Die tagesschau meldete am 19.01.2017 in ihrer Hauptsendung um 20.00 Uhr: „Ärzte können schwerkranken Patienten künftig auch Cannabis als Schmerzmittel verschreiben. Der Bundestag beschloss dazu heute einstimmig einen Gesetzentwurf.“ Auch wenn Cannabisarzneimittel grundsätzlich ohne jede Indikationsbegrenzung verordnungsfähig wurden, war doch absehbar, was nach Inkrafttreten des Gesetzes am 10.03.2017 geschehen würde. Schmerzpatienten strömten in die Arztpraxen, um sich über die Therapiemöglichkeiten mit Cannabisarzneimitteln zu informieren. Dabei waren insbesondere drei Patientengruppen zu unterscheiden. Patienten, die bereits im Besitz einer Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabis zum Zweck der Selbsttherapie waren und ihre Therapie unter ärztlicher Verantwortung weiterführen wollten; Patienten, die illegal Cannabis konsumierten und – aus ihrer Sicht – damit eine bestehende Symptomatik oder Erkrankung behandelten, und Patienten, die unter chronischen Schmerzen litten und sich aufgrund der Ankündigungen in den Medien von Cannabis eine Besserung ihrer Beschwerden versprachen.

Zugelassene Cannabisarzneimittel zur Behandlung von Schmerzen gibt es auch gut zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht. Somit fehlen bei der Verordnung von Cannabisarzneimitteln weiterhin verlässliche Informationen zu Wirksamkeit und Sicherheit. Die in den letzten Jahren durchgeführten wissenschaftlichen Reviews konnten nur sehr wenige Studien identifizieren, die eindeutig positive Effekte einer Therapie mit Cannabisarzneimitteln bei chronischen Schmerzen belegten [1, 3, 4]. Den Ansprüchen, die an heute durchzuführende Zulassungsstudien zu stellen sind, genügen alle diese Studien nicht. Folglich wird überhaupt nur für die Behandlung neuropathischer Schmerzen eine Behandlungsempfehlung ausgesprochen. Und auch nur dann, wenn andere Therapieoptionen ausgeschöpft sind [2].

Umso wichtiger ist es gut zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, einen Blick auf die Auswirkungen, auf Erfahrungsberichte aus der klinischen Praxis und die ersten Ergebnisse der gesetzlich festgelegten Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln zu werfen, so wie es in diesem Heft geschieht. Dabei werden nicht nur der klinische Einsatz der Cannabisarzneimittel und die Annäherung der Ärzteschaft an das Thema beleuchtet, sondern auch die Herausforderungen für Ärzte durch die notwendige Antragstellung bei den gesetzlichen Krankenversicherungen und die Teilnahme an der Begleiterhebung sowie den Medizinischen Dienst der Krankenkassen bei der Bewertung der eingereichten Unterlagen. Denn die Verordnung von Cannabisarzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist (außerhalb bereits zugelassener Indikationen für Fertigarzneimittel) nur möglich, wenn vorher ein Antrag bei der zuständigen Krankenkasse gestellt wurde. Ärzte müssen ihre Patienten bei der Antragstellung unterstützen. Ein hoher Aufwand. Und bei Ablehnung ist der Ärger groß. Schade ist die oft vereinfachte Darstellung von komplexen Sachverhalten. Die Aufregung darüber, dass die Krankenkassen etwa ein Drittel der Anträge ablehnen, obwohl die rechtlichen Rahmenbedingungen eine Ablehnung nur im Ausnahmefall vorsehen, lässt völlig außer Acht, dass auch unvollständige und unbegründete Anträge bei den Krankenkassen zur Bewertung eingehen und in der Tat nicht in allen Fällen die Therapieoptionen ausgeschöpft wurden. Wünschenswert sind damit im Einzelfall nicht nur qualifiziertere Beurteilungen durch Fachexperten bei den Krankenkassen, sondern auch eine verbesserte Qualität der Antragsunterlagen.

Die ersten Zwischenergebnisse der Begleiterhebung bestätigen die Indikation „chronische Schmerzen“ als die mit Abstand häufigste Indikation (69 %) zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln. Mit Blick auf die Erfahrungen aus dem Ausland kommt diese Zahl nicht überraschend und macht ebenso deutlich, in welchen Therapiefeldern am ehesten Studien mit Cannabisarzneimitteln durchgeführt werden sollten.

Die medizinische Verwendung von Cannabis ist selbstverständlich auch ein Markt. Da dieser nicht auf die Verwendung von Fertigarzneimitteln begrenzt ist, kann die Zahl der Marktteilnehmer sehr groß werden. Wie in anderen Märkten auch finden Verdrängungswettbewerbe statt, werden Informationen verbreitet, um das Vertrauen in die eigene Marktstrategie zu erhöhen, werden Investoren gesucht, um Geschäfte aufzubauen oder auszuweiten. Es bleibt zu hoffen, dass diese Marktmechanismen sich nicht negativ auf die Patientenversorgung mit sicheren, in ihrer Qualität hochwertigen Cannabisarzneimitteln auswirken.

Wie schon ausgeführt: Wir verfügen nicht über zugelassene Cannabisarzneimittel zur Behandlung von Schmerzen. Der Gesetzgeber hat Cannabisarzneimittel unter der Maßgabe verfügbar gemacht, sie nur anzuwenden, wenn alle (sinnvollen) Therapieoptionen mit zur Verfügung stehenden, zugelassenen Arzneimitteln ausgeschöpft sind. Die rechtlichen Regelungen hindern Ärzte nicht daran, im Rahmen der ärztlichen Therapiefreiheit von diesen strengen Vorgaben abzuweichen. Allerdings tragen Sie dann eine noch höhere Verantwortung im Falle von Therapieversagen oder bei Fehltherapien. Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Möglichkeit, Cannabisarzneimittel in Therapiekonzepte einzubeziehen, ist dringend erforderlich.

Die Diskrepanz zwischen den im Einzelfall sehr positiven Bewertungen einer Cannabistherapie durch Patienten bzw. Behandler und den meist ernüchternden Ergebnissen von kontrollierten Studien wird auch in diesem Themenheft deutlich. Es bleibt weiterhin zu zeigen, ob Cannabisarzneimittel eine wirksame und sichere Therapieoption bei chronischen Schmerzen darstellen. Hierfür ist die Durchführung klinischer Studien erforderlich, die den Ansprüchen der Zulassungsbehörden genügen. Trotz aller Einzelfallberichte über erfolgreiche Therapien mit Cannabisarzneimitteln, die sehr wichtig für die Anwendung in der Praxis sind, muss für ein ausgewähltes Patientenkollektiv der Nutzen bei tolerierbaren Risiken belegt werden [5]. Mittelfristig muss der mit Cannabisarzneimitteln erfolgte Systembruch in der Arzneimittelversorgung behoben werden und die Therapie in der Regel mit zugelassenen Fertigarzneimitteln erfolgen.

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Dr. Peter Cremer-Schaeffer

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Prof. Dr. Winfried Häuser