Xenon ist das mit Abstand umweltfreundlichste, aber auch teuerste Anästhetikum, das aktuell auf dem deutschen Markt erhältlich ist. Die fehlende Umweltbelastung dieses natürlich vorkommenden Edelgases stellt einen deutlichen Vorteil gegenüber den halogenierten Inhalationsanästhetika und auch gegenüber Lachgas dar. Bei den intravenös verabreichten Substanzen scheidet zwar eine Belastung der Atmosphäre gleichermaßen aus, jedoch geben hier renal ausgeschiedene Stoffwechselprodukte immer wieder Anlass zur Sorge.

Für den Patienten liegen die Vorteile Xenons insbesondere in der kardiovaskulären Stabilität. Wie diverse Untersuchungen zeigen, besitzt Xenon praktisch keine Nebenwirkungen auf Parameter wie den arteriellen Druck, das Herzminutenvolumen oder den peripheren Gefäßwiderstand. Dies ist speziell bei kardialen Risikopatienten ein Vorteil. Ob diese günstigen Eigenschaften letztlich der Substanz selbst geschuldet sind oder der Tatsache, dass unter normobaren Bedingungen Wirkkonzentrationen oberhalb von 1 MAC praktisch nicht zu erreichen sind (und damit direkte Vergleiche mit anderen, potenteren Anästhetika erschwert sind), sei hier sekundär.

Tatsache ist allerdings auch, dass bei einem aktuellen Marktpreis von etwa EUR 20/l Gasnarkosen mit Xenon auf wirtschaftlicher Basis unmöglich sind. Es ist mit einem Verbrauch von ca. 10 l/Narkose zu rechnen; die früher einmal angedachte Rückgewinnung des Edelgases erweist sich als nicht praktikabel. Diese Kalkulation berücksichtigt noch nicht die Mehrkosten, die durch die Beschaffung ausgeklügelter Narkosegeräte zur möglichst ökonomischen Applikation zusätzlich anfallen.

Diese Rahmenbedingungen sind nun seit Langem wohl bekannt. Exakt vor 10 Jahren beschäftigte sich bereits ein Leitthema in dieser Zeitschrift ausführlich mit Xenon [1]. Die Autoren Reyle-Hahn u. Rossaint kamen damals zu dem Schluss, dass sich, bedingt durch die begrenzte Verfügbarkeit und den hohen Preis, klare medizinische Indikationen für die Durchführung von Xenonanästhesien auf breiterer Basis ergeben müssten.

Ein Hindernis für die Identifikation spezifischer sinnvoller Indikation hatte damals noch in der fehlenden klinischen Zulassung bestanden – beschränkte dies doch die Anwendung auf eine limitierte Zahl kontrollierter Studien. Dies ist nun seit einigen Jahren anders: Sowohl in Deutschland als auch in der Europäischen Union hat Xenon die Zulassung für die Durchführung von Allgemeinanästhesien erhalten. Geändert hat dies am klinischen Einsatz jedoch nicht viel: Der Weltmarktpreis ist seitdem vielmehr gestiegen; eindeutige Indikationen haben sich immer noch nicht ergeben. Entsprechende Ernüchterung, sollte sie sich denn bei dem einen oder anderen Anästhesisten eingestellt haben, räumt der neue Leitartikel zu Xenon in diesem Heft von Der Anaesthesist rasch aus dem Weg.

Vor allem sind es die momentan im Labor erzielten Ergebnisse zu Xenon, die zu vielversprechend sind, um von einer weiteren Erforschung potenzieller klinischer Einsatzgebiete abzusehen. Genau hierin liegt nun das Verdienst der Autoren dieses Leitartikels, indem sie einerseits zwar klar feststellen, dass der breite Einsatz von Xenon in der klinischen Anästhesie nach wie vor nicht zur Diskussion steht. Sie zeigen aber gleichzeitig ebenso umfassend wie einleuchtend, dass es künftig eine ganze Reihe von Einsatzgebieten geben könnte, bei denen Patienten vom Einsatz von Xenon profitieren. Diese beziehen sich hier v. a. auf den weiten Bereich der Organprotektion.

Das Literaturverzeichnis der Arbeit von Brücken et al. [2] belegt eindrucksvoll, dass sich gerade die Arbeitsgruppe zu Xenon an der Klinik in Aachen seit Langem äußerst intensiv und erfolgreich mit der Materie beschäftigt hat. Diese und natürlich auch andere haben in den vergangenen Jahren hochinteressante experimentelle Daten erhoben. Und eben diese Daten legen heute nahe, in einem nächsten Schritt „from bench to bedside“ den Transfer zum Patienten in Angriff zu nehmen. Damit lässt der Beitrag auch erahnen, in welche Richtung sich die Forschung zu Xenon in der nahen Zukunft wohl bewegen wird.

Es bleibt also weiterhin spannend auf dem Gebiet der Anästhesie mit Xenon. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass sich weltweit im Bereich der Organprotektion eine Vielzahl weiterer mächtiger Mitspieler tummelt. Erwähnt werden nur die halogenierten Inhalationsanästhetika, die – wie Xenon – ebenfalls kardio-, zerebro- und nephroprotektive Eigenschaften aufweisen.

Letztlich wird sich in diesem Wettbewerb in den kommenden Jahren zeigen, ob es tatsächlich eine klinisch relevante „anästhesiologische“ Organprotektion gibt und wie diese am besten auszulösen ist. In diesem Sinn lenkt der aktuelle Leitartikel daher auch den Blick in eine extrem spannende Zukunft. Es gibt weiterhin viel zu tun. Wir müssen es nur anpacken.

P. Conzen