1 Einleitung

„[A] brutal act“ (Michel, zit. n. Sengupta et al. 2017), „a major disappointment“ (Guterres, zit. n. Sengupta et al. 2017) oder „a rogue state“ (Robinson, zit. n. Sengupta et al. 2017) – die Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump, das Pariser Klimaabkommen aufzukündigen, stieß bei der internationalen Gemeinschaft auf scharfe Kritik. Dass ausgerechnet auch in China, einem Land, das bei Klimaverhandlungen lange Zeit als Blockierer galt, diese Entscheidung als „globaler Rückschlag“ (Xinhua, zit. n. FAZ.net 2017) verurteilt wurde, zeigt, welche Bedeutung die internationale Staatengemeinschaft dem Pariser Abkommen nach wie vor beimisst. Dies liegt nicht zuletzt an der Pariser Klimakonferenz selbst, die schon jetzt als faszinierendes Beispiel für internationale Kooperation innerhalb eines Verhandlungsprozesses gilt (Depledge 2017).

Dominante Theorien der Internationalen Beziehungen (IB) wie der Neorealismus liefern jedoch nur unzureichende Erklärungsmuster für transnationale Kooperation im Angesicht von Problemen kollektiven Handelns. Im Gegensatz dazu bekräftigen Studien in Bereichen der experimentellen Psychologie, der Anthropologie und der Verhaltensökonomie, dass es eine grundlegende Fähigkeit des Menschen gibt, in solchen Situationen zu kooperieren (Axelrod 1984; Ostrom 2005; Poteete et al. 2010; Nowak und Highfield 2011). Darauf aufbauend machen Dirk Messner et al. (2013) sieben grundlegende Faktoren aus, die bestimmen, ob und wie interpersonelle Kooperation stattfindet: 1) Reziprozität, 2) Vertrauen, 3) Kommunikation, 4) Reputation, 5) Fairness, 6) Sanktionen und 7) eine gemeinsame Wir-Identität.

In diesem Artikel wird die Nützlichkeit dieses Ansatzes für die IB anhand der Klimaverhandlungen untersucht. Innerhalb zweier hochrangiger Klimagipfel sollte ein umfassendes Klimaabkommen erarbeitet werden: Die Kopenhagener Konferenz 2009 (offiziell 15th Session of the Conference of the Parties to the United Nations Framework Convention on Climate Change, COP 15), die in dieser Hinsicht scheiterte und die Pariser Konferenz 2015 (COP 21), die erfolgreich war. Vor diesem Hintergrund wird der Frage nachgegangen, ob das Scheitern der COP 15 beziehungsweise der ErfolgFootnote 1 der COP 21 durch eine Veränderung innerhalb der Kooperationsfaktoren erklärt werden kann.

Internationale Klimapolitik ist ein vielschichtiger, multifaktorieller und hochkomplexer Prozess, bei dem es keine eindimensionalen Kausalitäten gibt. Exogene Faktoren wie die persönliche Haltung wichtiger Staats- und Regierungschefs gegenüber Klimaschutz, die Kosten klimaneutraler Technologien, die Spürbarkeit der Auswirkungen des Klimawandels zum Verhandlungszeitpunkt und tiefere geopolitische Dynamiken haben starke Auswirkungen auf den Verhandlungserfolg. Während dies berücksichtig wird, konzentriert sich die Untersuchung auf die interne Dynamik des Verhandlungsprozesses selbst. Ziel ist es dabei nicht, eine vollständige Erklärung für das Scheitern bzw. den Erfolg der jeweiligen Verhandlungsrunden vorzulegen, sondern zu untersuchen, ob die hier vorgestellte Kooperationstheorie Erkenntnisse für die IB liefern kann. Entwicklungen innerhalb der Kooperationsfaktoren zwischen den beiden Klimagipfeln sind Teil der Analyse, wobei der Fokus auf den Verhandlungsrunden selbst liegt.

Während der Faktor Fairness (Ringius et al. 2002; Cameron et al. 2013; Raman und Ling 2016) und der Sanktionsmechanismus des Klimaregimes (Hare et al. 2010; Keohane und Victor 2011; Falkner 2016) umfassend in der Forschung zu Klimaverhandlungen behandelt worden sind, fanden die anderen Faktoren weniger Aufmerksamkeit. Per Meilstrup (2010), Aslak Brun (2016) und Joanna Depledge (2017) behandeln die Rolle von Kommunikation und Vertrauen gegenüber den COP-Präsidentschaften und argumentieren, dass beide Faktoren wichtig für den Erfolg der Klimagipfel sind. Reziprozität in Klimaverhandlungen wurde einzig von Paula Castro und Marlene Kammerer (2016) systematisch untersucht. In ihrer netzwerkstatistischen Analyse kommen sie zu dem Schluss, dass Reziprozität die Wahrscheinlichkeit kooperativer Events erhöht. Die Faktoren Reputation und Wir-Identität wurden bislang nicht in der Forschungsliteratur behandelt.

Klimaverhandlungen können als Schnittstelle zwischen interinstitutionellen und interpersonellen Dynamiken verstanden werden: Auf der einen Seite repräsentieren Unterhändler*innen die wahrgenommenen oder realen Interessen der Länder, die sie vertreten, auf der anderen Seite interagieren sie auch als Individuen (Messner et al. 2013, S. 27). Hier wird der „microsituational context“ (Poteete et al. 2010, S. 228) wichtig, z. B., ob sich Unterhändler*innen persönlich kennen oder vertrauen. Um diesem Umstand gerecht zu werden, wird ein zweiteiliger methodischer Ansatz verfolgt: Zunächst wurden semi-strukturierte Interviews mit Unterhändler*innen offizieller Länderdelegationen geführt. Da in Klimaverhandlungen lange Zeit eine Nord-Süd-Spaltung vorherrschte, wurden Repräsentant*innen beider Seiten interviewt – vier von Entwicklungs- und zwei von entwickelten Ländern. Zusätzlich wurden die Protokolle der Klimaverhandlungen in Kopenhagen und Paris ausgewertet, um die Kooperationsmuster der Länder aufzuzeigen und die Häufigkeit des zentralen Faktors Reziprozität zu ermitteln.Footnote 2 Der methodische Ansatz einer Kombination aus Interviews mit Unterhändler*innen und der Analyse von Protokollen kann sowohl die individuelle als auch die staatliche Ebene einbeziehen.

Der Artikel diskutiert zunächst, warum internationale Klimapolitik als ein globales und komplexes Problem einer gemeinsam genutzten Ressource konzeptualisiert werden kann und legt dar, welche Faktoren Kooperation in solchen Situationen fördern. Danach wird diskutiert, ob diese Erkenntnisse auf die Ebene der internationalen Beziehungen übertragen werden können. Nach der Darlegung des methodischen Ansatzes bilden Analyse und Vergleich der Klimagipfel in Kopenhagen und Paris hinsichtlich der Kooperationsfaktoren den empirischen Hauptteil. Abschließend werden die Ergebnisse im Fazit zusammengefasst und die Unterschiede in der Wirkungsweise der Kooperationsfaktoren auf der internationalen im Vergleich zur individuellen Ebene erörtert.

2 Die Kooperationsfaktoren

2.1 Klimapolitik als soziales Dilemma

Probleme bei gemeinsam genutzten Ressourcen (common pool resource problems) sind ein zentrales Konzept der Umweltwissenschaft. Im archetypischen Beispiel haben mehrere Hirten uneingeschränkten Zugang zu einem gemeinsam genutzten Weideland. Der Anreiz für jeden Hirten, mehr Tiere auf dieses Stück Land zu schicken, führt letztendlich zur Überweidung und somit zur Zerstörung der Ressource (Hardin 1968). Gemeinsam genutzte Ressourcen sind definiert als „valued natural or human-made resource or facility that is available to more than one person and subject to degradation as a result of overuse“ (Dietz et al. 2002, S. 18). Solche Ressourcen können erhalten werden, wenn sich jeder Nutzer beschränkt. Allerdings ergibt sich ein soziales Dilemma aus der Tatsache, dass die Ressource ebenso zerstört wird, wenn sich nur einer der Nutzer beschränkt und dieser Nutzer zusätzlich ökonomisch benachteiligt ist. Deshalb erfordert die Überwindung eines solchen Problems kollektives Handeln und Kooperation.

Neben dieser extraktiven Form gibt es auch senkenartige gemeinsam genutzte Ressourcen. Wenn die gemeinsam genutzte Ressource eine Senke ist, besteht das Problem der Übernutzung darin, dass zu viel Verschmutzung in der Ressource abgelagert wird (Dietz et al. 2002, S. 19). Der Klimawandel ist ein solches senkenartiges Problem einer gemeinsam genutzten Ressource mit globalen Ausmaßen. Während die Nutzung fossiler Energien als günstige Grundlage wirtschaftlicher Entwicklung im Interesse der einzelnen Nationalstaaten liegt, erwärmt sich durch die Emissionen von Kohlenstoffdioxid die Erde und bedroht die Aufrechterhaltung der gemeinsam genutzten Ressource, in diesem Fall des stabilen Klimas.Footnote 3 Ebenso hat Klimapolitik die Eigenschaften eines sozialen Dilemmas: Wenn nur ein Land seine Emissionen begrenzt, können die katastrophalen Folgen des Klimawandels nicht vermieden werden. Daher sind die Probleme kollektiven Handelns angesichts des Klimawandels vergleichbar mit jenen, die bei anderen gemeinsam genutzten Ressourcen auftreten, mit Unterschieden im Ausmaß und der Komplexität.

2.2 Die Kooperationsfaktoren

Messner et al. (2013) argumentieren, dass es eine erstaunliche Konvergenz zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen bei den Grundvoraussetzungen von Kooperation gibt. Diese können in einem sogenannten Kooperationshexagon zusammengefasst werden (s. Abb. 1).Footnote 4 Da Reziprozität für dauerhafte Kooperation entscheidend ist, steht sie im Zentrum des Konzepts. Reziprozität ist Elinor Ostrom (2005) zufolge eine grundlegende menschliche Verhaltensweise, die unabhängig von kulturellen Unterschieden in allen Gesellschaften zu finden ist. Sie kann definiert werden als gegenseitig reflexives Verhalten: Ein Akteur A verhält sich auf dieselbe Weise gegenüber einem Akteur B, wie Akteur B sich gegenüber A in der Vergangenheit verhalten hat (Lerner et al. 2013). Reziprozität gibt es daher sowohl in positiver als auch negativer Form.

Abb. 1
figure 1

Kooperationshexagon (Quelle: eigene Darstellung nach Messner et al. 2013, S. 15)

Reziprozität und Vertrauen sind eng verbunden, da Vertrauen definiert ist als „psychological state comprising the intention to accept vulnerability based upon positive expectations of the intentions or behavior of another“ (Rousseau et al. 1998, S. 395). Allerdings ist Vertrauen schwer empirisch nachweisbar. Im Fall politischer Verhandlungen erweisen sich die fünf Faktoren für Vertrauensbildung nach Roy Lewicki und Edward Tomlinson (2003) als hilfreich. Ihnen zufolge entsteht Vertrauen durch 1) kompetente Handlungsweisen, 2) Konsistenz und Vorhersehbarkeit des Handelns, 3) akkurate, offene und transparente Kommunikation, 4) geteilte und delegierte Kontrolle und 5) das Zeigen von Anteilnahme gegenüber anderen. Im persönlichen Austausch entwickeln Gruppen gemeinsame Strategien zur Überwindung von Problemen kollektiven Handelns. Kommunikation ist somit maßgeblich, um Vertrauen aufzubauen (Kerr et al. 1997).

Vertrauen, Reziprozität und Reputation sind Ostrom (2005) zufolge sich gegenseitig bestärkende Kooperationsfaktoren. In Gruppen, in denen Reziprozitätsnormen vorherrschen, gibt es einen Anreiz, in die eigene Reputation zu investieren, da die Vorteile dauerhafter Kooperation größer sind als die kurzfristigen Nachteile. Abmachungen zu brechen, kann zu einer schlechten Reputation und somit zum Ausschluss aus den wechselseitig produktiven sozialen Interaktionen führen (Ostrom 2005, S. 43).

Experimentelle Forschung zeigt, dass Fairness ebenfalls ein wichtiger Kooperationsfaktor ist und dass Probanden häufig bereit sind, materielle Vorteile aufzugeben, um eine fairere Verteilung zu ermöglichen (Almenberg und Dreber 2013). Allerdings ist es schwieriger zu einer gemeinsamen Auffassung einer fairen Verteilung zu gelangen, wenn große Unterschiede zwischen den Probanden bestehen und zu große Ungleichheit verringert die Bereitschaft zur Kooperation (Poteete et al. 2010, S. 225).

Sanktionsmittel werden notwendig, wenn andere Faktoren nicht ausreichen, um kooperatives Verhalten zu stimulieren. Laborexperimente zeigen, dass insbesondere kooperationswillige Individuen dazu neigen, Trittbrettfahrer zu bestrafen (Fehr und Gächter 2002).

Wir-Identität ist ein Zustand, bei dem sich mehrere Individuen mit der gleichen Gruppe identifizieren und sich ihr zugehörig fühlen. Untersuchungen zeigen, dass Individuen stärker mit anderen kooperieren, wenn sie als zur eigenen Gruppe zugehörig wahrgenommen werden (Burton-Chellew und West 2012).

2.3 Von der individuellen zur internationalen Ebene

Die Funktionsweise dieser sieben Kooperationsfaktoren ist auf individueller Ebene durch Laborexperimente und Beobachtungen kleiner Gruppen sehr gut erforscht. Wenn man hingegen den Nutzen dieses Konzepts für die IB untersuchen möchte, wird man automatisch mit dem sogenannten „scaling-up problem“ (Ostrom et al. 1999, S. 281) konfrontiert: Je mehr Akteure eine gemeinsame Ressource nutzen, desto schwieriger wird es, sich zu organisieren und sich auf gemeinsame Regeln zu verständigen.

Nichtsdestotrotz haben einige der Kooperationsfaktoren Eingang in die IB-Literatur gefunden. So argumentiert Robert Keohane (1986), dass Reziprozität konsistent mit den Prinzipien der Souveränität und der Selbsthilfe ist und somit die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Kooperation im internationalen System erfüllt. Ebenso ist Reputation der institutionalistischen Schule zufolge der Schlüsselfaktor bei der Beantwortung der Frage, warum Staaten den Regeln internationaler Regime folgen: Eine gute Reputation zu wahren, um nicht von den Vorzügen zukünftiger institutionalisierter Kooperation ausgeschlossen zu werden, bildet das Hauptmotiv (Keohane 1984, S. 103-108). Mit derselben Motivation begründen Völkerrechtsforscher*innen die Einhaltung internationalen Rechts durch Staaten (Brewster 2009). Fairness oder Gerechtigkeit ist ein weiterer Faktor, der in den internationalen Beziehungen und insbesondere innerhalb von Verhandlungen bedeutend ist. William Zartman et al. (1996) begreifen Verhandlungen als Übereinkunft einer Auffassung von Gerechtigkeit. Die Annahme, dass die Kooperationsfaktoren in Verhandlungsprozessen auf internationaler Ebene eine Rolle spielen, ist also keineswegs abwegig, auch wenn ihre Funktionsweise im individuellen Kontext empirisch stärker belegt ist als auf der internationalen Ebene.

3 Methodik

3.1 Fallauswahl und Operationalisierung

Die Kopenhagener und die Pariser Klimakonferenz sind vergleichbar hinsichtlich ihrer Größe, politischen Relevanz und Zielsetzung und eignen sich daher sehr gut für eine Gegenüberstellung. Die Vergleichbarkeit ist allerdings durch eine Reihe externer Faktoren beschränkt, die sich in der Zeit zwischen den beiden Konferenzen ereigneten und die Chancen für Kooperation beeinflussten. Zu nennen sind hierbei eine stärkere Wahrnehmbarkeit der Auswirkungen der globalen Erderwärmung, zunehmende nationale Umweltprobleme wie die extreme Luftverschmutzung in chinesischen Städten, eine größere Zahl an zivilgesellschaftlichen und nicht-staatlichen Initiativen, die für ein Abkommen eintraten, ein klimapolitisch progressiver US-Präsident und niedrigere Kosten für erneuerbare Technologien. Auch wenn diese Faktoren maßgeblich zum Erfolg der Pariser Konferenz beigetragen haben dürften, hätte sie dennoch aufgrund der inhärenten Komplexität von Klimadiplomatie (Depledge 2017, S. 282) durchaus auch scheitern können.

Da für die Operationalisierung bei Klimaverhandlungen nicht die gleichen Möglichkeiten wie bei Laborexperimenten zur Verfügung stehen, muss eine Reihe neuer Parameter definiert werden, um die Kooperationsfaktoren in diesem Kontext zu erfassen:

  • Reziprozität wird durch eine Gegenüberstellung der relativen Sprechakte gemessen.

  • Die fünf Faktoren von Vertrauensbildung nach Lewicki und Tomlinson (2003) dienen als Referenzmaßstab für Vertrauen. Hinsichtlich der Kommunikation wird die Qualität derselben erfasst – Fragen nach der Transparenz, Inklusion, Form oder Hierarchie der Kommunikation sind hier wichtig.

  • Rückschlüsse auf Reputationen werden gezogen, wenn die Interviewpartner*innen berichten, dass ein Land diesbezügliche Bedenken äußerte, z. B. in Form von Angst vor Isolation in der internationalen Gemeinschaft oder um nicht der Sündenbock zu sein.

  • Da Klimaverhandlungen viele verschiedene Dimensionen von Fairnessdebatten beinhalten, soll der Fokus auf dem umstrittensten Feld liegen und die Frage im Vordergrund stehen, wie dieser Streitpunkt nach Kopenhagen gelöst wurde.

  • Der Faktor Sanktion ist mit der Institution des Klimaregimes verbunden, weil das Regime festlegt, wie die verhandelten Ergebnisse durchgesetzt werden sollen. Daher werden hier Regimeveränderungen zwischen Kopenhagen und Paris und ihr Effekt auf die Verhandlungsdynamik untersucht.

  • Auf den Faktor Wir-Identität gingen Interviewpartner*innen kaum ein. Gründe dafür könnten sein, dass Selbstidentifikation mit einer Gruppe ein schwer fassbarer, individueller und privater Prozess ist, der häufig unbewusst stattfindet. Wir-Identität auf der nationalen Ebene zu messen ist schwierig. Dieser Faktor wird daher im Folgenden ausgeklammert.

3.2 Semistrukturierte Experteninterviews

Die Experteninterviews mit Unterhändler*innen wurden während der COP 22 in Marrakesch und zusätzlich in Bonn im November und Dezember 2016 durchgeführt. Sechs der sieben Interviewpartner*innen waren Teil einer offiziellen Länderdelegation und haben mindestens an einer der beiden Konferenzen teilgenommen. Zwei waren Unterhändler der Europäischen Union, einer eines afrikanischen Landes, einer der Alliance of Small Island States (AOSIS)Footnote 5, einer der Least Developed Countries (LDCs)Footnote 6 und eine Teilnehmerin war eine westliche Klimawissenschaftlerin, die von Uganda akkreditiert worden war. Zusätzlich befragt wurde ein Experte für internationale Klimapolitik. Da die Hauptkonfliktlinie bei den Verhandlungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern verläuft, war es für diese Untersuchung wichtig, Repräsentant*innen beider Seiten einzubeziehen.

Die Interviews waren semistrukturiert und leitfadenbasiert. Der Leitfaden begann mit einer Eröffnungsfrage nach den Veränderungen zwischen COP 15 und COP 21. Danach folgten theoriegeleitete Fragen, etwa nach der allgemeinen Kommunikationssituation während der COP, der Rolle der Präsidentschaft und ob die Verhandlungen als fair wahrgenommen wurden. Zuletzt wurde den Interviewpartner*innen das Kooperationshexagon gezeigt und gefragt, ob und inwiefern diese Faktoren für den Verhandlungsverlauf eine Rolle gespielt haben. Die Interviews wurden transkribiert und mit der Software MaxQDA unter der Anwendung eines breit definierten Kategoriensystems in Übereinstimmung mit den oben genannten Parametern ausgewertet.

Dieser Ansatz ist durch verschiedene Faktoren limitiert. Zum einen waren Unterhändler*innen von Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien nicht verfügbar, was zu einer Unterrepräsentation deren Perspektive führt. Weitere Limitierungen resultieren daraus, dass nicht alle Befragten auf jeder Verhandlungsebene involviert und eventuell nicht bereit waren, über stark informelle oder geheime Prozesse zu sprechen.

3.3 Reziproke Beziehungen

Um den zentralen Faktor Reziprozität quantitativ zu erfassen, erfolgte im zweiten Schritt eine methodische Verfeinerung. Diese besteht aus der Modifizierung eines Ansatzes von Paula Castro und Marlene Kammerer (2016), bei dem die Aussagen der Länder (oder Ländergruppen) gegenüber anderen Ländern in der COP 15 und der COP 21 nach den Protokollen der Klimaverhandlungen in die Kategorien kooperativ oder konflikthaft unterteilt werden.

Als kooperatives Verhalten eines Landes werden Aussagen wie speaking on behalf of, supporting, speaking with oder agreeing with one another und als konflikthaftes delaying, opposing oder criticising other’s positions or statements (Castro und Kammerer 2016, S. 31-37) kodiert. Die Themenbereiche werden dabei notiert. Dies erlaubt nachzuverfolgen, welche Länder untereinander zu welcher Gelegenheit kooperiert haben oder in Konflikt getreten sind. Infolgedessen ergaben sich aber Ungleichheiten in der Häufigkeit von Sprechakten, da die Verhandlungen in Paris in der zweiten Woche informell geführt wurden. Dies wurde dadurch kompensiert, dass für die COP 21 auch die Vorbereitungstreffen einbezogen wurden, die in Bonn im Juni, August und Oktober 2015 stattfanden. Da bei diesen Treffen die gleiche Arbeitsgruppe tagte wie während der ersten Woche in Paris, kann davon ausgegangen werden, dass diese Einbeziehung keine starke Verzerrung der Ergebnisse mit sich bringt. Bonn und Paris einerseits und Kopenhagen andererseits ergaben jeweils 1200-1300 relative Sprechakte und sind somit vergleichbar.

Bei der Analyse wurden nur die Hauptakteure berücksichtigt. Als Kriterium wurde dabei festgelegt, dass ein Hauptakteur mindestens 60-mal (5 % der Gesamtheit) als Sprecher oder Adressat in Erscheinung getreten sein muss. Anschließend wurden die kooperativen oder konflikthaften Beziehungen zweier Hauptakteure gegenübergestellt. Als reziprok wurde eine Beziehung dann gewertet, wenn mindestens ein Drittel der relativen Sprechakte vom Adressaten erwidert und insgesamt mindestens vier Sprechakte getätigt wurden. Auch dieser Ansatz hat eine gewisse Limitierung. So ist z. B. das Ein-Drittel-Kriterium für Reziprozität eine willkürliche Festsetzung, die aber notwendig wurde, um die Anzahl der analysierten Beziehungen einzugrenzen. Des Weiteren setzt die Kodiermethode voraus, dass bei einer Übereinstimmung mehrerer Länder diejenigen, die später aufgelistet wurden, auch tatsächlich später gesprochen haben. Eine dritte Limitierung entsteht durch die Einbeziehung der Vorbereitungstreffen von Paris, was eine Verzerrung der Ergebnisse verursachen könnte.

Der Verbindung eines qualitativen Ansatzes (Interviews) mit einer quantitativen Dimension (Protokolle der Klimaverhandlungen) liegt die Überlegung zugrunde, dass sich beide komplementieren: Während die Analyse der Protokolle die Häufigkeit reziproker Beziehungen aufzeigen kann, können die Interviews zu einem tieferen Verständnis der Kausalität hinter den Beobachtungen beitragen.

3.4 Einführung der Fallbeispiele: Die Evolution des Klimaregimes 1992-2015

Die Kopenhagener und die Pariser Klimakonferenz wurden unter der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) gehalten. Die 1992 verabschiedete UNFCCC bildete die erste internationale politische Reaktion auf den Klimawandel. Von Beginn an war Differenzierung ein Kernprinzip der UNFCCC: Diejenigen Staaten, die als historisch verantwortlich für die meisten Treibhausgasemissionen angesehen wurden, sollten die Führung bei der Bekämpfung des Klimawandels übernehmen (UN 1992, Art. 3 Nr. 1). Dies wurde bekannt als das Prinzip der Common but Differentiated Responsibilities and Respective Capabilities (CBDR-RC). Die entwickelten Länder, die die Führung übernehmen sollten – größtenteils Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) –, wurden im Annex I der UNFCCC aufgelistet. Die Unterteilung in Annex I und Non-Annex I spiegelte die ökonomische Realität von 1992 wider, da Länder wie China, Indien, Brasilien, Singapur oder Saudi-Arabien als Non-Annex I und somit als Entwicklungsländer klassifiziert wurden.

Das Kyoto-Protokoll 1997 vertiefte die Differenzierung. Vor allem Annex I-Länder verpflichteten sich selbst zu Emissionsminderungen bis 2012 (UNFCCC 2011). Allerdings ratifizierten die USA das Protokoll nicht. Gleichzeitig veränderten sich die globalen Emissionsmuster. Der vierte Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) berechnete 2007, dass Entwicklungsländer bereits für die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind und die Vermeidung gefährlichen Klimawandels ohne die Beteiligung dieser Länder nicht möglich sei (IPCC 2007). Die Kopenhagener Konferenz hatte daher zur Aufgabe, einerseits die USA zurückzugewinnen und andererseits zusätzlich die Schwellenländer zu verpflichten.

Die Verhandlungen für ein Post-2012-Abkommen wurden in zwei Prozessen organisiert: Erstens in der Ad Hoc Working Group on Further Commitments for Annex I parties under the Kyoto Protokoll (AWG-KP) mit dem Ziel, eine zweite Runde von Minderungszielen für Industrienationen festzulegen; zweitens in der Ad Hoc Working Group on Long-Term Cooperative Action under the Convention (AWG-LCA), bei der es um die Verhandlung eines umfassenden Abkommens inklusive Minderungsmaßnahmen für Entwicklungsländer ging. Die Kopenhagener Konferenz, die zwischen dem 07. und dem 19. Dezember 2009 stattfand, führte allerdings zu einem politischen Abkommen, das von der Konferenz nicht verabschiedet, sondern lediglich zur Kenntnis genommen wurde (Meilstrup 2010; Bodansky 2010).

Folglich bestand die Notwendigkeit einer umfassenderen Regelung. Die Rahmenbedingungen dafür wurden bei der COP 17 in Durban 2011 mit der Gründung der Ad Hoc Working Group on the Durban Platform for Enhanced Action (ADP) gelegt. Die ADP hatte das Mandat, ein rechtlich bindendes Abkommen zu entwickeln, das alle Parteien einbezieht. Dies sollte auf der COP 21 in Paris 2015 verabschiedet werden (UNFCCC 2014). Die folgenden COPs definierten die Rahmenbedingungen für ein Abkommen in Paris. In Warschau 2013 wurde das Konzept der Intended Nationally Determined Contributions (INDCs) eingeführt, das die verschiedenen nationalen Umstände der Länder berücksichtigt. Die Pariser Konferenz zwischen dem 30. November und dem 12. Dezember 2015 führte schließlich zu einem Ergebnis, das ambitionierter war, als viele Beobachter*innen erwartet hatten.

4 Kooperationsfaktoren: Kopenhagen 2009 und Paris 2015 im Vergleich

4.1 Die Kopenhagener Konferenz

Kommunikation und Vertrauen: Intransparente Kommunikation und mangelndes Vertrauen während der dänischen Präsidentschaft. Mangelnde Vertrauensbildung, die zwangsläufig mit Kommunikation in Verbindung steht, und die Rolle der COP-Präsidentschaft dabei waren die Faktoren, die am häufigsten in den Interviews genannt wurden, um den Misserfolg der COP 15, ein allgemein anerkanntes Abkommen zu erzielen, zu erklären. Die Präsidentschaft soll laut UN-Verfahrensweise Dialoge ermöglichen und Überschneidungspunkte zwischen den Parteien ausfindig machen, dabei aber selbst neutral bleiben (Meilstrup 2010). Die dänische Präsidentschaft hatte Schwierigkeiten, mit dieser politischen Komplexität umzugehen.

Zunächst war die Ausgangslage ungünstig. Aufgrund der schleppenden Vorverhandlungen bei gleichzeitig steigendem Druck der Weltöffentlichkeit versuchte der damalige dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen, ein Abkommen mit den Regierungschefs der wichtigsten Länder im Vorfeld der Verhandlungen zu erzielen. Dazu lud er Anfang Dezember 2009 eine Gruppe von 20 bis 30 Regierungsvertreter*innen nach Kopenhagen ein (Meilstrup 2010, S. 125-127). Dieser dänische Text wurde geleaked und am zweiten Tag der Konferenz in der Zeitung The Guardian veröffentlicht. Da nur ein Teil des Abkommens veröffentlicht wurde, entstand der Eindruck, dass die Präsidentschaft das Kyoto-Protokoll abschaffen wollte, was ein Affront gegenüber den Interessen der Entwicklungsländer war (Vidal 2009).

Es entstand der Eindruck, dass die Dänen einen intransparenten und exklusiven Prozess betrieben, indem sie einen Vorschlag unterbreiteten, der nur mit einer kleinen Anzahl an größtenteils westlichen Staaten diskutiert worden war und somit die Regeln der UN-Diplomatie verletzte. Das Vertrauen der Vertreter*innen von Entwicklungsländern in die Präsidentschaft nahm dadurch erheblichen Schaden:

They [die Verhandler*innen, Anmerkung des Autors] said ‚we are here to negotiate, how can the presidency already have a secret text? He didn’t tell us!‘ And so they didn’t trust him. (Senior-Berater LDCs, Interview vom 08. Nov. 2016)

Einen zweiten Fehler beging die Präsidentschaft, als sie Verhandlungen in der zweiten Woche erneut nur unter Einbezug einer kleinen Gruppe von Staats- und Regierungschefs führte. Während die formellen Verhandlungen quasi zum Erliegen kamen, trafen gegen Ende der Konferenz über hundert Staatsoberhäupter in Kopenhagen ein. Rasmussen formierte daraus eine Gruppe aus 28 Mitgliedern, die anfing, selbst Textentwürfe zu entwickeln. Daraus ging der sogenannte Copenhagen Accord hervor (Meilstrup 2010, S. 132). Dieses Vorgehen war allerdings kaum mit den offiziellen Verhandlungen abgestimmt. Erfahrene Unterhändler*innen erfuhren davon erst durch die Medien und empfanden dies als respektlos gegenüber ihren Ämtern:

This was psychologically a bad move, because they felt not respected enough in their functions. (Unterhändler EU, Interview vom 02. Dez. 2016)

Mit Blick auf die in Kapitel 2.2 vorgestellten fünf Faktoren für Vertrauensbildung wird deutlich, warum die dänische Präsidentschaft erhebliche Schwierigkeiten hatte, das Vertrauen der Parteien zu gewinnen. Die schwerwiegendsten Versäumnisse betrafen Konsistenz von Sprechen und Handeln, Vorhersehbarkeit des Handelns sowie akkurate, offene und transparente Kommunikation. Ebenso zeigten sich Mängel beim Faktor geteilte und delegierte Kontrolle, da die Präsidentschaft dem offiziellen UNFCCC-Prozess offensichtlich nicht genug vertraute. Sie startete eine eigene diplomatische Initiative, über die sie zwar mehr Kontrolle zu haben glaubte, verletzte dabei aber die Regeln der UN-Diplomatie.

Fairness: Gravierende Spaltung zwischen Entwicklungsländern und Industrienationen. Die Schwierigkeit, ein Abkommen in Kopenhagen zu erzielen, kann zum großen Teil damit erklärt werden, dass die internationale Gemeinschaft sich auf keine allgemein als fair anerkannte Weise einigen konnte, um die Lasten der Treibhausgasreduktion zu teilen. Die Fairnessproblematik resultierte aus einer weiten Streuung von Ursachen und Effekten des Klimawandels. Das Klimaregime reagierte auf die ungleiche Verteilung von Verursachern und Betroffenen durch die Unterteilung in Annex I und Non-Annex I und die Einführung des CBDR-RC-Prinzips. Diese Aufteilung spaltete die Parteien allerdings zunehmend in zwei Blöcke, der Höhepunkt der Polarisierung wurde während der Kopenhagener Konferenz erreicht.

Der Streit entzündete sich an der Frage, ob die Differenzierung des UNFCCC und des Kyoto-Protokolls zwischen einerseits Industrienationen, die sich zu rechtlich bindenden Emissionsminderungszielen verpflichten sollten, und andererseits Entwicklungsländern, die von solchen Verpflichtungen befreit waren, aufrechterhalten oder durch ein universelles Abkommen ersetzt werden sollte. In dieser Frage standen sich die Positionen der EU und des Blocks der G77/China diametral entgegen. Jedes entwickelte Land (Annex I) argumentierte auf Seiten der EU für ein universelles Abkommen, während jedes Entwicklungsland (Non-Annex I) für die Aufrechterhaltung der zwei Verhandlungsprozesse war. Typische Argumente der Entwicklungsländer waren, dass dies einen Versuch darstelle, die Verantwortung auf sie abzuwälzen, während Industrienationen argumentierten, dass alle großen Ökonomien sich beteiligen müssten (IISD o. J., ENB Nr. 449-458). Die Opposition der beiden Blöcke war – mit der Ausnahme von Tuvalu – in dieser Frage fundamental. Sie mündete in gegenseitigen Schuldzuweisungen, bei denen jede Ländergruppe von der anderen mehr Ambitionen forderte, sich aber gleichzeitig weigerte, die eigenen Anstrengungen zu erhöhen.

Der Zusammenhang von Sanktion und Fairness. Ein eher überraschendes Ergebnis der Interviews war ein wiederholt hergestellter Zusammenhang zwischen der Stärke des angestrebten Sanktionsmechanismus und der Fairnessdebatte. Insbesondere seit dem Kyoto-Protokoll konzentrierten sich die Verhandlungen auf ein Regime, das die erforderlichen Minderungsmaßnahmen in rechtlich bindende Ziele für die emittierenden Länder übersetzt. Da dieser sogenannte Top-down-Ansatz auf die Etablierung eines Sanktionsmechanismus abzielte, verhärteten sich die Positionen der Länder in den Verhandlungen:

This gives individual negotiators or countries a strong negotiation position, if you try to achieve something where you have an enforcement mechanism. (Unterhändler EU, Interview vom 02. Dez. 2016)

Aufstrebende Länder wie China und Indien waren nicht bereit, ihr Wirtschaftswachstum durch rechtlich bindende Verpflichtungen zu gefährden. Diese Forderung wurde als unfair empfunden, da westliche Länder ihre Industrien uneingeschränkt hatten entwickeln können und zudem die Hauptverursacher des Klimawandels waren. Maximilian Terhalle (2011, S. 341) interpretiert den Widerstand der BASIC-Länder (China, Indien, Brasilien, Südafrika) als Ausdruck eines grundlegend anderen Verständnisses nationaler Souveränität im Gegensatz zur liberalen Auffassung. Der Schutz des wirtschaftlichen Aufschwungs und ein prinzipiell andersartiges Verständnis von nationaler Souveränität sind Erklärungsfaktoren für die ablehnenden Haltungen der BASIC-Länder zu einem rechtlich bindenden Klimaregime. Da aber die Industrienationen die Zustimmung dieser Länder zu solch einem Regime einforderten, führte dies bei diesen Staaten zur Suche nach Auswegen in Form der Betonung von Fairnessaspekten wie den historischen Verantwortlichkeiten und CBDR-RC.

Reziprozität. Abbildung 2 zeigt die reziproken Beziehungen der Hauptakteure basierend auf der Analyse der Protokolle der Klimaverhandlungen. Positiv reziproke Beziehungen sind in durchgehenden und negative in gestrichelten Pfeilen dargestellt. Es wird deutlich, dass alle Beziehungen zwischen Entwicklungsländern – mit der Ausnahme von Tuvalu und Indien – und ebenso alle Beziehungen zwischen entwickelten Ländern positiv reziprok sind. Die Beziehungen zwischen den beiden Blöcken sind hingegen durchgehend negativ.

Abb. 2
figure 2

Reziproke Beziehungen, COP 15 (Quelle: eigene Darstellung basierend auf einer quantitativen Auswertung von IISD o. J., ENB Nr. 449-458)

Zunächst fällt auf, dass die USA nach dem Selektionskriterium nicht als Hauptakteur in der Konferenz erscheinen. Die EU ist zwar die einzige Gruppe von Industrienationen, die Beziehungen zu Entwicklungsländern, das heißt zur G77/China sowie AOSIS unterhält, allerdings ausschließlich negativ reziprok. Die stärkste negativ reziproke Beziehung ist mit jeweils vier konflikthaften relativen Sprechakten die zwischen der EU und der G77/China. Reziprozität hat zwischen den Blöcken demnach während der COP 15 eine negative Form, die als Dynamik die bereits bestehenden Gräben vertieft.Footnote 7 Ob und wie sich die Kooperationsfaktoren während der COP 21 verändern, wird im zweiten empirischen Teil untersucht.

4.2 Die Pariser Konferenz

Kommunikation und Vertrauen: Vertrauensbildung durch die französische Präsidentschaft in der Vorbereitung und Organisation der Verhandlungen. Der Erfolg der Pariser Konferenz wurde häufig der Fähigkeit der französischen Präsidentschaft zugeschrieben, Vertrauen zu bilden, verschiedene Perspektiven einzubeziehen und den Verhandlungsverlauf kompetent zu organisieren. Dies begann bereits damit, dass die Konferenz viel umfassender vorbereitet wurde und Frankreich 2014 eine beispiellose Klimadiplomatie-Initiative in Gang setzte.

Der französische Außenminister und COP 21-Präsident Laurent Fabius und sein Team reisten in eine Reihe von Ländern, um die verschiedenen Erwartungen an das Abkommen zu verstehen. Allen Parteien zuzuhören war dabei eine der wichtigsten Strategien der Präsidentschaft. Dieser Ansatz half insbesondere, das Vertrauen von Repräsentant*innen der Entwicklungsländer zu gewinnen:

That’s half the battle, if you listen. […] If you listen to each country including the smallest and most vulnerable countries then at least you have their goodwill, they think that the French can be trusted. (Senior-Berater LDCs, Interview vom 08. Nov. 2016)

Dass die Staats- und Regierungschefs zu Beginn der Konferenz eingeladen wurden und somit die Kontrolle über den Verhandlungsprozess bei den Ministerien und Unterhändler*innen blieb, war eine weitere vorteilhafte Veränderung. Die französischen Gastgeber zeigten auch Geschick im Umgang mit potentiellen Blockierern. So übertrugen sie etwa der venezolanischen Delegierten Claudia Salerno, die eine prominente Rolle bei der Ablehnung des Copenhagen Accord gespielt hatte, die Aufgabe, die Präambel des Pariser Abkommens zu entwerfen (Depledge 2017, S. 283). Während der Konferenz selbst leiteten Fabius und sein Team den Prozess inklusiv und transparent:

The French were quite transparent and communicating well what was happening, what was going to happen next, how they thought to certain documents, there were never surprises. (Berater AOSIS, Interview vom 17. Nov. 2016)

Die Präsidentschaft führte eine Reihe neuer Verhandlungstechniken ein: die sogenannten „confessionals“, bei denen Delegierte persönlich und vertraulich mit französischen Offiziellen sprechen konnten, und die „informal informals“, in denen sich kleine Gruppen von Delegierten informell trafen, um strittige Textpassagen zu besprechen (Harvey 2015).

Die Verhandlungen wurden in der zweiten Woche im Pariser Komitee geführt, einer unbeschränkten Gruppe auf Ministerebene. Zusätzlich wurden vier informelle Arbeitsgruppen formiert, die in sogenannten Indabas organisiert waren. Indabas gehen zurück auf eine Tradition der südafrikanischen Ethnien Zulu und Xhosa. Die Unterhändler*innen wurden dazu aufgefordert, ihre roten Linien zu kommunizieren, aber gleichzeitig Kompromiss- und Lösungsvorschläge zu machen (Rathi 2015). Die Präsidentschaft fungierte dabei als Vermittler und Textverfasser. Insbesondere in den letzten Tagen, als die Verhandlungen zunehmend informell wurden, war es von enormer Bedeutung, dass die Parteien der Präsidentschaft vertrauten.

Normally it’s about building trust amongst the parties but more importantly amongst the parties and the presidency. And so in the final days that the presidency became actually less transparent about what they were doing […] I think there was enough trust that parties had in the presidency […]. (Berater AOSIS, Interview vom 17. Nov. 2016)

Mit Blick auf die in Kapitel 2.2 vorgestellten Dimensionen der Vertrauensbildung wird deutlich, dass die französische Präsidentschaft in allen Bereichen gut abschnitt. Sie wurde allgemein als kompetent anerkannt. Indem sie die Parteien stets über die nächsten Schritte informierte und ihnen versicherte, dass nur Texte aus den formalen Verhandlungen als Verhandlungsbasis dienen würden, war die Konsistenz und Vorhersehbarkeit der Handlungen hoch. Sie delegierte Kontrolle an potentielle Blockierer und gewann so ihr Vertrauen. Die Präsidentschaft war außerdem gut darin, Anteilnahme gegenüber anderen zu zeigen. Das so gewonnene Vertrauen erlaubte es ihr, gegen Ende der Konferenz weniger transparente Verhandlungen zu führen, ohne an Legitimität zu verlieren.

Ein schwächerer Sanktionsmechanismus führt zur Beilegung hinderlicher Fairnessdebatten. Während der Versuch, in Kopenhagen ein globales Abkommen mit bindenden Emissionsminderungszielen auszuhandeln, zu Verteilungskonflikten führte, wandelte sich in der Zeit danach der institutionelle Ansatz. Diese Entwicklung wurde bereits in der Endphase der Kopenhagener Konferenz eingeleitet. Angesichts der weitgehend erfolglosen zweiwöchigen Verhandlungen einigte sich eine Gruppe zentraler Regierungschefs darauf, dass anstelle von rechtlich bindenden Zielen künftig freiwillige Selbstverpflichtungen im Zentrum des Klimaregimes stehen sollten (Falkner 2016, S. 1111). Dieses sogenannte Pledge and Review-System wurde in den darauffolgenden COPs weiter ausgearbeitet und bildete letztlich die institutionelle Basis für das Pariser Abkommen. Im Zentrum dessen stehen die freiwilligen klimapolitischen Ambitionen der Länder. Anstatt quantifizierte Emissionsminderungen vorzugeben, sind die Parteien dazu verpflichtet, Nationally Determined Contributions (NDCs) einzureichen.

Robert Falkner (2016, S. 1111-1119) argumentiert, dass dieses Vorgehen ein Abkommen realistischer macht, weil es schwerwiegende strukturelle Barrieren für Kooperation in Klimaverhandlungen abbaut: Zum einen wird anerkannt, dass die meisten Emitter nicht bereit sind, vorgegebenen Emissionsreduzierungen zuzustimmen, zum anderen beseitigt es den Verteilungskonflikt über die Aufteilung der Last der Emissionsminderung. Dass der NDC-Ansatz Selbstdifferenzierung erlaubt, impliziert auch, dass die Bestimmung einer allgemein als fair anerkannten Allokationsformel von Minderungsbudgets kein erreichbares Ergebnis eines UNFCCC-Verhandlungsprozesses war.

Paris is not the solution for equity. The issue of per-capita emissions and who takes what and is this equitable or not, this was dropped. So accepting that is also an important dimension. (Unterhändler EU, Interview vom 02. Dez. 2016)

Angesichts des Rückzugs der USA vom Kyoto-Protokoll und die Abneigung der Schwellenländer, quantifizierte Emissionsziele zu akzeptieren, bildete das Senken des angestrebten Sanktionslevels eines Klimaregimes eine notwendige Voraussetzung für ein umfassendes Abkommen. Ohne den Wandel von einem Top-down- zu einem dezentralisierten Bottom-up-Modell freiwilliger Selbstverpflichtungen wäre die Pariser Konferenz wahrscheinlich nicht erfolgreich gewesen.

Nichtsdestotrotz ist das Pariser Abkommen kein reines Bottom-up-Regime. Es kann stattdessen eher als hybrides System konzeptualisiert werden, das nationale Klimapolitik mit der strategischen Interaktion zwischen Staaten in der Logik eines „two-level games“ (Keohane und Oppenheimer 2016) verknüpft. Nationale Minderungsversprechen werden Subjekt eines rechtlich bindenden, internationalen Review-Verfahrens. Der Pariser Ansatz kann daher als Verzicht auf Sanktionen bei gleichzeitigem Etablieren eines gemeinsamen Maßstabsystems beschrieben werden, das einen Vergleich der Fortschritte im Klimaschutz der Länder in Relation zu ihren eigenen Versprechungen und somit naming and shaming ermöglicht. Der Sanktionsmechanismus beruht daher auf den Reputationsbedenken der Länder. Der Wechsel zur Selbstbestimmung bei der Minderung führte zu einer größeren Partizipation als je zuvor: Bereits zu Beginn der Pariser Konferenz hatten 186 von 196 Parteien ihre NDCs vorgestellt (Brun 2016, S. 116).

Reputation als zusätzlicher Kooperationsfaktor. Während der Kopenhagener Konferenz spielten die Reputationen von Staaten aufgrund der Blockspaltung und der gegenseitigen Schuldzuweisungen kaum eine Rolle. Da diese Kluft in Paris geringer wurde, konnte Reputation zu einem zusätzlichen Kooperationsfaktor werden. Für einzelne, nicht kooperative Länder wurde nun die Gefahr größer, am Ende als Sündenbock zu gelten. Länder, die ein ambitioniertes Ergebnis befürworteten, nutzten diese Möglichkeit und zielten auf die Reputationsrisiken von nicht kooperativen Ländern ab. So etwa bei der Verhandlung um einen Artikel über loss and damage zwischen den LDCs und den USA:

[…] it was more like convincing them that this is the right thing to do and getting others to join and then leaving them on their own, so they don’t want to be the bad guys. (Senior-Berater LDCs, Interview vom 08. Nov. 2016)

Sorgen um die Reputation auf internationaler Ebene waren zudem ein Grund, warum China seine Position in den Verhandlungen veränderte:

[There was] a very clear political change in China. Because we came from Copenhagen and everybody said ‚China was responsible that we don’t have a deal‘ and China very clearly after Copenhagen did not want again to take the blame. (Unterhändler EU, Interview vom 02. Dez. 2016)

Auch die EU wandte sich an die Reputation nicht kooperativer Länder, um deren Zusammenarbeit zu stimulieren und verknüpfte Zugeständnisse in bilateralen Verhandlungen mit deren Zugeständnissen beim Klimaschutz. Kooperationsverweigerung in der Klimapolitik wurde für China damit zum Handicap, das sich auch auf andere Verhandlungsbereiche auswirkte:

If a Chinese leader comes to Europe and every head of states has in its speaking points ‚we want to talk about climate change, we need to save the world and we need you to do that‘ and they can’t come to the next issue on their speaking points unless they have discussed climate change. And always in a situation where the blame is on China, they need to defend their position. And they lose negotiations on other issues. (Unterhändler EU, Interview vom 02. Dez. 2016)

Die Aufrechterhaltung einer Blockadehaltung ging nach der Kopenhagener Konferenz daher mit zunehmenden Reputationsschäden auf der internationalen Bühne einher. Die Auswirkungen dessen konnten sich bis in andere Verhandlungsbereiche der internationalen Politik erstrecken.

Reziprozität. Ein entscheidender Moment von Reziprozität ereignete sich vor den eigentlichen Pariser Verhandlungen: China und die USA veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung zum Klimawandel, in der China zum ersten Mal ankündigte, seine Emissionen zu senken und die USA sich zu tiefgreifenden Emissionsreduzierungen bis 2025 bekannten (The White House 2014). Dass sich die beiden größten Emitter im Vorfeld für eine solche Minderung aussprachen, hatte sehr wahrscheinlich einen positiven Effekt auf den Verhandlungsverlauf. Abbildung 3 visualisiert die Ergebnisse in einem Netzwerkcluster reziproker Beziehungen zwischen den Hauptakteuren während der COP 21 und der Vorbereitungstreffen.

Abb. 3
figure 3

Reziproke Beziehungen, COP 21 und Vorbereitungstreffen (Quelle: eigene Darstellung basierend auf einer quantitativen Auswertung von IISD o. J., ENB Nr. 629-650, 653-662)

Ein Vergleich mit dem Netzwerkcluster der COP 15 bestätigt die Erwartung, dass es mehr positiv reziproke Beziehungen zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern gibt. Während sich in der COP 15 keine solche Beziehung verzeichnen lässt, gibt es in der COP 21 fünf positiv reziproke (und zwei positive, aber nicht reziproke) Beziehungen. Die sogenannten Like-Minded Developing Countries (LMDCs) sind hierbei die einzige Ländergruppe, die nach wie vor konflikthafte reziproke Beziehungen zu der EU und den USA unterhält. Die USA weisen (neben einer schwächeren negativen) eine positiv reziproke Beziehung zu der AOSIS auf, die aus der wechselseitigen Kooperation in den Bereichen Finanzierung und Anpassung resultiert (IISD o. J., ENB 637 und 642). Die positiv reziproken Beziehungen der EU mit den Entwicklungsländergruppen resultieren aus einer Reihe von Verhandlungspunkten, die den Interessen der Entwicklungsländer entsprechen und für welche die EU Unterstützung zeigt. So beispielsweise in den Bereichen „pre-2020 action“ (IISD o. J., ENB Nr. 632), Technologietransfer (IISD o. J., ENB Nr. 642) und Measuring, Reporting and Verification (MRV) (IISD o. J., ENB Nr. 642).

Die stärkste Form der Kooperation zwischen der EU, den LDCs und der AOSIS gibt es bei der Forderung nach einem 1,5 °C-Temperaturziel. Zur Unterstützung dieses Ziels hatte sich etwa sechs Monate vor Beginn der Konferenz die High-Ambition Coalition geformt. Die Koalition bestand ursprünglich hauptsächlich aus der EU und kleinen Staaten, die ein ambitioniertes Abkommen in Paris zum Ziel hatten. Während der Konferenz wurde sie zum entscheidenden Faktor. Durch einen „Schneeballeffekt“ (Brun 2016, S. 120) traten immer mehr Parteien bei, sodass sie am Schluss mehr als 100 Entwicklungs- und Industrieländer umfasste, darunter die USA und Brasilien (Brun 2016, S. 120). Insbesondere der Eintritt Brasiliens bedeutete einen grundlegenden Wandel, da so die Spaltung zwischen Industrienationen und den BASIC-Ländern aufgebrochen wurde, die die Klimaverhandlungen lange Zeit geprägt hatten.

5 Fazit

Klimaverhandlungen sind ein multidimensionaler, komplexer Prozess, der von vielen exogenen Faktoren wie der Einstellung von Staats- und Regierungschefs gegenüber grüner Politik, der Stärke der Auswirkungen des Klimawandels zum Verhandlungszeitpunkt oder den Kosten von klimafreundlichen Technologien beeinflusst wird. Zwischen der COP 15 und der COP 21 gab es viele positive Entwicklungen in diesen Bereichen, die gute Grundvoraussetzungen für ein Abkommen in Paris schufen. Nichtsdestotrotz wäre ein Klimaabkommen ohne Veränderungen innerhalb der Kooperationsfaktoren nicht möglich gewesen.

Zunächst hatte die Fähigkeit der COP-Präsidentschaften, Vertrauen zu bilden, einen erheblichen Effekt auf die Erfolgschancen der Verhandlungen. Eine als intransparent und exklusiv wahrgenommene Verhandlungsweise führte zu erheblichen Vertrauensverlusten gegenüber der dänischen Präsidentschaft während der COP 15. Dies beeinflusste den Verhandlungsverlauf in stark negativer Weise. Die französische Präsidentschaft der COP 21 bildete hingegen Vertrauen proaktiv, indem sie umfassende Klimadiplomatie betrieb, allen Parteien gleichermaßen zuhörte und transparent kommunizierte.

Während das für die COP 15 angestrebte Modell globaler Deal des Klimaregimes mit rechtlich bindenden Emissionsreduzierungsverpflichtungen zu starken Verteilungskonflikten geführt hatte, konnten diese Gerechtigkeitsdebatten durch den Ansatz der Selbstdifferenzierung bei der COP 21 weitgehend vermieden werden. Auf die Kooperationsfaktoren übertragen bedeutet dies, dass das Senken des angestrebten Sanktionslevels dazu beitrug, hinderliche Debatten über Fairness beizulegen.

Reputationen spielten aufgrund der gegenseitigen Schuldzuweisungen während der Kopenhagener Konferenz kaum eine Rolle, sie wurden aber zu einem zusätzlichen Kooperationsfaktor in Paris, als Kooperationsverweigerung in Reputationsverlust umzuschlagen drohte.

Aufgrund der ausschließlich negativ reziproken Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern verstärkte Reziprozität in den Kopenhagener Verhandlungen die Spannungen zwischen den beiden Blöcken. Während der Pariser Konferenz hingegen bildeten sich überwiegend positiv reziproke Beziehungen. Reziprozität wurde somit zu einer Dynamik, die dazu beitrug, kooperative Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufrechtzuerhalten und zu vertiefen.

Mit Blick auf die Theorie lassen sich einige Unterschiede zwischen der Wirkungsweise der Kooperationsfaktoren auf individueller und auf internationaler Ebene feststellen. Während der Faktor Vertrauen sich in der Theorie auf das Vertrauen der Akteure untereinander bezieht, ist bei Klimaverhandlungen zusätzlich das Vertrauen gegenüber der Präsidentschaft entscheidend. Ein Laborexperiment, welches das Dilemma einer gemeinsam genutzten Ressource imitiert und einen Vermittler einbezieht, wäre ein interessanter Ansatz, um weiter zu untersuchen, wie Vertrauensbildung unter solchen Umständen funktioniert.

Zwar fördert ein Sanktionsmechanismus Kooperation auf der individuellen Ebene, aber der Versuch, einen solchen Mechanismus auf internationaler Ebene zu etablieren, kann ein erhebliches Kooperationshindernis darstellen. Wie die Kopenhagener Verhandlungen gezeigt haben, ist nationale Souveränität für einige Staaten von hoher Bedeutung und entsprechend gering die Zustimmungsbereitschaft zu einem Regime mit Sanktionsmechanismus.

Die Beobachtung, dass große Unterschiede und Ungleichheit zwischen den Verhandlungspartnern es erschweren, zu einer gemeinsamen Auffassung einer fairen Verteilung zu gelangen (Poteete et al. 2010, S. 225), hat sich auch für Klimaverhandlungen bewahrheitet. Unterschiedliche Perspektiven, was Fairness in Bezug auf Emissionsminderung bedeutet, haben Fortschritt bei den Verhandlungen lange verzögert und dies konnte letztendlich nur gelöst werden, indem die Autorität, die Klimaschutzbeteiligungen festzulegen, vollständig den Nationalstaaten überlassen wurde.

Die Dynamik der Reziprozität ist in den Klimaverhandlungen zwischen Staaten insgesamt nicht so stark ausgeprägt wie zwischen Individuen. Während die Rate reziproken Verhaltens in Laborversuchen mit Kommunikationsmöglichkeiten auf 90 % steigt (Ostrom 2005), bewegte sich die Gesamtrate solchen Verhaltens in den beiden Klimakonferenzen zwischen 40 % und 50 %. Dies liegt zum einen an der indirekten, diffusen Kommunikationssituation in Klimaverhandlungen, bei denen mehrere Interaktionen gleichzeitig stattfinden. Zum anderen zeigt es aber auch, dass Reziprozität als Kooperationsfaktor schwächer wirkt, wenn Nationalstaaten interagieren. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Staat in einem Akt der Reziprokation über seine rote Linie hinausgeht. Reziprozität trägt in den Klimaverhandlungen eher dazu bei, kooperative Partnerschaften zu stärken und gemeinsame Verhandlungspositionen zu bekräftigen.

Reputation ist der Faktor mit der größten Konsistenz. Die Beobachtung Ostroms (2005, S. 51), dass Individuen versuchen, eine schlechte Reputation zu vermeiden, da dies das Risiko birgt, von langandauernden produktiven Austauschprozessen ausgeschlossen zu sein, haben bereits Keohane (1984, S. 103-108) und Rachel Brewster (2009) auf die internationale Ebene übertragen. Sie trifft auch auf die Klimaverhandlungen zu. So wurde beispielsweise Chinas Haltungsänderung in Klimaverhandlungen unter anderem damit erklärt, dass es nicht erneut für das Fehlschlagen eines Klimagipfels verantwortlich gemacht werden wollte. Dass China inzwischen zu einem starken Verfechter des Pariser Klimaabkommens wurde, zeigt, dass es verstanden hat, dass eine ambitionierte Klimapolitik auch dazu dienen kann, das eigene Ansehen in der internationalen Gemeinschaft zu steigern.

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Kooperationstheorien anderer Disziplinen, in diesem Falle der experimentellen Psychologie und Verhaltensökonomie, auch wichtige Beiträge zum Verständnis der internationalen Beziehungen leisten können. Allerdings wären weitere Studien notwendig, um zu prüfen, inwieweit diese Beobachtungen auch für andere Politikbereiche gelten.