Zusammenfassung
Die vorliegende Replik thematisiert den Beitrag Die Politik der Radikalisierung, in der Hendrik Hegemann eine erzähltheoretische Analyse des Leitbegriffs der „Radikalisierung“ präsentiert. Ungeachtet der offenkundigen Qualität steht die Analyse in paradigmatischer Weise für zwei grundlegende methodologische Tendenzen, die die politikwissenschaftliche Narratologie gegenwärtig kennzeichnen: zum einen eine immer stärkere Schematisierung der Erzähltheorie in Richtung eines analytischen Ansatzes, und zum anderen eine defensive Grundhaltung im Hinblick auf politikwissenschaftliche Anliegen, die über Rekonstruktionen hinausgehen. Die vorliegende Replik befasst sich kritisch mit den Implikationen dieser beiden Tendenzen und konfrontiert sie mit einer methodologischen Haltung, die den kreativen Charakter und das interpretative Erklärungspotenzial erzähltheoretischer Analysen herausstreicht.
Abstract
This comment relates to the article Die Politik der Radikalisierung in which Hendrik Hegemann presents a narratological analysis of the notion of “radicalisation”. Irrespective of its evident quality, the analysis represents two methodological tendencies which characterise current applications of narratology within political science more generally: on the one hand, an increasing schematization of the narratological ontology for the sake of formulating an analytical approach, and, on the other hand, a defensive stance towards research aims that go beyond reconstructions. This comment discusses these two tendencies from a critical point of view in order to argue for a methodological position which emphasises the creative character and the potential for interpretive explanations of narratological analyses.
Notes
Ich bediene mich im Folgenden einer zugegebenermaßen holzschnittartigen Gegenüberstellung zwischen kulturtheoretisch-konstruktivistischen Zugängen mit interpretativer Methodologie einerseits und naturalistischen Zugängen mit positivistischer Methodologie andererseits.
Für den Bereich der Policy-Forschung sei hier exemplarisch auf das Social Construction Framework oder das Narrative Policy Framework hingewiesen (grundlegend für beide – erneut – „Ansätze“ siehe die jeweiligen Beiträge in Sabatier und Weible 2014).
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Barbehön, M. Politikwissenschaftliche Narrativanalyse zwischen Schematismus und Zurückhaltung: Eine Replik zum Beitrag „Die Politik der Radikalisierung“. Z Friedens und Konflforsch 8, 61–69 (2019). https://doi.org/10.1007/s42597-019-00008-x
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