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Dankbarkeit in dichten und losen Gemeinschaften

Gratitude in thick and loose societies

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Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Dankbarkeit erfreut sich uneingeschränkter Hochschätzung. Es soll hier zur Probe dem Gedanken nachgegangen werden, Dankbarkeit sei allenfalls eingeschränkt als gut zu beurteilen. Die positive Bewertung der Dankbarkeit steht, so die Vermutung, unter der sozialontologischen Voraussetzung einer fortgeschrittenen Vereinzelung der Menschen.

Abstract

Gratitude is usually considered as something positive. However, it can be argued that gratitude is praiseworthy only as long as we presuppose a society where individuals are separated to a considerable degree, that is, a society of more or less atomized individuals.

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Notes

  1. „…moral philosophers … generally denounce ingratitude in the harshest terms… Yet on the nature of gratitude they are less eloquent, and what little they do say is often as puzzling as it is illuminating.“ (Walker 1980, 39). Den Mangel analytischer Durchdringung des Dankbarkeitsbegriffs beklagt bereits Berger (1975, 245).

  2. Einen vorzüglichen Überblick über den Stand der Forschung gibt Manela (2019a); vgl. zu Fragen der begrifflichen Bestimmung des Begriffs „Dankbarkeit“ auch Nisters (2012, Teil II); eine mehr als hilfreiche Zusammenschau der jüngsten Arbeiten zum Thema bieten Gulliford/Morgan/Kristjánsson (Gulliford et al. 2021).

  3. Möglicherweise würden in diesem Zusammenhang weitere philosophiehistorische Grabungen vieles zutage fördern, was Walkers Behauptung 2 in noch stärkerem Maße fragwürdig machen könnte. So verweist Pickavé (2021, Anm. 3) auf die Quaestiones in secundum librum Sententiarum des Peter Olivi. In der Quaestio 57 fragt Peter Olivi, welchem Oberbegriff die Dankbarkeit als Art zu subordinieren sei.

  4. Vgl. u.a. Manela (2019b, 25).

  5. Vgl. u.a. Manela (2016); Löschke (2021); Nisters (2021).

  6. Schulmäßig gesprochen soll gezeigt werden: Dankbar zu sein ist nicht bonum simpliciter, sondern nur bonum secundum quid.

  7. Manela (2016, 131) spricht vom „Consensus View“.

  8. In der englischsprachigen Literatur wird diese zweistellige Art der Dankbarkeit als propositional gratitude (Manela 2019a, 1‑2) oder als gratitude that (Manela 2019b, 3) bezeichnet.

  9. In der englischsprachigen Literatur wird diese dreistellige Art der Dankbarkeit als propositional gratitude (Manela 2019a, 1‑2) oder als gratitude to (Manela 2019b, 3) bezeichnet. Ob es sich streng genommen um zwei Arten einer Gattung handelt, ist noch nicht abschließend geklärt. Manela neigt dazu, die zweistellige Art der Dankbarkeit vom eigentlichen Bereich der Dankbarkeit auszuschließen und sie durch den Begriff der Wertschätzung (appreciation) (Manela 2019b, 2 ff.) zu ersetzen. Nisters (2012, 37 ff.) schlägt vor, Fälle zweistelliger Dankbarkeit als verkappte Fälle dreistelliger Dankbarkeit zu deuten. Zweistellige Dankbarkeit, so Nisters, ist eine kupierte Form der dreistelligen Dankbarkeit, in welcher ein Wohltäter insgeheim mitgedacht ist. Wohltäter wären in diesen Fällen etwa Gott, das Schicksal etc.

  10. Dankbarkeit wird untersucht, insofern sie ein interpersonales Phänomen ist (vgl. Manela 2016, 130).

  11. Vgl. Berger (1975, 246 ff.); Nisters (2012, 25 ff.); Manela (2019a, Chap. 2).

  12. Darauf verweist etwa Kant (1797, § 32).

  13. Es sind hier nur die Bedingungen angeführt, mit Blick auf die eine gewisse Einstimmigkeit herrscht. Zudem sind die Bedingungen nur sehr grob und vage formuliert.

  14. „… ingratus dicitur aliquis dupliciter. Uno modo, per solam omissionem: puta quia non recognoscit, vel non laudat, vel non retribuit vices pro beneficio accepto … Alio modo dicitur aliquis ingratus, quia non solum praetermittit implere gratitudinis debitum, sed etiam contrarium agit.“ (STH II/II, 107, 3, c., vgl. Nisters (2012, 151 ff.), Manela nennt die Unterlassungsundankbarkeit non-gratitude, die aktive Undankbarkeit anti-gratitude (Manela 2019b, 17).

  15. Vgl. Manela (2016, 130) unter Auslassung von Baustein 4; Manela (2019b, 5 ff.) unter Einbindung von Baustein 4; im Grunde entwickelt bereits Thomas von Aquin die Lehre von der Mehrschichtigkeit der Dankbarkeit; vgl. STH II/II, 107, 2, c.

  16. Es dürfte (i) zu erwägen sein, Grundbaustein 3 und 4 als einen Grundbaustein mit zwei Unterbausteinen zu begreifen, denn zu sprechen ist eine Art des Handelns. Zudem dürfte es (ii) ratsam sein, diese Grundbausteine nicht einfach nebeneinander zu stellen, sondern ihre inneren Bezüge aufzuzeigen. So ergibt sich, was wir fühlen, sicher aus unseren Urteilen; und unser Handeln speist sich wiederum aus unserem Fühlen (vgl. Nisters (2012) 113 ff). Schließlich dürfte (iii) zu beachten sein, dass manche Bausteine notwendig sind, andere nicht. So kann ich dankbar sein, ohne mich doch einer tätigen Rückerstattung zu befleißigen. Umgekehrt werde ich kaum als dankbar gelten, nachdem ich nicht einmal bemerke, dass mir eine dankwürdige Wohltat erwiesen wurde.

  17. Dieses Beispiel verdanke ich Anne Herms (MA).

  18. Dieses Beispiel verdanke ich Ellen Möller (ME).

  19. Die Antwort, die ich vorschlage, ist krass überzeichnet. Ziel ist es nicht, ein treffendes und umfassendes Bild der Wohltat zu entwerfen. Ziel ist es, einen Aspekt überscharf zu akzentuieren, um ein Modell zu entwerfen, das die paradoxen Fälle kränkender Dankbarkeit erklären könnte. Die gröbsten Verzerrungen meiner methodisch intendierten Überzeichnung seien im Vorgriff genannt: (i) Eine Wohltat ist meist kein Nullsummenspiel, wie es meine Darstellung suggerieren könnte. (ii) Die Kosten der Wohltäterin sind nicht stets betragsgleich mit dem Gewinn des Wohltatempfängers. Ein kleiner Wohltataufwand mag großen oder kleinen Gewinn abwerfen. Ein großer Wohltataufwand mag großen oder kleinen Gewinn abwerfen.

  20. Technisch markiert die Wohltat einen Prozess, der einen terminus a quo und einen terminus ad quem hat.

  21. Das Güterminus entspricht den Kosten der Wohltäterin A. Einzurechnen sind alle Kosten, insbesondere Transaktionskosten und Opportunitätskosten.

  22. Der Zustand vor der Wohltat wäre: A hat X Güter. B hat Y Güter. Der Zustand nach der Wohltat wäre: A hat X – Z Güter. B hat Y + Z Güter.

  23. Man könnte sagen, Wohltaten sind Transaktionen oder Gütertransfers.

  24. Man könnte hier von einer Art Privatautonomie sprechen. Die unterstellte Sozialontologie wäre eine Art possessiver Besitzindividualismus, wobei die Individuen sozialontologisch als Atome zu betrachten sind. Die terminologische Anspielung auf Macpherson (1962) ist beabsichtigt.

  25. Wer sich dankbar zeigt, ohne dass ihm oder ihr eine dankwürdige Wohltat erwiesen wurde, mag als überdankbar gelten (vgl. Thomas von Aquin STH II/II, 107, 2, Manela (2019a, Chap. 3.5).

  26. Vgl. Nisters (2012, 194 ff.).

  27. Viele Ideen, die ich hier eingewoben habe, sind aus Gesprächen mit Anne Herms (MA), Ellen Möller (ME), Dr. David Nisters (MA), Dr. Leonie Teubler und Stefan Seufert erwachsen.

Literatur

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Correspondence to Thomas Nisters.

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Der Beitrag ist Teil einer Debatte zur Philosophie der Dankbarkeit, die die ZEMO mit einem Schwerpunkt in Heft 4/1 2021 angestoßen hat.

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Nisters, T. Dankbarkeit in dichten und losen Gemeinschaften. ZEMO 4, 397–406 (2021). https://doi.org/10.1007/s42048-021-00109-4

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