Zusammenfassung
„Patient Blood Management“ ist ein multimodales Konzept mit den Zielen, eine Anämie zu erkennen, zu vermeiden und zu therapieren, die Hämostase zu optimieren, den iatrogenen Blutverlust zu minimieren und eine patientenzentrierte Entscheidung zum optimalen Einsatz allogener Blutprodukte zu treffen. Obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits im Jahr 2010 Patient Blood Management als neuen Standard empfohlen hat, setzen viele Krankenhäuser Patient Blood Management im klinischen Alltag noch gar nicht oder unzureichend um. Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie fordern daher, dass i) alle an der Behandlung Beteiligten wesentliche Aspekte von Patient Blood Management unter Berücksichtigung lokaler Bedingungen umsetzen und ii) gleichzeitig die strukturellen, administrativen und budgetären Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen geschaffen werden, um möglichst viele der Maßnahmen in Deutschland zukünftig noch besser und intensiver umzusetzen.
Abstract
Patient blood management is a multimodal concept that aims to detect, prevent and treat anemia, optimize hemostasis, minimize iatrogenic blood loss, and support a patient-centered decision to provide optimal use of allogeneic blood products. Although the World Health Organization (WHO) has already recommended patient blood management as a new standard in 2010, many hospitals have not implemented it at all or only in part in clinical practice. The German Society of Anaesthesiology and Intensive Care Medicine and the German Society of Surgery therefore demand that i) all professionals involved in the treatment should implement important aspects of patient blood management considering local conditions, and ii) the structural, administrative and budgetary conditions should be created in the health care system to implement more intensively many of the measures in Germany.
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Einleitung
In Deutschland werden jährlich über 16 Mio. operative Eingriffe durchgeführt. Eine zunehmende Anzahl stellen große operative Eingriffe mit entsprechend hohem Risiko für perioperative Blutverluste mit entsprechenden Bluttransfusionen dar. Erythrozytenkonzentrate (EK) sind heute in Deutschland aufgrund eines umfassenden Blutspenderscreenings und der modernen Herstellungsmethoden so sicher wie nie zuvor. Dennoch stellt die Transfusion zellulärer Blutpräparate eine „Transplantation des flüssigen Organs Blut“ dar. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen von EK umfassen u. a. die allergische, die febrile nichthämolytische und die akute hämolytische Transfusionsreaktion und die transfusionsassoziierte Lungeninsuffizienz. Zudem können Fehltransfusionen durchgeführt und extrem selten trotz hoher Sicherheitsbemühungen Viren, Parasiten oder Prionen übertragen werden [1].
Demografische Veränderungen mit der Zunahme älterer Mitbürger führen in Zukunft zum Anstieg behandlungspflichtiger Erkrankungen und einer zunehmenden Zahl operativ zu versorgender Patienten. Damit steigt der Bedarf an Blut an, während die Bereitschaft zur Blutspende in Deutschland durchaus beworben werden muss [2]. Auch aus diesen Gründen muss mit der wertvollen Ressource Blut so verantwortungsvoll wie möglich umgegangen werden.
Die Transfusion von EK zählt weltweit zu den fünf häufigsten potenziell vermeidbaren medizinischen Maßnahmen [3]. Daher werden sich Anästhesiologe und Chirurg zukünftig den besonderen Herausforderungen der Diagnostik einer präoperativen Anämie, vermeidbaren Blutverlusten und vermeidbaren Transfusionen allogener Blutprodukte stellen müssen, um die Sicherheit der Patienten weiter zu verbessern.
Was ist Patient Blood Management?
Die WHO empfiehlt seit 2010 offiziell allen Mitgliedstaaten die Implementierung eines sogenannten Patient Blood Managements (PBM). Dieses PBM-Konzept stellt den Patienten in den Mittelpunkt der Behandlung, nicht Blutprodukte und ihre Verwendung. PBM ist ein interdisziplinärer, multimodaler Ansatz, um die Behandlung von Patienten zu optimieren ([4]; Tab. 1).
Im Wesentlichen fokussiert PBM im gesamten stationären Ablauf auf
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Prävention und Management einer Anämie,
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Prävention und/oder Optimierung einer Koagulopathie,
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Einsatz umfassender interdisziplinärer Maßnahmen zur Vermeidung und/oder Reduktion unnötiger Blutverluste, und
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eine patientenzentrierte Entscheidungsfindung zum optimalen Einsatz allogener Blutprodukte.
Die drei unabhängigen Risiken
1. Risiko: Anämie
Präoperativ liegt bei etwa 30 % nicht-herzchirurgischer Patienten eine Anämie als unabhängiger Risikofaktor für EK-Transfusionen, Komplikationen und postoperative Sterblichkeit vor [5, 16]. Demzufolge sind Anämiediagnostik und (wenn medizinisch umsetzbar) Anämietherapie wesentliche Bausteine des PBM. Da bei vielen dieser Patienten der Anämie ein behandelbarer Eisenmangel zugrunde liegt, ist grundsätzlich die frühzeitige Identifizierung (2–4 Wochen präoperativ) anämischer Patienten und/oder Patienten mit Eisenmangel entscheidend. Aber auch bei einem kürzeren Zeitintervall bis zur Operation sollte eine Anämie präoperativ diagnostiziert und behandelt werden, um postoperativ, wenn notwendig, einen rascheren Hämoglobinanstieg zu ermöglichen. Die demnächst erscheinende AWMF-S3-Leitlinie „Präoperative Anämie“ geht auf weitere detaillierte Empfehlungen ein [17].
2. Risiko: Blutverlust
Die Prävention und Minimierung von unnötigen Blutverlusten ist essenziell, um der im Krankenhaus erworbenen Anämie entgegenzuwirken.
Hierzu sollten folgende Ziele verfolgt werden:
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Reduktion der Anzahl der Blutentnahmen auf das notwendige Minimum,
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Verwendung von Blutentnahmeröhrchen mit dem kleinsten für die Analyse ausreichenden Volumen (z. B. Nutzung kleinerer Monovettengrößen bzw. geringere Füllung der Monovetten),
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Vermeiden des „Verwerfens“ verdünnter Blutreste in Entnahmespritzen durch geschlossene Blutentnahme-Systeme.
Weitere wichtige Einzelmaßnahmen des PBM zur Reduktion von unnötigen Blutverlusten sind:
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standardisierte präoperative Prozeduren, die potenzielle Gerinnungsstörungen definieren (z. B. Fragebögen zur Gerinnungsanamnese, Standard Operating Procedures für das periinterventionelle Vorgehen bei Einnahme von Antikoagulanzien und/oder Thrombozytenaggregationshemmern),
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Einhalten bzw. konsequente Korrektur physiologischer Rahmenbedingungen der Hämostase (z. B. Körpertemperatur, ionisiertes Kalzium, pH-Wert),
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Antagonisierung antikoagulatorischer Medikamentenwirkungen,
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Einsatz bettseitig verfügbarer Gerinnungsdiagnostik (inkl. Hämotherapiealgorithmen),
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zielgerichtetes Gerinnungsmanagement (mit Verwendung von Gerinnungsfaktorkonzentraten),
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die kalkulierte Verwendung von Antifibrinolytika oder Desmopressin unter Berücksichtigung der medizinischen Möglichkeiten.
Die umsichtige Verwendung von den Blutverlust minimierenden chirurgischen Techniken, der Einsatz maschineller Autotransfusion sowie die Tolerierung einer kontrollierten Hypotension bei Patienten mit akuter Blutung sind weitere wichtige Maßnahmen, um das Ausmaß des intraoperativen Blutverlusts zu verringern.
3. Risiko: Transfusion
Ziele einer EK-Transfusion sind die Sicherstellung eines suffizienten globalen Sauerstoffangebots und die Vermeidung potenzieller Komplikationen, welche mit einer akuten Anämie einhergehen könnten. Die Transfusion stellt aber die „ultima ratio“ der Anämiebehandlung dar, wenn zuvor eine kausale Anämiebehandlung nicht möglich oder nicht ausreichend war. Die Querschnittsleitlinien der Bundesärztekammer geben Kriterien für die Indikationsstellung zur EK-Transfusion vor und müssen umgesetzt werden [18]. Wenn die EK-Transfusion bei nicht aktiv/akut blutenden Patienten indiziert ist, sollte in der Regel nur ein einzelnes EK verordnet werden. Zusätzlich muss die Indikation zur Transfusion aber auch patientenspezifische Faktoren (z. B. Alter, Diagnose, Komorbidität), Laborwerte (z. B. Hämoglobinkonzentration, Thrombozytenzahl, Gerinnungstests), das Vorhandensein einer Koagulopathie und definierte physiologische Faktoren (Sauerstoffversorgung und hämodynamischer Status) berücksichtigen. Unklar bleibt zum jetzigen Zeitpunkt, ob kardiovaskuläre Risikopatienten, geriatrische oder onkologische Patienten von einem höheren Transfusionstrigger als dem derzeit empfohlenen Trigger profitieren. Hier bedarf es noch eines klinischen Korridors für eine ärztliche Ermessensentscheidung.
Um die Verwendung von Blutprodukten im Alltag zu optimieren und den anfordernden Arzt zu Zwecken der Qualitätskontrolle zu unterstützen, ist ein EDV-gestütztes Anforderungssystem mit integriertem Behandlungs- und Entscheidungsalgorithmus (z. B. Anzeigen von Laborergebnissen, Warnhinweisen) von Vorteil [19].
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Interessenkonflikt
P. Meybohm und K. Zacharowski erhielten finanzielle Förderungen von B. Braun Melsungen, CSL Behring, Fresenius Kabi und Vifor Pharma für eine Investigator-initiierte Studie zur Implementierung des Patient-Blood-Management-Programms in vier Universitätsklinika. T. Schmitz-Rixen, A. Steinbicker und W. Schwenk geben an, dass kein Interessenskonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
Additional information
Unter maßgeblicher Mitarbeit von Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI): Patrick Meybohm, Frankfurt am Main; Andrea Steinbicker, Münster; Kai Zacharowski, Frankfurt am Main
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH): Thomas Schmitz-Rixen, Frankfurt am Main; Wolfgang Schwenk, Hamburg
Gleichzeitige Publikation in: Anästhesiologie & Intensivmedizin, Aktiv Druck und Verlag GmbH Ebelsbach; Der Chirurg, Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberg
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Meybohm, P., Schmitz-Rixen, T., Steinbicker, A. et al. Das Patient-Blood-Management-Konzept. Chirurg 88, 867–870 (2017). https://doi.org/10.1007/s00104-017-0506-0
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00104-017-0506-0