8.17.1 Empfehlungen

Empfehlungen siehe Tab. 1.

Tab. 1 Welche Patienten sollten mit welcher Medikation konservativ behandelt werden?

8.17.2 Literatur (Leitlinien, Reviews, Studien), Bewertung der Evidenz und offene Fragen

Leitliniensynopse: AkdÄ (1999) [1]: Patienten mit asymptomatischer Stenose < 60% oder symptomatischer Stenose < 70% profitieren nicht von einer Operation. Der Nutzen einer Prophylaxe mit TFH ist bei asymptomatischen Stenosen nicht gesichert. In der Sekundärprophylaxe nach TIA oder leichtem Insult senkt ASS das Risiko für TIA und Reinsulte (Morbiditätssenkung) zwischen 20 und 30%. Eine Dosis von 50 bis 300 mg ASS/Tag bietet das beste Nutzen-Risiko-Verhältnis. Zur Primärprophylaxe des Schlaganfalls mit Clopidogrel oder Ticlopidin liegen keine Untersuchungen vor. Die Sekundärprophylaxe mit Ticlopidin wurde in zwei großen kontrollierten Studien geprüft. Ticlopidin ist nach den Ergebnissen einer placebokontrollierten Studie nach vollendetem Schlaganfall mit bleibenden neurologischen Ausfällen wirksam. In der Prophylaxe nach TIA und leichtem Schlaganfall konnte eine Überlegenheit von Ticlopidin gegenüber hochdosierter ASS (1.300 mg/Tag) für die ersten 2 Jahre nachgewiesen werden.

New Zealand (2006) [2]: Folgende Patienten profitieren nicht von einer Operation: in der Sekundärprophylaxe Patienten mit akutem ischämischen Schlaganfall (Level C), symptomatische Stenose < 50% (Level A) und Patienten mit asymptomatischer Stenose ohne Risikofaktoren wie z. B. Stenoseprogredienz (Level A). Zur medikamentösen Behandlung liegen nur Empfehlungen zur Sekundärprophylaxe vor: Die meisten Patienten profitieren von einer Statintherapie (Level B); alle Patienten sollten – sofern keine Kontraindikation vorliegt – ASS 75–150 mg (Level A?) nach Ausschluss intracranieller Blutung mittels CCT (Level C) einnehmen. Als Alternative zu ASS kann Clopidogrel (bei höheren Kosten) gegeben werden (Level A). Die Kombination von ASS und Clopidogrel ist noch nicht ausreichend getestet. Siehe Tab. 21 in der Onlineversion unter http://www.awmf.org.

DGN/DSG (2003/2005/2008) [3]: Als unwirksame Therapien werden bezeichnet: CEA oder CAS bei < 50% Stenosen, CEA bei Patienten mit schweren, zur Behinderung führenden Schlaganfällen, unkontrollierter Hypertonie oder kurzer Lebenserwartung. Der Nutzen einer Operation ist oberhalb einer Komplikationsrate von > 6% nicht mehr vorhanden. Es gibt keine spezifischen Empfehlungen für Patienten mit Carotisstenose, die nichtinvasiv behandelt werden. Es gibt allgemeine Empfehlungen zur Risikofaktorenmodifikation und Sekundärprävention (TFH, Statine). Siehe Tab. 19 in der Onlineversion unter http://www.awmf.org.

AHA (2006, 2008, 2009, 2011) [4, 5]: Bei einem Stenosegrad < 50% wird keine Interventionsindikation gesehen (Tab. 11 in der Onlineversion unter http://www.awmf.org).

Society for Vascular Surgery 2011 [6]: Bei neurologisch asymptomatischen Patienten mit einer < 50%igen Carotisstenose wird eine optimale medikamentöse Therapie empfohlen. Eine CEA oder CAS ist in dieser Situation nicht indiziert (Grade 1, LoE B, Tab. 14 in der Onlineversion unter http://www.awmf.org).

Weitere Leitlinienempfehlungen zur medikamentösen Begleittherapie asymptomatischer Stenosen sind in Kapitel 8.2.2.1, die zur Begleittherapie für Patienten mit symptomatischer Carotisstenose in Kapitel 8.2.3.1 wiedergegeben.

Systematische Reviews: entfällt.

RCTs und sonstige Studien: entfällt.

Bewertung der Evidenz und offene Fragen: In die Studien zur CEA asymptomatischer Carotisstenosen wurden nur Patienten mit einer wenigstens 60%igen Stenose aufgenommen [7]. Formal kann daher zur Effektivität der Operation noch geringgradiger asymptomatischer Carotisstenosen keine Aussage getroffen werden. Ein signifikanter Vorteil der CEA bei asymptomatischen Stenosen ergibt sich erst nach mehreren Jahren (ca. 5), für Frauen sogar erst nach noch längerer Zeitspanne [8]. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass Patienten mit einer kürzeren Lebenserwartung von der primärpräventiven CEA profitieren. Dies wird auch durch die Ergebnisse der SAPPHIRE-Studie gestützt. In diese Studie wurden Patienten mit einem erhöhten Operations- und Narkoserisiko eingeschlossen, die entweder eine symptomatische Stenose ≥50%NASCET oder eine asymptomatische Stenose ≥80%NASCET aufwiesen [9]. Insgesamt 71% der 334 randomisierten Patienten waren neurologisch asymptomatisch. Der primäre Endpunkt – Häufigkeit eines schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignisses (Tod, Schlaganfall oder Myokardinfarkt) innerhalb eines Monats oder Tod oder ipsilateraler Schlaganfall innerhalb eines Jahres – trat bei 12,2% der CAS und 20,1% der CEA-Patienten auf (p = 0,05). Das periprozedurale Risiko für Schlaganfall oder Tod unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht (4,8% vs. 5,4%). Berücksichtigt man den natürlichen Verlauf von Patienten mit asymptomatischer hochgradiger Stenose (> 80%) mit einer jährlichen Schlaganfallrate von 2 bis 4% und einer jährlichen Mortalität von etwa 5% (zumeist durch nicht Schlaganfallereignisse) so wird deutlich, das nach den SAPPHIRE-Resultaten für Patienten mit asymptomatischer Stenose beide Therapieoptionen als gefährlich interpretiert werden können.

In die operativen Studien (ECST, NASCET) zu symptomatischen Carotisstenosen wurden auch Patienten mit nur geringgradigen Stenosen aufgenommen. Aus der gemeinsamen Auswertung geht deutlich hervor, dass Männer mit Stenosen < 50%NASCET und Frauen < 70%NASCET von der CEA im Vergleich zur konservativen Therapie nicht profitieren [10]. Des Weiteren wurden nur selektierte Patienten ohne schwerwiegende Behinderung oder internistische Begleiterkrankung in die randomisierten Studien aufgenommen. Ob auch Patienten mit behinderndem Schlaganfall profitieren, ist formal nicht untersucht. In der CASIS-Studie wurden 160 Patienten mit einem Wert von wenigstens 2 auf der Rankin-Skala innerhalb von 6 Wochen nach Schlaganfallereignis an einer symptomatischen Carotisstenose operiert. Das periprozedurale Risiko für Schlaganfall und Tod betrug 6,7% [11]. Allerdings hat diese Studie keine Kontrollgruppe und Langzeitdaten wurden ebenfalls nicht erhoben. Aus anatomischen Gründen ist jedenfalls deutlich, dass Patienten mit einem Infarkt im gesamten von der erkrankten A. carotis versorgten Hirnareal von einer prophylaktischen Intervention nicht profitieren können.

Zur primärpräventiven konservativen Behandlung von Patienten mit arteriosklerotischer Carotisstenose liegen keine randomisierten Studien vor (s. auch Kapitel 8.2.2.1). Diese Patienten sind jedoch vaskuläre Risikopatienten, die entsprechend behandelt werden sollten. Eine konsequente Risikofaktorenmodifikation ist anzustreben. Hierzu gehören neben Lebensstilmodifikationen wie Verzicht auf Nikotin, Normalisierung des Körpergewichts und ausreichend körperliche Aktivität zumeist auch medikamentöse Maßnahmen beispielsweise zur Behandlung der arteriellen Hypertonie, von Lipidstoffwechselstörungen und des Diabetes mellitus. Der Nutzen einer Prophylaxe mit TFH ist bei asymptomatischen Stenosen nicht gesichert, bei Männern wird das Herzinfarktrisiko, aber nicht das Schlaganfallrisiko reduziert. Eine orale Antikoagulation von Patienten mit arteriosklerotischer Carotisstenose bringt einer Subgruppenanalyse der WARSS (Warfarin-Aspirin Recurrent Stroke Study) keinen Vorteil gegenüber einer ASS-Therapie. Diese Subgruppe umfasste allerdings nur 259 Patienten [12].

Die mittel- und langfristige Sekundärprävention sollte sich bei Patienten mit arteriosklerotischer Carotisstenose vor allem in Bezug auf die Risikofaktorenmodifikation nicht von anderen Schlaganfallpatienten unterscheiden. Hierzu sei auf die entsprechenden Leitlinien der DGN und DSG verwiesen.

Methodenkritik/offene Fragen: Die medikamentöse Primärprävention von Patienten mit asymptomatischer Carotisstenose oder solchen mit symptomatischer Carotisstenose und geringem Rezidivrisiko ist nicht hinreichend untersucht. Es ist daher notwendig, in laufenden Studien zu asymptomatischen Stenosen einen konservativen Arm mit konsequenter konservativer Risikofaktorenmodifikation zu integrieren.