1 Einleitung

Der Strukturwandel in der Lausitz, der durch den geplanten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2038 verursacht wird, wird durch umfängliche Förderprogramme abgefedert. Gesetzliche Grundlage dieser Förderprogramme ist das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen (InvKG 2020). Im Sprachgebrauch der Administration wird zwischen Arm 1‑ und Arm 2‑Mitteln unterschieden (Staatskanzlei Brandenburg 2020). Die Arm 1‑Mittel werden in der Zuständigkeit der Länder vergeben; über die des Arms 2 entscheidet der Bund. Von den Mitteln, die der Bund im sogenannten Arm 1 in Aussicht stellt (14 Mrd. €) entfallen 25,8 % auf die Brandenburgische Lausitz. Das entspricht etwa 3,62 Mrd. € oder – bei einer veranschlagten Laufzeit von 18 Jahren (2021 bis zum Ausstiegsdatum 2038) – ca. 200 Mio. € pro Jahr (Staatskanzlei Brandenburg 2020). Antragsteller für diese Mittel sind primär Kommunen. Zu den finanziellen Mitteln, die zur Unterstützung der Region ausgereicht werden sollen, zählen auch die Mittel des Just Transition Funds (JTF) der Europäischen Union, die zum größeren Teil mit den Bundesmitteln verrechnet werden (Keilholz 2022).

Die Vergabe der Arm 1‑ und Arm 2‑Mittel soll sich an den Vorgaben des Strukturstärkungsgesetzes orientieren. Sie sollen dem „Ausgleich der Wirtschaftskraft“ dienen (InvKG 2020, § 1 Absatz (1)). Ferner heißt es dort: „Die Finanzhilfen (…) dienen insbesondere der Bewältigung des Strukturwandels und der Sicherung der Beschäftigung im Zuge des Ausstiegs aus dem Braunkohleabbau und der Verstromung von Braunkohle.“ (InvKG 2020, § 1 Absatz (2)). Ein erheblicher Teil der Mittel, die innerhalb des Arms 2 ausgereicht werden, sind durch die explizite Aufzählung von Projekten und Infrastrukturvorhaben innerhalb des InvKG bereits gebunden. Insbesondere bei den Mitteln des Arms 1 haben die Länder jedoch Dispositionsspielraum, auf welche Weise sie die Ziele Ausgleich der Wirtschaftskraft, Bewältigung des Strukturwandels und Sicherung der Beschäftigung erreichen wollen.

Da die Kriterien der Mittelvergabe mit der Charakterisierung „Ausgleich der Wirtschaftskraft“ noch recht vage beschrieben sind, stellt sich die Frage nach den richtigen Prioritäten der Mittelvergabe für die Mittel des Arms 1. Die Antwort auf diese Frage stellt insbesondere in peripheren und strukturarmen Regionen wie der Lausitz eine besondere Herausforderung dar. Ein Konzept, das verspricht eine Prioritätensetzung zu ermöglichen, auf Regionen mit einen solchen wirtschaftlichen Entwicklungsrückstand wie in der Lausitz abzielt und sich eines großen akademischen wie politischen Zuspruches erfreut, ist die intelligente Spezialisierung (Foray 2016). Mittlerweile ist die Existenz von einschlägigen Konzepten in der Europäischen Union vielfach Vorbedingung für eine regionale Förderung aus dem EU-Haushalt (European Commission 2014); Mittel aus dem just transition funds werden beispielsweise nur vergeben, wenn ein „territorial just transition plan“ vorliegt, dessen Anforderungen an das Konzept der intelligenten Spezialisierung angelehnt sind (EU 2021, Artikel 11).

Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob und in welchem Umfang das Konzept der intelligenten Spezialisierung eine sinnvolle Prioritätensetzung bei der Vergabe von Fördermitteln in der brandenburgischen Lausitz erlaubt. Unsere These, die im Folgenden begründet werden soll, lautet, dass die wirtschaftliche Struktur der Lausitz zu heterogen ist um jenseits der Energiewirtschaft (siehe den Beitrag von Caron Pomp in diesem Heft) zwanglos die Bestimmung von wirtschaftlichen Förderschwerpunkten zu erlauben. Eine intelligente Spezialisierung erscheint in einigen Bereichen durchaus sinnvoll; sie kommt jedoch – zumindest in der Brandenburgischen Lausitz – durch Kooperation mit anderen Regionen und deren Wirtschaftsschwerpunkten zustande. Anders ausgedrückt: die Entwicklung der wirtschaftlichen Strukturen in der Lausitz kann nicht allein als ein regionsendogener Prozess konzipiert werden.

Der Gang der Argumentation ist wie folgt: Im zweiten Abschnitt stellen wir die theoretischen Hintergründe des Konzeptes der intelligenten Spezialisierung vor und präsentieren einige methodische Rezepte, wie sich möglicherweise solche wirtschaftlichen Spezialisierungsmuster identifizieren lassen. Im dritten Abschnitt werden einige dieser Methoden auf die brandenburgische Lausitz angewandt. Im vierten Abschnitt fassen wir die Ergebnisse zusammen und diskutieren einige Implikationen für eine Politik, die sich auf die Eigenheiten des Raumes einlässt („place based strategy“).

2 Theoretischer Hintergrund

Der bekannteste Vertreter der intelligenten Spezialisierung, Domenique Foray, definiert den Begriff wie folgt: Intelligente Spezialisierung ist „(…) the capacity of an economic system (a region for example) to generate new specialities through the discovery of new domains of opportunity and the local concentration and agglomeration of resources and competences in these domains.“ (Foray 2015, S. 1) Die Definition beinhaltet folgende wichtige Definitionsmerkmale. (1) Intelligente Spezialisierung bezieht sich auf Eigenschaften eines regionalen Wirtschaftssystems. (2) Sie bezeichnet Bereiche, in denen diese Regionen eine lokale Konzentration und Agglomeration von Ressourcen aufweisen. (3) Diese lokalen Agglomerationen werden als Domänen – Foray benutzt bewusst diesen Begriff, um sich von Branchen und Clustern abzugrenzen – bezeichnet, in denen sich Gelegenheiten für neue wirtschaftliche Entwicklungen ergeben können.

„Smart specialisation fundamentally is based on a process of entrepreneurial discovery (…).“ (Foray et al. 2009, S. 7) Sie ergeben sich also nicht einfach als Ergebnis eines gegebenen Branchenprofils oder auffälliger Schwerpunkte im Innovationsgeschehen, sondern sind Ergebnis eines sozialen (Entdeckungs‑)Prozesses, der nicht „von allein“ stattfindet sondern – meist durch politische Akteure – angestoßen werden muss. Die Akteure, die in diesem Prozess aktiv werden, sind daher nicht nur Unternehmen im klassischen Sinne. „Entrepreneurs in a broad sense (firms, higher education institutions, independent inventors and innovators) are in the best position to discover the domains of R&D and innovation in which a region is likely to excel given its existing capabilities and productive assets.“ (Foray et al. 2009, S. 7).

Das Ergebnis dieses Prozesses sollen jene Bereiche sein, in denen eine gegebene Region komparative Vorteile gegenüber anderen Regionen hat (Esparza-Masana 2022, S. 636). Das sind solche Bereiche, in denen die gegebenen ökonomischen Stärken einer Region genutzt werden können, die aber nicht identisch mit dem gegebenen Wirtschaftsprofil der Region sind, sondern Entwicklungen in neue Bereiche hinein beinhalten. In der Literatur wird dafür häufig der Begriff der „related variety“ benutzt (Frenken et al. 2007; Content und Frenken 2016).

Einige Besonderheiten des Konzeptes, die es mit Ansätzen der sogenannten place based policy (Barca et al. 2012; Neumark und Simpson 2015; Grillitsch und Asheim 2018) teilt, seien hervorgehoben. Erstens sind die Ausgaben für FuE und das FuE-Personal in dieser Sichtweise nicht mehr das einzige Merkmal für ein erfolgreich operierendes regionales Innovationssystem (Capello und Kroll 2016, S. 1393). Innovationen können viele lokale Beweggründe haben und durch lokale Bedürfnisse und Probleme getrieben werden; sie müssen sich auch nicht notwendigerweise in einer großen Zahl von wirtschaftlich genutzten Patenten niederschlagen (Pomp und Zundel 2021). Überdies legen die Erkenntnisse der Institutionenökonomie die Vermutung nahe, dass Governance einen Unterschied bei der Innovationspolitik machen kann (siehe unten). Ferner wird der „Entrepreneurial Discovery Process“ (EDP) als ein Bottom-up-Prozess verstanden, in dem in erster Linie die lokalen und regionalen Akteure Entwicklungsziele für ihre Region formulieren und nicht übergeordnete politische Ebenen (Foray et al. 2009). Regionale Eigenheiten sollen auch durch regionale Akteure Eingang finden in die Formulierung eines strategischen Portfolios.

Das Konzept der intelligenten Spezialisierung hat mehrere wissenschaftliche Wurzeln. Besonders bedeutsam ist die neue ökonomische Geografie, in deren Modellen postuliert wird, dass selbstverstärkende Effekte unter Bedingungen einer monopolitischen Konkurrenz dazu führen, dass sich Standortvorteile von Agglomerationen gegenüber peripheren Regionen verfestigen (Krugman 1991; Fujita und Mori 1997; Pflüger 2008). Pfadabhängigkeiten sind auch das Schlüsselargument solcher Erklärungsansätze, die das Beharrungsvermögen von Technologien in einer Region, die Braunkohleverstromung im Falle der Lausitz, auf die drohende Entwertung von vorhandenem Kapital und Know how zurückführen (Martin und Sunley 2006). Aus allokationstheoretischer Sicht folgt daraus, dass eine gegebene Allokation von wirtschaftlichen Aktivitäten im Raum nicht zwangsläufig ein wirtschaftliches Optimum repräsentiert und – vorausgesetzt, die Politik verfügt über ausreichende Steuerungskompetenz – auch verbessert werden kann.

Wichtig ist auch die institutionenökonomische Perspektive, die in die Grundannahme mündet, dass das spezifische institutionelle und politische Setting einer Region maßgeblich das Innovationsgeschehen prägt. Insbesondere das Konzept der regionalen Innovationssysteme transponiert diesen Gedanken auf Regionen (Cooke und Morgan 1994; Asheim und Isaksen 1997). Die Institutionen und die Governance kann demnach einen Unterschied in den Wachstumsaussichten von peripheren Regionen wie der Lausitz machen.

Solche theoretischen Überlegungen und die sie stützenden empirischen Befunde liefern Argumente für einen Steuerungsansatz, der in die Literatur als „place based policy“ bekannt und gegenüber raumneutralen Steuerungsansätzen abgegrenzt worden ist. Mit den Worten von Barca et al. lässt sich das entscheidende Abgrenzungsmerkmal dieses Ansatzes wie folgt ausdrücken: „In essence, the differences between the space-neutral and the place-based approaches center on the question of whether the territorial systems in evidence today are the result of a unique first-best solution to efficiency and space or rather of path dependency, sunk costs, and institutional issues.“ (Barca et al. 2012, S. 141) Wenn letzteres der Fall ist, gibt es Gründe für die Annahme, dass über eine „place based policy“ ungenutzte Wachstumspotentiale freigesetzt werden können, die anderenfalls bei einem regionenunspezifischen Politikansatz nicht hätten mobilisiert werden können.

Maßnahmen im Begründungskontext einer „place based policy“, in Sonderheit im Rahmen des Konzeptes einer intelligenten Spezialisierung, sind damit nicht einfach als ein verteilungspolitisches Zugeständnis und damit als Effizienzverlust konzipiert, sondern dienen der Mobilisierung ungenutzter Wachstumspotentiale und müssen damit auch nicht notwendigerweise zu Wachstumseinbußen auf nationaler Ebene führen, weil staatliche Fördergelder womöglich nicht in die effizienteste Verwendung gegangen sind. Es geht also nicht in erster Linie um eine Angleichung der Lebensverhältnisse, sondern um eine Korrektur einer gegebenen Ressourcenallokation mit dem Ziel, regionale Wachstumspotentiale freizusetzen. Dass durch eine erfolgreiche Stimulierung des regionalen Wachstums auch der regionale Verteilungsspielraum in Form von Einkommen und Steuern größer werden soll, ist konzeptionell lediglich ein willkommener Nebeneffekt.

Zwischen 2000 und 2010 wurden solche Argumente über eine Serie von Reports auch im politischen Raum populär (siehe Barca et al. 2012, S. 135). Besonders populär in der Europäischen Union war der Report von Foray et al. 2009, der maßgeblich den Begriff der intelligenten Spezialisierung in den politischen Diskurs eingeführt hat. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch den offenkundigen empirischen Befund, dass die politische Strategie der EU zum Ausgleich regionaler wirtschaftlicher Disparitäten bis dahin nur bescheidene Erfolge erzielt hatte. Die neue akademische Ausrichtung traf auf politische Akteure, die sich nach Alternativen zu einer Politik umgesehen haben, die als nicht sonderlich erfolgreich wahrgenommen wurde.

Seit 2013 ist eine Strategie der intelligenten Spezialisierung eine Bedingung der Mittelvergabe für fast alle EU-Fonds, die auf den Ausgleich nationaler und regionaler Disparitäten zielen, insbesondere für den European Regional Development Fund (ERDF) (Verordnung (EU) Nr. 1301/2013). Den Mitgliedsländern und Regionen wird seitdem die Vorlage von thematischen Prioritäten, die im Rahmen eines EDP entwickelt werden sollen, abverlangt.

Es kann kaum verwundern, dass ein Konzept, das im wissenschaftlichen ebenso wie im politischen Diskurs so viel Aufmerksamkeit bekommen hat, auch viel Kritik ausgelöst hat. Die kritischen Einwände reichen von der Aussage, das Konzept sei alter Wein (Clusterpolitik) in neuen Schläuchen (intelligente Spezialisierung) (Hassink und Gong 2019) bis hin zu der Feststellung, dass die empirische Evidenz für den Erfolg dieses politischen Konzeptes bislang weitgehend fehle (z. B Morgan 2015; Esparza-Masana 2022), verbunden mit der Forderung, dass es dringend eines ernstzunehmenden Monitoringsystems bedürfe (ebda.).

Dieser Befund korrespondiert mit unseren eigenen Literaturrecherchen. Es gibt nach unserem Kenntnisstand bislang keine empirische Studie, die systematisch Evidenz für die These schafft, dass das Konzept erfolgreich war und einen messbaren Effekt auf Produktivität oder das Bruttoinlandsprodukt jener Regionen hätte, in denen dieses Konzept angewandt wird. Das kann an den langen Zeiträumen liegen, die erforderlich sind, um einen erfolgreichen regionalen Aufholprozess zu absolvieren und die womöglich ein systematisches Forschungsdesign erschweren, ist aber doch überraschend.

Mit Blick auf solche Regionen wie die Lausitz, die wirtschaftlich eher schwach sind, wird ein Europäisches Innovationsparadox festgestellt, wonach gerade jene Regionen, die eine Weiterentwicklung des regionalen Innovationssystems am dringendsten nötig haben, über die geringste Absorptionskapazität für solche Impulse verfügen. Vereinfacht ausgedrückt: Die lokalen Akteure, insbesondere die KMU in solchen Regionen, sind nicht imstande, Projekte mit hohem Innovationsgrad zu formulieren, die der Staat finanziell unterstützen könnte (Uyarra et al. 2018; Papamichail et al. 2019). Kritisch gegenüber dem „Entrepreneurial Discovery Process“ wird auch angemerkt, dass die Formulierung regionaler Entwicklungsziele Gefahr läuft von Partikularinteressen tradierter wirtschaftlicher Entwicklungspfade korrumpiert zu werden (Gianelle et al. 2020) und der von den Präferenzen der beteiligten regionalen Akteure gesteuerte Bottom-up-Prozess ergänzt werden sollte durch mehr evidenzbasierte Erkenntnisse (Kroll 2015; und Kleibrink et al. 2017). Auch wenn der Prozess gut läuft, existiert speziell für periphere, dünn besiedelte und wirtschaftlich schwache Regionen oft das Problem, dass sie in kaum einem wirtschaftlichen Bereich die kritischen Massen finden, die im globalen Wettbewerb den Ausschlag geben. Das kann dazu führen, dass regionale Entwicklungsziele in Ermangelung kritischer Massen lediglich nationale oder internationale Entwicklungsziele duplizieren (Capello und Kroll 2016, S. 1395), also gerade nicht regionale Spezifika wiederspiegeln.

Vor allem der letzte Befund hat in der Literatur über wirtschaftlich schwache Regionen zwei bemerkenswerte Reaktionen ausgelöst. Die eine besteht darin, dass wirtschaftlich rückständige Regionen ihr strategisches Portfolio womöglich in Arbeitsteilung mit anderen Regionen entwickeln müssen, weil sie in keinem Bereich genügend Ressourcen mobilisieren können, um sich im internationalen Wettbewerb behaupten zu können (Capello und Kroll 2016; Esparza-Masana 2022). Die andere bestand darin, in solchen Regionen, die sich durch ein schwaches regionales Innovationssystem auszeichnen („thin regional innovation system“) vor allem auf solche Innovationen zu setzen, die sich in diesen Regionen leichter realisieren lassen und die sich durch den „doing-using-interacting-mode“ von solchen Innovationen abgrenzen lassen, die eher durch die Wissenschaft und durch die Technologie getrieben werden (Isaksen und Trippl 2017). Und schließlich wurde vor allem in jüngerer Zeit immer wieder eingefordert, dass sich die regionalen Entwicklungsvorstellungen insbesondere an den ökologischen und digitalen Transformationsvorstellungen der EU auszurichten haben und neben den Risiken (phasing out von karbonintensiven Industrien) eben auch Chancen in diesem Prozess existieren, die es regional angepasst auch zu nutzen gilt (Esparza-Marzana 2022; Gianelle et al. 2020).

3 Spezialisierungsmuster in der Lausitz – empirische Befunde

Folgt man den Überlegungen von Foray et al. 2007 dann muss der Ansatz der intelligenten Spezialisierung mit der Identifikation jene Bereiche (Domänen) starten, in denen die Ressourcen der Region eine innovative Weiterentwicklung aussichtsreich erscheinen lassen. Dabei legt er die Messlatte für die Ergebnisse des EDP hoch: „The latter should have the potential to transform existing regional economic structures. That is to say, smart specialization is not about more of the same, but more about R&D and innovation in existing sectors.“ (Foray 2015, S. 11).

Der Versuch, Schwerpunkte der wirtschaftlichen Tätigkeit in der Lausitz zu identifizieren, hat eine gewisse Tradition. Tab. 1 gibt einen Überblick über einige einschlägige Veröffentlichungen und ihre Ergebnisse.

Tab. 1 Spezialisierungsmuster in der Literatur und in politischen Dokumenten zur Lausitz

Einige dieser Ansätze, die die Diskussion in der Lausitz in besonderem Maße geprägt haben, seien im Folgenden herausgegriffen und kommentiert. Ein früher Versuch, Schwerpunkte auf der Basis der Wachstumsdynamik zu identifizieren, ist der von Prognos (2013). Ziel dieser Studie war es sogenannte „Kompetenzfelder“ zu identifizieren. Dabei handelte sich um Branchen in der Lausitz, die sich zum Zeitpunkt der Untersuchung (2012) durch eine hohe Zahl von Beschäftigten und eine überdurchschnittliche Wachstumsdynamik im Vergleich zu anderen Branchen der Region ausgezeichnet haben.

Offensichtlich hat eine solche Betrachtung einen retrospektiven Bias. Die Stärken der Vergangenheit werden in die Zukunft prolongiert. In ruhigen Zeiten kann ein solcher Befund durchaus zutreffend sein; in Zeiten eines beschleunigten Strukturwandels durch ökologische Konversionserfordernisse, Digitalisierung, Rücknahme von Teilen der Globalisierung durch Krieg und Pandemie, liefert eine solche Herangehensweise kaum noch belastbare Hinweise. Der Vergleich von Branchen innerhalb einer Region ist insofern irreführend, weil eine herausragende Branche innerhalb einer Region im bundesdeutschen Maßstab immer noch eine schwache Performance haben kann.

Schwerer wiegt in dieser Hinsicht noch, dass die Identifikation von Kompetenzfeldern auf diesem Weg von den Stärken, die andere Regionen auf solchen Gebieten haben können, absieht. Die Branche, die in der Lausitz die erste ist, ist das auch dann, wenn sie eine beeindruckende Wachstumsdynamik und viele Beschäftigte in der Lausitz aufweist, nicht notwendigerweise in Deutschland, der EU oder im Weltmaßstab. Hier bedarf es eines Bezuges zur Größe der Region. Die Lausitz ist trotz ihrer geografischen Ausdehnung gemessen an Ihrer Einwohnerzahl (1,3 % der Gesamtbevölkerung in Deutschland) oder am Bruttoinlandsprodukt (1 % des BIP von Deutschland) eine kleine Region in Deutschland. Die Vermutung ist naheliegend, dass andere Regionen in den Kompetenzfeldern mehr Gewicht auf die Waage legen können und die Stärken der Lausitz sich deutlich bescheidener ausnehmen, wenn ein Vergleich mit den Regionen vorgenommen werden würde, die beispielsweise wie Baden-Württemberg für den Maschinenbau oder das Rheinland für die Chemie- und Kunststofferzeugung stehen. „Kompetenzfelder“ sind so gesehen teilweise ein Artefakt der Regionsabgrenzung.

Ein Ansatz, der einen Teil dieser Probleme adressiert, ist die Berechnung der Standortkoeffizienten für die Branchen in der Lausitz. Dieser Ansatz wird zum Beispiel von RWI (2018)Footnote 1 verfolgt. Der Standortkoeffizient gibt das Verhältnis des Anteils der SV-Beschäftigten eines Wirtschaftszweigs in der betrachteten Region im Verhältnis zu dessen Anteil in Deutschland an. Zahlen über 1 signalisieren eine überdurchschnittliche Repräsentanz, Zahlen unter 1 eine unterdurchschnittliche. Wenig überraschend ist der Bereich der Land-Forstwirtschaft und Fischerei im Lausitzer Revier mit einem Wert von 2,97 stark überdurchschnittlich ausgeprägt. Darin spiegelt sich die überwiegend ländliche Struktur der Untersuchungsregion. Auch der Wert von 2,34 für Bergbau, Energie und Wasserversorgung sowie Energiewirtschaft kann wenig überraschen. Alle anderen Werte sind unauffällig oder stark unterdurchschnittlich wie zum Beispiel der Wert für Information und Kommunikation mit 0,32. Solche Ausreißer nach unten werden von den Autoren dieser Studie als Indikatoren für einen Nachholbedarf interpretiert.

Die Autoren haben eine aktualisierte Berechnung für das Jahr 2019 durchgeführt (Nagel und Zundel 2020, S. 8), die den Branchenzuschnitt etwas modifiziert und an die Kompetenzfelder angepasst hat. Abb. 1 illustriert, dass das Ergebnis sehr ähnlich ausfällt.

Abb. 1
figure 1

Standortkoeffizienten für ausgewählte Kompetenzfelder. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2019; eigene Darstellung)

Der Energiebereich ist ähnlich auffällig wie auch in den Berechnungen des RWI. Der Bereich Lebensmittelindustrie und Ernährung weist ebenfalls einen höheren Standortkoeffizienten auf. Der Standortkoeffizient der Kreativwirtschaft ist demgegenüber deutlich unterdurchschnittlich; angesichts der definitorischen Überschneidung mit dem Bereich Kommunikation und Information dürfte dieser Befund das Pendant zu dessen niedrigen Standortkoeffizienten in den Berechnungen des RWI sein. Auffällig ist lediglich, dass der Standortkoeffizient von 1 für den Bereich Tourismus signalisiert, dass die Lausitz drei Destinationen (Spreewald, Lausitzer Seenland, Zittauer Mittelgebirge) ausweist, für die zusammen mit singulären Attraktionen mittlerweile deutlich über 10.000 Arbeitsplätze gezählt werden können (Nagel und Zundel 2021, S. 30).

Wie oben erwähnt, ist die Zuschreibung von ökonomischen Eigenschaften zur Lausitz irreführend, weil die Gebietskulisse des InvKG eine große und in sich sehr heterogene Region zusammenführt. Das Fördergebiet besteht aus fünf Gebietskörperschaften auf der Brandenburgischen Seite (die Kreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Spree-Neiße, Oberspreewald-Lausitz und die kreisfreie Stadt Cottbus) und zwei Großkreisen (Bautzen und Görlitz) auf der sächsischen Seite. Die Lausitz in dieser Definition hat eine ungefähre Ausdehnung von 200 km in Nord-Süd-Richtung und eine Ausdehnung von ca. 140 km in Ost-West-Richtung. Sie umfasst einen großen (Berlin) und einen kleinen (Dresden) Speckgürtel, das Kerngebiet der Braunkohleverstromung um Cottbus, Spremberg, Jänschwalde und Boxberg, einen stark ländlich geprägten Kreis (Elbe-Elster), drei größere Tourismusgebiete (Spreewald, Lausitzer Seenland, Zittauer Mittelgebirge) und wird von einer Landesgrenze durchschnitten.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage relevant, ob sich kleinräumig deutlichere wirtschaftliche Schwerpunkte abzeichnen als im statistischen Vogelflug der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Zu diesem Zweck wurde eine Auswahl von kleinen und mittleren Städten vorgenommen, die das Kriterium einer Mindestgröße von 3000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erfüllten (alle Angaben im Folgenden aus Nagel und Zundel 2021, S. 9 ff.). Abb. 2 zeigt die kommunalen Standortkoeffizienten für eine Auswahl von Branchen, die sich an die Schwerpunkte in Tab. 1 anlehnt.

Abb. 2
figure 2

Branchen mit einem Standortkoeffizienten > 2 in ausgewählten Gebietskörperschaften der Lausitz. (Quelle: Nagel und Zundel 2021, S. 9; auf der Grundlage der Markusdatenbank (Bureau van Dijk 2019))

Neben wenig überraschenden Ergebnissen wie der starken Präsenz der Chemie- und Kunststoffwirtschaft in Schwarzheide (BASF) und der starken Präsenz der Energiewirtschaft in Spremberg gibt es auch einige nicht ganz so bekannte Schwerpunkte wirtschaftlicher Aktivität wie die Lebensmittelwirtschaft in der Nähe von Dresden oder die Glasindustrie in Weißwasser. Einschränkend muss hier angefügt werden, dass die Markusdatenbank kein vollständiges Bild der Lausitzer Wirtschaft zeichnet.

Wenn in einer Schulklasse 5 Kinder Fußball spielen können und das 3 mehr sind als in der Parallelklasse, dann besitzt diese Klasse dennoch nicht die Größe, um eine Fußballmannschaft zu bilden, für die bekanntlich mindestens 11 Spieler benötigt werden. Ein Kompetenzfeld bedeutet nicht nur, dass eine Region im Vergleich zu einer anderen über bessere und umfangreichere Ressourcen verfügt, sondern auch, dass eine Mindestgröße erreicht wird, um im Wettbewerb erfolgreich zu sein. Je kleinräumiger die Einheit ist, auf die sich eine Kompetenzfeldanalyse bezieht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Mindestgröße verfehlt wird und Partner gesucht werden müssen, um sich erfolgreich im Wettbewerb behaupten zu können. Ein Analyseinstrument, das diesen Sachverhalt adressiert, ist die Bildung eines Clusterindexes. Methodisch wurde hier dem Vorgehen von Litzenberger und Sternberg (2006) gefolgt, die für den Clusterindex folgende Formel verwenden:

$$CI_{ij}=\frac{\frac{E_{ij}}{a_{j}}}{\frac{E_{i}}{a}}\times \frac{\frac{E_{ij}}{p_{j}}}{\frac{E_{i}}{p}}\div \frac{\frac{E_{ij}}{b_{ij}}}{\frac{E_{i}}{b_{i}}}$$
Eij =:

Beschäftigung in Branche i in Region j

\(E_{i}\)=:

Gesamtbeschäftigung in Branche i

\(a_{j}\)=:

Fläche der Teilregion j

\(a\)=:

Fläche des Gesamtraumes

\(p_{j}\)=:

Anzahl der Einwohner in der Teilregion j

\(p\)=:

Anzahl der Einwohner im Gesamtraum

\(b_{ij}\)=:

Anzahl der in der Teilregion j ansässigen Betriebe in Branche i

\(b_{i}\)=:

Anzahl der im Gesamtraum ansässigen Betriebe in Branche i

Tab. 2 zeigt die Clusterindizes für die Brandenburgische Lausitz aus ausgewählten Branchen.

Tab. 2 Clusterindizes für die Brandenburgische Lausitz aus ausgewählten Branchen. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2019; eigene Berechnung)

Die Ergebnisse zeigen hier, dass allenfalls der Energiebereich ein Kandidat für einen Cluster wäre. In der Literatur werden jedoch deutlich höhere Werte für den Clusterindex gefordert, bevor von einem echten Cluster gesprochen werden kann (Litzenberger und Sternberg 2006). Zusammengefasst kann man feststellen: Mit welchen Ansätzen Schwerpunktbildungen auch immer erfasst werden, kritische Massen in der wirtschaftlichen Struktur im Sinne ausgebildeter Cluster oder besonders hervorstechender Branchen lassen sich in der Lausitz kaum erkennen. Eine gewisse Ausnahme bildet die Energiewirtschaft. Aber ähnlich wie auch bei anderen größeren Firmen wie der BASF, Siemens oder anderen handelt es sich um kleine Strukturen, wenn der Maßstab auf Deutschland oder gar auf Europa hochskaliert wird.

Kritisch gegen alle bisher präsentierten empirischen Befunde kann eingewandt werden, dass die Zahl der Beschäftigten und die Höhe der Wertschöpfung wenig über das innovative Potenzial der Branchen einer Region besagt. Gemessen an den üblichen Kriterien gilt die Lausitz jedoch als forschungsschwach (Pomp und Zundel 2021). Einige Kenndaten untermauern diesen Befund. Die unternehmensinternen FuE-Aufwendungen lagen 2017 bei 0,5 % des BIP in der Lausitz. Bundesweit waren es ca. 2 %. Der Anteil der Beschäftigten im Bereich FuE lag bei etwa 0,3 % in der Lausitz. Bundesweit waren es ca. 1,3 %. Die Zahl der Patentanmeldungen pro 100.000 Einwohner betrug für die Lausitz 2017 9,5; für Deutschland betrug diese Zahl im gleichen Zeitraum 57,71 (Alle Angaben aus Pomp und Zundel 2021).

Eine gewisse Ausnahme von der Charakterisierung als forschungsschwacher Region bildet die überdurchschnittliche Inanspruchnahme der ZIM-Förderlinien (Pomp und Zundel 2021, S. 16). Der rege Zuspruch aus der Lausitz deutet darauf hin, dass diese Förderprogramme gut auf die Bedürfnisse des Mittelstandes abgestimmt sind. Die überdurchschnittliche Inanspruchnahme aus der Region spricht auch dafür, dass die KMU der Region durchaus in Forschung und Entwicklung aktiv sind. Die geringe Zahl der Patente in der Lausitz legt jedoch die Vermutung nahe, dass die Projekte, die in den ZIM-Programmen durchgeführt werden, weniger von neuen Technologien getrieben als von der Lösung von Anwendungsproblemen geprägt sind. Sie entsprechen damit eher dem Innovationstyp, der in der Literatur als DUI-Typ (siehe oben) charakterisiert wird.

Schaut man sich die Wissenschaftsprojekte an, die unter Beteiligung von Akteuren aus der Region entwickelt wurden und die sich im Forschungskatalog der Bundesregierung abbilden, zeigt sich ein ähnliches Bild (Tab. 3).

Tab. 3 Forschungsförderschwerpunkte in der Lausitz zwischen 2010–2020. (Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung 2022)

Gemessen am Bevölkerungsanteil der Lausitz an der deutschen Gesamtbevölkerung müssten die Akteure aus der Lausitz 1,37 % der Forschungsmittel im Untersuchungszeitraum akquiriert haben. Faktisch sind es im Untersuchungszeitraum von 2010 bis 2020 lediglich 0,55 %. Darin spiegelt sich die allgemeine Forschungsschwäche der Lausitz. Forschung findet überdies, wie in vielen peripheren Regionen Ostdeutschlands vor allem an Hochschulen statt. Industrieforschung ist hingegen selten (Ihle et al. 2020). Schwerpunkte sind in dieser eher grobkörnigen Einteilung der Bundesregierung kaum zu erkennen. Relativ viele Mittel fließen in die Energieforschung, den Themenbereich Klima und Nachhaltigkeit, Werkstofftechnologien und die Entwicklung von Produktionstechnologien. Dies sind überwiegend auch Themenbereiche, in denen die Drittmittelakquisition der BTU und der beiden technischen Hochschulen der Region besonders stark ist. Angesichts der Relation von hochschulgebundener und Industrieforschung in den neuen Bundesländern, kann der Befund, wonach die Forschungsprogramme der Hochschulen die Forschungslandschaft der Region insgesamt geprägt haben, nicht überraschen. Es dürfte aber auch hier, ähnlich wie bei der Clusteranalyse gelten, dass die relative Stärke in Bezug auf den Lausitzer Durchschnitt noch keine wettbewerbsfähige kritische Masse mit Bezug auf den deutschen oder gar europäischen Durchschnitt darstellt.

Auch ohne eine Netzwerkanalyse darf angenommen werden, dass die Forschungslandschaft in der Lausitz bislang noch kein regionales Innovationssystem (RIS) darstellt, das durch ein klare Abgrenzung von innen und außen, die sich überdies an den Grenzen der Förderkulisse orientiert, beschrieben werden könnte. Das wird sich in den nächsten Jahren vermutlich ändern, weil der massive Ausbau der Forschung mit Hilfe der Strukturstärkungsmittel neue Akteure außerhalb der Hochschulen – zum Beispiel außeruniversitäre Forschungsinstitute – und neue Themen – zum Beispiel Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie – auf den Plan gerufen haben. Die Forschungsdichte in der Lausitz wird erheblich zunehmen (Zundel 2021). Das muss allerdings nicht zwangsläufig den Wissenstransfer zwischen den Akteuren der Region beflügeln. Eher ist anzunehmen, dass der Aufbau von kritischen Massen in der Wissenschaft die Lausitz attraktiv für Unternehmen außerhalb der Lausitz macht. Angesprochen sind vor allem kleine agile technologieaffine Gründungen oder große technologieaffine Unternehmen, die über eine deutlich höhere Absorptionskapazität für Wissen verfügen als das im Durchschnitt für den existierenden Lausitzer Mittelstand angenommen werden darf.

Folgt man den Anforderungen an die intelligente Spezialisierung ist eine Analyse, die sich auf Branchen- oder Forschungsprofile stützt, vermutlich unzureichend. Gefordert ist ein „entrepreneurial discovery process“, der neue Potenziale aufschließt, die sich mit den gegebenen Ressourcen der Region erschließen lassen. Solche Entdeckungsprozesse lassen sich auch in der Lausitz finden.

Ein Beispiel dafür war die Innovationsregion Lausitz, die von der IHK Cottbus und der BTU betrieben und mit dem Ziel eingerichtet wurde, für ausgewählte Themengebiete die Innovationspotentiale der Region zu identifizieren und in einschlägige Projekte zur weiteren Entwicklung zu überführen. In diesem Rahmen wurden z. B. Konzepte wie Smart City oder Power 2 to X verfolgt (Lange et al. 2020). Es zeigte sich bald, dass die regionalen unternehmerischen Akteure mit mittel- und langfristigen Suchprozessen über so breit angelegte Themenspektren eher überfordert waren (Lange et al. 2020).

Ähnlich, aber deutlich kleinteiliger ist das Projekt Innohub der BTU und der TH Wildau angelegt, in dem zu ausgewählten Themen (Life Sciences, Leichtbau, digitale Integration) entsprechend spezialisierte Transferscouts aktiv auf mögliche Partner in Wirtschaft und Wissenschaft zugehen und Projektentwicklung betreiben (https://innohub13.de/innovation-hub/). Gegenüber dem Ansatz der Innovationsregion sind die Projekte jedoch thematisch enger geführt und damit auch kleinteiliger. Sie helfen so einzelnen Unternehmen der Projektregion ihr innovatives Potenzial zu entwickeln, bieten aber allenfalls schwache Hinweise auf mögliche Entwicklungsschwerpunkte der ganzen Region. Die thematischen Schwerpunkte von Innohub bilden demgegenüber lediglich die Forschungsprofile zweier Hochschulen ab, nämlich der BTU und der TH Wildau, und nicht eine denkbare Schwerpunktsetzung in der regionalen Wirtschaft.

Mittlerweile spielen auch die Wirtschaftsregion Lausitz (https://wirtschaftsregion-lausitz.de/) und ihre Werkstattprozesse (Heer 2021) eine gewichtige Rolle bei der Entwicklung möglicher Schwerpunkte der Regionsentwicklung. Wenngleich bislang nur öffentliche Einrichtungen bei den Strukturförderungsmitteln antragsberechtigt sind, bemüht sich die Wirtschaftsregion mit Infrastrukturprojekten den Prozess der Neuformierung der Wirtschaftsstruktur in der Lausitz aktiv zu begleiten. Die Etablierung einer Wertschöpfungskette zur Batterieproduktion im Gefolge der Ansiedlung von Tesla, der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur für den öffentlichen Nachverkehr ebenso wie für die industrielle Nutzung, Carbonfasern und Leichtbau, Tourismus und nachhaltige Lebensmitterzeugung/Bioökonomie sind einige wirtschaftliche Strukturen, die jetzt oder womöglich in naher Zukunft mit passenden Infrastrukturprojekten begleitet werden (sollen).

4 Ergebnisse und Interpretation

Die Wirtschaftslandschaft in der Lausitz ist nach wie vor heterogen und zeigt jenseits der Energiewirtschaft (siehe den Beitrag von Caron Pomp in diesem Heft) keine ausgeprägten Schwerpunkte. Es gibt jedoch interessante Ausnahmen von der „Regel“. In einer kleinräumigeren Betrachtung lassen sich einige Mikropotentiale identifizieren, die bestimmte wirtschaftliche Traditionen ausdrücken (zum Beispiel der Lebensmittelcluster nahe Dresden) oder „Reste“ ehemaliger Kombinate der DDR, die es geschafft haben unter Wettbewerbsbedingungen zu überleben (so zum Beispiel Textilien in Guben oder Glas rund um Weißwasser). Zwei bedeutsame Ausnahmen sind der Chemiecluster in Schwarzheide und der Transportcluster in Görlitz. In beiden Fällen haben westdeutsche Großunternehmen (BASF, Siemens) mit staatlicher Hilfe größere wirtschaftliche Strukturen aufgebaut. Singuläre hidden champions wie zum Beispiel Kjellberg in Finsterwalde oder Reier in Lauta und lokale Schwerpunktbildungen wie zum Beispiel der Lebensmittelcluster bei Dresden runden dieses Bild ab. Mit welchen Ansätzen Schwerpunktbildungen auch immer erfasst werden, kritische Massen in der wirtschaftlichen Struktur im Sinne ausgebildeter Cluster lassen sich nicht erkennen. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine intelligente Spezialisierung nicht Ansatzpunkte in den spezifischen Gegebenheiten der Lausitz findet.

Neben der Konversion der Energiewirtschaft lassen sich mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Prinzip folgende Ansätze unterscheiden:

  1. 1.

    Wirtschaftliche Strukturen in der Lausitz entwickeln sich in Arbeitsteilung mit größeren wirtschaftlichen Strukturen außerhalb der Lausitz. Dies zeichnet sich gegenwärtig in der Entwicklung einer Wertschöpfungskette Elektromobilität ab. Sie wird getrieben durch die Industrieansiedlung von Tesla in Grünheide, einer Kommune, die nahe Berlin aber lediglich am Rande der Lausitz liegt. Die Lausitz kann hier punkten, weil sie Vorteile in Gestalt von günstigen Gewerbeflächen und Zugang zu erneuerbarer Energie anbietet und weil mit der BASF-Schwarzheide ein Unternehmen in der Lausitz ansässig ist, das neben einer exzellenten Verkehrsanbindung auch den erklärten Willen und das Kapital mitbringt, an der Wertschöpfungskette der Batterieproduktion zu partizipieren. Weitere einschlägige Firmen in der Lausitz, die sich in dieser Wertschöpfungskette engagieren wollen, sind aktuell Altech, Rocktech, die BASF, Microvast in Ludwigsfeld und Tesla in Grünheide. Diese Herangehensweise entspricht einer Idee, die auch schon verschiedentlich in der Literatur vertreten wurde, wonach sich eine endogene Entwicklung einer Region stimulieren lässt, wenn sie als Teil einer größeren überregionalen Struktur entwickelt wird (Uyarra et al. 2018).

  2. 2.

    Ein zweiter Ansatzpunkt, kritische Massen zu erzeugen, der aktuell sehr stark in der Lausitz verfolgt wird, ist die Wissenschaft. Hier hat insbesondere die Brandenburgische Lausitz den Vorteil, mit der Brandenburgischen Technischen Universität bereits einen Ort aufzuweisen, an dem wissenschaftliche Ressourcen in einem entsprechenden Umfeld angesiedelt werden können. Zwei Überlegungen werden bei diesem Vorgang kombiniert. Zum einen ist das die Idee, durch die thematische Bündelung von wissenschaftlichen Ressourcen so viel kritische Masse auf die Waagschale zu bringen, dass eine Kooperation für Unternehmen innerhalb aber vor allem außerhalb der Region mit den wissenschaftlichen Akteuren vor Ort attraktiv wird. Beispiele sind das Center for Hybrid Electric Systems Cottbus (CHESCO) und das neu gegründete Energie Innovationszentrum (EIZ). Zum anderen ist das auch hier die Idee eine Kooperation mit einer starken Struktur außerhalb der Region, dem Technologiepark Adlershof in Berlin, für den ein Überlaufventil gesucht und vermutlich im geplanten Lausitz Science Park in Cottbus (RBB 2022; WISTA 2022) gefunden wurde.

  3. 3.

    In vielen peripheren Regionen wird es gleichwohl nicht möglich sein, solche Potenziale zu realisieren, die teils günstigen Umständen – die Ansiedlungsentscheidung von Tesla und die Nähe zu Berlin – teils einer sehr großzügigen Finanzausstattung – Strukturförderung in der Lausitz – geschuldet sind. Die Mikroanalyse in der Lausitz (Nagel und Zundel 2021) zeigt, dass es Dutzende erfolgreicher Mittelständler gibt, die sich in den letzten dreißig Jahren nach der Wende behauptet und die teils als Solitäre oder in kleinen Verbünden (z. B. Glas um Weißwasser, Metall in Finsterwalde oder Lebensmittel) ein überdurchschnittliches Wachstum gezeigt haben. Der Löwenanteil der Wertschöpfung in der Lausitz wird nach wie vor von ihnen erbracht und sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Lausitz wirtschaftlich in den letzten Jahren nicht zurückgefallen ist sondern mit einer Zeitverzögerung von ca. sieben bis acht Jahren das Wachstum des bundesrepublikanischen Durchschnitts nachvollzogen hat.

  4. 4.

    Intelligente Spezialisierung kann auch bedarfs-, problem- oder nachfragegetrieben sein. Der Aufbau einer Universitätsmedizin am Standort des Carl-Thiem-Klinikums in Cottbus, die das Gesundheitssystem in den Mittelpunkt der Arbeit und damit auch die Probleme der prekären ärztlichen Versorgung in peripheren Räumen stellt, ist ein einschlägiges Beispiel. Auch kleinteiligere Initiativen lassen sich in diese Kategorie einordnen, so zum Beispiel der Campus nachhaltige Lebensmittelerzeugung, der die erforderliche Anpassung der landwirtschaftlichen Erzeugung an die zunehmende Wasserknappheit der semiariden Böden in der Lausitz im Blick hat.

Daher muss das Fazit lauten, dass eine intelligente Spezialisierung auf der Basis der besonderen Ressourcen einer Region, in einer solchen peripheren Region wie der Lausitz nicht ohne weiteres möglich, aber auch nicht zwangsläufig erforderlich ist, weil Alternativen in Gestalt einer überregionalen konzertierten Entwicklung, der Schaffung kritischer Massen in der Wissenschaft, den KMUs der Region und problemgetriebener Ansätze vorhanden sind. Die Kompensation der Arbeitsplätze, die in den Bereichen Bergbau und Energieerzeugung durch den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung verloren gehen werden, wird auf diese Weise nach menschlichem Ermessen möglich sein. Ob das für die Region reicht, um auch eine aufholende Entwicklung gegenüber dem bundesdeutschen Durchschnitt bis 2038 zu realisieren, muss die Zukunft zeigen.

Der Opportunitätskosten für diese Entwicklung sind allerdings hoch. Für die brandenburgische Lausitz sind grob gerechnet 10 Mrd. € an Fördermitteln vorgesehen. Umgerechnet auf die gefährdeten Arbeitsplätze in der Braunkohleverstromung (ca. 13.000 direkt und indirekt, davon ca. 2/3 im Brandenburgischen Teil der Lausitz) wird jeder Ersatzarbeitsplatz mit mindestens einer Million € subventioniert. Es ist nicht sonderlich schwer, sich ökonomisch effektivere Verwendungen für diese Mittel vorzustellen.