1 Einführung

Die Arbeitswelt ist von einem stetigen Wandel gekennzeichnet. Begleitet wird dieser durch eine umfassende Digitalisierung von Arbeitsprozessen. Neuhaus et al. (2018) unterscheiden bei der Definition von Digitalisierung zwischen digitizing und digitalization. Während sich digitizing auf die Überführung analoger Informationen in eine digitale Form bezieht, ist mit digitalization ein Wandlungsprozess gemeint, der durch Informationstechnologien (digitizing) hervorgerufen wird.

Dieser Wandlungsprozess, der durch die Corona-Pandemie beschleunigt wurde (AOK Niedersachsen 2021), zeigt sich im Arbeitskontext unter anderem dadurch, dass durch die gestiegenen technischen Möglichkeiten aktuell etwa ein Drittel aller Beschäftigten im Homeoffice arbeiten (Initiative D21 e. V. 2022). Gleichzeitig hat sich die Nutzung von Videokonferenzsystemen im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie fast verdoppelt (Initiative D21 e. V. 2022). Den Vorteilen des damit verbundenen digitalen Austauschs mit der Möglichkeit einer zeit- und ortsunabhängigen Informationsübermittlung stehen auch Nachteile gegenüber. Da die Menge an zu verarbeitenden Informationen im Zuge der Digitalisierung wächst (Borkovich 2018), besteht das Risiko eines Informationsüberflusses, welcher zu aversiven Folgen führen kann. Laut Pijpers (2010) ist es problematisch, dass es immer neue Informationsquellen und -arten gibt, die Dauer eines Arbeitstages und der Aufbau des menschlichen Gehirns kurzfristig dabei jedoch unverändert bleiben. Deshalb ist es bedeutsam, Informationsmenge hinsichtlich ihrer möglichen beeinträchtigenden Wirkung zu untersuchen.

Die systematische Erhebung solcher möglichen beeinträchtigenden Wirkungen wird unter anderem im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG 2013) vorgeschrieben. Das ArbSchG fordert seit 2013 durch eine Ergänzung der Ziffer 6 im § 5, dass Unternehmen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung auch die psychische Belastung berücksichtigen. Neben anderen Belastungsfaktoren sind Informationen ein möglicher Belastungsfaktor, der laut der gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie im Zuge der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung untersucht werden soll (GDA 2018). Grundlegende Begriffe aus der Gefährdungsbeurteilung werden in der DIN EN ISO 10075‑1 (2018) definiert. Laut dieser Norm wird psychische Belastung im Singular verwendet und ist als neutraler Begriff zu verstehen. Mit psychischer Belastung sind alle äußeren Einflüsse gemeint, die psychisch auf den Menschen einwirken. Diese Einflüsse können positive oder negative Auswirkungen haben – und damit zu einem Anstieg oder einer Verringerung psychischer Beanspruchung führen (Ferreira und Vogt 2021). Entsprechend DIN EN ISO 10075‑1 (2018) wird der Belastungsfaktor Informationsmenge auch in der vorliegenden Studie als neutral verstanden und als einwirkende Informationseinheit innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens interpretiert. Wie alle Belastungsfaktoren führt auch Informationsmenge zu einer psychischen Beanspruchung. Laut DIN EN ISO 10075‑1 (2018, S. 7) ist psychische Beanspruchung definiert als die „unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung (…) im Individuum in Abhängigkeit von seinem aktuellen Zustand“. Psychische Beanspruchung kann positive Effekte, wie z. B. Aktivierung, aber auch beeinträchtigende Effekte, wie z. B. psychische Ermüdung, haben (DIN EN ISO 10075‑1 2018).

Aversive Folgen sollen verhindert oder minimiert werden, sodass eine Gefährdung der Beschäftigten bestenfalls ausgeschlossen werden kann. Eine solche Gefährdung entsteht gemäß Ferreira und Vogt (2021, S. 206) aufgrund einer psychischen Fehlbelastung. Konkret beschreiben sie psychische Fehlbelastung als „eine Konstellation oder Gesamtheit von Belastungsfaktoren, die von außen auf den Menschen einwirken und aufgrund ihrer Art, Intensität, zeitlichen Struktur der Einwirkung (Dauer, Lage, Veränderungen im Zeitverlauf) und/oder Kombination die menschliche kognitive und emotionale Verarbeitungskapazität der prospektiven Zielpopulation übersteigen.“

In DIN EN ISO 10075‑1 (2018, S. 14) werden Folgen beispielsweise übermäßiger Informationsmenge definiert: „Eine psychische Belastung, die das menschliche Vermögen zur Informationsverarbeitung übersteigt, wird direkt zu einer fehlerhaften menschlichen Leistung führen. In solchen Fällen erreicht die psychische Belastung ein Niveau, das die Erfüllung der geforderten Arbeitsaufgaben prinzipiell unmöglich macht.“ Abgeleitet wird die Forderung, dass dysfunktionale Anforderungen durch Arbeitsgestaltung vermieden werden müssen.

Um Gefährdung zu vermeiden, ist es dementsprechend das Ziel der vorliegenden Studie, Informationsmenge als psychischen Belastungsfaktor zu untersuchen und aufbauend darauf Grenzwerte abzuleiten, ob und wann Informationsmenge zu einer psychischen Fehlbelastung (im Sinne von Ferreira und Vogt 2021) führen kann.

Das modifizierte Arbeitsmodell von Ferreira und Vogt (2021) ist in Abb. 1 dargestellt. Es basiert auf dem klassischen Belastungs-Beanspruchungs-Modell nach Rohmert (1984) und übernimmt die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes (2013) sowie der DIN EN ISO 10075‑1 (2018). Das Arbeitsmodell schlägt vor, die Gefährdungen aus aversiven Fehlbeanspruchungen abzuleiten und als psychische Fehlbelastung zu bezeichnen. Hierbei wird psychische Fehlbelastung aus empirischen Daten (erhoben an einer zuvor festgelegen Zielpopulation) abgeleitet und folgendermaßen definiert (Ferreira und Vogt 2021, S. 5):

Abb. 1 Fig. 1
figure 1

Arbeitsmodell von Ferreira und Vogt (2021), welches den Definitionen dieser Studie zugrunde liegt (die Definitionen der einzelnen Komponenten können der ursprünglichen Veröffentlichung entnommen werden)

Working model of Ferreira and Vogt (2021) on which the definitions of this study are based (the definitions of the individual components can be taken from the original publication)

„Psychische Fehlbelastung ist eine Konstellation oder Gesamtheit von Belastungsfaktoren, die von außen auf den Menschen einwirken und aufgrund ihrer Art, Intensität, zeitlichen Struktur der Einwirkung (Dauer, Lage, Veränderungen im Zeitverlauf) und/oder Kombination die menschliche kognitive und emotionale Verarbeitungskapazität der prospektiven Zielpopulation übersteigen. Psychische Fehlbelastung führt damit bei einer hinreichend geeigneten Zielpopulation mit hoher Wahrscheinlichkeit zu aversiven Konsequenzen für die Betroffenen selbst und/oder ihre Umwelt.“

Nähere Beschreibungen der einzelnen Komponenten des modifizierten Arbeitsmodells finden sich in der ursprünglichen Publikation.

1.1 Informationsüberfluss

Sowohl Informationsdefizite als auch InformationsüberflussFootnote 1 können negative Auswirkungen des psychischen Belastungsfaktors Informationsmenge darstellen (Richter et al. 2014). Informationsdefizite entstehen, wenn Informationen fehlen oder ungünstig dargeboten werden. Informationsüberfluss ist dadurch gekennzeichnet, dass die Informationsmenge höher ist als die Möglichkeiten zur Informationsaufnahme bzw. -verarbeitung.Footnote 2 Die vorliegende Studie konzentriert sich auf Informationsüberfluss als Beanspruchungsgröße, wobei Informationsüberfluss nicht immer klar von Informationsdefizit getrennt werden kann: Beispielsweise können eingehende Informationen aufgrund ihrer Informationsdefizite (z. B. unverständlich formulierte E‑Mails) ebenso zu Informationsüberfluss führen wie ein Zuviel an relevanten Informationen, deren notwendige Bearbeitungszeit die verfügbare Arbeitszeit überschreitet (Drössler et al. 2018; Kersten und Junghanns 2022). Hierzu gehört auch das Empfangen (teilweise irrelevanter, nicht geschäftskritischer) E‑Mails. Arbeitsunterbrechungen durch E‑Mails, andere Medien oder Kolleg/-innen können ebenso ein Gefühl des Informationsüberflusses auslösen (Piecha 2020, Speier et al. 1999). Ein Grund hierfür kann sein, dass durch Arbeitsunterbrechungen oft noch mehr Informationen verarbeitet werden müssen, beispielsweise durch Gespräche.

Generell entsteht laut Matthies (2021) ein Informationsüberfluss in Folge eines Informationsniveaus, das größer ist als die individuelle Informationsverarbeitungskapazität. Der Zusammenhang von Informationsmenge und Verarbeitungskapazität scheint jedoch laut Volnhals und Hirsch (2008) und Matthies (2021) nicht linear zu sein: Die Autorenschaften beschreiben Informationsüberfluss bzw. information overload mithilfe einer umgekehrten U‑Kurve. Dies bedeutet, dass sich mit einer zunehmenden Informationsmenge erst die Entscheidungsqualität von Entscheidungsträgern aufgrund der dadurch ausgelösten Aktivierung verbessert, diese aber nach dem Erreichen der Information-Overload-Schwelle wieder abfällt. Wann genau, d. h. ab welchem Grenzwert, diese Information-Overload-Schwelle erreicht ist, wird nicht näher spezifiziert.

Generell erscheint die invertierte U‑Kurve hinsichtlich Entscheidungsqualität in Abhängigkeit der Informationsmenge nachvollziehbar, da weder auf Basis zu weniger Informationen noch auf Basis zu vieler, möglicherweise irrelevanter Informationen, gute Entscheidungen getroffen werden können.

1.2 Psychische Beanspruchung durch Informationsüberfluss

Beanspruchung als Folge von Informationsüberfluss kann sich vielfältig zeigen, wie z. B. durch eine emotionale und kognitive Überlastung (Rutkowski und Saunders 2010). Auch die Qualität der Aufgabenbearbeitung scheint von Informationsüberfluss beeinflusst zu sein: Laut Borkovich (2018) führt Informationsüberfluss zu einer sensorischen Überlastung, was bei den Betroffenen Verwirrung, Orientierungslosigkeit, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie Reaktionsprobleme hervorrufen kann. Toffler (1970) behauptet, dass Menschen, die sich in einer schnell und unregelmäßig verändernden Situation befinden, ihre Vorhersagefähigkeit verlieren. Sie sind nicht mehr in der Lage rational zu denken, wodurch keine begründeten und korrekten Einschätzungen mehr getroffen werden können. Dies bemerken Menschen erst zu spät oder gar nicht. Dadurch ist das Risiko von Fehlentscheidungen bei konstantem Informationsüberfluss sehr hoch.

Ergänzend haben Misra und Stokols (2012) herausgefunden, dass wahrgenommener Informationsüberfluss signifikant mit einem hohen Stresslevel und einem selbst eingeschätzten, schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand zusammenhängt. Weiterhin kann psychische Beanspruchung auch direkt messbare körperliche Reaktionen auslösen. Murata und Iwase (1998) weisen Veränderungen des Pupillendurchmessers nach, wenn Versuchspersonen Fehler im Arbeitsablauf unterlaufen.

Eigene Studien zeigen, dass bei psychischer Fehlbelastung (beispielsweise hervorgerufen durch Zeitvorgaben oder überhöhte Aufgabenschwierigkeit) – häufigere Kopf- und Gesichtsbewegungen zu erkennen sind (Ferreira et al. 2022). Kopf- und Gesichtsbewegungen können mit dem sogenannten „Facial Action Coding System“ (FACS) gemessen werden (Ekman und Friesen 1976)Footnote 3. FACS ist ein System zur objektiven Kodierung und Kategorisierung von visuell erfassbaren spontanen Gesichtsausdrücken und -bewegungen. Eigene Voruntersuchungen mit FACS haben ergeben, dass es spezifische Action Units (AU) gibt, d. h. visuell unterscheidbare Kopf- und Gesichtsbewegungen, die bei vermehrter Informationsmenge gehäuft auftreten (Ferreira et al. 2022). Hierbei handelt es sich um die Action Units „AU1“, „AU2“, „AU1&2“, „AU4“, „AU12“, „AU24“, „AU25“, „AU12&24“. Damit sind folgende Reaktionen gemeint: Augenbrauen hochziehen (AU1 & 2), innere Augenbrauen herunterziehen (AU4), Mundwinkel hochziehen (A12), Lippen zusammenpressen (AU24) und Lippen trennen (AU25). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass psychische Belastung eine enge Verbindung zu Emotionen hat. Alle AUs, die signifikante Indikatoren von psychischer Belastung sind, gehören zu den Emotionen Wut und/oder Ärger.

Zusammenfassend können sowohl Anzahl der Kopf- und Gesichtsbewegungen als auch ein veränderter Pupillendurchmesser eine körperliche Reaktion auf den Belastungsfaktor Informationsmenge und deshalb ein möglicher Indikator für psychische Fehlbelastung sein.

Merten und Gloor (2010) untersuchen E‑Mails als Indikator für Informationsmenge. Sie zeigen, dass die Gesamtzahl empfangener und versendeter E‑Mails signifikant mit einer geringeren Arbeitszufriedenheit verbunden ist. Ein Grund hierfür kann in der Überzeugung liegen, sofort antworten zu müssen. Barber und Santuzzi (2015) bezeichnen dieses Phänomen als „Telepressure“. Laut Jackson et al. (2003) antworten die meisten Beschäftigten innerhalb von sechs Sekunden auf eingehende E‑Mails.

Arbeitsunterbrechungen, die zu Informationsüberfluss beitragen können (Piecha 2020; Speier et al. 1999), sind gemäß Ducki (2019) mit Kontrollverlust, höherer Erschöpfung, erhöhten psychosomatischen Beschwerden sowie einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen verbunden. Ebenfalls kann Informationsüberfluss aufgrund von Arbeitsunterbrechungen gemäß Speier et al. (1999) zu einem Anstieg der Entscheidungszeit oder zu einer Abnahme der Entscheidungsgenauigkeit führen. Dies trifft dann zu, wenn es sich bei der Hauptaufgabe um eine komplexe Aufgabe handelt oder wenn sich der Inhalt der Hauptaufgabe vom Inhalt der Unterbrechungsaufgabe unterscheidet. Speier et al. (1999) haben ebenfalls herausgefunden, dass Arbeitsunterbrechungen die Entscheidungsfähigkeit bei einer einfachen Aufgabe sogar erhöhen können. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Zijlstra et al. (1999). Sie finden heraus, dass Arbeitsunterbrechungen zu einer Erhöhung der Leistung bei gleichbleibender Bearbeitungsqualität führen – insbesondere bei denjenigen Versuchspersonen, die Arbeitsunterbrechungen in ihrem Berufsalltag gewohnt sind. Die positiven Effekte von Arbeitsunterbrechungen auf die Aufgabenbearbeitung und -qualität gehen jedoch zu Lasten des individuellen Wohlbefindens, das in Verbindung mit häufigen Arbeitsunterbrechungen abfällt. Zijlstra et al. (1999) vermuten auf Basis dieser Ergebnisse einen umgekehrten U‑förmigen Zusammenhang zwischen Arbeitsunterbrechungen und Leistung: Die Leistung steigt bis zu einer gewissen Anzahl und/oder einer gewissen Komplexität an Arbeitsunterbrechungen an und fällt dann wiederum in Folge der gestiegenen psychologischen Kosten (beispielsweise geringeres Wohlbefinden, negative Emotionen und größere Ängstlichkeit) ab (Zijlstra et al. 1999). Diese Annahme geht mit der bereits beschriebenen Theorie einher, nach der Informationsüberfluss und Entscheidungsqualität einen invertierten U‑förmigen Zusammenhang aufweisen (Eppler und Mengis 2004; Volnhals und Hirsch 2008; Matthies 2021).

1.3 Theorien der Verarbeitungskapazität

Einen ersten Ansatz über die mögliche Höhe der Verarbeitungskapazität im Sinne eines Grenzwertes hat Miller (1956) herausgearbeitet: Die sogenannte Millersche Zahl beschreibt, dass eine Person gleichzeitig über 7 ± 2 Chunks (Informationseinheiten) im Kurzzeitgedächtnis verfügen kann. Auch Baddeley (1996) hat sich mit der Merkfähigkeit auseinandergesetzt. Er betrachtet die sogenannte zentrale Exekutive des Arbeitsgedächtnisses als verantwortlich für das Merken von Chunks, wohingegen das Langzeitgedächtnis für das Merken von komplexerem Material verantwortlich ist. Wie Miller (1956) gehen auch Baddeley und Hitch (1974) davon aus, dass die Merkfähigkeit von Informationseinheiten bzw. Chunks begrenzt ist. Hierbei spielt jedoch nicht nur die bloße Anzahl von Chunks eine Rolle. Zhang und Simon (1985) fanden heraus, dass die Länge der Wörter einen Einfluss auf die unmittelbare Gedächtnisspanne hat. Laut Baddeley (2000) können sich Menschen bis zu 16 Wörter merken, wenn diese einen sinnvollen Satz ergeben.

Eine vergleichsweise neue Theorie zur Verarbeitungs- und Lernkapazität ist die Cognitive Load Theory (Sweller 2003; Sweller et al. 2019). Gemäß dieser Theorie stellen Lernprozesse eine kognitive Belastung des Arbeitsgedächtnisses dar, welches genügend verfügbare Kapazität aufweisen muss und nicht überlastet werden sollte, um Wissenserwerb und somit effektives Lernen zu ermöglichen.

Während die Cognitive Load Theory (Sweller 2003; Sweller et al. 2019) mögliche individuelle Unterschiede bei Informationsverarbeitungsprozessen nicht im Fokus hat, konzentriert sich das Modell von Engle (2002) genau darauf. Engle (2002) konnte mit experimentellen Messungen Zusammenhänge zwischen dem Arbeitsgedächtnis und kognitiven Leistungen wie dem Leseverstehen, komplexem Lernen und logischem Denken zeigen. Engle (2002) geht davon aus, dass die Fähigkeit sich Informationen zu merken, nicht mit der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses zusammenhängt, sondern mit der Fähigkeit, Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten oder zu unterdrücken.

Die grundlegende Frage hierbei bleibt, ab welcher Informationsmenge die kognitive Leistung im Sinne der Bearbeitungsqualität abnimmt und es zu einer psychischen Fehlbelastung kommt.

1.4 Kapazitätsgrenzen bei Informationsüberfluss

Grenzwerte psychischer Belastung müssen nach Metz und Rothe (2017) nicht zwingend aus kausalen Dosis-Wirkungs-Beziehungen hergeleitet werden. Sie sollten eher die Wahrscheinlichkeit darstellen, mit der eine gesundheitsrelevante Beeinträchtigung, d. h. eine psychische Fehlbelastung, eintreten kann. Aufbauend auf dieser Annahme sind im „Screening für psychische Arbeitsbelastung“ (SPA) Grenzwerte für die einzelnen Analysebereiche festgelegt. Ein Bereich wird als kritisch gekennzeichnet, wenn die Hälfte der Arbeitsmerkmale als potenziell fehlbelastend eingestuft wird. Für die über alle Analysebereiche aggregierten Fehlbelastungsstufen werden die Analysebereiche gewichtet, die einen Arbeitsbereich als kritisch festlegen (Metz und Rothe 2017).

Für die Informationsmenge sind bislang keine direkten Schwellen bzw. Grenzen angegeben, bei denen es zu einer psychischen Fehlbelastung in Folge von Informationsüberfluss kommt. Bisherige Studien orientieren sich eher am subjektiven Erleben eines Informationsüberflusses. Um Informationsüberfluss adäquat zu messen, sollte, wie von Seidler et al. (2018) angemerkt, die Informationsmenge spezifischer gemessen werden. Auf Basis dessen wäre es denkbar, Grenzwerte abzuleiten. Seidler et al. (2018) legen Grenzwerte für eingehende E‑Mails aufgrund wahrgenommenem E‑Mail-Overload fest. Bei hohem E‑Mail-Aufkommen gehen täglich 64 E-Mails ein, bei niedrigem Aufkommen 18 E-Mails. Wird die E‑Mail-Menge kategorisiert, geben zwei von drei Beschäftigten mit einer hohen Zahl von E‑Mails pro Tag (50–100) einen Informationsüberfluss an. Vier von acht Beschäftigten empfangen laut eigenen Angaben eine moderate Zahl von E‑Mails pro Tag (20–49) und lediglich zwei von acht Beschäftigten eine geringe Anzahl von E‑Mails pro Tag (0–19).

Die Studie von Sumecki et al. (2011) zu Überlastung durch E‑Mails liefert interessante Ergebnisse. Eine Überlastung kommt zustande, weil nicht deutlich geregelt ist, welche E‑Mails als geschäftskritisch gelten und welche nicht. Die Überlastung wird umso größer wahrgenommen, je mehr Zeit Beschäftigte für die Verwaltung von E‑Mails investieren müssen. Die wahrgenommene Überlastung sinkt mit der Einstellung, dass E‑Mails geschäftskritische Instrumente sind. Somit nimmt die E‑Mail-Überlastung hauptsächlich durch nicht geschäftskritische E‑Mails zu, welche laut Sumecki et al. (2011) etwa acht Prozent der Zeit bei der Durchsicht von E‑Mails in Anspruch nehmen. Die Wahrnehmung von Überlastung ist in der Studie altersunabhängig.

Speier et al. (1999) legen einen Grenzwert basierend auf Arbeitsunterbrechungen fest. Eine Beschreibung, warum diese Grenzwerte festgelegt wurden, erfolgt jedoch nicht. Eine hohe Unterbrechungshäufigkeit liegt nach Festlegung der Autorenschaft bei 12 Unterbrechungen pro Aufgabe und eine niedrige Unterbrechungshäufigkeit bei vier Unterbrechungen.

1.5 Ableitung der Hypothesen

Zusammenfassend wird für die vorliegende Studie (in Anlehnung an Ferreira und Vogt 2021, S. 15) angenommen, dass folgende Aspekte zu einer psychischen Fehlbelastung führen können:

  • Diskrepanz von zur Verfügung stehender Zeit und der erforderlichen Zeit zur Bewältigung von Aufgabe(n) in angemessener und regulärer Arbeitsgeschwindigkeit

  • Abarbeitung wechselnder, sich zeitlich überlappender, diskreter Aufgaben und Tätigkeiten innerhalb eines vorgegeben Zeitrahmens

  • Diskrepanz zwischen eingehender Information und Kapazitäten der Informationsaufnahme und -verarbeitung innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmen.

Die Problematik fehlender Grenzwerte psychischer Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz ist das Motiv für das Forschungsziel der vorliegenden Studie. Im Rahmen einer empirischen Pilotstudie soll Informationsüberfluss als psychischer Belastungsfaktor untersucht werden und zur Beantwortung der Frage nach einem Grenzwert für diesen Belastungsfaktor beitragen.

Es sollen folgende Forschungsfragen beantwortet werden:

  1. 1.

    Ist Informationsmenge ein psychischer Belastungsfaktor und kann sich dieser zur Fehlbelastung entwickelt?

  2. 2.

    A) Hat die Informationsmenge einen Einfluss auf die Arbeitsleistung und die Häufigkeit von Kopf- und Gesichtsbewegungen?

    B) Hat die Informationsmenge einen Einfluss auf die qualitative und/oder quantitative Arbeitsleistung?

    C) Gibt es einen Grenzwert für Informationsmenge, nach dem sich dieser Belastungsfaktor zur Fehlbelastung entwickelt?

  3. 3.

    Wann wird Informationsmenge zur psychischen Fehlbelastung?

Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen werden folgende Hypothesen aufgestellt und im Rahmen der Untersuchung überprüft:

H10

Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Informationsmenge, der Anzahl richtiger Antworten sowie Häufigkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen.

H11

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Informationsmenge, der Anzahl richtiger Antworten sowie Häufigkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen.

H20

Die Informationsmenge hat keinen oder einen negativen Einfluss auf die Häufigkeit der Gesichts- und Kopfbewegungen.

H21

Die Informationsmenge hat einen positiven Einfluss auf die Häufigkeit der Gesichts- und Kopfbewegungen.

H30

Die Informationsmenge hat keinen Einfluss auf die Arbeitsleistung der Versuchspersonen in Form von richtigen Antworten.

H31

Die Informationsmenge hat einen Einfluss auf die Arbeitsleistung der Versuchspersonen in Form von richtigen Antworten.

H40

Die mittlere Häufigkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen ist unabhängig von der Informationsmenge.

H41

Die mittlere Häufigkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen ist abhängig von der Informationsmenge.

H50

Die mittlere Anzahl richtiger Antworten ist unabhängig von der Informationsmenge.

H51

Die mittlere Anzahl richtiger Antworten ist abhängig von der Informationsmenge.

2 Methoden

Die Forschungsfrage wird mithilfe eines Laborexperiments untersucht. Als Indikatoren für psychische Fehlbelastung werden Produktivität in Form der Anzahl richtiger Antworten pro Aufgabe sowie die Häufigkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen definiert und als abhängige Variablen erhoben. Unabhängige Variable ist die Informationsmenge als Belastungsfaktor. Um die Informationsmenge manipulieren zu können, wird eine digitale Postkorbübung eingesetzt.

Das Ziel des Experimentes ist zu untersuchen, ob sich die Indikatoren für psychische Fehlbelastung mit steigender Informationsmenge signifikant verändern.

2.1 Postkorbübung „OfficeMail“

Der Belastungsfaktor Informationsmenge wird mit einer digitalen Postkorbübung manipuliert. Hierbei handelt es sich um die Simulation klassischer Wissensarbeit an einem Büroarbeitsplatz („OfficeMail“ von Lieberei 2017).

Der Postkorb „OfficeMail“ ist ein psychologischer Leistungstest in Form eines berufsbezogenen, elektronischen Postkorbs (Lieberei 2017). In der Eignungsdiagnostik werden Postkörbe den simulationsorientierten Verfahren zugeordnet. Postkorbverfahren simulieren administrative Tätigkeiten als reine Schreibtischtätigkeit ohne Interaktion mit Kolleg/-innen.

Die Versuchspersonen bearbeiten schriftliche Materialien, die einem E‑Mail-Posteingang von Personen mit Führungs- oder Managementaufgaben entsprechen, wie z. B. Nachrichten, Protokolle, Notizen, Konzepte, Präsentationen, Rundschreiben, Rechnungen, Studien, Artikel etc. Der Test besteht aus 78 Items, welche sich auf insgesamt 19 Mails (teilweise mit Anhängen) verteilen, die die Versuchspersonen innerhalb von maximal 60 min bearbeiten. Die Items sind als Antwortmöglichkeiten in Form eines Multiple-Choice-Verfahrens durch Anklicken mit der Maus am Computer zu bearbeiten (Lieberei 2017).

Die Informationsmenge, der die Versuchspersonen ausgesetzt sind, steigt mit jeder zu bearbeitenden Mail. Dadurch können unterschiedliche Belastungsstufen, hervorgerufen durch Informationsmenge, experimentell manipuliert werden.

Die Auswertung der richtigen Antworten erfolgt automatisch im online Testzugang des Hogrefe Verlages. Die Analyse erfolgt nach einer primären Skala (komplexes Problemlöseverhalten) und drei sekundären Skalen (Analyseverhalten, Organisations- und Planungsverhalten sowie Entscheidungsverhalten).

Der Test setzt sich aus einer Instruktionszeit von zehn Minuten und einer Bearbeitungszeit von 50 min zusammen. Die Altersspanne für die Durchführung des Tests liegt bei 20 bis 60 Jahren (Lieberei 2017).

Hinsichtlich der Gütekriterien kann die Objektivität des Tests aufgrund vollständig standardisierter Durchführung, Auswertung sowie Ergebnisinterpretation als hoch eingestuft werden. Die Reliabilität wird für die Normstichprobe (N = 342) bei der primären Skala „komplexes Problemlöseverhalten“ durch die innere Konsistenz (Cronbachs Alpha) sowie der Split-Half-Reliabilität berechnet (Richtige Antworten: Cronbachs Alpha = 0,81, Split-Half = 0,60). Die Reliabilität der primären Skala kann somit als akzeptabel eingestuft werden.

Aufgrund unerfüllter stochastischer Bedingungen (fehlende Unabhängigkeit der Einzelitems), werden für die drei Sekundärskalen nur niedrige Reliabilitätskennwerte erzielt.

Die konvergente Validität der Primärskala von 0,40 wird durch die Korrelation mit dem Grundintelligenztest (CFT 3) ermittelt. Diese ist als mittelmäßig einzustufen. Die diskriminante Validität wird mit einem Wert von 0,01 als unbedeutend eingestuft. Die Validitätskennwerte sind somit erwartungskonform und in Übereinstimmung mit den Vergleichswerten anderer Postkorbverfahren.

Die Normierung des Tests erfolgte an einer Stichprobe von 342 Personen.

2.2 Messung der abhängigen Variablen

Voruntersuchungen mit FACS (Ferreira et al. 2022) haben ergeben, dass es spezifische Action Units (AU) gibt, die bei vermehrter Informationsmenge gehäuft auftreten. Hierbei handelt es sich um die Action Units „AU1“, „AU2“, „AU1&2“, „AU4“, „AU12“, „AU24“, „AU25“, „AU12&24“. Ebenso zeigt sich, dass die Anzahl der Kopfbewegungen bei sich erhöhender Informationsmenge steigt.

In Kapitel eins wird dargestellt, dass psychische Belastung Einfluss auf die Arbeitsleistung nimmt. Ebenso legt die DIN EN ISO 10075‑1 (2018) dar, dass ein Übersteigen der menschlichen Informationsverarbeitungsfähigkeit zu fehlerhaften Leistungen führt. Die Ergebnisse der Studien verdeutlichen, dass psychische Belastung unter verschiedenen Bedingungen zu sinkender Arbeitsleistung führt. Daher werden im Experiment dieser Studie die richtigen Antworten der Versuchspersonen pro Belastungsstufe als unmittelbare Reaktion (Beanspruchung) auf psychische Belastung gemessen.

2.3 Stichprobe

Der Postkorb „OfficeMail“ gibt vor, dass die Altersspanne zur Teilnahme bei 20 bis 60 Jahren liegt (Lieberei 2017). Die Normstichproben des Tests setzen sich überwiegend aus Versuchspersonen mit höheren schulischen und beruflichen Abschlüssen zusammen (62,9 % mit Abitur, 33,0 % mit Hochschulabschluss). Unter Berücksichtigung dieser Bedingung sollen acht geeignete Versuchspersonen für die Teilnahme am Experiment ausgewählt werden. Die Zahl acht ergibt sich aus dem Ziel der Studie, mit möglichst geringem Aufwand erste Erkenntnisse zu gewinnen. Die Versuchspersonen sollen neben einem Hochschulabschluss oder einer abgeschlossenen Ausbildung, über eine mindestens zweijährige Berufserfahrung in einer Bürotätigkeit oder in der Wissensarbeit verfügen, um die prozessualen, organisatorischen und wirtschaftlichen Aspekte, der im Postkorb „OfficeMail“ simulierten Arbeitsumgebung, nachvollziehen zu können. Da der Test nur in deutscher Sprache durchgeführt werden kann, sollen die Versuchspersonen die deutsche Sprache in Wort und Schrift einwandfrei beherrschen und in Deutschland leben sowie arbeiten. Darüber hinaus wird vorausgesetzt, dass alle Versuchspersonen Zugang zu einem Laptop oder Computer mit Internetanschluss haben, um auch die technischen Voraussetzungen für die Durchführung des Online-Experiments zu erfüllen.

2.4 Durchführung des Experiments

Die Durchführung der Tests erfolgt online, um die Versuchspersonen durch geringeren Aufwand (Anfahrtszeit, Zeitinvestition) für das Experiment zu motivieren.

Für die Anmeldung im Online-Verfahren werden die persönlichen Daten der Versuchspersonen (z. B. Vor- und Nachname, E‑Mail, Alter, Wohnort etc.) abgefragt. Anschließend wird für jede Versuchsperson ein individueller Einladungslink zur Teilnahme am Test generiert und per E‑Mail an diese verschickt. Um die Kopf- und Gesichtsbewegungen der Versuchspersonen während des Tests erfassen zu können, wird mit jeder Versuchsperson eine parallele Webkonferenz durchgeführt.

Das Experiment wird mit der Software OBS-Studio als Bildschirmvideo aufgezeichnet und zur weiteren Bearbeitung gespeichert.

Die Versuchspersonen haben die freie Wahl der Uhrzeit, wann das Experiment stattfinden soll, um ihnen die Möglichkeit zu geben, den zusätzlichen zeitlichen Aufwand bestmöglich in ihren Terminkalender zu integrieren.

Zu Beginn des Experiments werden die Versuchspersonen über den Ablauf und die Regeln informiert. Dazu gehört u. a., dass bei der Testdurchführung keine Hilfsmittel verwendet werden dürfen, um eine Manipulation der Testergebnisse zu vermeiden, gleiche Bedingungen für alle Versuchspersonen zu schaffen und die reine Eigenleistung der Versuchspersonen zu messen. Zusätzlich werden die Versuchspersonen darum gebeten, den Test an einem ruhigen Ort ohne etwaige Störfaktoren durchzuführen. Die Versuchsperson wird darauf hingewiesen, dass die Kamera zur Beobachtung eingeschaltet bleiben muss. Kopf und Gesicht sollen auf dem Bildschirm deutlich zu erkennen sein.

Anschließend werden die Versuchspersonen gebeten, auf den Link in der Einladungs-E-Mail zu klicken und damit den Test zu starten.

In der zehn-minütigen Einführungszeit werden die Versuchspersonen über die Regeln zur Teilnahme am Experiment informiert. Darüber hinaus werden die Versuchspersonen mit der Rolle vertraut gemacht, in der sie später die E‑Mails aus dem Postkorb bearbeiten sollen. Dabei wird die fiktive Rolle einer Führungskraft in einem simulierten Versicherungsunternehmen eingenommen, die aus dem Urlaub an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt (Lieberei 2017, S. 21). Zusätzlich wird von den Versuchspersonen eine Einwilligung zur Datenverarbeitung unterschrieben.

Nach der Einführungszeit beginnt das Experiment. Die Bildschirmaufzeichnung wird gleichzeitig gestartet. Nach der Testdurchführung wird die Bildschirmaufnahme beendet und gespeichert. Am Ende des Experiments werden die Versuchspersonen über den Zweck der Videoaufzeichnung informiert und um ihr zusätzliches Einverständnis zur Weiterverarbeitung der Videodateien gebeten. Die Aufklärung über die Aufzeichnung des Experiments erfolgt am Ende, um die Natürlichkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen zu bewahren.

2.5 Auswertungsmethode

Die Auswertung der Testergebnisse erfordert folgendes Datenmaterial:

  1. 1.

    Richtige Antworten des Postkorbs „OfficeMail“ pro Versuchsperson

  2. 2.

    Videodateien des Experiments

In einem ersten Schritt werden die von den Versuchspersonen erzielten richtigen Antworten für jedes Item des Postkorbs in eine separate Excel-Tabelle übertragen. Die 78 Items werden so unterteilt, dass sich drei gleich große Belastungsstufen für die unabhängige Variable Informationsmenge ergeben. Die erste Belastungsstufe umfasst die Items eins bis 26 und steht für eine geringe Informationsmenge, da die Items dieser Belastungsstufe am Anfang des Postkorbs stehen und die Versuchspersonen somit noch mit einer geringen Informationsmenge konfrontiert werden. Die zweite Belastungsstufe umfasst die Items 27 bis 53. In dieser Belastungsstufe sind die Versuchspersonen einer mittleren Informationsmenge ausgesetzt, da sie sich im mittleren Bereich des Tests befinden und die Informationen der ersten und zweiten Belastungsstufe verarbeiten müssen. Die restlichen Items 54 bis 78 befinden sich in der dritten und letzten Belastungsstufe. In dieser Belastungsstufe ist die Informationsmenge am größten, da sich die Versuchspersonen im letzten Drittel des Tests befinden und die Summe der Informationen aus der ersten, zweiten und dritten Belastungsstufe verarbeiten müssen.

Anschließend wird die Summe der richtigen Antworten pro Versuchsperson für jede Belastungsstufe berechnet. Daraus ergibt sich die Summe der richtigen Antworten der Versuchspersonen bei geringer, mittlerer und hoher Informationsmenge.

Die Videodateien werden mit Maxqda weiterverarbeitet. Zunächst wird jede Videodatei in drei Sequenzen geschnitten und einzeln in Maxqda importiert. Dabei entspricht die erste Sequenz des Videos der ersten Belastungsstufe (geringe Informationsmenge), die zweite Sequenz der zweiten Belastungsstufe (mittlere Informationsmenge) und die dritte Sequenz der dritten Belastungsstufe (hohe Informationsmenge). Die Videosequenzen werden gemäß dem FACS Codierleitfaden basierend auf den empirisch ermittelten Kopf- und Gesichtsbewegungen bei psychischer Fehlbelastung (Ferreira et al. 2022) codiert (Tab. 1; Abb. 2).

Tab. 1 Table 1 Übersicht der Kopf- und Gesichtsbewegungen bei psychischer Fehlbelastung nach dem FACS von Ekman et al. (2005)Overview of head and facial movements in mental misload according to the FACS of Ekman et al. (2005)
Abb. 2 Fig. 2
figure 2

Codierungsbeispiel der Videodateien in Maxqda (eigene Darstellung)

Encoding example of the video files in Maxqda (own representation)

Nach Abschluss der Codierung werden die Codehäufigkeiten pro Videosequenz nach Maxqda exportiert. Zusätzlich werden die Häufigkeiten der Gesichtsbewegungen, die positiv mit psychischer Fehlbelastung korrelieren, pro Versuchsperson aufsummiert. Die Summe dieser Häufigkeiten setzt sich aus AU1, AU2, AU1_2, AU24, AU12, AU12_24, AU25Footnote 4 sowie den Häufigkeiten der Kopfbewegungen zusammen und bildet die Variable „Kopf‑/Gesichtsbewegungen“.

Die Variable „Kopf‑/Gesichtsbewegungen“ pro Videosequenz entspricht somit der Häufigkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen pro Belastungsstufe. Die erhobenen Daten werden in einer Excel-Datei zusammengefasst und bilden die Grundlage für die statistische Auswertung der Daten.

Die statistische Auswertung der Daten erfolgt in R‑Studio und beginnt mit einer Korrelationsanalyse. Diese gibt einen ersten Überblick über Widersprüche und Übereinstimmungen zwischen den experimentellen Daten vorangegangener Untersuchungen. Anschließend werden Korrelationstests, Regressionsanalysen sowie Varianzanalysen zur Hypothesenprüfung durchgeführt. Da die Stichprobe klein ist, wird ein Resampling-Verfahren angewandt, um die Verteilungseigenschaften der Stichprobe zu erkennen und aussagekräftigere Ergebnisse zu erhalten. Als Resampling-Verfahren wird das Bootstrapping gewählt, da die Anzahl der Ziehungen der Stichprobe beim Bootstrapping individuell bestimmt werden kann.

3 Ergebnisse

Insgesamt nehmen acht Versuchspersonen, davon sechs Frauen (75 %) und zwei Männer (25 %), im Alter von 21 bis 49 Jahren an dem Experiment teil. Das Durchschnittsalter der Versuchspersonen beträgt 30,88 Jahre. Der Median liegt bei 29 Jahren. Der Versuch dauert minimal 39,13 min und maximal 50,00 min. Die durchschnittliche Versuchsdauer beträgt 46,32 min, während der Median bei 48,89 min liegt.

Keine Versuchsperson wählt eine Versuchszeit in der Nacht oder den Morgenstunden (22.00–10.00 Uhr). Eine Person absolviert das Experiment vormittags (10.00–12.00 Uhr), vier Personen in der Mittagszeit (12.00–15.00 Uhr), eine Person nachmittags (15:00–17.00 Uhr) und zwei Personen abends (17.00–22.00 Uhr).

3.1 Korrelativer Zusammenhang

Zu Beginn der statistischen Datenanalyse wird eine Korrelationsmatrix erstellt, um Zusammenhänge zwischen den Variablen zu ermitteln. Die Korrelationen werden mit dem Kendall-Tau-Korrelationskoeffizienten b durchgeführt, da die Variable Informationsmenge ordinalskaliert ist und es sich um eine kleine Stichprobe handelt. Die Korrelationsmatrix soll Aufschluss darüber geben, ob die in der experimentellen Untersuchung erhobenen Daten mit den Erkenntnissen aus der bisherigen Forschung zu psychischer Belastung übereinstimmen. Somit fragt die erste Hypothese nach dem Zusammenhang zwischen der Informationsmenge sowie den Kopf- und Gesichtsbewegungen und den richtigen Antworten.

H10

Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Informationsmenge, der Anzahl richtiger Antworten sowie Häufigkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen.

H11

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Informationsmenge, der Anzahl richtiger Antworten sowie Häufigkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen.

SignifikantFootnote 5 korrelieren:

  • Informationsmenge und richtige Antworten (τb = −0,43, p = 0.013)

  • Informationsmenge und Kopf‑/Gesichtsbewegungen (τb = 0,43, p = 0.009)

  • Richtige Antworten und Kopf‑/Gesichtsbewegungen (τb = −0,29, p = 0.050)

Weiterhin zeigt sich, dass die Variable Richtige Antworten signifikant mit Ausprägungen der Variable Kopf‑/Gesichtsbewegungen korreliert.

  • Richtige Antworten und AU12 (τb = −0,38, p = 0.016)

  • Richtige Antworten und AU1_2 (τb = −0,40, p = 0.012)

3.2 Regressionsanalysen Informationsmenge

Zur Überprüfung der zweiten und dritten Hypothese werden lineare Regressionsanalysen herangezogen, bei welchen die Belastungsstufen durch die Informationsmenge als Prädiktoren verwendet werden.

H20

Die Informationsmenge hat keinen oder einen negativen Einfluss auf die Häufigkeit der Gesichts- und Kopfbewegungen.

H21

Die Informationsmenge hat einen positiven Einfluss auf die Häufigkeit der Gesichts- und Kopfbewegungen.

Die Testung der Hypothese erfolgt durch eine lineare Regressionsanalyse mit einem 10.000-fachen Bootstrap der Stichprobe. Die abhängige Variable der Testung ist Kopf‑/Gesichtsbewegungen, die unabhängige Variable ist Informationsmenge. Das Ergebnis der linearen Regression ist signifikant, weil F (1,9998) = 1,577e + 04 und p < 0.001 ist. 61,2 % der Varianz von Kopf‑/Gesichtsbewegungen wird aufgeklärt (R2 = 0,612, korrigiertes R2 = 0,612). Der Standardfehler der abhängigen Variable beträgt 0,342, bei einem Regressionskoeffizienten von 42,98 (β = 42,98; t (9998) = 125,59; p < 0.001). Somit ist Informationsmenge ein signifikanter Prädiktor für Kopf‑/Gesichtsbewegungen.

Das Konfidenzintervall liegt bei 95 % CI [0,0026, 0,012]. Die Nullhypothese wird verworfen und die Alternativhypothese angenommen.

Abb. 3 verdeutlicht optisch den Zusammenhang zwischen Kopf- und Gesichtsbewegungen und der Informationsmenge. Bei steigender Informationsmenge erhöhen sich ebenfalls die Kopf‑/Gesichtsbewegungen.

Abb. 3 Fig. 3
figure 3

Streudiagramm zwischen den Belastungsstufen Informationsmenge sowie den Kopf/-Gesichtsbewegungen (eigene Darstellung)

Scatter diagram between the mental stress amounts of information and the head/face movements (own representation)

Zur Testung der dritten Hypothese:

H30

Die Informationsmenge hat keinen Einfluss auf die Arbeitsleistung der Versuchspersonen in Form von richtigen Antworten.

H31

Die Informationsmenge hat einen Einfluss auf die Arbeitsleistung der Versuchspersonen in Form von richtigen Antworten.

wird ebenfalls eine lineare Regressionsanalyse gerechnet, basierend auf einem 10.000-fachen Bootstrap. Die abhängige Variable der Testung ist Richtige Antworten, die unabhängige Variable ist Informationsmenge. Das Ergebnis der linearen Regression ist signifikant, weil F (1,9998) = 1,261e + 04 und p < 0.001 ist. 55,8 % der Varianz von Richtige Antworten wird aufgeklärt (R2 = 0,5577, korrigiertes R2 = 0,5577). Der Standardfehler der unabhängigen Variable beträgt 0,024, bei einem Regressionskoeffizienten von −2,68 (β = −2,68; t (9998) = 112,3; p < 0.001). Somit ist Informationsmenge ein signifikanter Prädiktor für Richtige Antworten.

Das Konfidenzintervall liegt bei 95 % CI [−0,255, −0,095]. Die Nullhypothese wird verworfen und die Alternativhypothese angenommen.

Abb. 4 verdeutlicht optisch den Zusammenhang zwischen richtigen Antworten und der Informationsmenge. Bei steigender Informationsmenge reduzieren sich die richtigen Antworten.

Abb. 4 Fig. 4
figure 4

Streudiagramm zwischen den Belastungsstufen Informationsmenge sowie den richtigen Antworten (eigene Darstellung)

Scatter diagram between the mental stress levels by information load as well as the correct answers (own representation)

3.3 Varianzanalysen Informationsmenge

Zur Überprüfung der vierten und fünften Hypothese werden einfaktorielle Varianzanalysen verwendet, bei welchen die Belastungsstufen durch die Informationsmenge als Prädiktoren verwendet werden.

H40

Die mittlere Häufigkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen ist unabhängig von der Informationsmenge.

H41

Die mittlere Häufigkeit der Kopf- und Gesichtsbewegungen ist abhängig von der Informationsmenge.

Zur Testung der Hypothese wird eine einfaktorielle ANOVA mit der abhängigen Variable Kopf‑/Gesichtsbewegungen und der unabhängigen Variable Informationsmenge durchgeführt. Hierfür wird zunächst ein Levene-Test zur Überprüfung auf Varianzhomogenität zwischen den Gruppen durchgeführt. Dieser fällt mit einem p-Wert von p = 0.08 nicht signifikant aus. Die Informationsmenge wird in drei Belastungsstufen unterteilt: Geringe Informationsmenge (M = 50,25, SD = 30,76), mittlere Informationsmenge (M = 78,25, SD = 50,95) und hohe Informationsmenge (M = 112,25, SD = 62,74).

Die Boxplots zur Häufigkeit von Kopf‑/Gesichtsbewegungen pro Belastungsstufe zeigen, dass es keine Ausreißer gibt. Zusätzlich sind Mittelwertsunterschiede zwischen den Gruppen visuell erkennbar (Abb. 5).

Abb. 5 Fig. 5
figure 5

Boxplots zu Häufigkeit von Kopf‑/Gesichtsbewegungen und Belastungsstufen durch Informationsmenge (eigene Darstellung)

Boxplots on frequency of head/face movements and mental stress levels by information load (own representation)

Die Ergebnisse der ANOVA zeigen, dass sich Kopf‑/Gesichtsbewegungen signifikant für die verschiedenen Belastungsstufen unterscheiden, F (1,22) = 6,46, p = 0.02. Eine zusätzliche ANOVA mit einem 10.000-fachen Bootstrap zeigt ebenfalls ein signifikantes Ergebnis mit dem p-Wert p = 0.02. Die Nullhypothese wird verworfen und die Alternativhypothese angenommen. Der Post-hoc Vergleich mithilfe eines gepaarten t‑Tests und einer Holm-Alphafehlerkorrektur zeigt einen signifikanten Unterschied zwischen Belastungsstufe 1 und 3 (p = 0.025 bei zweiseitiger Testung).

Zur Testung der fünften Hypothese:

H50

Die mittlere Anzahl richtiger Antworten ist unabhängig von der Informationsmenge.

H51

Die mittlere Anzahl richtiger Antworten ist abhängig von der Informationsmenge.

wird ebenfalls eine einfaktorielle ANOVA mit der abhängigen Variable Richtige Antworten und der unabhängigen Variable Informationsmenge durchgeführt. Der Levene-Test zur Überprüfung auf Varianzhomogenität fällt mit einem p-Wert von p = 0.02 signifikant aus. Aufgrund nicht homogener Varianzen wird eine ANOVA mit Welch-Korrektur durchgeführt.

Informationsmenge wird in drei Belastungsstufen aufgeteilt: Geringe Informationsmenge (M = 6,88, SD = 3,04), mittlere Informationsmenge (M = 5,12, SD = 1,64) und hohe Informationsmenge (M = 3,38, SD = 1,69). Die Boxplots zur Häufigkeit von Richtige Antworten pro Belastungsstufe zeigen, dass es keine Ausreißer gibt. Zusätzlich sind Mittelwertsunterschiede zwischen den Gruppen erkennbar (Abb. 6).

Abb. 6 Fig. 6
figure 6

Boxplots zu richtigen Antworten und Belastungsstufen durch Informationsmenge (eigene Darstellung)

Boxplots of correct answers and mental stress levels by information load (own representation)

Die Ergebnisse der ANOVA zeigen, dass sich die Anzahl der richtigen Antworten signifikant für die verschiedenen Stufen der Informationsmenge unterscheidet, F (2, 13,37) = 4,53, p = 0.03. Die Nullhypothese wird verworfen und die Alternativhypothese angenommen. Der Post-hoc Vergleich mithilfe eines gepaarten t‑Tests und einer Holm-Alphafehlerkorrektur zeigt einen signifikanten Unterschied zwischen den Belastungsstufen 1 und 3 (p = 0.04 bei zweiseitiger Testung).

4 Diskussion

4.1 Interpretation der Ergebnisse

Die in Kapitel drei vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass alle fünf aufgestellten Nullhypothesen verworfen und die Alternativhypothesen angenommen werden. Nachfolgend werden die Ergebnisse näher erläutert und interpretiert.

Die berechneten Korrelationen sind ein Einstieg in die Datenanalyse und verdeutlichen potenzielle Zusammenhänge zwischen den Variablen. Es kann nachgewiesen werden, dass es einen negativen signifikanten Zusammenhang zwischen Informationsmenge und richtigen Antworten gibt. Je höher die Informationsmenge, desto weniger richtige Antworten werden im Rahmen des Laborexperiments erzielt. Die Informationsmenge hat einen positiven signifikanten Zusammenhang mit der Anzahl an Kopf- und Gesichtsbewegungen. Je höher die Informationsmenge, desto häufiger zeigen sich Kopf- und Gesichtsbewegungen. Gleichzeitig stehen die Kopf- und Gesichtsbewegungen in einem negativen signifikanten Zusammenhang mit den richtigen Antworten. Je mehr Kopf- und Gesichtsbewegungen auftreten, desto geringer ist die Anzahl der richtigen Antworten.

Es kann geschlussfolgert werden, dass steigende Informationsmenge zu einer psychischen Fehlbelastung führen kann, die sich durch häufigere Kopf- und Gesichtsbewegungen sowie signifikant geringere Anzahl an richtigen Antworten ausdrückt.

Hypothese 2 zielt auf die Frage ab, ob die Informationsmenge einen Effekt auf die Häufigkeit an Gesichtsbewegungen bei psychischer Fehlbelastung hat. Die zur Hypothesentestung durchgeführte lineare Regressionsanalyse, mit 10.000-fachem Bootstrap, ergibt R2 = 0,612 und fällt mit einem p-Wert von p < 0.001 signifikant aus. Somit sind etwa 61 % der Kopf- und Gesichtsbewegungen auf die Informationsmenge zurückzuführen. Dennoch können 39 % der Varianz nicht durch die Belastungsstufen der Informationsmenge erklärt werden. Die empirische Prüfgröße in Form des T‑Werts ergibt für die unabhängige Variable einen Wert von 125,59 (p < 0.001). Daraus lässt sich ableiten, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Informationsmenge und den Gesichtsbewegungen gibt. Für zukünftige Forschungen stellt sich die Frage, welche weiteren Faktoren, neben Informationsmenge, einen Einfluss auf die Häufigkeiten an Gesichtsbewegungen bei psychischer Fehlbelastung haben und die übrigen 39 % der Varianz erklären.

Die Untersuchung der dritten Hypothese, die sich mit der Frage beschäftigt, ob Informationsmenge die Anzahl an richtigen Antworten der Versuchspersonen beeinflusst, ergibt mit einem R2 = 0,558 und p < 0.001 ein signifikantes Ergebnis. Die empirische Prüfgröße in Form des T‑Werts von t (998) = −0,112 (p < 0.001), zeigt, dass der Einfluss von Informationsmenge auf die Arbeitsleistung in Form von richtigen Antworten negativ ist. Etwa 44 % der Varianz wird nicht durch die Informationsmenge erklärt, weshalb sich für weitere Forschungen die Frage stellt, welche zusätzlichen Faktoren einen Einfluss auf Arbeitsleistung haben.

Die Varianzanalysen wurden mit und ohne 10.000-fachen Bootstrap durchgeführt. Zusammengefasst drehen sich diese Hypothesen um die Fragestellung, ob es Unterschiede hinsichtlich der abhängigen Variablen (Kopf- und Gesichtsbewegungen sowie richtige Antworten) und den drei Belastungsstufen durch Informationsmenge gibt.

Beide Hypothesen (vier und fünf) fallen mit einem p-Wert von p = 0.02 bzw. p = 0.03 signifikant aus. Insofern gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen den Mittelwerten der drei Stufen an Informationsmenge. Dies zeigt abermals, dass die Informationsmenge einen Einfluss auf die Häufigkeit an Gesichtsbewegungen bei psychischer Fehlbelastung hat. Der Post-Hoc-Test fällt signifikant aus. Es zeigt sich ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Belastungsstufen geringe und hohe Informationsmenge. Ebenso ist der Post-Hoc-Test der Belastungsstufen geringe und hohe Informationsmenge bezogen auf die Anzahl richtiger Antworten signifikant. Daraus lässt sich schließen, dass in der mittleren Informationsmenge ein Grenzwert zwischen neutraler Belastung und Fehlbelastung zu finden ist.

Somit können zwei zentrale Aussagen abgeleitet werden:

  1. 1.

    Informationsmenge ist ein psychischer Belastungsfaktor.

  2. 2.

    Der Grenzwert für den psychischen Belastungsfaktor Informationsmenge könnte sich in der zweiten Belastungsstufe (mittlere Informationsmenge) der Untersuchung befinden.

Die erste Aussage ergibt sich einerseits durch den signifikanten Einfluss der Informationsmenge auf die Gesamtheit aller positiv mit psychischer Belastung zusammenhängenden Kopf- und Gesichtsbewegungen. Die Häufigkeit an Kopf- und Gesichtsbewegungen (als Indikator für psychische Belastung) steigt mit wachsender Informationsmenge. Andererseits wird zusätzlich zur Zunahme an Kopf- und Gesichtsbewegungen bei psychischer Belastung eine Verringerung der Arbeitsleistung durch weniger richtige Antworten festgestellt. Hauptsächlich kann beobachtet werden, dass die Versuchspersonen bei hoher Informationsmenge signifikant weniger Antworten richtig ankreuzen. Daraus lässt sich ableiten, dass bei steigender Informationsmenge keine optimale Handlungsalternative in alltäglichen Arbeitssituationen am Bildschirm gewählt wird, da zur Wahl der optimalen Handlungsalternative das Erkennen aller richtigen Antworten nötig wäre. Die im Rückschluss steigenden Fehlerraten sind eine Folge sinkender Arbeitsleistung, die durch den Belastungsfaktor Informationsmenge hervorgerufen werden.

Die Ursache kann in der begrenzten Verarbeitungskapazität des Menschen liegen (vgl. Abschn. 1.3 und 1.4). Ist die Menge an Information pro Zeiteinheit so hoch, dass die maximale Verarbeitungskapazität überschritten wird, sinkt die Entscheidungs- bzw. Verarbeitungsleistung mit steigender Informationsmenge. Erst der Bereich nach der menschlichen Verarbeitungsgrenze wird Informationsüberfluss genannt (Matthies 2021). Die Ergebnisse sind ein Nachweis dafür, dass die Verarbeitungsleistung mit steigender Informationsmenge sinkt. Dies wird besonders durch die steigende Häufigkeit an Gesichtsbewegungen bei steigender psychischer Belastung und sinkender Arbeitsleistung ersichtlich. Da die Indikatoren psychischer Belastung mit steigender Informationsmenge signifikant wachsen, kann zusätzlich die Aussage getroffen werden, dass der Bereich hinter der Grenze der menschlichen Verarbeitungskapazität nicht nur Informationsüberfluss, sondern auch Fehlbelastung (im Sinne des Arbeitsmodells nach Ferreira und Vogt 2021) genannt werden kann. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Bearbeitung von 19 Mails zu einer Fehlbelastung werden kann und die Versuchspersonen an die Grenze ihrer Informationsverarbeitung bringt.

Selbstverständlich kann hier noch nicht von einem allgemeingültigen Grenzwert von Informationsbelastung gesprochen werden. Dazu ist die Anzahl der Versuchspersonen zu gering, die Versuchspersonen zu inhomogen, die Aufgaben zu spezifisch und die Komplexität der Fragestellung zu groß. Dennoch zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass es Grenzbereiche geben könnte.

Im Anschluss stellt sich auch die Frage, wie sich diese Erkenntnisse in den betrieblichen Alltag übertragen lassen. Hierzu muss die Menge an Informationen besser operationalisiert werden. Die Anzahl an E‑Mails oder Items ist zu ungenau, da jede Mail unterschiedlich viel Information beinhaltet. Aus diesem Grund sind weitere Forschungen zur Messung von Informationsmenge und der menschlichen Verarbeitungsgrenze notwendig, um generalisierbare Aussagen für eine vorher zu definierende Zielpopulation treffen zu können.

4.2 Limitationen

Im Folgenden wird auf die Limitationen der Datenerhebung eingegangen. Die Stichprobe der vorliegenden Studie ist mit N = 8 Versuchspersonen klein und inhomogen (beispielsweise auch durch die wechselnden Tageszeiten der Experimente), weshalb keine generalisierbaren Aussagen abgeleitet werden können. Diese Limitation wird jedoch bewusst in Kauf genommen, da das Ziel der vorliegenden Studie ist, mit möglichst geringem Aufwand erste Erkenntnisse zu gewinnen. Die Forschungsfragen der vorliegenden Studie müssen mit einer größeren repräsentativen Stichprobe abhängig erwerbstätiger Personen weiter erforscht und bestenfalls gleichlautend beantwortet werden.

Um konkrete Grenzwerte abzuleiten, sollte laut Seidler et al. (2018) die Informationsmenge als kontinuierliche Variable erfasst werden. In der vorliegenden Studie wird die Informationsmenge nur kategorial erfasst, so dass nur Aussagen darüber möglich sind, ob eine niedrige, mittlere und hohe Informationsmenge eine psychische Fehlbelastung hervorruft.

Um eine eindeutige Aussage abzuleiten, ab wann Informationsmenge zu einer psychischen Fehlbelastung führt, sollte darüber hinaus der Informationsinhalt möglichst konstant gehalten werden und nur die Anzahl gleicher Informationsinhalte verändert werden. Somit wäre eine Aussage im Sinne von Anzahl maximaler E‑Mail-Unterbrechungen bis zur Verarbeitungsgrenze im Sinne von Chunk-Einheiten (vgl. Miller 1956) möglich. In der Postkorb-Übung, die in der vorliegenden Studie verwendet wird (Lieberei 2017), ist der Inhalt der zu bearbeitenden E‑Mails über die verschiedenen E‑Mails hinweg nicht gleich, was eine weitere Limitation der vorliegenden Studie darstellt.

4.3 Ausblick

Die Studie zeigt, dass die Informationsmenge ein psychischer Belastungsfaktor ist und dass ein Informationsüberfluss, der die Grenze menschlicher Verarbeitungskapazität überschreitet, eine Fehlbelastung darstellt.

Die Studie hat das Ziel, den Belastungsfaktor Informationsmenge mittels der Beanspruchungsgröße Informationsüberfluss zu untersuchen. Die Regressionsanalysen erbringen sehr gute Ergebnisse mit 61 % bzw. 56 % aufgeklärter Varianz. Diese Ergebnisse offenbaren jedoch gleichzeitig, dass die Informationsmenge nicht nur die Kopf- und Gesichtsbewegungen sowie die richtigen Antworten beeinflusst. Es scheint noch weitere Einflussfaktoren zu geben, was nicht verwunderlich ist, da es umfangreiche Wechselwirkungen (Superpositionen) zwischen Belastungsfaktoren gibt. Im basierenden Modell wird Fehlbelastung aus Beanspruchung abgeleitet, wobei auch hier zahlreiche Ein- und Auswirkungen erwartet werden müssen (Rohmert 1984). Einige Anregungen, welche Faktoren hier noch eine Rolle spielen könnten, werden in den folgenden Ausführungen erläutert.

Einen möglichen Einfluss darauf, ab wann eine Informationsmenge eine Fehlbelastung darstellt, könnte der individuelle Umgang mit der Situation sein: Gemäß Lazarus und Folkman (1984) führt eine Situation nicht automatisch zu einer Stressreaktion, sondern jene hängt unter anderem von der individuellen Einschätzung der Situation sowie den individuellen Bewältigungsstilen (Coping-Strategien) einer Person ab. Übertragen auf die Informationsmenge könnte das bedeuten, dass manche Personen eine hohe Informationsmenge als Herausforderung betrachten und angemessene Coping-Strategien anwenden. Somit würde die gleiche Informationsmenge bei unterschiedlichen Personen nicht per se zu einer psychischen Fehlbelastung führen. Daher sieht das Arbeitsmodell die Festlegung von Grenzwerten für eine vorab definierte menschliche Zielpopulation vor.

Ebenso könnten auch Persönlichkeitseigenschaften wie Emotionale Intelligenz oder die Big-V-Faktoren eine Rolle bei der Empfindung spielen, ab wann eine Informationsmenge einen Informationsüberfluss darstellt und es infolgedessen zu einer psychischen Fehlbelastung kommt. Beispielsweise haben Matthews et al. (2006) herausgefunden, dass emotionale Intelligenz Stressreaktionen und Bewältigungsstrategien vorhersagen kann. Den Versuchspersonen wurden verschiedene Aufgabenbedingungen zugewiesen, von denen eine als stressauslösend konzipiert war. Ein niedriger Wert in emotionaler Intelligenz war mit Vermeidungsverhalten und vermehrten Sorgen verbunden.

Nach den Ergebnissen von Zijlstra et al. (1999) könnte das Wohlbefinden zusätzliche Varianzanteile der Anzahl der Kopf- und Gesichtsbewegungen und der Arbeitsleistung erklären. Die Autorenschaft zeigt, dass Arbeitsunterbrechungen (und damit eine Zunahme der Informationsmenge) zu einer Abnahme des Wohlbefindens führen. Da bestimmte Kopf- und Gesichtsbewegungen mit Emotionen assoziiert sein können (Ferreira et al. 2022), ist es möglich, dass ein sinkendes Wohlbefinden auch zu vermehrten Gesichtsbewegungen führt. Darüber hinaus ist es denkbar, dass sich ein vermindertes Wohlbefinden auch auf die Fehlerrate auswirkt, die aufgrund erhöhter psychologischer Kosten, wie z. B. erhöhter Ängstlichkeit, ansteigen könnte.

Dass ein Teil der psychischen Fehlbelastung, die durch die Informationsmenge hervorgerufen wird, durch individuelle Variablen erklärt werden könnte, geht einher mit der Theorie von Engle (2002), nach der die Fähigkeit, sich Informationen zu merken, nicht mit der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses zusammenhängt, sondern mit der individuellen Fähigkeit, Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten oder zu unterdrücken.

Zusammenfassend könnten individuelle Persönlichkeitseigenschaften Varianzanteile erklären, die durch die Informationsmenge noch nicht aufgeklärt sind. Dies jedoch ist nicht das Anliegen dieser Studie.

Viel interessanter für die Fragestellung dieser Studie sind die objektiven Eigenschaften einer Aufgabe, einer Information – oder wie im Laborexperiment – einer E‑Mail. Dies wird in der Cognitive Load Theory (Sweller 2003; Sweller et al. 2019) beschrieben und muss für zukünftige Forschung berücksichtigt werden. Nach dieser Theorie tragen gut strukturierte und leicht verständliche Aufgaben weniger zur kognitiven Beanspruchung bei, woraus geschlossen werden kann, dass diese Aufgaben auch weniger zu psychischer Fehlbelastung führen.

Darüber hinaus kann die Einschätzung oder aber auch das Wissen, dass es sich um eine geschäftskritische Information handelt, beeinflussen, ab wann es zu einem Informationsüberfluss und damit zu einer psychischen Fehlbelastung kommt (Sumecki et al. 2011). Wird eine Information als geschäftsrelevant eingestuft, führt diese Information weniger zu einem Informationsüberfluss als eine als irrelevant eingestufte Information.

Die Aufnahme weiterer Variablen in das Untersuchungsdesign könnte nicht nur eine höhere Varianzaufklärung, sondern auch konkretere Ableitungen zum Grenzwert der Informationsmenge ermöglichen – beispielsweise, indem man die soeben beschriebenen Variablen als Kontrollvariablen in das Untersuchungsdesign mitaufnimmt.

Generell sollte hierbei Informationsmenge als kontinuierliche Variable bei gleichem Inhalt und nur einer sich ändernden Anzahl an beispielsweise empfangenen E‑Mails gemessen werden, um die Grenzwertableitung zu ermöglichen. Die Messung von Informationsmenge als kontinuierliche Variable ermöglicht zudem eine mögliche Überprüfung der angenommenen invertierten U‑Kurve des Zusammenhangs zwischen Informationsmenge und Bearbeitungsqualität (Matthies 2021; Volnhals und Hirsch 2008). Dadurch lassen sich nicht nur Aussagen ableiten, ab wann eine Informationsmenge zu einer psychischen Fehlbelastung wird, sondern auch bis zu welchem Grad die Bearbeitungsqualität in Folge einer steigenden Informationsmenge zunimmt.

In der vorliegenden Studie wird die Informationsmenge anhand der Anzahl von zu bearbeitenden E‑Mails operationalisiert. Wie bereits beschrieben kann das Gefühl des Informationsüberflusses auch von Arbeitsunterbrechungen hervorgerufen werden (Piecha 2020, Speier et al. 1999), die im vorliegenden Studiendesign kontrolliert werden. Im Praxisalltag sind Arbeitsunterbrechungen nicht nur von E‑Mails, sondern auch von anwesenden Personen oder Anrufen zu erwarten. In zukünftigen Untersuchungen wäre es demnach ebenfalls interessant, die Informationsmenge anhand von verschiedenen Arten von Arbeitsunterbrechungen zu messen, um konkrete Grenzwerte in Abhängigkeit der Art der Arbeitsunterbrechung zu ermitteln. Dieses Vorgehen würde der Klärung von Superpositionen näherkommen.

4.4 Implikationen für die Praxis

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um einen wissenschaftlichen Ansatz, der in ein Gesamtprojekt eingebettet ist, um die Möglichkeit zu prüfen, Grenzwerte psychischer Belastung zu definieren. Dennoch zeigen sich Empfehlungen für die betriebliche Praxis.

Es wird gezeigt, dass die Informationsmenge ein psychischer Belastungsfaktor ist und dass die Arbeitsleistung mit zunehmender Informationsmenge abnimmt. Daher sollte sowohl im beruflichen als auch im außerberuflichen Kontext auf einen angemessenen Umgang mit der Informationsübermittlung geachtet werden. Zunächst sollten die Beschäftigten geschult werden, welche Art von Informationen für ihre Arbeit relevant und damit im Sinne von Sumecki et al. (2011) geschäftskritisch sind, um das Risiko einer Informationsüberflutung zu reduzieren. Darüber hinaus sollten Personen, die eine E‑Mail versenden, darauf achten, nur die Personen in Kopie zu setzen, für die die E‑Mail tatsächlich eine geschäftsrelevante Information darstellt. Im Sinne der Cognitive Load Theory (Sweller 2003; Sweller et al. 2019) sollten Informationen so aufbereitet werden, dass sie für den Empfänger möglichst verständlich sind, beispielsweise durch eine gute Strukturierung.

Darüber hinaus sollten Themen gebündelt und in einer E‑Mail untergebracht werden, anstatt mehrere E‑Mails zu versenden, um Arbeitsunterbrechungen zu reduzieren.

Ebenso sollte eine E‑Mail- und störungsfreie Zeit ermöglicht werden, in der sich die Beschäftigten vollkommen einer Aufgabe widmen können.

Eine gute Aufgabenbearbeitung hängt nicht davon ab, wie schnell kommuniziert wird oder ob man sich dem Telepressure (Barber und Santuzzi 2015) beugt, sondern inwieweit die Aufgabe gemäß zeitlichen Vorgaben fehlerfrei, aktiviert und nicht ermüdet (siehe DIN EN ISO 10075‑1 2018) mit einer angemessenen Informationsmenge angegangen wird.