Neugestaltung der Lebenssituation und ein Gewinn an Freizeit verstärken nach der Erwerbstätigkeit häufig den Wunsch nach Gesundheit und Lebensqualität. Vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen besteht neben dem individuellen auch ein volkswirtschaftliches Interesse an der Erhaltung körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit. Doch wie können gesundheitsbezogene Verhaltensabsichten zu einer erfolgreichen Änderung des Lebenswandels führen? Diese Forschungsarbeit bietet interessante Impulse für Menschen im Ruhestand und Entwickler*innen von unterstützenden Interventionen.

Hintergrund und Fragestellung

Im Kontext von Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention bestehen zahlreiche Möglichkeiten zur individuellen Steigerung des Wohlbefindens sowie zur Erhaltung der Gesundheit. Neben dem Aufbau von Widerstandsressourcen [6] liegt dabei ein weiterer Fokus auf der Analyse und Vermeidung von Risikofaktoren [11]. Mit höherem Alter steigt die Eintrittswahrscheinlichkeit (Prävalenz) für Erkrankungen. Unter anderem erhöht sich die Gefahr für Leiden wie Arthrose, Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz und demenzielle Erkrankungen [5]. Vor diesem Hintergrund kann jeder selbstverantwortlich im Rahmen seiner Möglichkeiten einen Beitrag zugunsten der eigenen Verfassung leisten. Neben regelmäßiger körperlicher Aktivität [2], ausgewogener Ernährung [2], einer Reduzierung psychoaktiver Substanzen [8], einer Verbesserung der Schlafqualität [4] und der Gestaltung eines sozialen Netzwerks [13] bilden auch Vorsorgeuntersuchungen [3] und die Einhaltung von Behandlungsvorgaben einige der Handlungsfelder ab.

Gesundheitsorientierte Lebensweise wird im Alltag nicht immer bewusst praktiziert oder es mangelt an der Entwicklung von Ideen. Daher wurde aus der Perspektive von Personen in der nachberuflichen Lebensphase sowohl nach Aspekten gesucht, die als fördernd wahrgenommen wurden, als auch nach subjektiv hemmenden Faktoren sowie nach möglichen individuellen Bewältigungsstrategien. Aus diesen Vorüberlegungen ergaben sich folgende Forschungsfragen: „Wodurch könnten die Initiierung und die Aufrechterhaltung einer gesundheitsfördernden Verhaltensänderung positiv beeinflusst werden?“ und „Welche Barrieren könnten der Initiierung und der Aufrechterhaltung entgegenstehen und wie könnten diese Barrieren abgebaut werden?“.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Zur Hypothesengewinnung und Theoriebildung erfolgte eine Face-to-face-Befragung in Form einer qualitativen Datenerhebung mit explorativem Forschungsdesign [18].

Stichprobe

Als Grundgesamtheit wurden in Deutschland lebende Personen in ihrer nachberuflichen Lebensphase im Alter zwischen 63 und 75 Jahren interviewt, die ihren Tagesablauf ohne fremde Hilfe bewältigen konnten. Die Festlegung der theoretischen Stichprobe erfolgte deduktiv (Top-down-Verfahren). Zur Rekrutierung wurden Personen aus dem weiteren Bekanntenkreis per Zufallsprinzip auf ihre Bereitschaft zur Interviewteilnahme angesprochen. 6 von 8 angefragten Personen erklärten sich bereit, an der Studie teilzunehmen. Hiervon waren 3 weiblich im Alter von 65, 68 und 72 Jahren und 3 männlich im Alter von 66, 68 und 72 Jahren. Alle angesprochenen Personen besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit, wohnten mit ihren Lebenspartnern zusammen in häuslicher Gemeinschaft in mittel- und großstädtischen Eigentumshäusern und hatten erwachsene Kinder. Während ihrer Erwerbsphasen arbeiteten sie in folgenden Funktionen: Sekretärin/Assistentin, Sekretärin/Hausfrau, Sekretärin, Vertrieb und Außendienstmitarbeiter, Vertriebsleiter und Abteilungsleiter.

Datenerhebung

Zur Erhebung verbaler Daten kamen halbstandardisierte, problemzentrierte Leitfadeninterviews zum Einsatz. Der dazugehörige Leitfaden wurde vorab durch Pre-Tests auf Verständlichkeit und Durchführbarkeit geprüft. Er enthielt 10 offene, narrative Fragen, bei denen die Teilnehmenden der Studie die Möglichkeit erhielten, über vergangene oder künftige Gesundheitsziele zu berichten. Aufgrund offener Fragestellungen bestand dabei bewusst keine Festlegung auf ein bestimmtes Handlungsfeld, wie beispielsweise körperliche Aktivität. Nach informierter Einwilligung und unter Zusicherung der Anonymisierung personenbezogener Daten betrug die Dauer der Face-to-face-Interviews zwischen 20 und 35 min. Dabei wurden die Ergebnisse in Form auditiver Dateien gesichert, welche anschließend wortgenau in schriftliches Material transkribiert wurden.

Analyseinstrumente

Im Anschluss an die Datengewinnung erfolgte die Auswertung der Ergebnisse systematisch und regelgeleitet auf Basis der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring [14]. Hierzu bildete ein deduktiv angelegtes Kategoriensystem die Grundlage, welches sich aus den Variablen des HAPA-Modells (Health Action Process Approach model [16]) zusammensetzte (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

HAPA-Modell. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Schwarzer [16])

Modelle des Gesundheitsverhaltens dienen zur Entschlüsselung entscheidender Einflussfaktoren, die nachweislich zur Bildung von Verhaltensabsichten beitragen können [12]. Hierfür werden sowohl lineare Modelle zugrunde gelegt (z. B. Health Belief model, Theory of Planned Behavior, Protection Motivation Theory) als auch Stadien- bzw. Stufenmodelle (z. B. Transtheoretical model, Motivations-Volitions-Prozessmodell; [10]). Das für die Einordnung der generierten Aussagen gewählte HAPA-Modell [17] kombiniert stadientheoretische Annahmen mit den Einflussfaktoren linearer Modelle. Hierin laufen kontinuierliche Prozesse der Selbstkontrolle ab und es tauchen immer wieder Barrieren und Ressourcen auf, die sich auf Intention, Planung und Handeln auswirken. Subjektive Überzeugungen steuern dabei kognitive, emotionale, aktionale und motivationale Denkprozesse.

Analog zu diesem Modell wurde ein Kodierleitfaden erstellt, in welchem die beeinflussenden Variablen als Kategorien definiert (Explikation) und mit Kodierregeln sowie typischen Beispielaussagen versehen wurden. Der explizite Sprachinhalt der Interviews wurde in Analyseeinheiten unterteilt, paraphrasiert, generalisiert und im Hinblick auf die Forschungsfragen den vorab definierten Kategorien zugeordnet (Tab. 1).

Tab. 1 Kategoriendefinitionen und Ankerbeispiele

Ergebnisse

Alle Befragten hatten Vorerfahrungen mit gesundheitsfördernden Maßnahmen und diese in der Vergangenheit teilweise erfolgreich umgesetzt, z. B. Maßnahmen für einen Nikotinentzug eingeleitet oder Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten optimiert. Einige achteten generell verstärkt auf eine ausgewogene Ernährung und körperliche Aktivität: „Man hat jetzt mehr Freizeit und kann wesentlich besser für sich selber disponieren, um gesundheitlich etwas für sich persönlich zu tun. Und das ist genau das, was ich auch mache.“ Anderen war die Sinnhaftigkeit zwar bewusst, jedoch fiel ihnen die regelmäßige Ausführung schwer: „Ich gehe ganz selten mal aufs Fahrrad im Dachgeschoss.“

Bezogen auf Verhaltensänderungen zeigte sich als besonders interessant, dass die Ausprägung der Veränderungsabsicht, also der selbstbestimmte Handlungsentschluss als Grad der Motivation, den offenbar einflussreichsten Treiber darstellte, um Vorhaben anzustoßen und längerfristig zu realisieren. Dies wurde von den Interviewten unter anderem mit dem Umlegen eines Schalters oder dem Ziehen eines Schlussstrichs bezeichnet: „Ich wollte immer aufhören zu rauchen. Nur muss im Kopf ein Schalter umgelegt werden oder es muss ein Anlass da sein, der einen dazu bewegt.“ Informationsbeschaffung zu Gesundheitsthemen über Internet und TV, Wissen um gesundheitsschädigendes Verhalten sowie Ursachen zu (teils eingetretenen) Erkrankungen unterstützten den Veränderungsprozess und deuten auf eine ausreichende Risikowahrnehmung hin. Die Befragten entwickelten eine grobe Vorstellung darüber, welche Maßnahmen sie ergreifen und wie sie diese umsetzen wollten. Bewegungsziele wurden an individuell passenden Aktivitäten orientiert, die Spaß bereiteten: „Tanzen ist für mich nicht anstrengend, sondern macht mir Freude.“ Anspornende Beweggründe als selbstkonzeptionelles Motiv bildeten sich bei den Männern u. a. in der Verbesserung ihrer Atmung oder dem Erhalt ihrer Muskelmasse ab, bei den Frauen v. a. in der Sicherung ihrer Attraktivität. So stellten sich in der Selbstwirksamkeitseinschätzung Stolz (Ziel erreicht), Freiwilligkeit (selbstbestimmter Handlungsentschluss ohne äußere Zwänge) und Zuspruch/Unterstützung durch Angehörige/Sozialkontakte als herausragende motivationale Faktoren heraus.

Lebensereignisse oder situative Gelegenheiten konnten zudem eine Lebensstilveränderung anstoßen. So führte etwa die Diagnose einer Venenverengung, eine durch Krankenhausaufenthalt erzwungene Nikotinabstinenz oder die von außen angestoßene Anmeldung zu hypnotherapeutischen Verfahren zu dem Entschluss, den Nikotingenuss endgültig zu beenden. Eine Person schilderte das Konstatieren der plötzlich nicht mehr passenden Kleidergröße als Auslöser für ihre enorme Gewichtsreduktion. Stabilisierung von Gesundheit und Beweglichkeit, Attraktivität und Kosteneinsparung (etwa durch Nikotinverzicht) zeigten sich somit als Handlungsergebniserwartung.

Als Barrieren kristallisierten sich anderweitige Verpflichtungen, die Zeit und Energie erfordern, wie z. B. ein zu großer Anstrengungsaufwand, Antriebslosigkeit, körperliche Eingeschränktheit und ein unterschätzter Handlungsbedarf bei (noch) nicht vorhandenen Beschwerden heraus. Des Weiteren behinderten temporäre Rückschläge, eingefahrene Gewohnheiten, mangelnde Bereitschaft, auf positive Reize zu verzichten, die Befürchtung negativ bewerteter Nebeneffekte, emotional belastende Situationen (z. B. Unfall) sowie limitierende Einflüsse durch Ärzte (negative Prognosen, unkonkrete Aufklärung) die Fortführung von Maßnahmen. Zur Minimierung solcher Barrieren wurden unterschiedliche Strategien genannt. Aktive Gewohnheitsbildung und Erhöhung des Spaßfaktors durch neue Erlebnisse und Eindrücke seien nach Angaben der Befragten hilfreiche Faktoren, um das gesundheitsfördernde Handeln zu automatisieren: „Ich brauche das. Das Laufen ist bei mir ein ganz festes Ritual und meistens auch die Uhrzeit.“. Auch ein Ausgleich für den Verzicht auf Zigaretten oder bestimmte Nahrungsmittel durch Befriedigung sonstiger Bedürfnisse in Form von materiellen Gütern (z. B. E‑Bike, neue Kleidung) trugen zur Stärkung des Durchhaltevermögens bei. Außerdem beugten Smartwatches einem Einbruch bei der Zielverfolgung zusätzlich vor, wenn diese zur Kontrolle von Leistungsvorhaben eingesetzt wurden. Überdies erwies sich der Einsatz hypnotherapeutischer Verfahren als zweckmäßig, sofern diese neben einer Verstärkung der Umsetzungsabsicht zur Abschirmung von Barrieren herangezogen wurden.

Diskussion

Aus den Ergebnissen geht hervor, dass der selbstbestimmte Handlungsentschluss zur Bildung der erforderlichen Willenskraft [9] u. a. durch den Erhalt gezielter Informationen zu gesundheitlichen Themen gefördert wurde. Daraus ergibt sich, dass einer gefestigten Absicht offenbar zunächst die bewusste Auseinandersetzung mit Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention vor dem Hintergrund persönlicher Möglichkeiten, Bedürfnissen und Interessen vorausgehen muss. Deutlich wurde dies u. a. dadurch, dass das Wunschselbstbild, also das Selbstideal [1], hinterfragt und der imaginäre Zielzustand scheinbar als „Motor“ zur Verwirklichung von Intentionen genutzt wurde. In einem subjektiven Abwägeprozess konnten mögliche Vorteile und Perspektiven (z. B. Verbesserung persönlicher Leistungsfähigkeit oder Attraktivität) visualisiert werden.

Auch kann nach Angaben der Befragten ein individueller Spaßfaktor einen entscheidenden Beitrag zur Initiierung und überdauernden Umsetzung von Absichten leisten. Es scheint also hilfreich, positive Emotionen an die Verhaltensänderung zu knüpfen. Freude bereiteten neben interessenorientierten Handlungen auch Erfolgserlebnisse oder Ersatzbefriedigungen. Die Motivation zum Weitermachen wurde hierdurch offensichtlich angetrieben. Zuspruch, Lob und Mitwirkung des sozialen Umfelds könnten nach Angaben der Befragten zusätzlich als Selbstwirksamkeitsverstärker betrachtet werden. Mit Bezug auf die Ergebnisse lässt sich außerdem ableiten, dass neben einem aktiven Barrierenmanagement auch die selbstbestimmte Gewohnheitsbildung Beachtung finden sollte [7]. Diese Erkenntnisse könnten im Rahmen aktivierender, niedrigschwelliger Gesundheitsseminare je nach Milieugruppe in Volkshochschulen oder ähnlichen leicht zugänglichen Institutionen eingesetzt werden. Auch private Zusammenschlüsse von Geleichgesinnten sind denkbar. Unter Beachtung eines individuellen Barrierenmanagements könnten hierbei Informationen vermittelt und Strategien entwickelt werden. Alleinstehende oder Personen, deren Partner weniger Interesse an bestimmten Themen haben, würden zudem von der erwähnten sozialen Unterstützung durch Gruppenangebote profitieren [13].

Eine motivationshemmende Wirkung entstand bei einer der Befragten durch die negative Prognose eines behandelnden Arztes im Hinblick auf deren künftige Leistungsfähigkeit. Diese war vor ihrer plötzlichen Erkrankung sportlich aktiv und bis zu besagtem Arztgespräch davon überzeugt, es auch künftig wieder sein zu können. Offensichtlich wäre es im Rahmen der ärztlichen Versorgung sinnvoll, die Patient*innen aktiv zu gesundheitsfördernden Handlungen zu ermutigen, wie dies bereits an vielen Stellen geschieht. Unter Berücksichtigung geschlechts-, bzw. interessenspezifischer Kriterien könnte dahingehend eine gezielte Vermittlung zu Gesundheitskursen/-seminaren über Ärzt*innen, Krankenhäuser oder Reha-Zentren erfolgen.

Im HAPA-Modell [16, 17] sind situative Einflüsse in der Willensphase beschrieben. Die Teilnehmenden der Studie berichteten jedoch zusätzlich von situationsbedingten Handlungsimpulsen, welche in der motivationalen Phase zur Initiierung ihrer teilweise bereits über einen längeren Zeitraum bestehenden Absichten führten. Demnach wären in diesem Modell situative Einflüsse (Umgebungsveränderung, plötzliche Beeinträchtigung des Handlungsspielraums, Neugestaltung der Lebenssituation etc.) sinnvolle Ergänzungsvariablen auch bei der Absichtsbildung. So könnte gerade der Eintritt in den Ruhestand ein Anstoß für Wandlung sein. Infolgedessen dürfte die gezielte Entwicklung persönlicher Kompetenzen im Sinne der Gesundheit den Adaptionsprozess an den neuen Lebensabschnitt und damit die allgemeine Lebenszufriedenheit unterstützen.

Limitationen

Die Anwendung wissenschaftlicher Gütekriterien ist bei qualitativen Forschungen nur bedingt möglich [15]. Mit Hilfe der Intersubjektivität, einer Vergrößerung der Stichprobe sowie der Betrachtung unterschiedlicher Kohorten könnte die Repräsentativität der Studie abgesichert werden.

Ausblick

Um Verhaltensänderungen bei Personen in der nachberuflichen Lebensphase herbeizuführen, bieten sich unterstützende Interventionen an, welche sich an den beschriebenen Einflussfaktoren orientieren. Damit die Durchführung von Vorhaben geplant, angestoßen und anschließend auch beibehalten wird, könnten Betroffene unter Beachtung dieser Wirkzusammenhänge selbstwirksam die Qualität ihres Ruhestands optimieren.

Fazit für die Praxis

  • Die Ausprägung der Umsetzungsabsicht stellt offenbar einen zentralen Aspekt dar, der künftige Handlungen leitet und bewusst verstärkt werden kann. Eine Steigerung ist v. a. durch Informationsgewinne, die gezielte Visualisierung von Vorteilen, autonome Entscheidungen und individuelle Anreize möglich.

  • Im Rahmen niedrigschwelliger Angebote in Form von Gesundheitsseminaren oder in Eigeninitiative könnte die Verfolgung gesundheitlicher Ziele unter Beachtung von Förderfaktoren und Barrieren gezielt unterstützt werden.

  • Ärzt*innen könnten bei der Entwicklung der Gesundheitskompetenz ihrer Patient*innen effektiver einwirken und diese ggf. gezielt auf Seminar‑/Kursangebote hinweisen, um somit deren Verwirklichungsabsicht zu verstärken.

  • Unter anderem führten situationsbedingte Handlungsimpulse zur Initiierung, welche in die motivationale Phase des HAPA-Modells integriert werden sollten.