Eine COVID-19-Erkrankung kann sich auch als Meningoenzephalitis manifestieren, zudem scheinen sich bei schweren Verläufen Schlaganfälle zu häufen. Die meisten neurologischen Komplikationen sind jedoch eher unspezifisch.

figure 1

© Michail Petrov / stock.adobe.com

Delir, Krampfanfälle, Bewusstseinstrübungen - bei lebensbedrohlichen Infektionen sind solche neurologischen Komplikationen keine Seltenheit und werden dementsprechend auch bei schweren COVID-19-Verläufen beobachtet. Zusätzlich mehren sich aber Hinweise, dass SARS-CoV-2- Viren auch direkt Hirn und Nerven schädigen. Der bislang wohl eindrucksvollste Beleg stammt von Notfallmedizinern um Dr. Takeshi Moriguchi von der Uniklinik in Yamanashi, Japan. Sie konnten SARS-CoV-2 im Liquor eines jungen Mannes nachweisen. Dieser wurde mit einer Meningoenzephalitis in die Klinik aufgenommen.

Der 24-jährige Mann zeigte zu Beginn einen typischen COVID-19-Verlauf mit Abgeschlagenheit und Fieber. Am zweiten Tag der Erkrankung ging er zu einem Arzt. Dieser ging aufgrund des klinischen Bildes von einer Influenza aus und schickte den Mann mit dem Neuraminidasehemmer Laninamivir sowie Fiebersenkern nach Hause. Die Symptome verstärkten sich jedoch, er klagte über Heiserkeit und starke Kopfschmerzen, weshalb er am fünften Tag eine Klinik aufsuchte. Röntgenthorax und Bluttest ergaben allerdings negative Befunde.

SARS-CoV-2 im Liquor

Am neunten Tag wurde der junge Mann bewusstlos in seinem Erbrochenen gefunden und in die Uniklinik gebracht; während des Transports entwickelte er transiente generalisierte Krampfanfälle. Die Ärzte stellten einen steifen Nacken fest und veranlassten direkt eine umfangreiche CT-, Blut- und Liquoranalyse. In der Lunge sahen sie nun die für COVID-19 charakteristische Milchglastrübung. Im Liquor des Patienten, nicht jedoch im nasopharyngealen Abstrich, ließen sich SARS-CoV-2-Viren nachweisen. Andere Erreger, die eine Meningitis auslösen, konnten die Mediziner nicht entdecken.

Der Patient erlitt gehäuft epileptische Anfälle

Der Mann entwickelte immer wieder epileptische Anfälle und musste außerdem künstlich beatmet werden. Einen Tag nach der Aufnahme fanden die Ärzte im kranialen MRT darüber hinaus Zeichen einer rechtsseitigen Ventrikulitis sowie einer Enzephalitis im Bereich des rechten medialen Temporallappens und des Hippocampus sowie eine leichte Hippocampusatrophie. Die Mediziner um Moriguchi verweisen auf Autopsien von Patienten, die während des SARS-Ausbruchs im Jahr 2003 gestorben waren. SARS-CoV-1 ließ sich damals in hoher Konzentration im Hippocampus nachweisen. SARS-Coronaviren könnten demnach nicht nur Pneumonien, sondern gelegentlich auch eine Enzephalitis verursachen.

Manche Patienten entwickeln eine Koagulopathie

Eine weitere gravierende neurologische Komplikation sind möglicherweise auch Schlaganfälle. Offenbar entwickeln manche Patienten mit schweren Verläufen von COVID-19 eine Koagulopathie. Bei dieser können auch Hirngefäße verstopfen. Hinweise darauf liefern Studien aus China und Frankreich.

So hat ein Team um Dr. Ling Mao aus Wuhan Daten von 214 COVID-19-Patienten auf Notizen zu neurologischen Komplikationen überprüft. Davon betroffen waren 36% der Patienten, von solchen mit schwerem Verlauf sogar 46%. Die meisten Beschwerden waren unspezifisch. Es traten unter anderem Symptome wie Kopfschmerzen und Benommenheit auf. Etwa 5% der Betroffenen entwickelten spezifischere Symptome wie Geruchs- und Geschmacksstörungen. Dieser Anteil dürfte allerdings noch deutlich höher liegen - Befragungen deuten auf solche Störungen bei bis zu 50% der Erkrankten hin. Diese werden möglicherweise aber nur selten erfasst.

Aktivierung des Gerinnungssystems?

Immerhin vier von 88 Patienten mit schwerem Verlauf erlitten einen ischämischen Schlaganfall, einer einen hämorrhagischen Schlaganfall. Patienten mit schwerem Verlauf hatten höhere D-Dimer-Spiegel als solche mit eher milden Symptomen. "D-Dimer-Spiegel steigen bei einer Sepsis an, können aber auch auf eine Aktivierung des Gerinnungssystems hinweisen, wie sie bei anderen schweren Virusinfektionen bekannt sind. SARS-CoV-2 könnte so Schlaganfälle begünstigen", erläuterte Prof. Götz Thomalla, Sprecher der Kommission Zerebrovaskuläre Erkrankungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in einer Mitteilung. Eine Vaskulitis dürfte das Schlaganfallrisiko ebenfalls erhöhen, immerhin hat der Erreger eine hohe Affinität zum AT2-Rezeptor in den Gefäßen.

Patienten zeigen Agitation und Bewusstseinstrübungen

Ein ähnliches Bild ergibt eine Analyse von 58 Patienten aus Strasbourg. Alle mussten aufgrund eines schweren respiratorischen Syndroms intensivmedizinisch behandelt werden, auch hier zeigten einige Patienten Bewusstseinstrübungen, Agitation und andere unspezifische neurologische Beschwerden, berichten Ärzte um Dr. Julie Helms von der Uniklinik in Strasbourg. 13 Betroffene wurden aufgrund eines Verdachts auf Enzephalitis per MRT untersucht. Acht hatten leptomeningeale Auffälligkeiten, drei einen ischämischen Schlaganfall.

Interessant ist hier eine weitere Beobachtung: 15 von 45 Patienten, die entlassen werden konnten, zeigten noch lange Zeit ein "dysexekutives Syndrom" mit Unaufmerksamkeit, Desorientierung sowie schlechter Koordination, wenn sie zu bestimmten Bewegungen aufgefordert wurden. Auch dies könnte ein Hinweis auf eine Schädigung des zentralen Nervensystems sein.

Vermutet wird eine retrograde Invasion

Wie genau Coronaviren in die Nervenzellen und in das Gehirn gelangen, ist noch weitgehend unklar, allerdings haben die meisten mit SARS-CoV-2 verwandten Viren eine gewisse Affinität zum Nervengewebe, wenngleich der Befall kaum über den AT2-Rezeptor erfolgen dürfte - dieser wird im ZNS nur wenig exprimiert. Doch AT2 dürfte nicht die einzige Eintrittspforte sein, vermuten Neurologen und Histologen um Dr. Li, Jilin, China. So würden manche Organe trotz hoher AT2-Expression kaum oder gar nicht befallen, andere dagegen auch ohne einen solchen Rezeptor. Die Forscher vermuten, dass Coronaviren zunächst in das periphere Nervensystem eindringen und dann retrograd über die Synapsen hinweg ins Gehirn wandern. Der häufig zum COVID-19-Erkrankungsbeginn beobachtete Geruchs- und Geschmacksverlust spricht für einen solchen Befall.

Die Wanderung aus der Peripherie ist für einige andere Coronaviren im Tierversuch ganz gut belegt, so Li und dessen Mitarbeiter. Dabei konnte auch gezeigt werden, dass mit SARS-CoV-2 verwandte Viren den Hirnstamm befallen, vor allem Areale, die auch in die Steuerung der Atemmuskulatur involviert sind. Möglicherweise wird der Tod von COVID-19-Patienten auch durch den Befall kardiorespiratorischer Zentren im Gehirn mitverursacht, so die Spekulation der Forscher. Thomas Müller

Literaturliste beim Verlag