Zusammenfassung
Seit den 1990er Jahren haben Konzepte wie die Andropause oder das partielle Androgendefizit des alternden Mannes (PADAM) der Vorstellung von „Wechseljahren“ beim Mann zu großer Aufmerksamkeit verholfen. Neuere Forschungen haben die Frage aufgeworfen, wann, wo und warum diese Vorstellungen bzw. Konzepte auftauchten und für deren Beantwortung die Integration von geschichts- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen vorgeschlagen. Der vorliegende Artikel versteht sich als Beitrag hierzu. Er beleuchtet die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts als einen Zeitraum, der für die Herausbildung des modernen, endokrinologisch geprägten Verständnisses des Klimakteriums bzw. der Menopause von entscheidender Bedeutung war. Gleichzeitig gab es mehrere Initiativen, das Klimakterium als neue diagnostische Einheit für Gesundheitsprobleme von Männern im mittleren und höheren Alter zu fassen. Besondere Bedeutung kommt hierbei dem Berliner Nervenarzt Kurt Mendel zu, der 1910 einen maßgeblichen Aufsatz mit dem Titel „Die Wechseljahre des Mannes (Climacterium virile)“ veröffentlichte und damit auf beträchtliches Interesse stieß. Mendels Ausführungen wurden quer durch die medizinischen Fachgebiete, einschließlich Neurologie, Psychiatrie, Sexualwissenschaft, Endokrinologie und Urologie, vielfach diskutiert. Dieser Artikel greift Mendels Konzept des männlichen Klimakteriums auf, analysiert seine spezifische Stellung und Aussagekraft, und ordnet es in den historischen Kontext ein. Weiterhin wird dargelegt, dass historische Kenntnisse und Herangehensweisen auch für ein differenzierteres Verständnis der aktuellen Argumente für oder gegen die Anerkennung einer klimakterischen Periode beim Mann unverzichtbar sind.
Abstract
Since the 1990s, with concepts like the male climacterium, andropause or PADAM, the idea of a“change of life” in men has gone through a spectacular reinvention. Recent research has focused upon the ways when, how and why these concepts emerged, thus taking cultural and historical approaches into account. This paper contributes to the growing corpus of such works. It sheds new light on the early decades of the twentieth century – a period that was decisive in establishing the modern, endocrinological understanding of the climacteric period as a result of hormonal deficiencies. Concurrently, this period saw several initiatives to conceptualize the male climacterium as a new and important diagnostic entity for health problems of men in their middle and later life. In Germany, the most important advocate was the Berlin neurologist Kurt Mendel, who published an influential article in 1910 entitled “The Change of Life in Men (Climacterium virile)”. Mendel’s concept evoked considerable interest and was much debated across medical disciplines, including neurology, psychiatry, sexology, endocrinology and urology. This article revisits and reassesses Mendel’s concept of the male climacterium, discusses its specific status and significance, and places it within the historical context. Furthermore this, the paper argues that a historical approach is indispensable for a more nuanced understanding of the current arguments given to legitimize (or delegitimize) the status of a climacteric period in men.
Notes
Ich danke Herrn Prof. Dr. Wolfgang Schönpflug (Berlin), der mir bei der Auffindung von biographischen Informationen zu Emanuel und Kurt Mendel behilflich war und mir Einblick in unveröffentlichte Schriften von Kurt Mendel ermöglichte.
Mendel, Climacterium virile (1910), 1124. Emanuel Mendels Beschäftigung mit dieser Thematik spiegelt auch ein Eintrag in dessen viel beachtetem psychiatrischen Lehrbuch wider: „Auch bei Männern“, so hieß es in seinem 1902 veröffentlichten Leitfaden der Psychiatrie, „kann man von klimakterischen Psychosen sprechen“. Emanuel Mendel: Leitfaden der Psychiatrie. Stuttgart 1902, 91.
Brief Freud an Fließ, 1. März 1896: Eine eingehendere Untersuchung der „männlichen Menopause“ beziehungsweise des männlichen Klimakteriums (Freud verwendete diese Begriffe synonym) ist in der Folge weder von Fließ noch von Freud bekannt.
Als wichtigste Veränderung seit seiner Erstpublikation aus dem Jahr 1910 erachtete Mendel die Durchsetzung der endokrinologischen Begründung des Klimakteriums: „Zu der Zeit, als ich meine ausführliche Abhandlung über die männlichen Wechseljahre schrieb, war die Lehre von den Drüsen mit innerer Sekretion noch in den Kinderschuhen; inzwischen ist sie zu einem großen vielästigen Baum ausgereift, ihre Bedeutung wird mehr und mehr erkannt und erforscht, in letzter Zeit, die nun alles auf die inkretorischen Drüsen zurückzuführen sucht, wohl auch überschätzt.“
1931 erhielt Marañón den ersten Lehrstuhl für Endokrinologie an der Universität Complutense Madrid.
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Hofer, HG. Männer im kritischen Alter. Urologe 50, 839–845 (2011). https://doi.org/10.1007/s00120-011-2559-x
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