Mit ihrer Dissertation Gegen die Öffentlichkeit, die nun als Buch vorliegt, hat Lisa Schwaiger ein Phänomen aufgegriffen, das in den letzten Jahren stärker in den Fokus des öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurses gerückt ist: alternative Nachrichtenmedien. Darunter fallen etwa das Angebot des russischen Staatssenders RT, der inzwischen infolge des Angriffskriegs auf die Ukraine gesperrt wurde, rechtsgerichtete Kanäle wie das rechtsextremistische Compact-Magazin ebenso wie linke Publikationen, etwa die Junge Welt. Schwaiger beschreibt diese alternativen Nachrichtenmedien als eine spezifische Form von Gegenöffentlichkeiten. Entsprechend arbeitet sie im ersten Teil des Buches zunächst ausgewählte Öffentlichkeitstheorien auf und thematisiert aktuelle Arbeiten zum digitalen Strukturwandel hin zu einer vernetzen „Long-Tail-Öffentlichkeit“, bevor Arbeiten zu Gegenöffentlichkeiten etwa von Nancy Fraser dargelegt werden. Aufbauend darauf werden anschließend alternative Nachrichtenmedien betrachtet.

Insgesamt hätte ich mir an der ein oder anderen Stelle in diesem ersten Teil eine noch stärkere Positionierung der Autorin gewünscht, etwa in der Ausarbeitung der eigenen Bewertung des Erklärungsansatzes klassischer Theorien für die aktuelle Netzöffentlichkeit oder in der gelungenen kritischen Bewertung der Abwertung von „Massen“ in einigen traditionellen Ansätzen. Auch geht eine jede Fokussierung (hier etwa auf den DACH-Raum) zwangsläufig mit einer Ausblendung anderer Kontexte (etwa autoritärer Regime) einher. Das muss kein Manko sein, ruft aber nach weiterer auch globaler Forschung zur Relation zwischen alternativen und etablierten Medien. Der eigentliche Beitrag der Arbeit ist aber – wie von der Autorin selbst angemerkt – nicht der Versuch einer neuen Öffentlichkeitstheorie, sondern eine umfassende, explorative Analyse alternativer Nachrichtenmedien im DACH-Raum. Aufbauend auf Arbeiten der relationalen Soziologie kombiniert Schwaiger hierzu im empirischen Teil überzeugend deskriptive, qualitative und netzwerkanalytische Verfahren.

Konkret identifiziert und beschreibt Lisa Schwaiger zunächst mit Hilfe einer Keyword-Suche und eines Schneeballverfahrens alternative Nachrichtenwebseiten im DACH-Raum (N = 178). Besonders gelungen ist die anschließend vorgestellte Typologie alternativer Nachrichtenmedien, die Schwaiger mit Hilfe einer Grounded-Theory-Analyse von 56 Webseiten entwickelt hat. Insgesamt identifiziert die Autorin in einem rigorosen qualitativen Vorgehen vier Typen, die sie als „(I) Aufdecker der Mainstreamlügen“, „(II) Verschwörung und Spiritualität“, „(III) Aufstand der Zivilgesellschaft“ sowie als die „(IV) seriösen Alternativen“ beschreibt, wobei sie betont, dass diese Begriffe nicht normativ zu verstehen seien, sondern die Fokussierung der Webseiten beschreiben würden.

Typ I umfasst eine Vielzahl mehrheitlich rechtsgerichteter Publikationen wie sie etwa von Müller und Schulz in ihrem Beitrag von 2021 als alternative Nachrichtenmedien mit einer Affinität zu Populismus beschrieben wurden. Medien des Typ II teilen den Anti-Elitismus dieses ersten Typs, auch sie sind „Konter-Medien“, wie etwa Noppari (2019) sie nennt. Im Gegensatz zum ersten Typus sind diese Kanäle aber weniger parteilich positioniert und weniger stark am Design etablierter Medien orientiert. Beispiele sind etwa der (inzwischen auf vielen großen Plattformen gesperrte) ehemalige Radiomoderator Ken Jebsen oder das Schweizer Format uncut-news. Typ III umfasst vor allem linke Medien mit Nähe zu sozialen Bewegungen (etwa die Rote Anneliese), wie sie bereits von John Downing in seinem Buch Radical media: rebellious communication and social movements (2001) beschrieben wurden. Typ IV umfasst Kanäle, die einem (postulierten) Qualitätsverfall im etablierten Journalismus durch umfassendere Reportagen entgegentreten wollen (etwa die Republik). An diesem Typ zeigt sich besonders stark die Schwierigkeit der Grenzziehung zwischen den Spektren von „Mainstream“ und „Alternativ“. Schwaiger definiert alternative Nachrichtenmedien schlussfolgernd als selbsterklärte „vierte Gewalt“, als Medien, die sich als Kontrollinstanzen und Korrektive des politischen oder medialen Mainstreams positionieren. Ein solch relationales Verständnis findet sich auch in der Journalismusforschung etwa bei Kristoffer Holt. Hier wie dort stellt sich jedoch immer auch die herausfordernde Frage, was der „Mainstream“ heutzutage noch ist – kurz gegen welche Öffentlichkeit sich Alternative Medien eigentlich richten.

Aufbauend auf der zuvor erarbeiten Typologie analysiert Schwaiger im nächsten Schritt die Follower:innen und Retweet-Netzwerke alternativer Nachrichtenmedien bei Twitter. Die Verknüpfung der theoretischen Grundlagen und des methodischen Vorgehens ist dabei auch für Einsteiger:innen sehr lesenswert. Die Ergebnisse der Analysen unterstreichen die Vorteile des gewählten typenbasierten Zugangs. So schaffen etwa vor allem alternative Nachrichtenmedien des Typs I und II (die Kontermedien, wenn man so will) eine eigene Twitter-Teilöffentlichkeit. Im Gegensatz zu oftmals lautstark befürchteten Echokammern überschneiden sich die Twitternetzwerke alternativer und etablierter Medien dabei substanziell. Um die inhaltlichen Relationen zu beleuchten, führt Schwaiger daher im letzten Schritt eine qualitative Inhaltsanalyse besonders populärer Tweets und zentraler Knoten der Netzwerke durch (N = 475). Die reichhaltigen Schilderungen einzelner Tweets unterstreichen, dass Mainstream-Inhalte durchaus aufgegriffen werden, vor allem in den Kontermedien (Typ I und II) aber kritisch und abwertend. Das Fehlen von „Echokammern“ in den Netzwerken ist also kein Grund, Polarisierungsbefürchtungen ad acta zu legen.

Insgesamt zeigt die Arbeit nicht nur die Vielfalt alternativer Nachrichtenmedien auf, sondern auch die Herausforderungen, die sich in Zeiten zunehmend verschwimmender Grenzen „des Journalismus“ und einer vernetzten Öffentlichkeit ergeben. Das Buch ist daher für alle diejenigen von Interesse, die sich für die Veränderungen der digitalen Öffentlichkeit und insbesondere für die Relationen zwischen Medienöffentlichkeiten und alternativen Gegenöffentlichkeiten interessieren. Methodisch ist die gelungene Verknüpfung von qualitativen und netzwerkanalytischen Verfahren hervorzuheben, die auch jenseits des thematischen Interesses von praktischem Nutzen sein kann.