Die ästhetische Chirurgie, eine der 4 Säulen der plastischen Chirurgie, ist eine anspruchsvolle, hoch spezialisierte chirurgische Disziplin, die alle Regionen des Körpers im Blickfeld hat und die eine Vielzahl an Methoden zur Körperformung und zur Beseitigung von Altersveränderungen entwickelt hat. Durch die modernen operativen Techniken (Mikrochirurgie, Gewebetransposition, Gewebeexpansion, Tissue Engineering) ist es möglich, auch umfangreiche Defekte, Entstellungen, pathologische Veränderungen und Fehlbildungen mit einem guten und oftmals sogar sehr guten ästhetisch-funktionellen Ergebnis zu behandeln.

Im Gegensatz zu anderen chirurgischen Disziplinen hat die plastische Chirurgie weniger Nachwuchssorgen. Bei der derzeitigen Beliebtheit der sich mit ästhetischer Chirurgie befassenden Fächer, die auf eine attraktive Niederlassung oder der Tätigkeit außerhalb der regulären Krankenversicherungssysteme gründet, sollte uns aber bewusst sein, dass der Erfolg plastisch-chirurgischer Eingriffe unmittelbar von Kenntnissen der Anatomie abhängt. Denn Grundlage aller chirurgischen Techniken ist nach wie vor eine detaillierte Kenntnis der anatomischen Strukturen, ihrer Topographie und der Variationen. Dabei muss dem Gefäßsystem eine ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Diese enge Verzahnung der Anatomie mit den chirurgischen Fächern besteht seit alters her, da die meisten Anatomen auch Chirurgen et vice versa waren. Besonders schön wird dies geschwisterliche Verhältnis in der Vignette des berühmten Chirurgen und Anatomen Fabricius Hildanus (1560–1634) ausgedrückt: „Die Anatomie ist Schlüssel und Steuerruder der Medizin“ (Abb. 1, 2).

Abb. 1
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Aus Fabrys Werk „Vom Nutzen der Anatomie“ von 1624

Abb. 2
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Von Arnold Künne geschaffene Bronzebüste des Fabricius Hildanus (Wilhelm Fabry) auf dem Marktplatz von Hilden. (Mit freundl. Genehmigung des Autors)

Der Erfolg plastisch-chirurgischer Eingriffe hängt unmittelbar von Kenntnissen der Anatomie ab

Bedauerlicherweise muss jedoch festgestellt werden, dass den auf der einen Seite zunehmend geforderten anatomischen Spezialkenntnissen auf der anderen Seite eine erhebliche Verflachung der anatomischen Ausbildung im Medizinstudium gegenübersteht. Man kann sogar sagen, dass sich die anatomische Ausbildung der Studenten mancherorts in einer ernst zu nehmenden Krise befindet, da der klassische Präparierkurs mit seinem bewährten Konzept schon an einigen Standorten (oftmals Modellstudiengänge) in Auflösung begriffen ist. Es stellt sich hier die Frage, wie der zukünftige chirurgische Nachwuchs die erforderlichen profunden anatomischen Kenntnisse erwerben soll und kann, wenn schon die Vermittlung der systematischen Anatomie im Medizinstudium erhebliche Lücken aufweist. Während noch vor einiger Zeit die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinchirurgie die zwingende Voraussetzung für die Weiterbildung zum plastischen Chirurgen war und anatomische Kenntnisse in dieser Zeit vertieft und aufgefrischt werden konnten, bleibt heutzutage durch die verkürzte Ausbildung dafür wenig Zeit. Somit potenzieren sich die Defizite in der studentischen Lehre und beeinträchtigen die solide anatomische Grundlage der Chirurgie. Diese Situation ist sehr bedauerlich, da „auf schwachem Fundament schließlich kein sicherer Bau“ errichtet werden kann!

Aus diesem Grunde erschien es uns angebracht, einmal auf die enge Verzahnung der beiden Fächer Anatomie und plastisch-ästhetische Chirurgie hinzuweisen und dies in einem Themenheft mit ausgewählten Beiträgen zu beleuchten.

Es ist uns eine große Ehre, dass wir hierfür renommierte Autoren gewinnen konnten, die sich der mühsamen Aufgabe der Manuskripterstellung neben ihrer verantwortungsvollen klinischen Tätigkeit nicht verweigert haben.

Herr Dr. Sandhofer und Herr Dr. Schauer stellen zusammen mit dem Grazer Anatomen Herrn Professor Dr. med. Anderhuber die Verhältnisse der Faszien und der Fettkompartimente dar, die für die ästhetisch-plastische Chirurgie von besonderer Bedeutung sind und die auch eine präparatorische Herausforderung darstellen.

Herr Professor Dr. Dr. med. Prof. h.c. mult. Pallua und Frau Dr. Verena-Constanze Buchinger-Kähler wenden sich in ihrem Aufsatz dem schwierigen Kapitel der Weichteilanatomie des Gesichts zu und stellen die bei verschiedenen Eingriffen gefährdeten Strukturen dar.

Herr Professor Dr. med. Prescher schildert die Anatomie der äußeren Nase, wobei den Nasenknorpeln und den Nasenmuskeln besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Herr Priv.-Doz. Dr. med. O`Dey stellt die anatomisch-funktionelle Rekonstruktion des weiblichen Genitales nach ritueller Beschneidung dar, die in umfangreichen anatomischen Untersuchungen in Aachen erarbeitet worden ist und die direkt in verbesserte operative Maßnahmen umgesetzt werden konnte.

Herr Professor Dr. med. Fuchs befasst sich mit den Bauchdecken, wobei der Gefäßsituation und den verschiedenen Operationstechniken besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Als Herausgeber des Themenheftes hoffen wir, der geneigten Leserschaft eine ansprechende Mischung von chirurgisch-anatomischen Arbeiten vorzulegen. Wenn hierdurch die alte Verzahnung und der Wissensaustausch zwischen unseren beiden Fächern wieder stärker in das Bewusstsein rücken könnten, wäre es sicherlich für beiden Seiten ein nicht zu unterschätzender Gewinn, und das Heft hätte seine Aufgabe erfüllt.

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Prof. Dr. A. Prescher

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Dr. Z. Taufig