Am 30.05.2022 verstarb völlig überraschend unser Freund und Kollege Christian Lenk. Er wurde mitten aus dem Leben, aus dem Kreis seiner Familie und aus unserer Gemeinschaft gerissen.

Christian Lenk wurde am 04.06.1971 in Eschwege etwa 50 km südlich von Göttingen geboren. 1992 nahm er ein Studium der Philosophie, Politikwissenschaft und Ethnologie an der Universität Hamburg auf, das er mit einer Magisterarbeit zu „Platons Jenseitsmythen in den Dialogen Gorgias, Phaidon und Staat“ abschloss. Platons Philosophie sollte ihn nicht mehr loslassen, denn sie hat ihn zeitlebens inspiriert und fasziniert. Zwischen 1998 und 2002 arbeitete er an seiner Dissertation, die er 2002 unter dem Titel „Therapie und Enhancement. Ziele und Grenzen der modernen Medizin“ am Philosophischen Seminar der Universität Münster abschließen konnte. Mit der Forschung für seine Doktorarbeit war sein Weg in die Medizinethik vorgezeichnet. Schon früh befasste er sich mit den Grenzen der Medizin und Fragen der Optimierung von Gesundheit und Lebensqualität ebenso wie mit Problemen der Gerechtigkeit im Gesundheitswesen. Nach Mitarbeit in zwei DFG-Projekten zum „Gesundheitsbegriff als Determinante von Lebensqualität“ in Marburg und zur „Selbstaufklärung der Bioethik“ in Münster trat er 2002 eine Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter, später Wissenschaftlicher Assistent an der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen an. Seit 2004 war er hier Mitglied der Ethikkommission und 2010–2011 deren stellvertretender Vorsitzender. In Göttingen habilitierte er sich im Jahr 2008 zu „Komplementären Ansätzen der Forschungsethik“. Im gleichen Jahr übernahm er die wissenschaftliche Koordination eines bis 2011 laufenden EU-Projektes zur Ethik des Umgangs mit menschlichen Geweben. In den Jahren 2008–2009 wirkte er ferner als Leverhulme Visiting Fellow am Centre for Philosophy, Humanities and Law in Health Care an der Universität von Swansea.

Während dieser Zeit legte Christian Lenk das Fundament für eines seiner Schwerpunktthemen, den Umgang mit menschlichen Biomaterialien. Er befasste sich in einem vom BMBF und zwei von der EU geförderten Projekten mit Fragen des Eigentums an Geweben in der Forschung und erarbeitete sich eine herausragende Expertise zu ethischen Aspekten von Biobanken. Seine zahlreichen Publikationen zeugen von seiner akademischen Schaffenskraft. Zehn Buchpublikationen und Herausgeberschaften fassten seine Forschungsthemen umfassend zusammen und rundeten die jeweils von ihm bearbeiteten Themen ab. Überdies hat er in mehr als 30 Zeitschriftenartikeln und mehr als 45 Buchbeiträgen seinen Ideen und Gedanken Ausdruck verliehen.

Der Wechsel an die Universität Ulm und die Übernahme der Geschäftsführung der dortigen Ethikkommission 2011 waren daher ein Schritt in die Praxis im eigentlichen Sinne der altgriechischen Wortbedeutung. An der Universität Ulm wurde er 2016 zum außerplanmäßigen Professor ernannt.

Christian Lenk war ein Philosoph im besten Sinne. Sein Themenspektrum reichte von der Forschungsethik über den off-label-use von Arzneimitteln und der Forschung mit nicht-einwilligungsfähigen Personen bis hin zu Gerechtigkeitsfragen, Enhancement und der Handhabung von genetischen Informationen. Seine Arbeit umfasste somit zahlreiche aktuelle gesellschaftsrelevante Themen der Medizinethik. Er war ein anerkannter und gefragter Experte in diesen Feldern, der in Vorträgen, Beratungen und Kooperationsgesprächen nicht zuletzt durch sein Ruhe ausstrahlendes Wesen eine konzentrierte Atmosphäre schaffen konnte, so dass man seinen überzeugenden Ausführungen gerne folgte. Sein heller Geist verleitete ihn nie zur intellektuellen Hochmütigkeit. Im Gegenteil führte ihn jede gelöste Frage zu einer neuen Frage, die er diskutieren und bearbeiten wollte. Er war ein großzügiger und wertschätzender Mentor, der viele junge Menschen in die Wissenschaft begleitet und der manche wissenschaftliche Karriere durch seine Förderung ermöglicht hat.

Sein aktuelles Interesse galt dem „Zeithorizont der Ethik“, ein von ihm so benanntes Thema, das ihm unter anderem deshalb am Herzen lag, da er sich in all seinen Arbeiten mit dem Problem befasst hat, medizinethische Grundpositionen auf ihre historische Dimension hin zu prüfen. Andersherum hat er gleichzeitig immer die Frage nach der Normativität der Geschichte gestellt. Seine Überlegungen zu diesem „Zeithorizont“ brachte er jüngst in verschiedene Gremien ein, die sich mit dem Umgang mit menschlichen Präparaten aus unter anderem kolonialen Kontexten befassten.

Alle, die Christian Lenk persönlich erleben durften, erinnern sich an ihn als klugen, bedächtigen und ausgleichenden Menschen, der immer mit heiterer Gelassenheit gordische Knoten zu lösen vermochte und spannende, überraschende neue Gedanken in die Diskussionen einbrachte. Er verfügte über einen stillen, aber scharfsinnigen Humor, der nachwirkte und zum schmunzelnden Nachdenken anregte. Seine Umsicht und Sorgfalt, seine Warmherzigkeit und der ihm eigene vornehme Stil werden in Erinnerung bleiben. Wir werden ihn persönlich sehr vermissen, seine Forschung und seine Ideen werden uns fehlen. Sein Tod reißt eine große Lücke.