Zusammenfassung
Hintergrund
Die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) von 2005 wurden durch das „Gesetz zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften“ vom 20. Juli 2007 in deutsches Recht überführt und mittels eines Durchführungsgesetzes (IGV-DG) inhaltlich genauer ausgestaltet. Somit müssen „benannte Flughäfen“ („designated airports“) Kernkapazitäten zum Schutz vor gesundheitsriskanten Bedrohungslagen vorhalten und sogenannte IGV-Übungen durchführen.
Ziel der Arbeit
Darstellung der Optimierung etablierter Einsatzkonzepte unterschiedlichster Professionen zum Management infektionsbiologischer Bedrohungslagen ohne Behinderung des internationalen Reiseverkehrs und Vermittlung von Erfahrungswerten an Akteure in IGV-Verantwortlichkeit.
Material und Methoden
Basierend auf einem kombiniertem Übungskonzept wurde am 11. November 2013 erstmals in der Bundesrepublik Deutschland eine IGV-Übung anhand des Fallszenarios einer reiseassoziierten fiebrigen Erkrankung an einem „benannten Flughafen“ unter Einbindung aller relevanten Akteure durchgeführt. Der Zeitraum für die Organisation der gesamten Übung umfasste sechs Monate, die Übung an sich 12 h und die Nachbereitungszeit neun Monate. Nachfolgend wurde sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Evaluation des Übungsgeschehens bewerkstelligt.
Ergebnisse
Grundsätzlich erwiesen sich modulare Arbeitsstrukturen und die Risikokommunikation aus individual- und bevölkerungsmedizinischer Sicht als funktionsadäquat. Optimierungsbedürftig waren die An- und Abfahrtszeiten involvierter flughafenexterner Akteure, der Transport der Indexpatientin zum versorgenden Krankenhausund der Individualschutz einzelner Einsatzkräfte. Hingegen konnte die Umgebungsuntersuchung bei den Mitreisenden zielführend ausgestaltet werden. In der Gesamtsicht konnte ein definiertes biologisches Bedrohungsszenario basierend auf einer Doppelinfektion mit zwei hochpathogenen Krankheitserregern ohne Beeinträchtigung des internationalen Luftverkehrs zufriedenstellend bearbeitet werden.
Schlussfolgerungen
Modulare Versorgungskomponenten sind bei Bedrohungsszenarien im internationalen Flugreiseverkehr zielführend und zukunftsweisend. Innerhalb des Einsatzgeschehens sind eine zeitnahe Mobilität, ein funktionstüchtiger Selbstschutz unmittelbar involvierter Akteure nebst der Risikokommunikation und vor allem eine koordinierende Begleitung der Gesamtsituation von herausragender Bedeutung.
Abstract
Background
The International Health Regulations (IHR) 2005 were conformed to German law on July 20, 2007 and described in detail by the Implementing Act (IHR DG). According to these legal bases, “designated airports” must maintain special capacities for protection against health threats, and are also responsible for performing regular IHR exercises.
Objectives
Representation of the optimization of established operational concepts of various professions to manage infectious biological threats without obstruction of international travel, and mediation of experience to IHR professionals.
Materials and methods
An exercise based on the case scenario of a travel-related febrile illness was performed at Munich International Airport on November 11, 2013. Preparations took 6 months and the exercise itself lasted nearly 12 h. The follow-up lasted an additional 9 months. A qualitative and quantitative evaluation of the exercise was completed.
Results
From an Individual Medicine and Public Health perspective, modular work structures and risk communication functioned adequately. The medical examination of passengers was also well managed. Areas requiring further optimization included arrival/departure times of external actors, transport of the index patient to hospital and protective measures for individual participants. Overall, a defined biological threat scenario representing a double infection with two highly pathogenic germs was handled satisfactorily without affecting international air travel.
Conclusions
Modular supply components are an effective and forward-looking means in protection against threats occurring at airports. Key success factors include sufficient staff mobility, immediate self-protection of actors involved, effective risk communication and a strong overall coordination and monitoring of the situation.
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Danksagungen
Der Deutschen Lufthansa AG gebührt ein besonderer Dank für die Bereitstellung von konzerneigenem Personal und für die unbürokratische Bereitstellung eines Großraumflugzeuges vom Typ Airbus A340–600. Ebenso wollen wir an dieser Stelle unseren Dank an die Komparsen und die Einsatzkräfte der Hilfsorganisationen, Behörden, Institutionen und Firmen aussprechen. Für die großzügige Verpflegung aller Mitwirkenden sorgte die Flughafen München GmbH samt ihrer Werksfeuerwehr.
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Interessenkonflikt
H. Stich, W. Guggemos, A. Mühlhaus, B. Wicklein, J. Dietl, A. Hoffmann, J. Leiwering, D. Frangoulidis, S. Zange, B. Königstein und S. Ippisch geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag enthält keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Stich, H., Guggemos, W., Mühlhaus, A. et al. Übungsszenario für eine hochkontagiöse, lebensbedrohliche Erkrankung in der interkontinentalen Personenluftfahrt. Bundesgesundheitsbl. 58, 686–698 (2015). https://doi.org/10.1007/s00103-015-2163-0
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Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00103-015-2163-0
Schlüsselwörter
- Internationale Gesundheitsvorschriften
- Risikomanagement
- Risikokommunikation
- Grenzübergangsstellen
- Viral hämorrhagisches Fieber