die Effektivität nicht gesichert ist.

Von einer routinemäßigen Harnalkalisierung ist abzusehen

Bei Vorliegen einer metabolischen Azidose dagegen kann eine Harnalkalisierung erwogen werden.

Akutdialyse

In ausgewählten Fällen, insbesondere bei kardiopulmonaler Instabilität, kann eine Akutdialyse in Erwägung gezogen werden. Insbesondere bei paralleler Chemotherapie und Dialyse sollte die Dosierung und die Sequenz der Chemotherapie entsprechend angepasst werden, um eventuelle Wirkungsverluste zu vermeiden.

Prognose

Die Prognose hängt entscheidend von der Ausprägung des TLS und der entsprechenden Grunderkrankung (s. auch Tabelle des Schweregrades).

Vena-cava-superior-Syndrom

Das Vena-cava-superior-Syndrom/Obere-Vena-cava-Syndrom (OVCS) ist gekennzeichnet durch eine Obstruktion der oberen Hohlvene mit einer venösen Rückflussstörung. Maligne Grunderkrankungen sind eine sehr häufige Ursache für ein OVCS [8]: einerseits durch Kompression oder Infiltration von Tumormassen, anderseits durch malignomassoziierte Thrombosen mit Teil- oder Totalverschluss der V. cava oder entzündliche Prozesse. Ein beträchtlicher Anteil von onkologischen Patienten mit OVCS (20–40%) hat zum Entstehungszeitpunkt einen zentralvenösen Katheter [1]. In USA werden etwa 15.000 Patienten pro Jahr mit einem OVCS identifiziert [8].

Ursache

Die häufigsten Malignome, die zu einem OVCS führen können, sind in Tab. 4 aufgeführt.

Tab. 4 Malignome, die zu einem OVCS führen können

Klinik

Je nach Ätiologie der Obstruktion entstehen zumeist über mehrere Wochen durch den Blutrückstau venöse Umgehungskreisläufe über Venen der Thoraxwand sowie die V. azygos. Bei einem raschen Verschluss oder Verlegung, z. B. durch eine Thrombose, kann es auch zu einer akuten klinischen Verschlechterung kommen, welche häufig mit lebensbedrohlicher Instabilität einhergeht. In vielen Fällen kann eine zusätzlich zu einer Obstruktion entstandene Thrombose den Zustand rasch aggravieren. Die häufigsten Symptome des OVCS sind Ödeme der oberen Körperhälfte, insbesondere des Gesichts (60–100%) und der Arme. Zusätzlich haben viele Patienten (etwa 50%) distendierte Venen des Halses und des Thorax, die klinisch als oberflächliche Venenzeichnung imponiert und vor allem als Erweiterung der Brustwandvenen imponiert. Zwei Drittel der Patienten klagen über Dyspnoe, jeder zweite über Husten und etwa 50% aller Patienten mit OVCS haben einen Pleuraerguss. Bei entsprechender Ausprägung kann es zu einer Einengung von Pharynx- und Larynxregion mit Schluckbeschwerden und inspiratorischem Stridor kommen [8, 9]. Unspezifische neurologische Symptome, wie z. B. Kopfschmerzen, Synkopen, Schwindel und Verwirrtheit, sind eher selten, stellen bei Auftreten jedoch häufig eine Notfallsituation dar.

Diagnostik

Häufig sind die klinischen Symptome wegweisend für die Diagnostik. Beweisend sind dann bildgebende Verfahren. In der Regel gibt eine Computertomographie des Thorax nähere Aufschlüsse über die Ursache der Einflussstauung. Der zweite Schritt in der Diagnostik gilt der Sicherung einer Gewebeprobe des Tumors, welche durch bildgebungsgezielte Punktion, Thorakozentese, Mediastinoskopie oder Bronchoskopie erfolgen kann, insbesondere durch die in den vergangenen Jahren erfolgte Weiterentwicklung des endobronchialen Ultraschalls (EBUS) ist heute in vielen Fällen eine minimal-invasive Sicherung der Diagnose möglich. Bei Vorliegen eines pathologischen Blutbildes, kann bei Knochenmarkkarzinose die Diagnose rasch durch eine Knochenmarkpunktion gesichert werden, ohne den Primärtumor zu biopsieren. Ebenso kann eine ultraschallgesteuerte Leberbiopsie bei Lebermetastasen oft mit geringem technischem Aufwand und vertretbarem Risiko für den Patienten die Diagnose gesichert werden.

Bis zu diesem Zeitpunkt sollte, wenn möglich, von einer zytoreduktiven Therapie Abstand genommen werden, um die Diagnostik nicht zu verschleiern. Dies gilt prinzipiell auch für die Verabreichung von Kortikosteroiden, die zu erheblichen Problemen bei der histologischen Beurteilung von Tumorgeweben führen können, insbesondere bei lymphatisch differenzierten Leukosen und Lymphomen. Entgegen früheren Annahmen sind invasive diagnostische Verfahren beim OVCS nicht mit relevant erhöhtem Komplikationsrisiko assoziiert [8].

Therapie

Die Therapie wird bestimmt durch die zugrunde liegende Erkrankung sowie die Schwere des OVCS, ausgedrückt durch das Ausmaß der Symptome. Je nach Art des Malignoms sind eine Radiatio und/oder eine Chemotherapie indiziert. Eine rasch wirksame Therapieoption ist das endovaskuläre Stenting der betroffenen Gefäßabschnitte, das oft nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden kann. Die Indikation für ein Stenting besteht bei schweren Symptomen, wie Atemwegsobstruktion oder zerebralem Ödem. Begleitend sollte die Indikation für eine therapeutische Antikoagulation geprüft werden. Insbesondere im Zusammenhang mit kurativen Therapieansätzen kommen chirurgische Verfahren zur Anwendung. Im Weiteren können Diuretika, Kortikosteroide sowie die Hochlagerung des Oberkörpers zu einer Symptomlinderung führen, wobei es für diese Maßnahmen nur wenig Evidenz gibt [8].

Prognose

Das Überleben der Patienten wird durch den Verlauf der Grunderkrankung bestimmt; das mediane Überleben aller Patienten mit tumorassoziiertem OVCS liegt bei etwa 6 Monaten. Heilungen sind jedoch, in Abhängigkeit vom Primärtumor, prinzipiell möglich [8]. Besonders nicht solide onkologische Tumoren, z. B. Lymphome, akute lymphatische Leukämie etc., haben einen kurativen Therapieansatz. Daher sollte ein rasches und effektives Therapiemanagement erfolgen.

Spinales Kompressionssyndrom

Das maligne spinale Kompressionssyndrom (MSCS) tritt bei etwa 5% der Patienten mit einem fortgeschrittenen Malignom auf [5]. Gekennzeichnet ist das MSCS durch ein verdrängendes Wachstum vertebrogener Tumoren oder Metastasen, die in den Epiduralraum einwachsen und zu einer Kompression des Rückenmarks oder der Spinalwurzeln führen. Dies führt zu entsprechenden neurologischen Ausfällen und häufig zu massiven Schmerzen im betroffenen Areal.

Ursache

Die häufigsten Tumoren die mit einem MSCS assoziiert sind das Bronchial-, Mamma- und Prostatakarzinom (15–20%). Das multiple Myelom, Non-Hodgkin-Lymphome und Nierenzellkarzinome sind in nur 5–10% der Fälle verantwortlich. Je nach Primärtumor findet man eher Metastasen im Bereich der thorakalen Wirbelsäule (Bronchialkarzinom, Mammakarzinom) oder eher im lumbosakralen Anteil der Wirbelsäule (Prostatakarzinom etc.; [5]).

Klinik

Erste klinische Zeichen sind Schmerzen, die teils langsam zunehmend, aber auch akut auftreten können. In 40–90% der Fälle kommen sensomotorische Plegien/Ausfälle dazu, den korrespondierenden Nervenwurzeln entsprechend. Viele Patienten bieten eine seitenungleiche motorische Schwäche der unteren Extremitäten bis hin zu Gehunfähigkeit; 50% zeigen Sensibilitätsstörungen und Inkontinenz. Bei Vorliegen einer Kompression der Cauda equina kommt es zu reduzierter Sensibilität der Glutealregion, der posterioren oberen Oberschenkel sowie einem Harnverhalt mit Überlaufblase und eventuell zusätzlicher Stuhlinkontinenz [1].

Diagnostik

Wenn neurologische Ausfälle auftreten, handelt es sich um einen Notfall, und es sollte unverzüglich die Diagnostik eingeleitet werden. Goldstandard in der Diagnostik und Bewertung eines MSCS ist das MRT (Sensitivität 93% und Spezifität 97%). Konventionelle Röntgenaufnahmen sind nur eingeschränkt verwertbar [1].

Therapie

Eine Therapie sollte nach Diagnosestellung unmittelbar eingeleitet werden, damit es nicht zu irreversiblen Schäden kommt. Ziel der Therapie des MSCS ist der Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung der Gehfähigkeit, der Kontinenz sowie eine Reduktion von Schmerzen und anderen neurologischen Defiziten.

Kortison

Kortikosteroide sind Standard in der Akuttherapie des MSCS und führen zum Rückgang des Ödems und ggf. auch zu einer Reduktion der Tumormasse (v. a. Lymphome). Zumeist werden initiale Boli von 10−16 mg Dexamethason i.v. verabreicht, gefolgt von 16−24 mg pro Tag in vierstündlichen Verabreichungsintervallen. Das Tapering beginnt während oder nach der/einer abgeschlossenen Radiotherapie [1].

Bestrahlung

Die Radiatio ist ein weiterer zentraler Baustein im Behandlungskonzept des MSCS. Dosis und Dauer werden durch die Strahlentherapeuten festgelegt. Die Strahlentherapie ist nach Studienlage effektiv, stellt aber keine Akutintervention dar.

Operation

In ausgewählten Fällen ist die Operation bzw. Dekompressionschirurgie eine Alternative. Dies gilt für Tumoren mit geringer Strahlensensibilität oder einzelnen, nur lokal stenosierenden Prozessen.

Chemotherapie

Eine Chemotherapie hat für die Akuttherapie keine Bedeutung, da nur langsame Therapieeffekte zu erwarten sind. Als Add-on-Therapie muss eine Chemotherapie diskutiert werden, sie hängt vom individuellen Zustand des Patienten und der vermuteten Histologie ab.

Prognose

Die Prognose hängt entscheidend von einer schnellen und adäquaten Therapie ab: 90% der Patienten, die initial gehen konnten, bleiben mobil. Deswegen ist eine rasche Diagnosesicherung unabdingbar,, um eine schnelle Therapie einzuleiten. Je nach Art der zugrundeliegenden Krebserkrankung ist ein MSCS häufig Ausdruck einer fortgeschrittenen Krebserkrankung, prinzipielle Heilungen sind jedoch möglich.

Zerebrale hämatoonkologische Raumforderungen

Intrakranielle Tumoren sind in den meisten Fällen Metastasen unterschiedlicher Primärtumoren. Die Folge von Gehirnmetastasen ist eine Verdrängung der regulären Gehirnsubstanz mit Auftreten eines perifokalen Ödems und eventueller Erhöhung des intrakraniellen Drucks („intracranial pressure“, ICP). Durch eine tumorbedingte Liquorabflussbehinderung kann ein Hydrozephalus auftreten, oder es kann zu Einblutungen kommen [1, 10].

Ursache

Lungenkarzinome und Melanome verursachen häufig multiple Läsionen, Mamma-, Kolon- und Nierenzellkarzinome oft solitäre Läsionen. Die hämatogen eingewanderten Metastasen befinden sich zumeist supratentoriell und überproportional häufig am Übergang von der grauen zur weißen Substanz.

Klinik

Drei von vier Patienten leiden zum Zeitpunkt der Diagnose von Gehirnmetastasen unter Symptomen wie Zephalgien (50%), fokal neurologischen Defiziten unterschiedlichster Ausprägung, epileptischen Krampfanfällen (25%) bis hin zum Status, kognitiven Störungen sowie Veränderungen der Persönlichkeit. Gehirnmetastasen werden zum Notfall, wenn ein erhöhter ICP mit folgenden Symptomen auftritt: Übelkeit, Erbrechen und Zephalgien. Des Weiteren können allgemeine Schwäche, Ataxie, Wesensveränderungen und Vigilanzschwankungen auftreten [10].

Diagnostik

Die MRT ist das Mittel der Wahl, um Gehirnmetastasen zu diagnostizieren. In Akutsituationen reicht eine Schädel-CT meist aus, um große Metastasen, Hirndruck, Abflussstörungen oder Blutungen nachzuweisen. Die Spiegelung des Augenhintergrundes kann zusätzlich hilfreich sein, um einen erhöhten intrazerebralen Druck zu identifizieren. Eine Liquorpunktion bei fehlendem Hirndruck kann die Dignität von unbekannten zerebralen Raumforderungen sichern.

Therapie

Kortikosteroide spielen bei der Akutbehandlung von zerebralen Metastasen mit erhöhtem Hirndruck die wichtigste Rolle. Nach Verabreichung von Dexamethason kann innerhalb von 24 h eine Besserung der Symptome erwartet werden. Die empfohlenen initiale intravenöse Dosis von Dexamethason liegt zwischen 6 und 24 mg, gefolgt von 6-stündlichen Gaben zu jeweils 4 mg. Weiterhin kann die Gabe von Mannitol i.v. erfolgen. Operative Therapieoptionen im Sinne einer Dekompressionsmaßnahme stellen nur in ausgewählten Fällen eine Möglichkeit dar (solitäre Metastase). Je nach Art des Tumors und Strahlensensibilität besteht mit der Radiatio eine gute Langzeittherapieoption.

Darüber hinaus kann in ausgewählten Fällen eine stereotaktische Bestrahlung oder das CyberKnife® zum Einsatz kommen. Für ausgewählte Malignome mit hoher Chemotherapiesensibilität (Lymphome, Keimzelltumoren, kleinzellige Karzinome) spielt eine Chemotherapie ebenfalls eine Rolle in der Langzeittherapie. Bei Auftreten von zerebralen Krämpfen bis hin zu einem Status epilepticus kommen bevorzugt Benzodiazepine zum Einsatz. Eine Primärprophylaxe wird zurzeit nicht empfohlen [11].

Prognose

Das mediane Überleben bei Vorliegen von Gehirnmetastasen ist abhängig vom Karnofsky-Performance-Status, der systemischen Ausbreitung sowie dem zugrunde liegenden Primärtumor. Es liegt bei einem Monat, wenn keine Therapie erfolgt. In Abhängigkeit der malignen Grunderkrankung kann durch die genannten Therapieverfahren zumeist eine Verlängerung des Überlebens sowie der Lebensqualität erreicht werden. Beispielsweise erhöht die Ganzhirnradiatio die mediane Überlebensrate von 1 bis 2 Monaten auf 3 bis 6. Für einige Tumorentitäten (beispielsweise Keimzelltumoren und Lymphome) existieren kurative Therapieansätze [12].

Fazit für die Praxis

  • In nahezu jeder medizinischen Fachrichtung werden regelmäßig Patienten, die an Tumorerkrankungen leiden, behandelt, insofern können onkologische Notfälle in fast jedem klinischen Setting auftreten.

  • Da diese Komplikationen ein differenzielles Management erfordern, sind Grundkenntnisse der Diagnose und Therapie der häufigsten Krankheitsbilder für fast jeden klinisch tätigen Arzt von Bedeutung.