Zusammenfassung
Seit 2018 werden die seismischen Signale der Gewinnungssprengungen im Steinbruch Dürnbach/Hohe Wand/Niederösterreich mit Stationen des Macroseismic Sensor Netzwerkes beobachtet und aus den Messdaten Magnituden als Maß für die Quellstärken der jeweiligen Sprengungen bestimmt. Gleichzeitig werden spreng-technisch relevante Parameter in einer Datenbank mitgeführt. Der vorliegenden Untersuchung liegen die Daten aus den Jahren 2019, 2020 und 2021 zugrunde. Die Mittelwerte der Magnituden für die drei, im Abbau verwendeten Sprengschemata beschreiben die beobachteten Quellstärken geringfügig besser als der lineare Zusammenhang von Magnitude und dem Logarithmus der maximalen Lademenge pro Zündstufe (Lmax). Im Abbaugebiet wurden auch drei seismische Sprengungen zum ausschließlichen Zweck der Erzeugung seismischer Wellen abgetan. Die Magnituden der seismischen Sprengungen lagen lediglich im Bereich der Gewinnungssprengungen mit gleicher Lmax und nicht, wie erwartet, deutlich darüber. Die offensichtliche Bedeutung des Sprengschemas und die letztgenannte Beobachtung veranlasste uns zu einem Überdenken des seismischen Herdmechanismus von Gewinnungssprengungen.
Einzelkraft und Kräftepaar stellen die beiden in der Seismologie etablierten Herdmechanismen dar. Beispiele für Einzelkraft als Quelle bilden Fallgewichte, Vibratoren oder Bergstürze. Kräftepaare sind bei seismischen Sprengungen, unterirdischen Nuklearexplosionen oder Erdbeben wirksam. Wir veranschaulichen den in der Theorie gesicherten Sachverhalt, dass der Betrag der Kräfte beim Herdmechanismus „Kräftepaar“ wesentlich höher sein muss als bei einer Einzelkraft mit gleicher Quellstärke. Für den Herdmechanismus einer Gewinnungssprengung gelangen wir zu folgendem Modell: Unmittelbar nach der Detonation des Sprengstoffs wirkt eine Gewinnungssprengung als seismische Sprengung mit dem Herdmechanismus „Kräftepaar“. Mit dem Erreichen der Zugfestigkeit des Gebirges und der Abtrennung der zu gewinnenden Gesteinsmasse wechselt der Herdmechanismus von Kräftepaar auf Einzelkraft. Dabei erhöht sich die seismische Quellstärke der Gewinnungssprengung bei annähernd gleichbleibenden Kräften etwa um den Faktor 102. Der Rückstoß, den das abgesprengte und stark beschleunigte Gebirge nach dem Prinzip „actio + reactio = 0“ auf die Bruchwand ausübt, wirkt nun als seismische Quelle im Sinne einer Einzelkraft. Die Wirksamkeit des Herdmechanismus „Einzelkraft“ im Vergleich zu Kräftepaar macht verständlich, dass die zur ausschließlichen Erzeugung seismischer Wellen konzipierten seismischen Sprengungen keine höheren seismischen Quellstärken liefern als die Gewinnungssprengungen. Über die Modellierung der Wurf- und Ablagerungsphase des Hauwerks gelangen wir zu repräsentativen Werten der in der Beschleunigungsphase erlangten Geschwindigkeiten v1 für die drei Sprengschemata. Wir zeigen, dass der Impuls, den die abgesprengte Gesteinsmasse in dieser kurzen Beschleunigungsphase gewinnt, der seismischen Quellstärke der Gewinnungssprengung entspricht und die Magnitude bestimmt. Der Impuls folgt aus dem Produkt von Abschlagsmasse pro Zündstufe mit der Geschwindigkeit v1 und stellt eine beobachtbare Größe dar.
Abstract
Since 2018 seismic signals generated by production blasts in the quarry Dürnbach/Hohe Wand/Lower Austria have been recorded by Macroseismic Sensor Network stations. Magnitudes are derived from this data as a measure of the seismic source strength of particular blasts. In parallel, parameters relevant for blasting engineering are fed into a database. This dataset encompassing the years 2019, 2020, and 2021 is used in the presented study. Average magnitude values for the three different blasting patterns used for extraction describe the observed strength slightly better than the commonly used relation between magnitude and the logarithm of the maximum blasting charge per ignition time lag (Lmax). In addition to the production blasts, three seismic blasts were ignited in the working area of the quarry. The aim of these seismic shots was solely the generation of seismic energy. However, contrary to expectation, the magnitudes of the seismic shots only reached the same level as the extraction blasts with a similar charge with respect to Lmax. The apparent importance of the blasting pattern for the seismic source strength and the experience made with the seismic shots motivated us to reconsider the focal mechanism of production blasts.
Single force and force couple represent the two well-established seismic source mechanisms in seismology. Weight drop, vibrators, or landslides are examples of single force seismic sources. Force couples are effective in the generation of seismic waves radiated from seismic blasts, underground nuclear explosions, and earthquakes. It follows from the theory of seismic sources that the force couple mechanism needs substantially higher force magnitudes than the single force mechanism to radiate the same level of seismic energy. We illustrate this essential result in a demonstrative way. We propose the following focal mechanism for a production blast: Immediately after the detonation, an extraction blast works as a seismic shot according to the force couple source mechanism. The source mechanism changes from force couple to single force when the tensional strength of the rock mass is exceeded and the blasting round is cut from the coherent rock mass behind. The seismic source strength of the production blast is thereby increased by two orders of magnitude. The backstroke exerted by the blasted and highly accelerated rock mass to the quarry face behind acts as a single force seismic source according to the principle “actio + reactio = 0”. The mode of operation of the focal mechanism single force compared to force couple explains why the seismic source strength of seismic blasts does not exceed that of extraction blasts. We attain representative values of the velocity v1, which the blasted rock mass attains during the initial acceleration phase for the three blasting patterns, by modelling the throw and deposition phase. We show that the impulse gained by the blasted rock mass during this very short acceleration phase corresponds to the seismic source strength of the production blast and determines the seismic magnitude. The impulse is the product of blasted rock mass per ignition time lag multiplied by the velocity v1 gained during the short acceleration phase after detonation. It is a principally observable physical quantity.
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1 Einleitung
Die Möglichkeit der Vorhersage von Erschütterungen, die im Umfeld eines Steinbruchs durch Gewinnungssprengungen hervorgerufen werden, ist für die Abbauplanung und die Wahl der Sprengschemata von wesentlicher Bedeutung. Die nachfolgende Überwachung der Erschütterungsimmissionen soll die Einhaltung vorgegebener Grenzwerte gewährleisten und bei Bedarf zu einer Anpassung der die Sprengerschütterungen bestimmenden Parameter führen. Sowohl in Normen [1, 2] als auch in wissenschaftlichen Publikationen [3,4,5] stellen die maximale Lademenge pro Zündstufe (Lmax), die Distanz zwischen Sprengort und dem von der Erschütterung betroffenem Objekt (D) sowie eine die lokale Geologie berücksichtigende Konstante die Eingangsparameter in empirische Formeln oder Methoden zur Vorhersage der Sprengerschütterungen dar.
Beim Kalksteinbruch „Dürnbach“ (Hohe Wand, Niederösterreich) ermöglichen die Daten des Macroseismic Sensor Netzes („https://www.macroseismicsensor.at/“) [6, 7] kontinuierlich die Bestimmung der Magnituden der Gewinnungssprengungen [8]. Die Magnitude ist ein in der Seismologie anerkanntes logarithmisches Maß für die Stärke einer seismischen Quelle, insbesondere eines Erdbebens (z. B. [9]). In der vorliegenden Arbeit betrachten wir die Daten der Jahre 2019, 2020 und 2021 und finden den zu erwartenden Zusammenhang zwischen der Magnitude und Lmax. Überraschend war aber, dass Mittelwerte der Magnituden für die drei, im Steinbruch Dürnbach realisierten Sprengschemata die beobachteten Magnituden geringfügig besser beschreiben als der wesentlich spezifischere Zusammenhang mit Lmax. Wir führten auch noch drei sogenannte seismische Sprengungen im Abbaugebiet durch, wobei die gleiche Bohr- und Ladetechnik angewandt wurde wie bei Gewinnungssprengungen. Als „seismisch“ betrachten wir eine Sprengung, die lediglich der Erzeugung seismischer Wellen dient, möglichst gut verdämmt ist und an der Oberfläche keine oder kaum merkbare Spuren hinterlässt. Entgegen den Erwartungen erzeugten die seismischen Sprengungen bei vergleichbarer Lademenge keine stärkeren seismischen Wellen als die Gewinnungssprengungen.
Diese beiden durch einen direkten Zusammenhang zwischen der Quellstärke einer Gewinnungssprengung und Lmax nicht ausreichend erklärbaren Beobachtungen führten uns zu einem Überdenken des Herdmechanismus von Gewinnungssprengungen. Wir kommen zu dem Schluss, dass der Rückstoß, den die gesprengte Gesteinsmasse auf das dahinter liegende Gebirge ausübt, die eigentliche seismische Quelle einer Gewinnungssprengung darstellt. Im Folgenden präsentieren wir die Beobachtungsdaten, stellen die beiden in der Seismologie etablierten Herdmechanismen in möglichst anschaulicher Weise dar und entwickeln ein auf Gewinnungssprengungen zutreffendes Modell des Herdmechanismus.
2 Daten
2.1 Magnituden
Zur Berechnung der Magnitude aus den Daten des MSS-Projektes verwenden wir Gl. 1 [6, 7]
- MSS_M:
-
… Magnitude berechnet mit den Daten des MSS-Netzes
- PGV:
-
… Peak Ground Velocity (maximale resultierende, horizontale Schwinggeschwindigkeit eines seismischen Ereignisses an einer Station)
- D:
-
… Distanz der MSS-Stationen zur Quelle
- expo:
-
… Exponent im PGV – D Zusammenhang (Potenzfunktion)
- C:
-
… C = 9+expo * 5,046, wenn PGV und D numerisch in MKS Einheiten
Für den Exponenten wählen wir expo = −1,66. Dieser Wert wird auch vom Erdbebendienst an der ZAMG für die Berechnung der lokalen Magnitude ML verwendet. Ist die Magnitude gegeben, so ergibt sich für den in 1 km Entfernung von der Quelle zu erwartenden Wert von PGV:
Abb. 1a zeigt die Lage des Steinbruchs Dürnbach/Hohe Wand und die Position der umliegenden MSS Stationen, deren Daten zur Bestimmung der Magnitude herangezogen werden. Je mehr Stationen, zumindest in einem Halbkreis um die Quelle verteilt zur Berechnung der Magnitude verfügbar sind, desto unabhängiger wird das Ergebnis von der Richtcharakteristik der Quelle und lokalen Verstärkungsfaktoren an den MSS-Stationen. Der mittlere, statistische Fehler in der Bestimmung von MSS_M liegt bei +/− 0,05.
2.2 Gewinnungssprengungen
Wir betrachten die Gewinnungssprengungen im Steinbruch Dürnbach/Hohe Wand für die Jahre 2019, 2020 und 2021 (insgesamt 180 Gewinnungssprengungen). Je nach der Wandhöhe der jeweiligen Etage bzw. einer lokal gegeben Situation wurden drei verschiedene Sprengschemata angewandt: E25m, E12.5m und Fächer. Abb. 1b zeigt die räumliche Verteilung dieser Sprengungen im Steinbruch, detaillierte Angaben zum jeweiligen Sprengschema sind in Tab. 1 zusammengestellt.
In der ÖNORM_S_9020 wird zur Abschätzung der zulässigen Lademenge pro Zündstufe Lmax bei gegebener Entfernung D und der Vorgabe der maximalen resultierenden Schwinggeschwindigkeit VRmax = 2,5 mm/s am nächsten Objekt der folgende Zusammenhang angegeben (Gleichung D.1 in der Norm):
Gl. 3 liegt die allgemeinere Gl. 4 zugrunde.
Wie in [8] gezeigt wurde, weicht PGV von VRmax um weniger als 10 % ab. Nach Gl. 2 und 4 ist zwischen MSS_M und Lmax ein logarithmischer Zusammenhang zu erwarten, über den die Magnitude berechnet werden kann (Gl. 5).
In Abb. 2 stellen wir diesem Zusammenhang eine sehr einfache Alternative gegenüber. Zur Berechnung von MSS_M einer Gewinnungssprengung nach einem der drei Sprengschemata nehmen wir lediglich den jeweiligen Mittelwert von MSS_M über den Untersuchungszeitraum (Gl. 6).
mit C_schema = 1,91 / 1,71 / 1,62 für die Sprengschemata E25m / E12.5m / Fächer.
Wie Abb. 2 zeigt, sind beide Methoden für Vorhersagen von MSS_M geeignet, wobei die Anwendung von Gl. 6 eine geringfügig kleinere Streuung ergibt. Somit ermöglicht lediglich die Kenntnis des bereits bei der Planung einer Gewinnungssprengung festgelegten Sprengschemas eine zumindest gleich genaue Vorhersage von MSS_M wie Lmax, eine Größe, die erst nach dem Ladevorgang genau feststeht. Wie Tab. 1 zeigt, enthält die Festlegung des Sprengschemas implizit Informationen über Geometrie, Masse und Lademenge der jeweiligen Gewinnungssprengung. Möglicherweise sind neben Gesteinseigenschaften alle drei genannten Parameter für die seismische Quellstärke einer Gewinnungssprengung relevant.
2.3 Seismische Sprengungen
Im Jahr 2021 wurden im bestehenden Abbaugebiet jedoch deutlich hinter der nächsten Bruchwand drei seismische Sprengungen abgetan. Üblicherweise wird bei seismischen Sprengungen die Ladung unterhalb des Grundwasserspiegels angebracht, da dies die Amplitude und die Bandbreite des Signals wesentlich erhöht. Im Steinbruch Dürnbach liegt der Grundwasserspiegel jedoch wesentlich unterhalb der Sohlen der Sprenglöcher. Alle in dieser Arbeit angestellten Betrachtungen über seismische Signale beschränken sich auf diese hydrologische Situation. Die Lage der seismischen Sprengungen ist in Abb. 1b festgehalten, die wichtigsten Parameter sind in Tab. 2 zusammengestellt.
Abb. 3 zeigt PGV_1 km der drei seismischen Sprengungen und als Hintergrund PGV_1 km der Gewinnungssprengungen über der Lademenge bzw. Lmax. Die linearen Trendlinien für beide Datensätze sind nahezu deckungsgleich. Üblicherweise geht man davon aus, dass die Quellstärke von Gewinnungssprengungen mit Millisekunden-Verzögerung der Quellstärke einer einzelnen Zündstufe mit der Lademenge Lmax entspricht. Wir haben mit den Daten einer seismischen Sprengung Zündschemata von Gewinnungssprengungen simuliert und dabei diese Annahme bestätigen können. Somit entspricht die Lademenge einer seismischen Sprengung der maximalen Lademenge pro Zündstufe Lmax einer Gewinnungssprengung.
Langjährige Erfahrungen aus der angewandten Seismik belegen, dass eine gute Verdämmung der Sprengstoffladung für die Quellstärke seismischer Sprengungen wesentlich ist. Es überrascht daher, dass Gewinnungssprengungen, die durchaus als „schlecht verdämmte Sprengungen“ angesehen werden können, bei gleicher Lademenge etwa die gleiche Quellstärke erreichen wie die seismischen Sprengungen.
Zur hochauflösenden Erfassung der Signale der seismischen Sprengungen wurde an der MSS-Station DUBA (Lage siehe Abb. 1b) ein 1 Hz 3‑Komponenten Seismometer (OYO Geospace GS-1) in Verbindung mit einem 24 Bit Recorder (Reftek 130) temporär installiert. Neben den drei seismischen Sprengungen wurden mit diesem Messsystem im gleichen Zeitraum auch 11 Gewinnungssprengungen registriert.
In Abb. 4a sind die Zeitreihen der Schwinggeschwindigkeiten der seismischen Sprengung vom 2021-06-29 und der Gewinnungssprengung vom gleichen Tag einander gegenübergestellt. Die seismische Sprengung war ~ 25 m von der Gewinnungssprengung entfernt. Als signifikanten Unterschied betrachten wir die höheren Amplituden der Ersteinsätze der seismischen Sprengungen gegenüber den Gewinnungssprengungen, besonders auf der Z‑Komponente. Das bedeutet, dass bei der seismischen Sprengung das Amplitudenverhältnis von den zuerst ankommenden Longitudinalwellen zu den nachfolgenden Transversal- und Oberflächenwellen größer ist als bei der Gewinnungssprengung. Abb. 4b zeigt die Spektren der drei seismischen Sprengungen über den Spektren der 11 Gewinnungssprengungen. Im unteren Frequenzbereich, bis etwa 15 Hz, können wir keinen signifikanten Unterschied erkennen. Darüber weisen die Gewinnungssprengungen geringfügig höhere spektrale Amplituden auf.
3 Seismische Herdmechanismen
Der ÖNORM_S_9020 liegt implizit die Vorstellung zugrunde, dass Sprengerschütterungen direkt durch den, bei der Detonation aufgebauten Druck verursacht werden und der Anteil an seismischer Energie umso größer ist, je weniger Energie für die Umwandlung des zu sprengenden Gebirges in ein Hauwerk verbraucht wird. Die in D.2.1 angeführten Vorgaben „Eine Unterladung der Sprenganlage ist unbedingt zu vermeiden“ und „Eine geringe Überladung der Sprenganlage ist zulässig“ entsprechen dieser Vorstellung. Seismische Sprengungen, wie wir sie in Abschn. 2.3 vorgestellt haben, stellen sicherlich das Extremum einer „unterladenen Sprenganlage“ dar. Erhöhte seismische Signale im Vergleich zu Gewinnungssprengungen mit gleicher Lademenge pro Zündstufe konnten aber nicht festgestellt werden. In Abschn. 2.2, bzw. Abb. 2, haben wir die mögliche Bedeutung der Sprengschemata auf die Quellstärke einer Gewinnungssprengung aufgezeigt. Die in der Norm unter D.2.1 gegebene Anweisung „Fächersprengungen, Hebeschüsse oder Vorspaltsprengungen sind nicht zulässig“ könnte als Hinweis auf die Bedeutung der Sprengschemata interpretiert werden. In jedem Fall erscheint eine grundsätzliche Diskussion des Themas sinnvoll. Im Folgenden stellen wir daher die beiden in der Seismologie etablierten Herdmechanismen vor und leiten daraus Quell-Mechanismen für die beiden Fälle „seismische Sprengung“ und „Gewinnungssprengung“ ab. Mathematisch rigorose Darstellungen der Herdmechanismen finden sich in Lehrbüchern der Seismologie [9, 10].
3.1 Einzelkraft
Zunächst zeigen wir, wie Einzelkräfte als Quellen seismischer Wellen wirken. Vektorielle Größen bzw. deren Komponenten sind gegenüber Beträgen und anderen skalaren Größen durch den Index „i“ (i = x, y, z) gekennzeichnet. Als einfaches und historisch bedeutsames Beispiel für eine Einzelkraft als seismische Quelle („single force“) betrachten wir die Mintrop-Kugel (Abb. 5). Diese ließ Ludger Mintrop um 1908 bauen, um damit reproduzierbar seismische Wellen anzuregen, die mit den damals modernsten Seismographen gemessen werden konnten [11]. Die Mintrop-Kugel mit einer Masse von M = 4 t kann auch heute noch zur Demonstration in Betrieb genommen werden. Ausgehend von einer Fallhöhe von 14 m nimmt nach dem Ausklinken die Geschwindigkeit vi der Kugel linear mit der Fallzeit t entsprechend vi(t) = gi * t zu, wobei gi die Erdbeschleunigung ist. Der Impuls beträgt Ii(t) = M * vi(t). Mit dem Auftreffen der Kugel auf den Boden wird der Impuls der Mintrop-Kugel über ein kurzes Zeit- bzw. Wegintervall wieder auf null gesetzt. Die über das ganze Experiment auf die Mintrop-Kugel wirkenden Kräfte sind Fi(t) = dIi(t) / dt. Während des freien Falls folgt daraus Fi = M * gi, während des Aufpralls bzw. der Bremsphase Fi = M * bi, wobei bi der Erdbeschleunigung entgegen gerichtet und deren Betrag um ein Vielfaches übertrifft. Entsprechend „actio + reactio = 0“ wirkt auf den Untergrund immer die entgegengesetzte, dem Betrag nach gleich große Reaktionskraft. Dies ist eine Entlastung des Untergrundes über die Träger, um das Gewicht der Kugel während der Fallzeit und eine starke, nach unten gerichtete Kraft während des Aufpralls. Letztere stellt als Einzelkraft den gewünschten, seismischen Herdmechanismus dar.
Fallgewichte, insbesondere zusätzlich beschleunigte, sind in der angewandten Seismik auch heute noch von Bedeutung. Überwiegend in der Kohlenwasserstoff Exploration und unter dem Markenzeichen „Vibroseis“ bringen Vibratoren als seismische Quellen über sogenannte „sweeps“ kontrolliert Kräfte in den Untergrund ein [12]. Der Ausbruch des Mount St. Helens 1980 verursachte einen gigantischen Bergsturz, der weltweit auf seismischen Observatorien registriert wurde. Die Analyse der Daten führte zur Erkenntnis, dass der seismische Herdmechanismus des Bergsturzes der Einzelkraft entspricht [13]. Seither wurden Bergstürze regional und global registriert und als seismische Quellen entsprechend dem Einzelkraft Mechanismus interpretiert [14].
Im ideal elastischen Vollraum gilt für die Verschiebung des Bodens si(t) im Abstand D von der anregenden Kraft Fi folgende Beziehung [9, 10]:
- RS:
-
… Richtcharakteristik einer Einzelkraft als seismische Quelle, unterschiedlich für Longitudinal- und Transversalwellen
- v:
-
… Geschwindigkeit der Longitudinal- oder Transversalwelle
- t – D/v:
-
… retardierte, um die Laufzeit der Welle von der Quelle zum Empfänger verringerte Zeit
- M&G:
-
… M- oder G‑Modul für Longitudinal- oder Transversalwelle
Zur Übertragung von Gl. 7 auf den Halbraum und ein reales Medium müsste diese Beziehung weitreichend modifiziert werden. Für unsere weiteren Überlegungen genügt aber, die Proportionalität si(t) mit Fi(t − D/v) als gegeben anzusehen. Die in die Berechnung der Magnitude eingehende Schwinggeschwindigkeit ui(t) folgt aus der zeitlichen Differentiation von si(t).
3.2 Kräftepaar
Kräftepaare („couple“) sind das Standardmodell für die Beschreibung der Herdmechanismen von Erdbeben, Vulkanbeben, unterirdischen Nuklearsprengungen oder auch nur seismischen Sprengungen. Kräftepaare sind dem Betrag nach gleich große, aber entgegen gerichtete Kräfte, die über einen Hebelarm miteinander verbunden sind. Bei Erdbeben steht der Hebelarm senkrecht zu den Kräften, wodurch ein einzelnes Kräftepaar ein Drehmoment bewirkt. Ein zweites Kräftepaar, bei dem die Richtungen von Hebel und Kraftrichtung vertauscht sind, wirkt im entgegengesetzten Drehsinn und kompensiert dadurch das Drehmoment des ersten Kräftepaares („double couple“). Kugelsymmetrisch im Untergrund nach allen Seiten wirkende Drücke, wie sie bei ausreichend tief liegenden Sprengungen entstehen, können durch drei orthogonale Kräftepaare ersetzt werden. Die jeweiligen Hebelarme verbinden die entgegengesetzt wirkenden Kräfte in der Kraftrichtung, sodass kein Drehmoment entsteht. Die Länge des Hebelarms entspricht zunächst dem Durchmesser des Hohlraums, in dem der Sprengstoff oder die Bombe zur Detonation gebracht werden.
Wie für Einzelkräfte liegen auch für Kräftepaare exakte Lösungen zur Beschreibung der Verschiebung si oder der Schwinggeschwindigkeit ui im Vollraum und bei idealer Elastizität vor. Im Folgenden versuchen wir den systematischen Unterschied in der Signalstärke zwischen Kräftepaar und Einzelkraft anhand von Abb. 6 verständlich zu machen. Der Einfachheit halber zeigen wir das nur für Longitudinalwellen. Die aus dem Modell abgeleiteten Erkenntnisse können aber auch auf Transversalwellen übertragen werden.
Abb. 6a zeigt einen Horizontalschnitt durch das Gebirge und ein vertikales Bohrloch. Die radial nach außen wirkenden Drücke können in der Horizontalebene durch zwei orthogonale Kräftepaare ersetzt werden. Diese senden in ihrer Kraftrichtung eine Kompressionswelle ab, in der entgegengesetzten eine gleich starke Dilatationswelle. Abb. 6b entspricht einem Vertikalschnitt durch das in a) gezeigte Bohrloch in der Achse des Kräftepaares Fo–Fw. Wir betrachten die Beträge der Kräfte und Verschiebungen in den jeweils durch Pfeile in Abb. 6a angezeigten Richtungen. Ausgehend vom Rand des Bohrloches tragen wir den zeitlichen Verlauf der abgestrahlten Amplituden in beiden Richtungen über v * t auf, wobei v der Ausbreitungsgeschwindigkeit der seismischen Welle entspricht. Zeitliche Differenzen erscheinen in dieser Darstellungsweise als Differenzen des von der seismischen Welle zurückgelegten Weges.
Da die Amplituden der abgestrahlten Wellen den Kräften zum Zeitpunkt der Entstehung proportional sind, verwenden wir für die entsprechenden Amplituden ebenfalls die Bezeichnung Fo und Fw. Für beide Kräfte und damit auch die Amplituden nehmen wir einen zeitlich linearen Anstieg, beginnend mit Fo(t = 0) = 0 und Fw(t = 0) = 0 an. Im Diagramm (Abb. 6b) erscheinen Fo(t) und Fw(t) als Gerade (rot). In die jeweils entgegengesetzten Richtungen West und Ost senden die Kräfte Fo und Fw Dilatationswellen aus. Diese sind dem Betrag nach gleich stark wie die Kompressionswellen, jedoch in der Darstellung über v * t um den Laufweg h verschoben (blaue Linien „‑Fo“ und „‑Fw“ im Diagramm). Die tatsächlich in beiden Richtungen abgestrahlten Amplituden ergeben sich aus der Superposition der jeweiligen Kompressions- und Dilatationswelle mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit vp zu den Resultierenden Rw und Ro. Wie in Abb. 6b angegeben, kann die Resultierende R(t) (Rw(t) oder Ro(t)) wie folgt berechnet werden:
Der Übergang von der Differenz in Gl. 8 zum Differential ist gerechtfertigt, da h um etwa drei Größenordnungen kleiner als die Wellenlänge ist (h ~ 0,1 m, λ ~ 100 m). Die zeitliche Differentiation von F(t) ersetzen wir durch die Multiplikation mit 2π * fmax, wobei nach Abb. 4b fmax ~ 10 Hz beträgt. Im ideal elastischen Vollraum gilt für die Bodenverschiebung si(t) Gl. 7, wenn F durch R und die Richtcharakteristiken für Einzelkräfte durch die Richtcharakteristiken für Kräftepaare ersetzt werden. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die Superposition von drei gleich großen, orthogonalen Kräftepaaren ausschließlich Longitudinalwellen mit gleicher Amplitude in allen Raumrichtungen erzeugt. Transversalwellen entstehen in diesem Fall aber bereits bei der Reflexion oder Brechung an der nächstliegenden Grenzfläche.
3.3 Gewinnungssprengung
Bei Gewinnungssprengungen erfolgt die Detonation des Sprengstoffs in Bohrlöchern, die zwar nahe der Bruchwand sind, das Gebirge um das Bohrloch herum jedoch als intakt bzw. zusammenhängend angesehen werden kann. Es werden daher die seismischen Wellen zunächst über den Herdmechanismus „Kräftepaar“ erzeugt. Dieser Mechanismus wirkt, solange die Kräfte die Zugfestigkeit des Gebirges nicht überwinden. Wir gehen von einer 25 m hohen Bruchwand und 5 m Seitenabstand zwischen den einzelnen Bohrlöchern aus. Für die Zugfestigkeit des kompakteren Gebirges (Kalk) im Steinbruch Dürnbach nehmen wir 6 MPa an [15]. Demnach erfordert die Ablösung des Gebirges zur Bruchwand hin die Kraft F0 = 25 m * 5 m * 6 MPa = 0,75 GN.
Mit der Überwindung der Zugfestigkeit des Gebirges und seiner Ablösung entlang der Bohrlochreihen geht der seismische Herdmechanismus augenblicklich von Kräftepaar auf Einzelkraft über. Unter der Annahme, dass die von der Detonation ausgelösten Kräfte unmittelbar nach der Rissbildung angenähert gleichbleiben, erhöht sich die seismische Quellstärke der Sprengung bei Transversalwellen entsprechend Gln. 7 und 8 um folgenden Faktor:
RS/RC berücksichtigt das Verhältnis der Richtcharakteristiken für Einzelkräfte (RS) und Kräftepaare (RC), unterschiedlich für Longitudinal- und Transversalwellen. Die in Gl. 9 angegebenen Werte für fmax, v und h entsprechen annähernd den Gegebenheiten im Steinbruch Dürnbach. Die Abschätzung in Gl. 9 zeigt, dass die Phase, in der eine Gewinnungssprengung als seismische Sprengung bzw. über den Herdmechanismus „Kräftepaar“ wirkt, für die Generierung seismischer Energie vernachlässigt werden kann.
Wir analysieren daher den weiteren Verlauf einer Gewinnungssprengung analog zur Wirkungsweise der Mintrop-Kugel als seismische Quelle. Hierbei steht die zeitliche Entwicklung des Impulses der gesprengten Gesteinsmasse im Vordergrund. Die Bildfolge in Abb. 7a zeigt vier Phasen oder Situationen einer Gewinnungssprengung. Die Bilder entstanden bei der Sprengung im Steinbruch Dürnbach am 19. Mai 2016, die Schüler im Rahmen des Sparkling Science Projektes Schools & Quakes [16] miterleben konnten. Den Bildern zeitlich zugeordnet sind in Abb. 7b Stadien eines 2D-Modells, das auf Basis der Fallgesetze die Entwicklung der Bewegung und Ablagerung der Bruchmasse beschreibt. Die Parameter des Modells entsprechen dem Sprengschema E25m. Eine Beschreibung dieses Modells findet sich in Abschn. 5. ANHANG. Die zeitliche Entwicklung des Impulses I(t) und deren Zuordnung zu den vier Phasen ist in einem Diagramm in Abb. 7c dargestellt. Die angesprochenen vier Phasen bzw. Situationen können wie folgt beschrieben werden:
-
1.
Detonation, Abtrennung von der Bruchwand und Beschleunigung der Abschlagsmasse pro Zündstufe M auf die Geschwindigkeit v1 innerhalb von Millisekunden. Der Impuls erreicht I1 = M * v1. Die Vertikalkomponente des Impulses ist nach oben gerichtet. Als mittlere Geschwindigkeit wurde für die Modellierung v1 = 4 m/s gewählt.
-
2.
Die einzelnen Gesteinsblöcke der Abschlagsmasse folgen einer Wurfparabel. Der gesamte Impuls nimmt zunächst ab, da sich die Vertikalkomponente der Geschwindigkeit entsprechend den Fallgesetzen verringert und nach ~ 0,2 s umkehrt. Mit steigender Fallgeschwindigkeit nimmt der Impuls wieder zu. Die Phase des freien Falls endet bei ~ 0,6 s. Ab diesem Zeitpunkt kommt es bereits zu nennenswerten Ablagerungen an der Basis der Bruchmasse.
-
3.
Die lineare Erhöhung der Fallgeschwindigkeit mit der Zeit und die progressive Zunahme von Aufprall und Ablagerung des Hauwerks auf der darunterliegenden Etage hat einen gegenläufigen Einfluss auf den Impuls, wobei der letztere ab ~ 1 s die Oberhand gewinnt. Zwischen 1,1 s (3a) und 1,7 s (3b) nimmt der Impuls etwa um den gleichen Betrag ab, den er mit I1 in Phase 1 durch die Detonation gewonnen hat. Im Gegensatz zur Mintrop-Kugel, deren durch den freien Fall gewonnener Impuls beim Aufschlag innerhalb weniger ms auf null gesetzt wird, erstreckt sich der Aufprall der Masse des gesprengten Hauwerks über ein Zeitintervall von ~ 1 s.
-
4.
Nach ~ 2 s endet die Ablagerung des Hauwerks auf der unteren Etage. Die steile Front des Abschlags verflacht auf eine stabile Neigung von angenommenen 33°.
Zunächst haben wir nur die zeitliche Entwicklung des Impulses I(t) analysiert. Wie aus Gl. 7 ersichtlich und in Abb. 5 veranschaulicht, ist für die Quellstärke die Kraft F maßgebend, wobei Fi = dIi/dt exakt und F ~ dI/dt ~ ΔI/Δt näherungsweise gilt, solange Ii im Zeitintervall Δt die Richtung annähernd beibehält. Die in Phase 1 wirkende Kraft hat demnach den Betrag F1 ~ M * v1 / Δt1, wobei wir Δt1 ~ 0,01 s annehmen. Da der Betrag von ΔI in Phase 3 gleich groß ist wie in Phase 1, gilt für die Kraft in Phase 3 F3 ~ F1 * Δt1 / Δt3. Mit Δt3 ~ 1 s beträgt F3 somit nur ~ 1 % von F1. Entgegen dem optischen Eindruck, den eine Sprengung vermitteln könnte, liefert der über ein Zeitintervall von ~ 1 s verteilte Aufprall des Hauwerks keinen signifikanten Beitrag zur Quellstärke einer Gewinnungssprengung. Im Gegensatz zur Mintrop-Kugel, bei der der Quellmechanismus wenig merkbar mit dem Ausklinken der Masse beginnt und erst mit deren Aufprall am Boden als der eigentlichen seismischen Quelle endet, wird bei einer Gewinnungssprengung zu Beginn des Sprengvorgangs die einer Zündstufe entsprechende Gesteinsmasse durch die Detonation nahezu momentan zur unteren Etage hin abgeschossen. Der dabei auftretende Rückstoß bildet den seismischen Quellmechanismus.
Grundsätzlich könnte v1 messtechnisch, z. B. durch zeitlich hochauflösende Photogrammetrie, erfasst werden. Da derartige Daten zur Zeit nicht vorliegen, gelangen wir zu einer Abschätzung von v1 über die Modellierung der Form der Ablagerung des Hauwerks. Für das Sprengschema E25m führte v1 = 4 m/s zu einer den Erfahrungen entsprechenden, durchschnittlichen Form der Ablagerung (siehe Abb. 7b, Laufzeit 2,3 s). In Abb. 8 sind die finalen Ablagerungsformen des Bruchmaterials für das Sprengschema E12.5m dargestellt. Hierbei wurde v1 von 1 bis 9 m/s variiert. Ab etwa v1 = 3 m/s hat v1 einen deutlichen Einfluss auf Form und Ausdehnung der Ablagerung. Darunter nähert sich die Ablagerung der Form einer Schutthalde, die bei erosionsbedingter Ablagerung entsprechend v1 = 0 m/s entstehen würde. Die Ablagerungsform für v1 = 5 m/s entspricht am ehesten den bisherigen Beobachtungen.
Die Geometrie der Sprenganlage und die Form der Ablagerung des Bruchmaterials ist bei Fächersprengungen wesentlich unregelmäßiger als bei Sprengungen mit steiler Bruchwand. Dies betrifft besonders die Vorgabe, welche der Überlagerung über den annähernd horizontalen Sprengbohrlöchern entspricht. Aus den vorliegenden Daten schätzen wir 5 m für die mittlere Vorgabe. Die Auflockerung der Bruchmasse durch den Sprengvorgang um den Faktor 1,3 bedingt eine Hebung des Schwerpunktes um 0,75 m. Mit v1 = 3,8 m/s, vertikal nach oben gerichtet wird diese Hebung erreicht.
Der Impuls, den die Abschlagsmasse in Phase 1 mit I1 = M * v1 erlangt, kann somit als eine durch Beobachtung und Modellierung erfassbare Größe angesehen werden. Nach Gl. 7 wäre aber die Kraft Fi = dIi/dt, bzw. F1 ~ I1 / Δt1 für die seismische Quellstärke maßgeblich. Solange jedoch 1/Δt1 deutlich größer als die Frequenz des registrierten seismischen Signals ist, bestimmt F1 * Δt1 und damit I1 die Quellstärke. Entspricht der zeitliche Verlauf der Kraft einer Rechteck-Funktion, folgt das zugehörige Frequenzspektrum der Sinc-Funktion.
Abb. 9a zeigt Rechteck-Funktionen der Kraft F1 für Δt1 = 4 ms, 8 ms, 16 ms und 32 ms, wobei F1 * Δt1 = I1 = const gilt. In Abb. 9b sind diese Rechteck-Funktionen so dargestellt, wie sie ein Macroseismic Sensor (MSS) aufzeichnen würde. Der MSS modifiziert das Frequenzspektrum des Signals wie folgt: Differentiation als Übergang von Bodenverschiebung auf Schwinggeschwindigkeit, 2‑poliger 4,5 Hz Hochpass entsprechend dem kritisch gedämpftem 4,5 Hz Geophon und 1‑poliger elektronischer 12,5 Hz Tiefpass. Die Spitze-Spitze Amplitude des MSS-Signals verringert sich beim Übergang von der 4 ms zu den 8 ms, 16 ms und 32 ms Quellfunktionen auf 97 %, 86 % und 54 %. Dieses Ergebnis legt nahe, dass die Dauer der Beschleunigungsphase keinen signifikanten Einfluss auf die Quellstärke hat, solange diese unter ~ 16 ms liegt.
Am Rande sei erwähnt, dass entsprechend der Sinc-Funktion das seismische Signal von Phase 3 im Frequenzbereich unter 0,1 Hz annähernd die gleiche Amplitude hat, wie jenes in Phase 1. Allerdings würde man für die Registrierung ein Breitband-Seismometer brauchen und die Signale der beiden Phasen würden sich bei diesen Perioden (≥ 10 s) untrennbar überlagern.
In Tab. 3 sind Wege, Beschleunigungen und Trägheitskräfte in Abhängigkeit von Δt1 für das Sprengschema E25m (mittlere Abschlagsmasse = 856 t, v1 = 4 m/s) zusammengestellt. Die Trägheitskräfte F1 stehen im Einklang mit der zuvor getroffenen Annahme, dass die von der Detonation ausgelösten Kräfte unmittelbar nach dem Übergang vom Kräftepaar- zum Einzelkraft-Mechanismus im Bereich jener liegen, die zur Überwindung der Zugfestigkeit des Gebirges und der Abtrennung des Bruchmaterials erforderlich waren (F0 = 0,75 GN).
4 Schlussfolgerungen
Die Sprengerschütterungen, bzw. seismischen Signale der Gewinnungssprengungen im Steinbruch Dürnbach/Hohe Wand werden mit Stationen des Macroseismic Sensor Netzwerkes beobachtet und aus den Messdaten Magnituden (MSS_M) für die Quellstärken der jeweiligen Sprengungen bestimmt. Gleichzeitig wurden spreng-technische Parameter in einer Datenbank mitgeführt. Dies eröffnete die Möglichkeit, beide Datensätze in Beziehung zu bringen und daraus Erkenntnisse über den Zusammenhang der spreng-technischen Parameter mit den Magnituden und damit der Emission seismischer Erschütterungen zu gewinnen.
Die Gewinnungssprengungen wurden mit den drei unterschiedlichen, in Tab. 1 näher spezifizierten Sprengschemata E25m, E12.5m und Fächer durchgeführt. Neben der Geometrie der Sprengschemata fanden noch die gesamte Masse M, die Anzahl der Zündstufen N und die maximale Lademenge pro Zündstufe Lmax Eingang in die Analysen. Der statistische Zusammenhang zwischen MSS_M und Lmax (Gl. 5) entspricht der zu erwartenden Proportionalität zwischen PGV und Lmax. Die Mittelwerte von MSS_M für die drei Sprengschemata (Gl. 6) erlauben jedoch eine zumindest gleich genaue Vorhersage der Sprengerschütterungen wie der MSS_M − log10(Lmax) Zusammenhang.
Es wurden auch drei seismische Sprengungen in jeweils einer 20 bis 25 m tiefen Bohrung durchgeführt. Bohrtechnik, Sprengstoffladung und Verdämmung entsprachen den Gewinnungssprengungen. Die seismischen Sprengungen waren ausreichend weit von der nächsten Bruchwand entfernt, sodass keine sichtbare Auflockerung des Gebirges entstand. Man könnte diese Sprengungen auch als extreme Beispiele für „unterladene“ Sprengungen ansehen. Die Magnituden dieser seismischen, nur zum Zwecke der Erzeugung seismischer Energie abgetanen Sprengungen lagen jedoch nur im Bereich der Gewinnungssprengungen mit gleicher maximaler Lademenge pro Zündstufe (Lmax). Dieser Befund und die offensichtliche Bedeutung des Sprengschemas für die Magnitude MSS_M gab Anlass zum Überdenken des Herdmechanismus von Gewinnungssprengungen.
Wir stellten die Wirkungen von Einzelkräften und Kräftepaaren als die in der Seismologie etablierten Herdmechanismen dar. Am Beispiel der Mintrop-Kugel zeigten wir die Wirkungsweise einer Einzelkraft als seismische Quelle. Weiter übernehmen wir die fachlich als gesichert geltende Vorstellung, dass der Herdmechanismus seismischer Sprengungen durch Kräftepaare beschreiben werden kann. Der Herdmechanismus „Kräftepaar“ erfordert wesentlich höhere und vermutlich auch länger wirkende Kräfte als der Herdmechanismus „Einzelkraft“, um gleich starke seismische Wellen im beobachteten Frequenzbereich zu erzeugen. Eine nähere Untersuchung dieses interessanten Aspekts erscheint wünschenswert, geht aber über die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit hinaus.
Für Gewinnungssprengungen gelangen wir zur Vorstellung, dass der Mechanismus „Kräftepaar“ nur bis zur Überwindung der Zugfestigkeit des Gebirges entlang der Bruchwand wirkt und keinen nennenswerten Beitrag zur Quellstärke liefert. Mit der Überwindung der Zugfestigkeit und damit des Zusammenhalts des Gebirges um die Bohrungen herum wird der Herdmechanismus „Einzelkraft“ wirksam und die seismische Quellstärke der Gewinnungssprengung nimmt schlagartig zu. Vereinfacht gesagt kann der Rückstoß, den die abgesprengte Gesteinsmasse beim Beschleunigen auf die Rückwand ausübt als die seismische Quelle einer Gewinnungssprengung angesehen werden. Die Beschleunigungen liegen im Bereich von 25–100 g, die Dauer der Beschleunigung < 16 ms und der in dieser Phase erreichte Impuls der Bruchmasse M bei I1 = M * v1. Die Geschwindigkeit v1 könnte durch direkte Beobachtung bestimmt werden. Da wir dazu noch keine Gelegenheit hatten, haben wir versucht, über die Modellierung von Flugbahn und Ablagerung des Hauwerks v1 abzuschätzen. Demnach dürfte v1 bei ~ 4–5 m/s liegen. Wir konnten auch zeigen, dass sich das Aufschlagen der gesprengten Gesteinsmasse auf das Vorfeld über einen zu langen Zeitraum (~ 1 s) erstreckt, um als seismische Quelle ins Gewicht zu fallen.
Da wir den Impuls I1, den die Bruchmasse in Phase 1 einer Gewinnungssprengung erfährt, als die eigentliche seismische Quelle dargestellt haben, liegt es nur nahe, darauf aufbauend eine Formel für die Berechnung der Magnitude anzugeben. Wir wählen den in Gl. 10 gegebenen, sehr einfachen Zusammenhang:
Für eine erste Abschätzung des Parameters a in Gl. 10 ziehen wir die mittleren Massen pro Zündstufe M, die über die Modellierungen abgeschätzten Startgeschwindigkeiten des gesprengten Hauwerks v1 und die mittleren Magnituden (MSS_M beobachtet), jeweils für die Sprengschemata E25m, E12.5m und Fächer heran (Tab. 4). Die Übereinstimmung des Parameters a, ermittelt aus Mittelwerten für die drei Sprengschemata, ist nahezu perfekt. Somit könnte das Produkt aus der mittleren Masse pro Zündstufe M und der Startgeschwindigkeit v1 als eine charakteristische, die Quellstärke der drei betrachteten Sprengschemata bestimmende Größe entsprechend Gl. 6 angesehen werden. Wünschenswert wäre jedoch für die Zukunft, v1 durch direkte Beobachtung und in Kombination mit einer weiterentwickelten Modellierung der Ablagerungsformen für einzelne Gewinnungssprengungen zu bestimmen. Auf diese Weise könnte überprüft werden, ob der Parameter a tatsächlich mit ausreichender Genauigkeit als Konstante angesehen werden kann. Die Konstanz von a innerhalb eines geologisch einheitlichen Abbaugebietes, jedoch unabhängig von Sprengschema oder Lmax, könnte ein Kriterium für die Bewertung des in dieser Arbeit vorgestellten seismischen Herdmechanismus einer Gewinnungssprengung bilden.
Literatur
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1.1 Modellierung der Wurf- und Ablagerungsphase einer Gewinnungssprengung
1.1.1 Zielsetzung:
Ableitung des Impulses I1 = M * v1, den die Bruchmasse in Phase 1 einer Gewinnungssprengung durch die Detonation gewinnt über die Modellierung der zeitlichen Entwicklung der Geometrie der Abschlagsmasse nach der Detonation. Als Beobachtungen stehen derzeit qualitative Eindrücke und Einschätzungen über das Aufblähen der Bruchmasse kurz nach der Detonation, das nachfolgende Absacken und die endgültige Form der Ablagerung zur Verfügung. Für die Vergrößerung des Hohlraumanteils (Δn) des Hauwerks gegenüber dem anstehenden Gebirge und den Schüttwinkel (φ) liegen quantitative Daten vor. Die Masse M einer einzelnen Zündstufe folgt aus M = Gesamtmasse / Anzahl der Zündstufen.
1.1.2 Modellannahmen und Prozessmodellierung:
-
1.
Die gesprengte Gesteinsmasse zweier räumlich hintereinander liegender Zündstufen der Reihen 1 und 2 wird in 2D durch voneinander unabhängige Gesteinsblöcke mit rechteckigem Querschnitt modelliert.
-
2.
Die Bewegung dieser Gesteinsblöcke kurz nach der Detonation (~ 0,1 s), kann durch ein lineares Geschwindigkeitsfeld beschrieben werden (x … horizontal von der Bruchwand weg, z … vertikal nach oben; x = 0 entspricht der Bruchwand in der jeweiligen Höhe):
- α:
-
… Winkel zwischen der Richtung von v1 und der Horizontalen
- v10 = v(x = 0), v1:
-
… Mittelwert von v(x), VG … Summe der Vorgaben von Reihe 1 und 2.
-
3.
Die Bewegung der Gesteinsblöcke folgt mit der Startgeschwindigkeit v(x) Wurfparabeln bis zum Aufprall auf die untere Etage oder das bereits abgelagerte Hauwerk.
-
4.
Die Gesteinsblöcke nehmen nach der Ablagerung eine um den Hohlraumanteil Δn = 0.3 größere Querschnittsfläche ein.
-
5.
Die maximale, von der Bruchwand weg gerichtete Neigung des Hauwerks nach Abschluss des Ablagerungsprozesses ist mit φ = 33°, während der Ablagerung mit φ1 = 52° (tan(φ1) = 2 * tan(φ)) begrenzt.
1.1.3 Anpassung der Modellparameter:
Abb. 10 zeigt die Modellierung einer typischen Sprengung mit dem Sprengschema E25m. Zur Anpassung an die qualitativ gemachten Beobachtungen wurden folgende Parameter gewählt:
α = 40° (Neigung der Bruchwand 70°), v10 = 1 m/s und v1 = 4 m/s.
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Brückl, E., Hochwartner, R. & Zöhling, S. Der seismische Herdmechanismus von Gewinnungssprengungen. Berg Huettenmaenn Monatsh 167, 260–271 (2022). https://doi.org/10.1007/s00501-022-01233-3
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