Hintergrund

Es gibt eine ganze Reihe von Mythen zu Geschlechtsunterschieden (nicht nur hinsichtlich der koronaren Herzerkrankung), die sich teilweise auch in der wissenschaftlichen Literatur hartnäckig halten. Dazu gehören im kardiologischen Bereich beispielsweise:

  • Bei der koronaren Herzkrankheit und dem Herzinfarkt handelt es sich vorwiegend um eine Erkrankung von Männern. Tatsächlich sterben etwa 15 % der Frauen wie der Männer in Deutschland an einer ischämischen Herzerkrankung, wobei allerdings die Alterskurve bei den Frauen um 10 Jahre nach oben verschoben ist, während die Männer bei den KHK-Todesfällen unter 65 Jahren dominieren [1].

  • Die Initialsymptomatik des akuten Koronarsyndroms gestaltet sich bei Frauen „atypisch“. Tatsächlich zeigen aktuelle Studien, dass sich Frauen und Männer kaum hinsichtlich der typischen Leitsymptomatik (Angina pectoris) unterscheiden, die Frauen aber darüber hinaus häufig noch weitere Symptome wie Übelkeit oder Rückenschmerzen schildern (z. B. [2]).

  • Koronarkranke Frauen werden bei der medizinischen Behandlung benachteiligt (Koronarinterventionen, Medikation) und werden auch seltener als Männer in die kardiologische Rehabilitation überwiesen. Ersteres relativiert sich deutlich, wenn man das Alter berücksichtigt (vgl. [3]), und letzteres gilt zwar für viele Länder, in Deutschland dagegen stellt das Geschlecht zumindest in der Anschlussrehabilitation kein versorgungsrelevantes Merkmal dar (z. B. [4]).

Diese Beispiele zeigen, dass scheinbar genderspezifische Effekte oft mit dem Alter, der Komorbidität, dem Umgang mit Gesundheit und Krankheit sowie mit Systembedingungen (z. B. gesetzlichen Regelungen) zusammenhängen. Koronarkranke Frauen sind meist älter. Ihre Lebenslagen unterscheiden sich von denen der Männer (Erwerbstätigkeit, Bildung und Einkommen, Rolle und Verantwortlichkeiten in der Familie, Alleinleben). Sie haben mehr (und andere) Begleiterkrankungen und ihre körperliche Fitness ist geringer als die der Männer (vgl. [5]). Außerdem sind gerade jüngere Frauen, die psychisch besonders belastet sind (vgl. [6]), in der kardiologischen Rehabilitation zumeist in der Minderzahl. Bei der Untersuchung von Genderfragen und auch bei der Gestaltung der Sekundärprävention müssen diese Faktoren berücksichtigt werden.

Sekundärprävention (Rehabilitation) bei Frauen und Männern

Körperliche Aktivität: Effekte und Barrieren

Frauen profitieren hinsichtlich der Prognose der koronaren Herzerkrankung in gleichem Maße wie Männer von einem individuell dosierten Ausdauertraining (z. B. [7, 8]). Darüber hinaus reduziert Kraftausdauertraining insbesondere bei älteren Frauen den Verlust an Muskelmasse und Knochendichte [9]. Daraus resultiert die Empfehlung, dass Frauen wie Männer mehrmals in der Woche ein angepasstes regelmäßiges aerobes Ausdauertraining durchführen sollen, das durch ein leichtes dynamisches Krafttraining ergänzt wird [10].

Die körperliche Leistungsfähigkeit nach koronaren Ereignissen liegt bei Frauen aber deutlich unter derjenigen der Männer. In einer großen amerikanischen Untersuchung lag die Funktionskapazität von Frauen zu Beginn der kardiologischen Rehabilitation mit einer mittleren VO2 peak von etwa 15 ml/kg/min um 5 ml/kg/min niedriger als die von Männern [7]. Der Grund dürfte in der wesentlich geringeren sportlichen Aktivität von (älteren) Frauen liegen (vgl. [11]). Neben der geringeren Erfahrung mit sportlichen Aktivitäten bestehen aber noch weitere Barrieren für eine ausreichende körperliche Aktivität. Dazu zählen konkurrierende (familiäre) Verpflichtungen, Angst vor körperlicher Überlastung und Schmerzen, komorbide Erkrankungen (auch klimakterische Begleiterscheinungen) und eine eventuelle Inkontinenzproblematik [12]. Dies alles führt dazu, dass koronarkranke Frauen deutlich schwerer als Männer zu ausreichender körperlicher Aktivität zu motivieren sind.

Rehaziele und Versorgungsrealität

Die unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen und Männern haben auch Konsequenzen für die (subjektiven) Ziele der Sekundärprävention. Frauen erwarten von der Rehabilitation Entlastung vom Alltag, Erhalt der Unabhängigkeit (Haushaltsführung), Gewichtsreduktion und emotionale Unterstützung. Bei Männern stehen dagegen körperliche Fitness, die Klärung beruflicher Probleme (Frühberentung) sowie die Erhöhung der Lebenserwartung im Vordergrund [5]. Das entspricht den unterschiedlichen Lebenslagen und Belastungen der beiden Geschlechter sowie dem verschiedenen Umgang mit Gesundheit und Krankheit.

Betrachtet man dagegen die Praxis der kardiologischen Rehabilitation, so wird deutlich, dass sich das Behandlungsangebot für Frauen und Männer nur geringfügig unterscheidet und deren unterschiedlichen Zielsetzungen nur unzureichend abbildet [13]. Hier stellt sich die Frage, ob Versorgungsgleichheit auch Bedarfsgerechtigkeit bedeutet. Kardiologische Rehabilitationsprogramme wurden ursprünglich mit Blick auf berufstätige Männer im mittleren Lebensalter entwickelt. Ob dieses Modell auch den Bedürfnissen und Präferenzen von koronarkranken Frauen entspricht, ist fraglich. In Tab. 1 werden typische Belastungen und Bewältigungsstrategien bei (koronarkranken) Frauen und Männern aufgelistet und Möglichkeiten einer genderspezifischen Gestaltung von Maßnahmen zur Sekundärprävention skizziert.

Tab. 1 Typische Belastungen, Krankheitsbewältigung und Rehaziele bei Frauen und Männern sowie Möglichkeiten einer genderspezifischen Gestaltung von medizinischer Rehabilitation. (Mod. nach [5])

Sekundärprävention speziell für Frauen

Es gibt inzwischen, insbesondere aus dem skandinavischen Raum, eine Reihe von randomisierten, kontrollierten Studien, in denen Rehaprogramme evaluiert wurden, die speziell auf die Bedürfnislagen von Frauen zugeschnitten waren. Dahinter steht die Überlegung, dass koronarkranke Frauen(-herzen) einer besonderen Behandlung bedürfen – „womenʼs hearts need special treatment“ [14, S. 228]. Kernpunkt dieser Programme war zumeist ein Stressbewältigungsprogramm, dessen Inhalte auf die spezifischen Lebenslagen und Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten waren (z. B. Umgang mit multiplen Rollen, Bewältigung von Alltagsproblemen).

In den Studien zeigten sich positive Effekte hinsichtlich der (subjektiven) körperlichen Gesundheit, der Depressivität und der vitalen Erschöpfung [15, 16], nicht aber bezüglich physiologischer Parameter für das koronare Risiko [17]. In der einzigen deutschen Studie [18] führte die Teilnahme an einer reinen Frauengruppe zu höherer Zufriedenheit und langfristig zu mehr körperlicher Aktivität. Effekte einer frauenspezifischen psychosozialen Intervention hinsichtlich sog. „harter“ Endpunkte wurden im Rahmen der SWITCHD-Studie [19] gefunden. Die Intervention bestand in einem kognitiv-behavioralen Stressbewältigungsprogramm mit 20 Kleingruppensitzungen über einen Zeitraum von 12 Monaten. Die Kontrollgruppe erhielt die übliche kardiologische Behandlung. Im (mittleren) Katamnesezeitraum von 7 Jahren war die Gesamtmortalität in der Interventionsgruppe um 17 Prozentpunkte geringer als in der Kontrollgruppe (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Ergebnisse aus der SWITCHD-Studie: Gesamtmortalität über 9 Jahre; UC usual care, UC + SBT zusätzliches Stressbewältigungstraining. (Daten aus [19])

Brauchen Frauen und Männer andere Kommunikationsstrategien?

Ende der 1990er Jahre wurden Ergebnisse aus dem „Montreal Heart Attack Trial“ (M-HART) bekannt, die andeuteten, dass die Intervention (Telefonate und Hausbesuche durch speziell geschultes Pflegepersonal) bei den Frauen in der Stichprobe möglicherweise zu einer erhöhten Mortalität geführt hatte [20]. Eine weitere große randomisierte Studie (ENRICHD) ergab, dass v. a. (weiße) Männer hinsichtlich der kardialen Morbidität und Mortalität von der Intervention profitiert hatten, nicht jedoch die Frauen in der Stichprobe [21]. Ein ähnliches Ergebnis zeigte sich in einer Rehanachsorgestudie hinsichtlich des koronaren Risikos [22]. Eine aktuelle Studie zur Behandlung komorbider Depression bei Patienten nach ACVB-Operation fand ebenfalls, dass die Männer, nicht aber die Frauen hinsichtlich des psychischen Befindens profitierten [23].

Diese Befunde irritieren in hohem Maße. Wie kommt es, dass (koronarkranke) Frauen und Männer anscheinend ganz unterschiedlich von psychosozialen Angeboten profitieren? Nachträgliche Analysen der Daten aus M-HART [24] legen nahe, dass Frauen und Männer auf bestimmte Interventionen je nach Thema unterschiedlich reagieren; Männer profitierten demzufolge eher von Informationen und Ratschlägen hinsichtlich ihres Gesundheitsverhaltens, während Frauen eher auf Zuhören und unterstützende Interventionen hinsichtlich ihrer Alltagsbelastungen ansprachen. Hier handelt es sich aber um singuläre Ergebnisse. Weitere Studien zu den Kommunikationspräferenzen von Frauen und Männern wären unbedingt wünschenswert.

Fazit für die Praxis

Bei der Berücksichtigung genderspezifischer Aspekte in der Sekundärprävention (Rehabilitation) der koronaren Herzkrankheit geht es vor allem darum, den besonderen Lebenslagen und Bedürfnisse koronarkranker Frauen Rechnung zu tragen. Das gilt z. B. für die Inhalte und das Setting der Rehabilitation (einschließlich der Nachsorge) sowie in besonderem Maße für die Sensibilität hinsichtlich der Probleme (älterer) Frauen in der Bewegungstherapie. Jüngere Frauen kommen zahlenmäßig selten in die kardiologische Rehabilitation. Gerade diese Gruppe ist aber psychisch besonders belastet. Auch das sollte bei der Rehabilitation berücksichtigt werden, indem z. B. jüngere Frauen schwerpunktmäßig in Rehaeinrichtungen behandelt werden, die spezielle Programme für diese Zielgruppe anbieten.

Insgesamt haben wir erstaunlich wenig gesichertes Wissen über genderspezifische Aspekte. Das gilt nicht nur für die Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit. Eine bewusste und kontinuierliche Berücksichtigung von Genderaspekten in der Forschung ist daher erforderlich. Der Faktor Gender beinhaltet dabei mindestens drei unterschiedliche Aspekte: Geschlecht stellt zunächst eine biologische Variable dar, es ist aber auch mit unterschiedlichen Lebenslagen verbunden und bildet auch Kohorteneffekte ab, die insbesondere bei Frauen ja nach Alter bzw. Generation mit deutlich unterschiedlichen Rollenbildern (z. B. bezüglich sportlicher Aktivitäten) verbunden sind. Werden diese Faktoren nicht angemessen berücksichtigt, besteht immer die Gefahr, beispielsweise die Effekte von Alter oder sozialen Lebenslagen fälschlicherweise als Gendereffekte zu interpretieren. Diese Komplexität macht die Beschäftigung mit Genderfragen zu einem schwierigen, gerade deswegen aber auch ungemein reizvollen Forschungsfeld.

Acknowledgments

This article is part of a supplement sponsored by Lilly Deutschland GmbH and Daiichi Sankyo Deutschland GmbH.