Liebe Leserinnen und Leser,

Entscheidungsträger der Selbstverwaltung entscheiden über Gesundheitstechnologien und Versorgungsrichtlinien, damit eine adäquate Gesundheitsversorgung für die Versicherten garantiert werden kann. Politiker beschließen Reformmaßnahmen, um nationale und lokale Versorgungstrategien für die Bürger zu definieren. Kostenträger entscheiden über Versorgungsleistungen, damit ihre Versicherten bedarfsgerecht versorgt werden können. Ärzte entscheiden über die Therapiemaßnahmen, um den Gesundheitszustand ihrer Patienten wiederherzustellen oder zu verbessern.

Wir delegieren unsere Entscheidungskompetenz aufgrund von Informationsasymmetrien. Die Delegation erfolgt unter der Bedingung, dass die Entscheidung die Wohlfahrt der Bevölkerung, der Versicherten und der Patienten maximiert. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist es zwingend erforderlich, dass die Entscheidungsträger über unsere Präferenzen informiert sind. Die Forderung nach einer Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Entscheidungsfindung im Gesundheitswesen ist nicht neu. Es gibt kaum noch eine Behörde, ein Unternehmen oder ein Regulierungsorgan, dass nicht vorgibt, im Interesse der Patienten zu handeln. Bei der konkreten Umsetzung der Patientenorientierung und Partizipation offenbaren sich jedoch Lücken.

Bei wesentlichen Entscheidungen der Selbstverwaltung haben weder die Patienten oder ihre Vertreter ein Stimmrecht, noch können die tatsächlichen Entscheider auf Evidenz hinsichtlich der Patienten- oder Versichertenpräferenzen zurückgreifen. Der „Nutzen“ von Handlungsalternativen wird bewertet, ohne die Werte und Prioritäten der Betroffenen systematisch und transparent zu berücksichtigen. Dies ist umso bedenklicher, da die Erfüllung oder Verletzung subjektiv empfundener Wertvorstellungen der Maßstab für die Akzeptanz der betroffenen Bevölkerungsgruppen ist. Die Selbstverwaltung kann diesem Anspruch nur entsprechen, wenn es ihr gelingt, eine hinreichende Evidenzlage zu den Präferenzen der Bevölkerung zu schaffen und diese dann systematisch im Entscheidungsprozess zu berücksichtigen. Ohne die Berücksichtigung der Präferenzen ist eine effiziente Planung und Umsetzung von Gesundheitssystemen unmöglich.

Diese Ausgabe befasst sich mit Methoden, Instrumenten und Fragestellungen der Präferenzmessung. Das Spektrum reicht von der vergleichenden Kostenanalyse von sechs Anticholinergika (Felder, Mayrhofer), über die Untersuchung der Akzeptanz von spezifischen Verteilungsregeln (Ahlert, Schwettmann), bis zu der Diskussion der Methoden des Analytical Hierachy Process (Mühlbacher, Kaczynski) und des Best-Worst Scaling (Mühlbacher, Kaczynski, Zweifel), sowie zur Dokumentation der eigentlichen Präferenzen (Mühlbacher, Nübling) und der Zahlungsbereitschaft (Sennhauser, Zweifel) in spezifischen Indikationsgebieten aus der Perspektive von Patienten und Ärzten.

Unabhängig von den Methoden und Instrumenten der Präferenzmessung liegt die wesentliche Herausforderung der Patientenorientierung und Partizipation in der Erhebung und Interpretation der Werturteile der betroffenen Bevölkerung. Zukünftig gilt es diese Evidenz in die Entscheidungsprozesse, mit dem Ziel einer weitestgehend bzw. möglichst rationalen Entscheidungsfindung, einzubringen.

Mit besten Grüßen,

Prof. Dr. Axel C. Mühlbacher