Einleitung

Bedingt durch die COVID-19-Pandemie und das damit einhergehende Post-COVID-Syndrom, unter dem bis zu 15 % der an dem Coronavirus Erkrankten [50] nach Abklingen der üblichen Beschwerden leiden, hat das Symptom „Fatigue“ deutlich an Bedeutung gewonnen und erlangt nun zunehmende wissenschaftliche und therapeutische Aufmerksamkeit, wie z. B. zur Entwicklung der S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID [27]. Auch deshalb, weil die Post-COVID-Fatigue von betroffenen Patient*innen als das häufigste Symptom angegeben wird (vgl. [23, 45, 51, 52]).

So leidet noch Wochen oder Monate nach der Infektion ein nicht unerheblicher Prozentsatz der Betroffenen an Fatigue [52]. Trotz vollständiger Erholung von der Coronainfektion klagen noch nach zwei bis drei Monaten 71 % bis ca. 87 % der Betroffenen über eine Fatigue [58]. Ebenso berichtete mehr als die Hälfte aller Patient*innen noch zehn Wochen nach den Infektionssymptomen über eine weiterhin bestehende Fatigue. In einem Review zeigte sich zudem, dass mit 44 % die Fatigue das meist berichtete Symptom bei Post-COVID-Erkrankten ist [52].

Dies führt nun dazu, dass eine adäquate Definition des Begriffs Fatigue notwendig ist, um daraus ableitbare Erklärungen zur Genese sowie für Diagnose- und Therapieempfehlungen gewinnen zu können. Es wird aber im Rahmen der Forschung und der pandemiebedingten Häufung von Patient*innen mit Fatigue deutlich, dass es keine einheitliche Definition für den Begriff Fatigue gibt.

So kann Fatigue als allgemeines Gefühl der Kraftlosigkeit oder aber als subjektives unangenehmes Gefühl von Energiemangel bis zum Burnoutgefühl beschrieben werden [41]. Aber sowohl Definition wie auch Ursachen der Fatigue differieren in Abhängigkeit des jeweils betrachteten Krankheitsbildes, was dazu führt, dass es unterschiedliche krankheitsspezifische Fatiguedefinitionen gibt [31]. Zudem verwenden Patient*innen, die ihre Symptomatik im alltäglichen Klinikalltag beschreiben, scheinbar nahezu durchgehend die Begriffe Müdigkeit, Fatigue und Erschöpfung synonym. Gleiches gilt aber auch für die wissenschaftlich und therapeutisch Arbeitenden.

Es scheint jedoch relevante Unterschiede der Begrifflichkeiten vor allem in Bezug auf die Therapie der jeweiligen Beschwerden zu geben. Vor diesem Hintergrund ist es deshalb aus unserer Sicht zwingend erforderlich, eine Differenzierung zwischen Müdigkeit, Fatigue, und Erschöpfung zu diskutieren.

In ähnlicher Weise hat Olson bereits 2007 eine Neuinterpretation der Begriffe Müdigkeit, Fatigue, und Erschöpfung vorgenommen [38]. Sie beschreibt diese als distinkte Zustände, die aber in einem Kontinuum in Relation zueinander gesetzt werden können. Bei der Zuordnung dieser drei Zustände in einem Kontinuum orientiert sie sich an dem biologischen Modell des Adaptionssyndroms nach Selye [46], welches drei wesentliche Phasen der Adaption eines Organismus auf externe Reize beschreibt: eine Alarmreaktion, eine Resistenzphase und eine Erschöpfungsphase. Des Weiteren beschreibt sie Unterschiede der drei Begriffe in sechs Kategorien. Konkret waren dies: Schlafqualität, Kognition, Durchhaltevermögen, emotionale Reaktion, Kontrolle über körperliche Begriffe und soziale Interaktion.

Olson legte 2007 mit der Unterscheidung der drei Begriffe Müdigkeit, Fatigue und Erschöpfung und der Verortung auf einem Kontinuum einen Grundstein. Interessant ist für uns daher, ob seit diesem Artikel weitere Forschung zur Verifikation, Weiterführung oder Widerlegung stattgefunden hat. Allerdings wird bei einer umfassenden Literaturrecherche deutlich, dass die Begrifflichkeiten entweder weiterhin einheitlich verwendet werden, nicht einheitlich unterschieden werden oder sich ausschließlich auf Olsons damalige Studie beziehen. Demnach ist es auffällig, dass die dynamische Weiterentwicklung in dieser Forschungsfrage ausgeblieben zu sein scheint. Ziel dieses Artikels ist es daher, einen Überblick über die Definitionen der Begriffe Müdigkeit, Fatigue und Erschöpfung und ihrer Differenzierung voneinander zu geben, aber auch mögliche Ideen zur Diagnostik und Interventionen für die Therapie im klinischen Alltag herzuleiten.

Methodik

Die Inhalte von Olsons Artikel von 2007 sollen nun anhand von Studien der letzten zwei Jahre in einem Zeitraum von Januar 2019 bis April 2022 überprüft werden und die Ergebnisse hier als Diskussionsanstoß vorgestellt werden. Da Fatigue nicht nur bei Corona auftritt, sondern auch in vielen anderen Zusammenhängen eine Rolle spielt, wurde in der veröffentlichten Literatur nach Beschreibungen von Fatigue in Populationen gesucht, in denen sie gehäuft auftritt. Daher wurde in der Literatur konkret bei den Bevölkerungsgruppen nach den Begriffen „Tiredness“, „Fatigue“ und „Exhaustion“ gesucht, in denen Fatigue allgemein als eine wichtige Komponente angesehen wird.

Auf der Grundlage des Artikels von Olson und Morse [39] wurden schließlich die Artikel durchsucht, die sich mit dem Konzept der Fatigue bei Schichtarbeitern, Sportlern und Personen mit der Diagnose chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS), Krebs oder Depression befassten. Das CFS, krebsbedingte Müdigkeit und Depressionen stehen für krankheitsbedingte Fatigue, Schichtarbeiter wurden ausgewählt, um arbeitsbedingte Fatigue darzustellen, und Sportler*innen wurden ausgewählt, um Fatigue im Zusammenhang mit Freizeitaktivität zu zeigen.

Es wurde hier gezielt nicht nach dem Begriff der „Schläfrigkeit“ gesucht, da dieses Konstrukt zum einen nicht von Olson im Kontinuum verortet wurde. Zum anderen zeichnet sich im Gegensatz zur Müdigkeit, bei der eher keine Schlafneigung besteht und die ohne Adaption zur Erschöpfung führen kann, Schläfrigkeit durch einen erhöhten Schlafdruck bis hin zu Sekundenschlaf und erhöhter Einschlafneigung aus [53].

Bei der Literaturrecherche wurde die Suchmaschine PubMed verwendet und nach den o. a. drei englischen Begriffen durchsucht. Es wurden anhand dieser Suchanfrage insgesamt 4363 Studien zu dieser Thematik gefunden, wobei nach der Filterung der relevanten Themengebiete 844 Studien zunächst geeignet waren, wovon aber 803 aufgrund von irrelevanten Definitionen ausschieden und aufgrund anderer Fragestellungen (Tierversuche oder rein medizinische Experimente) nicht zum Thema passend waren (siehe Abb. 1). Somit bleiben zum endgültigen Vergleich nur 41 englischsprachige Studien, welche in den Tab. 1, 2 und 3 aufgeführt und im weiteren Verlauf nun diskutiert werden. Wobei einige der Studien Ausführungen zu zwei oder drei der relevanten Suchbegriffe enthielten.

Abb. 1
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Ergebnis der Literaturrecherche

Tab. 1 Definitionen des Begriffs Müdigkeit in den 7 eingeschlossenen Studien
Tab. 2 Definitionen des Begriffs Fatigue in den 28 eingeschlossenen Studien
Tab. 3 Definitionen des Begriffs Erschöpfung in den 20 eingeschlossenen Studien

Ergebnisse

Basierend auf der aktuellen Studienlage konnten folgende Definitionen in Anlehnung an Olsons Artikel von 2007 bestätigt werden:

Müdigkeit

In der uns nach dem Auswahlprozess vorliegenden Literatur wird Müdigkeit als ein kurzzeitiger Zustand definiert, der sowohl durch aufgebrauchte Energie charakterisiert wird als auch durch Erholung gelindert wird [24, 43, 60]. Zudem wird Müdigkeit häufig auch als „akute Fatigue“ bezeichnet [39]. So sind „müde Betroffene“ nicht in der Lage normalen Tätigkeiten nachzugehen [1]. Außerdem weisen die Betroffenen bei Müdigkeit ein normales Schlafmuster sowie erholsamen Schlaf auf. Weitere Charakteristika sind Vergesslichkeit, Ungeduld und ein Schweregefühl in den Muskeln nach Anstrengung. Jedoch haben „müde“ Betroffene zusammenarbeitende physische und psychische Prozesse und sie können an normalen sozialen Aktivitäten teilnehmen [38]. Zusammengefasst ist Müdigkeit ein Zustand von akut verbrauchter Energie, der durch kognitive (z. B. Vergesslichkeit), emotionale (z. B. Gereiztheit) und körperliche (z. B. Druckgefühl in der Muskulatur) Symptome ohne Beeinträchtigung höherer Funktionsebenen gekennzeichnet ist, der kurz andauert und durch Erholung aufgehoben werden kann.

In das Adaptionsmodell nach Selye [46] kann Müdigkeit als Antwort einer Alarmreaktion auf Stress eingeordnet werden. Somit kann Müdigkeit als menschliche Schutzfunktion fungieren [24]. Es gibt zwei Ausgangsmöglichkeiten bei der Müdigkeit: Adaption und keine Adaption. Bei gelingender Adaption kann die Müdigkeit reduziert beziehungsweise eliminiert werden und die Betroffenen kehren in ihren „normalen“ Zustand zurück. Ohne eine Adaption kann ein hoher Grad an Müdigkeit zu einer Fatigue führen [8, 25].

Fatigue

Fatigue ist das Ergebnis fehlender Adaption und Häufung von starker Müdigkeit, weshalb sie häufig als chronische oder anhaltende Fatigue bezeichnet wird [39]. In den uns hier vorliegenden Arbeiten wird Fatigue charakterisiert durch einen Energiemangel mit extremem Ausmaß. Dies hängt jedoch nicht mit körperlicher Aktivität zusammen und kann sich zudem unproportional verschlimmern [16, 32, 55]. In Abgrenzung zur Müdigkeit nimmt die körperliche und mentale Einschränkung bei Fatigue trotz angemessener Erholung und Entspannung nicht ab [10, 21, 44, 48]. Betroffene, die an Fatigue leiden, haben ein irreguläres Schlafmuster, ohne sich nach dem Schlaf erholt zu fühlen. Außerdem kennzeichnen sie sich durch Konzentrationsprobleme, Ängstlichkeit, Schlafprobleme, erhöhte Sensitivität gegenüber Licht, Lärm und Berührungen. Betroffene mit Fatigue berichten ebenso, dass sie im Vorfeld Ressourcen sparen müssen, um an sozialen Interaktionen teilnehmen zu können [9, 19, 22, 26, 33, 38, 40, 47]. Dennoch können Betroffene mit Fatigue die Leistungsfähigkeit mit höherer Anstrengung aufrechterhalten [4].

Fatigue ist in Abgrenzung zur Müdigkeit also ein länger andauernder Zustand von Energielosigkeit, der durch stärkere kognitive (z. B. übergreifende Konzentrationsprobleme), stärkere emotionale (z. B. Angst) und stärkere körperliche (z. B. erhöhte Sensibilität gegenüber äußeren Reizen) Symptome sowie Schlafprobleme gekennzeichnet ist. Dieser Zustand dauert jedoch länger an und kann vor allem nicht zeitnah durch Erholung aufgehoben werden. Komplexere Funktionsebenen können nur durch eine erhöhte Anstrengung oder vorheriges Ressourcensparen aufrechterhalten werden.

Auf das Adaptionsmodell nach Selye [46] übertragen kann Fatigue somit als Reaktion auf einen Stressor in der Resistenzphase eingeordnet werden. Bei gelingender Adaption kann Fatigue demnach auf Müdigkeit zurückgestuft beziehungsweise komplett eliminiert werden. Ohne die Möglichkeit zur Adaption kann Fatigue zu Erschöpfung führen [25, 38].

Erschöpfung

Erschöpfung ist eine maladaptive Folge von anhaltender Fatigue und ist charakterisiert durch permanent erschöpfte Kraftreserven und chronischen Energiemangel, bei der die Genesung erst nach mehreren Jahren oder sogar nie vollständig eintreten kann [1, 12, 14, 17]. Erschöpfte Betroffene zeigen ein unregelmäßiges Schlafmuster, mit Perioden von Insomnie oder Hypersomnie. Zudem leiden Betroffene mit Erschöpfung unter Verwirrung, Taubheitsgefühl, plötzlichem und unkontrollierbarem Energieverlust sowie Schwierigkeiten wach zu bleiben. In sozialen Interaktionen ziehen sie sich vollständig zurück [2, 5, 7, 18, 29, 38]. Während bei Fatigue die Leistungsfähigkeit nur mit höherer Anstrengung aufrechterhalten werden kann, zwingt Erschöpfung den Körper, auf weitere Aktivitäten mit gleicher Intensität zu verzichten [4].

Erschöpfung ist letztlich die Steigerung einer Fatigue, dahingehend, dass ein chronischer Energieverlust besteht, der durch ausgeprägte kognitive (z. B. Verwirrtheit), massive emotionale (z. B. Depression) und sehr starke körperliche (z. B. spontaner und unvorhersehbarer Energieverlust) Symptome gekennzeichnet ist und mehrere Jahre andauern kann. Das Aufrechterhalten höherer Funktionalität (wie z. B. soziale Aktivitäten) ist so gut wie nicht mehr möglich.

Nach dem Adaptionsmodell von Selye (1952) kann Erschöpfung als eine Reaktion auf einen Stressor in der Erschöpfungsphase eingeordnet werden. Gelingt in dieser Phase die Adaption, so kann Erschöpfung auf Fatigue und schließlich auch wieder auf Müdigkeit zurückgestuft beziehungsweise komplett eliminiert werden. Ohne eine erfolgreiche Adaption kann Erschöpfung über eine lange Zeitperiode bestehen bleiben [14, 17] und somit chronifizieren.

Diskussion

Ziel dieser Arbeit war es, die Begriffe Müdigkeit, Fatigue und Erschöpfung zu definieren und zu untersuchen, ob diese drei Konstrukte entlang eines Kontinuums existieren können.

Aufgrund der Therapie von Müdigkeit, also Ruhe bzw. Schlaf, die weder bei Fatigue noch bei Erschöpfung zur Linderung der Symptomatik führt, kann der Zusammenhang zwischen den drei Entitäten infrage gestellt werden.

Die studienübergreifenden Definitionen verdeutlichen, dass die unterschiedlichen Schweregrade der Konzepte Müdigkeit, Fatigue und Erschöpfung darauf hindeuten, dass diese Zustände entlang eines Kontinuums existieren. So weist Müdigkeit den leichtesten Schweregrad auf und benötigt daher weniger Therapieaufwand, weshalb dieser Zustand an einem Ende des Kontinuums verortet ist. Im Vergleich dazu geht Erschöpfung mit sehr schweren Symptomen einher, welche über Jahre hinweg bestehen können. Folglich befindet sich Erschöpfung am anderen Ende des Kontinuums. Fatigue kann schließlich zwischen diesen beiden Polen eingruppiert werden.

Ebenso existieren wesentliche Zusammenhänge und Übergänge zwischen den einzelnen Zuständen. So wird bei fehlender Behandlung und Adaption die darüber liegende Schweregradstufe erreicht. Gleichermaßen wird bei gelungener Adaptionsstrategie eine Rückstufung hinsichtlich des Schweregrads erzielt. Demnach scheint die Einordnung der drei Zustände entlang eines Kontinuums (siehe Abb. 2) angemessen. Anschließend ist es zutreffend, den Begriff der Adaption, in der Art von Ismail et al. [25] und Olson [38], zu verwenden, um den Übergang zwischen den Abstufungen entlang des Kontinuums zu beschreiben. Um die Übergänge von Müdigkeit zu Fatigue und von Fatigue zur Erschöpfung besser zu verstehen, ist allerdings weitere Forschung erforderlich.

Abb. 2
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Das Fatigue-Adaptions-Modell in Anlehnung an Olson [38]

Die theoretische Einordnung der drei Konzepte Müdigkeit, Fatigue und Erschöpfung führt zu der Frage der praktischen Implikation.

Zunächst ist es eindeutig, dass für sich voneinander abgrenzende Konzepte nicht die gleichen Diagnoseinstrumente verwendet werden können. In den vorgestellten Studien ist auffällig, dass die Messinstrumente OFER (Occupational Fatigue Exhaustion Recovery), OFER‑J, OFER-15 bei der Erhebung von Müdigkeit, Fatigue und Erschöpfung verwendet werden [1, 19, 24, 36, 43, 60]. Diese OFER-Skalen werden zur Erhebung von arbeitsbedingter Fatigue verwendet. Es soll zwischen akuter und chronischer Fatigue unterschieden werden und nicht zwischen Erschöpfung, auch wenn diese im Skalennamen auftaucht [59]. Hierbei wird deutlich, dass auch in den publizierten Studien Messinstrumente konzeptübergreifend verwendet werden. Allerdings werden im größten Teil der Studien die drei Konzepte anhand unterschiedlicher Messinstrumente erfasst. Diese Differenzierung in der Forschung impliziert daher auch die Notwendigkeit unterschiedlicher Diagnoseinstrumente in der klinischen Praxis. In einem konkreten nächsten Schritt sollten eine Übersicht und ein Vergleich bereits existierender Instrumente zur Erfassung der drei Begriffe erfolgen. Vor allem mit der Fragestellung, inwieweit es diesen Instrumenten gelingt, zwischen den Begriffen Müdigkeit, Erschöpfung und Fatigue unterscheiden zu können. Zu hinterfragen wäre dann auch, wie und ob diese Instrumente wechselseitig diese drei Entitäten differenzieren können, wie sich also z. B. ein für Müdigkeit konstruierter Fragebogen bei einer Gruppe von Erschöpften verhält.

Folgt man der Idee des Kontinuums, so sollten zukünftige Arbeiten darauf abzielen, ein Screeninginstrument zu entwickeln, das die drei Konstrukte voneinander trennen kann. Ob dann, als weitere Konkretisierung und letztliche Diagnosestellung, die bereits existierenden Fragebögen verwendet werden können, oder aber ob es, wegen der bereits erwähnten konzeptübergreifenden Erfassung einzelner Messinstrumente, zu einer kompletten Neuentwicklung kommen muss, ist noch zu untersuchen. Zu diskutieren wäre in jedem Fall dann auch, inwieweit sich die bereits existierenden Instrumente nicht bereits jetzt schon für diese Differenzierung eignen und kombiniert als Screeningverfahren verwendet werden können.

In zukünftigen Betrachtungen und Arbeiten sollte, in Bezug auf diagnostische Instrumente, das Konstrukt der Schläfrigkeit mit in die Abgrenzung von und zu den Begriffen Müdigkeit, Fatigue und Erschöpfung aufgenommen werden. Ziel sollte es ggf. sogar sein, ein Instrument, vielleicht aus bereits bestehenden Fragebögen zu entwickeln, mit dem es gelingt, diese vier Entitäten voneinander zu unterscheiden bzw. in ihrer jeweils aktuell vorliegenden Ausprägung messen zu können. Diesen Arbeiten sogar vorangeschaltet sollten Überlegung theoretischer Natur sein, inwieweit sich die vier Begriffe nicht doch in bestimmten Teilen oder aber auch nur jeweils Paare dieser Begriffe überschneiden.

Neben der differenzierten Diagnostik sind zusätzlich unterschiedliche Interventionen je nach diagnostiziertem Konzept notwendig. Olson [38] zeigt auf, dass für Müdigkeit und Fatigue ein leicht gestaltetes Sportprogramm erfolgreich sein kann, allerdings nicht bei Erschöpfung. Für die drei Konzepte können keine spezifischen Interventionsleitfäden gefunden werden. Allerdings scheinen Studien bei der Behandlung von Müdigkeit Interventionsprogramme zu unterstützen, die auf leichte physische Aktivität und Entspannung abzielen [34]. Zur Behandlung von Fatigue werden ebenfalls leichte Sportprogramme sowie die Korrektur einer Anämie, Biofeedbacktrainings und pharmakologische Interventionen empfohlen [9, 32]. Bei der Recherche zur Behandlung der Erschöpfung stößt man vor allem auf Programme zur Behandlung arbeitsbedingter Erschöpfung, emotionaler Erschöpfung sowie Burnout. Diese setzen sich aus psychotherapeutischen Maßnahmen (v. a. Stresscopingstrategien und Achtsamkeitstrainings) und der Behandlung gestörter Schlafmuster zusammen [37, 57]. Spezifisch formulierte Interventionsprogramme und -schritte, je nach der Phase des nach Olson [38] beschriebenen Kontinuums, sind notwendig für einen optimalen Behandlungserfolg. Allerdings muss differentialdiagnostisch festgestellt werden, ob Krankheitsbilder zugrunde liegen, die unter anderem zu Symptomen von Müdigkeit, Fatigue oder Erschöpfung führen können. Beispiele hierfür können Elektrolytstörungen, ein Diabetes mellitus oder endokrinologische Erkrankungen sein. Hierbei würde demnach nicht die Behandlung von Müdigkeit, Fatigue beziehungsweise Erschöpfung im Fokus stehen, sondern die Ursachenbehandlung, welche im Regelfall automatisch mit einer Symptomreduktion einhergeht.

Die aktuelle COVID-19-Pandemie und die damit zusammenhängenden Fälle von Post-COVID-Syndromen mit Fatigue führen zu einer Verschärfung der Thematik. Patient*innen, die unter diesen Symptomen leiden, verwenden häufig aber selbst die drei Begriffe der Fatigue, der Müdigkeit und der Erschöpfung zur Beschreibung ihrer Symptomatik. Dabei wäre es bei weiteren Forschungsarbeiten von großer Relevanz herauszuarbeiten, ob alle drei Entitäten bei der Entwicklung einer Post-COVID-Symptomatik eine Rolle spielen und vor allem in welcher Reihenfolge sie zutage treten, um ggf. rechtzeitig geeignete Behandlungen anbieten und ein Aufschaukeln der Problematik ganz im Sinne des Adaptionsmodells vermeiden zu können.

Das Verständnis über die Übergänge liefert wichtige Ansatzpunkte für Interventionen, um das Fortschreiten von Fatigue und Erschöpfung zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Dadurch werden die beschriebenen Diagnoseinstrumente und Interventionsprogramme in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen. Zudem ist es dringend erforderlich, dass das Fachpersonal im Gesundheitswesen in der Lage sein sollte diese drei Konzepte zu differenzieren. Denn nur so ist sowohl eine zutreffende Diagnose sowie eine konkrete Verortung auf dem Kontinuum als auch eine damit einhergehende erfolgreiche Therapie ableitbar.