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AVB und Beratungspflichten – Markt – und Produktdisposition

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Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft

Zusammenfassung

Versicherer sind zwar Anbieter von Dienstleistungen und keine Berater. Gleichwohl hatte die Rechtsprechung schon unter Geltung des alten VVG nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln vorvertragliche Beratungspflichten von Versicherern statuiert. § 6 VVG normiert nun erstmals solche Pflichten und bezweckt die Gewährleistung sachgerechter Beratung von Kunden vor allem vor Vertragsschluss, um Deckungslücken zu verhindern. Damit stellen sich ganz erhebliche Konkurrenzfragen zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das in ganz ähnlicher Weise verläßliche und transparente Information von Kunden sicherstellen will. Der Verfasser erörtert dieses Konkurrenzproblem und entwickelt Kriterien, wann welches Regelungsregime anwendbar ist, so daß eine möglicherweise widersprüchliche Doppelkontrolle vermieden wird.

Abstract

Although insurers over services, they are no advisers/consultants. Nevertheless, the jurisdiction has already established an pre-contractual insurers duty to l advise insureds under the validity of the old VVG according to general civil law rules. Article 6 VVG standardizes such duties for the first time and aims to guarantee customers proper advice/consultancy particularly before the contract ends to prevent lapses in coverage. Therewith some considerable questions referring to concurrent laws concerning the law of the general terms and conditions, which aim to guarantee reliable and transparent information for customers in a quite similar way, arise. The author discusses this problem of concurrent laws and develops criteria which show which law is applicable on what occasion. As a result, a possibly contradictory pre-contractual double review is avoided.

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Notes

  1. Betont vor allem von der gegenüber der klassischen, an Machtungleichgewichte anknüpfenden Verbraucherschutztheorie vorzugswürdigen liberalen Verbraucherschutztheorie, vgl. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts [Berlin 1983], S. 26 ff.; Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers [Tübingen 1998], S. 26 ff.; Stuyck, J. Cons. Pol. 2005, 1, 27.

  2. Rehberg, Der Versicherungsabschlußals Rechtsproblem [Baden-Baden 2003], S. 34; Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt [Tübingen 1991], passim; Looschelders, JR 2001, 397.

  3. Dörner, Karlsruher Forum 2000 [2001], S. 45; Kieninger, AcP 198 [1999], 190, 193.

  4. Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. L 95 v. 21. April 1993, S. 29 ff.

  5. MünchKomm-BGB/Basedow, § 307 RdNr. 50.

  6. Köndgen, NJW 1989, 943, 949: „Die Benachteiligung des Kunden in Gestalt unangemessener Klauseln äußert sich darin, daß der Kunde in Unkenntnis der Relevanz des Klauselninhalts für seinen Vertragsschluß davon abgehalten wird, seine Chancen im Wettbewerb zu suchen – und zwar nicht, indem er mit dem Anbieter verhandelt, sondern sich nach günstigeren Konkurrenten umsieht.“ Das Transparenzgebot schütze die „Integrität der Nachfrageentscheidung“.

  7. Vgl. unten Abschn. 2.2.3 zu der sog. marktbezogenen Unangemessenheit.

  8. Siehe dazu die Kontroverse bei Drexl, o. Fn. 1, S. 359 f.; Koller, FS Steindorff, S. 667; MünchKomm-BGB/Basedow, § 307 RdNr. 52; Köndgen, NJW 1989, 943, 947; Adams, Ökonomische Analyse des Gesetzes zur Regelung des Rechts der AGB, in: Neumann, Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte [Berlin 1984], S. 655, 660 ff.; Trebilcock/Dewees, Judicial Control of Standard Form Contracts, in: Burrows/Veljanovski, The Economic Approach in Law [Oxford/Woburn 1981], S. 93 ff. – Entgegenzutreten ist der von Ökonomen begründeten Ansicht, das Transparenzgebot sei deshalb überflüssig: Der Kunde könne auf das Lesen der AGB getrost verzichten, denn er sei ja ohnehin durch die Inhaltskontrolle der §§ 305, 307 ff. BGB geschützt (Koller, a. a. O., S. 670). Dieses Argument verfängt nur dann, wenn die Klauselkontrolle ihrer Aufgabe auch nachkommen kann und nachkommt. Wenn Klauseln aber intransparent sind, steht dies gerade infrage. Die §§ 305 ff. BGB würden ohne ein Transparenzgebot das Vertrauen des Kunden enttäuschen. Zudem beschreibt jene These wegen ihrer Anlehnung an den homo oeconomicus allenfalls ein Durchschnittsverhalten, mißachtet aber Kunden, die – in wirtschaftlich selbstbestimmter Weise – AGB sehr wohl lesen (Drexl, o. Fn. 1, S. 360). Mit ähnlicher Begründung ließen sich beispielsweise auch Emissionsprospekte für entbehrlich erklären, denn diese versteht ohne fremde Hilfe kaum ein Anleger. Informationen, die überhaupt nicht erteilt werden, können im Wettbewerb keinerlei Rolle spielen. Und daß alle Information durch individuelle Beratung vermittelt wird, erhöht Transaktionskosten der Versicherer in konsumentenwohlfahrtsschädlicher Weise. Außerdem wird eine unterbleibende Lektüre ausdrücklich auch damit begründet, daß – so die Ökonomen (s. Adams, BB 1989, 781, 784) – Kunden sich für den Klauselinhalt deshalb nicht interessierten, weil hier nur Nebenfragen geregelt würden. Auf die Versicherungswirtschaft und ihre AVB trifft dieses Argument ohnehin nicht zu.

  9. Vgl. Arrow, Economics of Agency, in: Pratt/Zeckhauser, Principals and Agents – The Structure of Business [Harvard 1985], pp. 37–51; Kaas, Betriebswirtschaft 39 [1990], 539–548; Pauly, Quarterly Journal of Economics 88 [1974], 44–62; grdl. Akerlof, Quarterly Journal of Economics 84 [1970], 488–500.

  10. Versicherungen sind Vertrauensgüter im informationsökonomischen Sinn. Vertreter können in einem Beratungsgespräch besonderes Vertrauen eines Versicherungsinteressenten in Anspruch nehmen und dieses zu eigenen Gunsten ausnutzen, z. B. indem sie dem Kunden vorspiegeln, es handele sich um eine umfassende Versicherung. Eine tatsächlich lückenhafte Versicherung kann freilich zu einem günstigen Preis angeboten werden. Versicherungskunden werden wegen dieses Preises geneigt sein, eine derartige Zitrone – im Akerlofschen Sinne – zu erwerben. Deshalb werden sie ohne umfassende, sanktionsbewehrte Beratung nicht bedarfsgerecht versichert sein. Vor allem führt solch eine Praxis auf lange Sicht dazu, daß gute und günstige Produkte zugunsten der schlechteren – oft provisionsträchtigeren – Versicherungen vom Markt verschwinden (Akerlof, Q. Journal of Econ. 1970, 488 ff.).

  11. So Rehberg, o. Fn. 2, S. 249. S. auch dens., a. a. O.: „Auf einem deregulierten Versicherungsmarkt ist der Versicherungsnehmer zu einer eigenständigen Auswahlentscheidung kaum mehr in der Lage. Er ist auf fremde Hilfe angewiesen.“

  12. Statt vieler Präve, Versicherungsbedinungen und AGB-Gesetz [München 1998], RdNr. 159.

  13. S. zum praktischen Ablauf dieses Antragsmodells kurz Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, VVG, § 7 RdNr. 14 [S. 67], sowie § 3 RdNr. 4 [S. 26] bzw. § 7 RdNr. 12 [S. 66]; ferner Looschelders/Pohlmann, § 7 RdNr. 59.

  14. BGH, NJW 1983, 2638; BGH, NJW 2004, 2590 (AVB); BGH, NJW 2004, 2692; Präve, o. Fn. 12, RdNr. 268 (jedoch stark einschränkend RdNr. 272); Staudinger/Schlosser, § 305c RdNr. 18.

  15. BGH, NJW 1993, 2369; BGH, NJW-RR 1996, 857.

  16. BGH, NJW 1983, 2638.

  17. Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluß [Stuttgart 2008], Kap. 3 RdNr. 32, S. 111.

  18. So Coester, Staudinger-Eckpfeiler, S. 171: § 310 Abs. 3 Nr. 3 ebenso geltend für die Auslegung, da „logisch vorgeschaltet“; s. auch Staudinger/Schlosser, § 305c RdNr. 130; MünchKomm-BGB/Basedow, § 305c RdNr. 23.

  19. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung [München 1994], S. 124.

  20. Dazu, daß diese bei der Zweckermittlung heranzuziehen sind: Gebauer/Wiedmann, o. Fn. 16, Kap. 3 RdNr. 26, S. 108 f.

  21. S. Erwägungsgrund IX.

  22. S. jeweils Erwägungsgrund XVI.

  23. Im übrigen setzt die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung voraus, daß der Aussagegehalt der Richtlinie in dem betreffendem Punkt klar ist (Gebauer/Wiedmann, o. Fn. 17, Kap. 3 RdNr. 17, S. 104). Was die Auslegung anbetrifft, so ist das jedoch nicht der Fall.

  24. BGH, NJW 1983, 2638.

  25. Börner, JZ 1995, 598, r. Sp. unter 2.

  26. Ulmer/Brandner/Hensen, § 305b RdNr. 10 [S. 318] i. V. m. § 305 RdNr. 44 [S. 172].

  27. A. A. Ulmer, a. a. O., § 305b RdNr. 10a [S. 318].

  28. LAG München, Urt. v. 14. August 2008, 3 Sa 439/08 – unveröff.

  29. BGHZ 113, 251, 259 = NJW 1991, 975; BGH, NJW 1995, 1496; Luckey, Mündliche Nebenabreden zu Allgemeinen Versicherungsbedingungen [Frankfurt/Main 1992], S. 25 (unten); Schlossareck, Ansprüche des Versicherungsnehmers aus culpa in contrahendo [Karlsruhe 1995], S. 208 m. Fn. 113; Hennrich, JuS 2002, 975, 978.

  30. BGHZ 36, 30, 33 = NJW 1961, 2251; Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts [Frankfurt/M. 1930/66], S. 76 ff.; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften [Karlsruhe 1966], S. 283 ff.

  31. AcP 112 [1914], 1, 43.

  32. BGH, NJW-RR 2000, 1002, 1003 = LM EGBGB 1986 Art. 27 Nr. 8; BGH, NJW 1999, 3191; BGH, NJW 1994, 1403, 1407 = LM § 270 Nr. 6; Palandt//Heinrichs, 68. Aufl. [München 2009], § 133 RdNrn. 15 ff.; Flume, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. [Berlin u. a. 1992], § 16, 3 c); Larenz/Wolf, 8. Aufl. [München 2004], § 28 RdNrn. 60 f.

  33. BGHZ 102, 194, 197 = NJW 1988, 973; s. a. BT-Drucksache XVI/3945, S. 77.

  34. BGHZ 86, 41, 46.

  35. MünchKomm-BGB/Busche, § 133 RdNr. 48 a. E. [S. 1558]; Palandt/Heinrichs, BGB, § 133 RdNr. 18.

  36. HKK-BGB/Vogenauer, § 133 RdNrn. 59 [S. 605] und 71 f. [S. 612]; Palandt/Heinrichs, § 133 RdNr. 18.

  37. Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren [Berlin 1897], S. 43 f.; Bickel, Die Methoden der Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen – kritische Analyse seit dem Inkrafttreten des BGB vertretener Lehrmeinungen und Versuch einer Neubegründung [Marburg 1976], S. 164 f. m. w. Nw.

  38. Kimel, From Promise to Contract [Oxford 2003], S. 131: “An autonomous life is valuable when spent in the (at least to some extent successful) pursuit of valuable activities and relationships, but not otherwise”.

  39. Beispiel nach Raz, Harvard Law Review 95 [1982], 916, 935.

  40. Beachtlich etwa Limbach, JuS 1985, 10, die der Hoffnung Ausdruck verleiht, daß ein individualistisches Verständnis des Vertrags bald „überwunden“ werde.

  41. Vgl. oben vor Abschn. 2.1.1.

  42. Kollhosser, r+s 2001, 89, 92 f.; Luckey, Mündliche Nebenabreden zu Allgemeinen Versicherungsbedingungen, o. Fn. 29, S. 90 f.

  43. Es wird hier – wie oben dargestellt – die Gegenauffassung zugrundegelegt, vgl. dazu BGH, NVersZ 2002, 59 [unter Abschn. 2.1]; OLG Köln, VersR 2009, 488; OLG Koblenz, VersR 2007, 482; KG, VersR 2003, 726; Schwintowski/Brömmelmeyer//Ebers, § 5 RdNr. 13 [S. 37]; Looschelders/Pohlmann/Schneider, § 5 RdNr. 23.

  44. BGH, NVersZ 2002, 59 [unter II. 1.]; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, § 5 RdNr. 24 [S. 39]; Luckey, o. Fn. 29, S. 97. – Anders jedoch ÖOGH, VersR 1985, 1099, 1100.

  45. Zur Fiktionswirkung des § 5 VVG s. etwa Luckey, o. Fn. 29, S. 100.

  46. Hanau, AcP 165 [1965], 220, 266 f.

  47. Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, 15. Bearb. [1959/60], § 153 IV [B 2 a), S. 948 f.]; von Tuhr, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts [Berlin 1914-18], § 61 II 6 [S. 422 f.].

  48. Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte [Leipzig 1914], S. 306.

  49. Kisch, Der Versicherungsschein [Wiesbaden 1951], S. 77.

  50. So jedoch Hennrichs, JuS 2002, 975, 979 [l. Sp. u.]; Siller, JR 1927, Sp. 289, 296. Ähnlich Lutter/Gehling, JZ 1992, 154, 155 („Begreift man das Problem als Haftung aus veranlasstem Rechtsschein, dürfte eine Anfechtung von vornherein ausscheiden“).

  51. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht [München 1971], S. 35 ff., 43 ff., 60 ff., 87 ff., 196, 203 f., 210 ff. (insbesondere 212), 453 ff.; Kindl, Rechtsscheintatbestände und ihre rückwirkende Beseitigung [Berlin/Heidelberg 1999], S. 393 ff.; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten [Berlin 1939], S. 212; Krause, Schweigen im Rechtsverkehr [Marburg 1933], S. 136; Diederichsen, JuS 1966, 129, 137.

  52. Hilgenhövel, Die gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung des Versicherers für Auskünfte seiner Agenten [Karlsruhe 1995], S. 116; BK/Schwintowski, § 5 RdNr. 1.

  53. Amtliche Begründung zur Verordnung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19. Dezember 1939, RGBl. I, S. 2443, in: Amtliche Sonderveröffentlichungen der Deutschen Jusitz, Nr. 20, S. 4.

  54. Flume, o. Fn. 32, § 21, 6 [S. 422]; Lobinger, AcP 195 [1995], 274 ff.; Boesche, FS Georgiades [München 2006], S. 3 ff.

  55. Im Beispielsfall wird ein Mitverschulden des Versicherungsnehmers zu erwägen sein, weil die AVB ausdrücklich die „Länder der Europäischen Union“ nennen.

  56. § 6 formt die c. i. c., §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB, spezialgesetzlich aus, vgl. Stöbener, ZVersWiss 2007, 465, 477; Dörner/Staudinger, WM 2006, 1710, 1711; wohl auch Abram, VuR 2004, 428, 433; Niederleithinger, VersR 2006, 437, 439.

  57. Neben einem Anspruch aus § 6 Abs. 5 VVG besteht nach neuem Recht kein Bedürfnis für Ansprüche aus der sog. gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung des Versicherers (ausführlich Kollhosser, r+s 2001, 89, 91 ff.; Hennrichs, JuS 2002, 975, 981; Hilgenhövel, o. Fn. 52, S. 91 ff.). Denn die Belange der Versicherungsnehmer lassen sich mit den ausdrücklich normierten Tatbeständen angemessen schützen. Ungeachtet dessen würde ein solcher Anspruch ausscheiden: Die Haftung des Versicherers soll nämlich insgesamt entfallen, wenn den Versicherungsnehmer ein erhebliches Eigenverschulden trifft. Es schade ihm, wenn er die AVB nicht zur Kenntnis genommen hat und diese der Auskunft des Vertreters oder den falschen Vorstellungen des Versicherungsnehmers widersprechen sowie klar und eindeutig gefaßt sind (Ihle, Informationsschutz des Versicherungsnehmers [Hamburg 2006], S. 98). Das wäre dem Versicherungsnehmer vorzuwerfen.

  58. Ausf. Werber, VersR 2008, 285 ff. (insb. unter Abschn. 3).

  59. Schwierigkeiten bereitet Versicherungsnehmern zwar regelmäßig der Nachweis, für diesen Schaden sei die Aufklärungspflichtverletzung des Versicherers kausal. Denn sie müssen darlegen und ggf. beweisen, daß sie bei ordnungsgemäßer Beratung einen bedarfsgerechten Vertrag geschlossen und der Versicherer dazu ebenso bereit gewesen wäre. Die Rechtsprechung vermutet regelmäßig beides (st. Rspr. seit BGH, NJW 1973, 1688; BGH, NJW 1975, 824; BGH, NJW 1984, 658; BGH, NJW 1994, 514; BGH, NJW 1997, 938; Schellhammer, Zivilprozeß12, RdNr. 1671). Trotz der daran geäußerten Kritik – es sei offen, wie sich die Parteien bei ordnungsgemäßer Beratung geeinigt hätten (Schulze/Schulte-Nölke/Grigoleit, Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts [Tübingen 2001], S. 265, 285 ff.; Canaris, AcP 200 [2000], 273, 315 ff.; Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung aus culpa in contrahendo [Baden-Baden 1999], S. 58) – ist das zutreffend: Sinn und Zweck der Beratungspflicht liegen nämlich darin, individuelles Angebot und individuelle Nachfrage abzustimmen, wenn Anlaß dazu besteht. Es soll also durch eine möglichst umfassende Erörterung jede Ungewißheit darüber beseitigt werden, wie der Geschädigte in Kenntnis der Entscheidungsmöglichkeiten entschieden hätte. Dieser Zweck würde aber verfehlt, wenn man dem Geschädigten Schadensersatzansprüche gewähren würde, deren Durchsetzung indes regelmäßig daran scheitern würde, daß er den nötigen Kausalzusammenhang nicht beweisen könnte. Darüber hinaus bewirkt das den Zwang zu einer umfassenden Beratung, die dem Abnehmer umfassende Entscheidungsfreiheit gewährt und den Versicherungsmarkt vor einem Zusammenbruch schützt (zum Zitronenproblem siehe bereits oben).

  60. So jedoch eine verbreitete Auffassung, vgl. BGHZ 113, 251, 259 = NJW 1991, 975; BGH, NJW 1995, 1496; Staudinger/Schlosser, § 305c RdNr. 127 [S. 151 f.].

  61. Ähnlich Pauly, VersR 2008, 1326 f.: „Außerhalb der AVB abgegebene Erklärungen sind bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigen […], wenn diese externen Erklärungen einen allgemeinen Bezug aufweisen.“ – So auch OLG Saarbrücken, Urt. 14. Februar 2007, 5 U 578/06, n. veröff., das eine Werbebroschüre mit gegenüber den AVB abweichenden Angaben berücksichtigte.

  62. Burckhardt, Das AGB-Gesetz unter dem Einfluß der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen [Baden-Baden 2000], S. 164 ff.; Damm, JZ 1994, 161, 174; Borges, DZWiR 1997, 402, 406 f.; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2193; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, § 307 RdNr. 402 [S. 790 f.]

  63. Darin wird auf Art. 7 der RL verwiesen, der Verbandsklageverfahren gegen Standardklauseln betrifft. Das bedeutet, daß individuell-konkrete Umstände nur in diesen Verfahren unberücksichtigt bleiben müssen, im übrigen aber uneingeschränkt auch in die Prüfung von Standardklauseln einbezogen werden müssen. – A. A. Wolf/Horn/Lindacher, Art. 4 RL RdNr. 3; Brandner, MDR 1997, 312, 314, da die Möglichkeit unterschiedlicher rechtlicher Prüfungsergebnisse in Verbandsklage- und Individualverfahren bestehe. Standardklauseln seien deshalb ausschließlich anhand eines abstrakt-generellen, Individualklauseln anhand eines konkret-individuellen Maßstabs zu beurteilen.

  64. BT-Drucksache XIII/2713, S. 13 f., wo von einer Kombinationslösung gesprochen wird.

  65. Nachgebildet BGH, NJW 2001, 1132 ff. = VersR 2001, 184 ff. = NVersZ 2001, 121 ff.

  66. Versicherungsleistungsbegrenzungen sind inhaltlich anhand der §§ 307 ff. BGB zu kontrollieren. Zwar bestimmt § 307 Abs. 3 BGB, daß Leistungsbestimmungen – Bedingungen, unter denen die Leistung erbracht wird oder nicht – kontrollfrei sind. Das Rechtsprodukt „Versicherung“ konstituiert sich aber aus AVB, die damit nicht geprüft werden könnten. Deshalb versteht man unter Leistungsbeschreibungen nur den Kernbereich des Versicherungsvertrages, der nicht mehr als die schlagwortartige Bezeichnung der Versicherungsart und der Prämienhöhe erfaßt [vgl. BGH, Urt. v. 22. November 2000, IV ZR 235/99, NJW 2001, 1132: „Bereich der Leistungsbeschreibung, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann“; MünchKomm-BGB/Basedow, § 307 RdNr. 186 (S. 1228); Dreher, Versicherung als Rechtsprodukt [Tübingen 1991], S. 305 f.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht [München 2001], S. 257]. Dies wird durch eine richtlinienkonforme Auslegung des Art. 4 Abs. 2 der Klausel-Richtlinie bestätigt [vgl. Kieninger, ZEuP 1994, 277 ff.]. Daraus sowie aus dem Erwägungsgrund XIX der Richtlinie folgt, daß eine Inhaltskontrolle leistungsbeschreibender Klauseln möglich ist, sofern eine Leistungseinschränkung nicht unmittelbar sowie klar und eindeutig zu einer Prämienreduzierung führt [Kieninger, a. a. O., 282 ff.; Schmidt-Salzer, VersR 1995, 1261, 1266] oder – so wird man hinzufügen müssen – dieser Leistungseinschränkung keine objektiv (!) adäquate Prämienreduzierung korrespondiert (materielle Äquivalenz).

  67. Dazu jeweils BGHZ 141, 137, 143 = NJW 1999, 2279; BGHZ 136, 394, 401 = NJW 1998, 454; Präve, VW 2000, 450 ff.; Schwintowski, NVersZ 1998, 97 ff.

  68. Vgl. dazu näher Kreienbaum, Transparenz und AGB-Gesetz [Berlin 1998], S. 27, 29 f.

  69. S. dazu Köndgen, NJW 1989, 943, 951, der auf § 305b BGB verweist. Doch wer erläutert, stellt nicht zur Disposition.

  70. Dafür auch MünchKomm-BGB/Basedow, § 310 RdNr. 75, der wegen des offenen Wortlauts eine „strengere Bestimmung“ im Sinne des Art. 8 der Klausel-Richtlinie fordert, um die Berücksichtigung aller Umstände auf dem Verbraucher günstige zu beschränken.

  71. BT-Drucksache XIII/2713, S. 6 (unter Abschn. 3.); dazu Michalski, DB 1999, 677, 679 (l. Sp.).

  72. Brandner, MDR 1997, 312, 314; Bunte, DB 1996, 1389, 1390; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2194; Schwerdtfeger, DStR 1997, 499, 502.

  73. Zu der letztgenannten Funktion Ihle, Der Informationsschutz des Versicherungsnehmers [Hamburg 2006], S. 101 f.

  74. Hierzu Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, § 7 RdNr. 52 [S. 76].

  75. Abzulehnen ist deshalb auch eine entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. BGH, NJW 1992, 1097, 1098: „Der AGB-Verwender kann die Unwirksamkeit einer lediglich intransparenten […] Klausel im Einzelfall dadurch vermeiden, daß er dem Kunden die Auswirkungen durch Informationen hinreichend durchschaubar macht“; BGH, NJW 1992, 179, 180 unten (unter II. 3.); dazu Lindacher, NJW 1997, 2741 f.

  76. S. statt vieler Riesenhuber, Europäische Methodenlehre [Berlin 2006], S. 201 unten.

  77. EuGH, Slg. 1974, 1201 RdNr. 6 – Haaga; EuGH, Slg. 1994, I-317 RdNrn. 12 f. – Clinique; EuGH, Slg. 2002, I-2631 RdNr. 21 – Leitner; Canaris, JZ 1987, 543, 549; M. Schmidt, RabelsZ 59 [1995], 559, 560; Kropholler, Internationales Einheitsrecht [Tübingen 1975], S. 241 f., 258, 276 f.

  78. Vgl. dazu auch Ihle, o. Fn. 73, S. 101.

  79. S. statt aller Staudinger/Schlosser, § 310 RdNr. 72 [S. 747].

  80. Vgl. im einzelnen Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluß, o. Fn. 16, S. 19 RdNr. 58.

  81. BGH, NJW 1990, 2388 [II. 2.]; BGH, VersR 1993, 957, 959; Römer, FS Lorenz, S. 465 ff.; MünchKomm-BGB/Basedow, § 307 RdNr. 190 [S. 1230].

  82. Looschelders/Pohlmann, VVG, § 6 RdNr. 48. – Die These, Kunden läsen das Kleingedruckte ohnehin nicht und handelten wegen der immensen Transaktionskosten deshalb auch noch rational, so daß man auf das Transparenzgebot verzichten könne, geht – wie bereits oben dargelegt – fehl.

  83. BGH, NJW 1979, 981 = VersR 1979, 343 = DB 1979, 1937 = MDR 1979, 385 = DAR 1979, 285.

  84. Vgl. zu dieser Fallgruppe der Intransparenz nur Staudinger/Schlosser, § 307 RdNr. 128.

  85. So wohl Huckele, Die vorvertraglichen Aufklärungs-, Beratungs- und Informationspflichten im Versicherungsrecht [Diss. Tübingen 2005], S. 87; für eine Austauschbarkeit grundsätzlich wohl auch Dörner, o. Fn. 2, S. 62 f.

  86. Staudinger/Coester, § 307 RdNr. 174.

  87. Anders die h. M., vgl. Hellner, FS Steindorff [Berlin 1990], S. 573, 584; Heinrichs, FS Trinkner [Heidelberg 1995], S. 157, 162; Westermann, FS Steindorff, S. 817, 830; Drexl, o. Fn. 1, § 13 VIII 3 c): Transparenzkontrolle sei niemals aliud, sondern ein ‚minus‘, d. h. eine Vorstufe zur eigentlichen Inhaltskontrolle; Schäfer, Das Transparenzgebot im Rahmen der AGB [Frankfurt/M. 1992], S. 61 ff.; Kirscht, VersR 2003, 1075 ff.; Wandt, VersR 2001, 1455 ff.; v. Westphalen, NJW 2002, 13, 17.; Joost, ZIP 1996, 1685, 1686 f. – Dagegen mit Recht etwa Köndgen, NJW 1989, 943, 950; Frey, ZIP 1993, 572, 575, wohl auch Armbrüster, DNotZ 2004, 427, 440, wonach der Begriff „Nachteil“ nach allgemeiner Sprach- und Sinndeutung die Vereitelung einer Chance erfaßt.

  88. Dazu zutreffend Dörner, o. Fn. 2, S. 62.

  89. BGH, NJW 1993, 263, 264; BGH, NJW 1991, 3025, 3027; v. Hoyningen-Huene, FS Trinkner, S. 179, 180.

  90. BGH, VersR 1979, 345.

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Heyers, J. AVB und Beratungspflichten – Markt – und Produktdisposition. ZVersWiss 99, 349–369 (2010). https://doi.org/10.1007/s12297-010-0087-1

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