Zusammenfassung
1. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen müssen gemäß §2 Abs. 1 S. 3 SGB V dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen. Davon abweichend besteht gemäß §2 Abs. 1a SGB V ein Leistungsanspruch bei Versicherten mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
2. Auch wenn die Prüfungsmaßstäbe des Arzneimittelrechts und des §2 Abs. 1a SGB V im Ansatz nicht völlig deckungsgleich sind, entfaltet bei der Beurteilung eines Off-Label-Use ein negatives Gutachten des zuständigen Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ebenso wie eine ablehnende Entscheidung der arzneimittelrechtlichen Zulassungsbehörde eine Sperrwirkung hinsichtlich einer hinreichenden Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
3. Die Sperrwirkung kann überwunden werden, wenn im Nachgang zur negativen arzneimittelrechtlichen Bewertung neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation – zumindest im Rahmen einer vereinfachten, ggf. bedingten Zulassung – zugelassen werden kann. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen aus Studienergebnissen folgen, die zeitlich nach der inhaltlichen Bewertung durch die Arzneimittelbehörde veröffentlicht werden. Nicht ausreichend ist hingegen eine bloß abweichende Bewertung von bereits im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren vorhandenen Erkenntnissen. (Leitsätze des Bearbeiters)
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BSG, Urt. v. 29.6.2023 – B 1 KR 35/21 R (LSG Rheinland-Pfalz). Off-Label-Use – Sperrwirkung einer negativen Bewertung durch den zuständigen Ausschuss bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). MedR 42, 201–208 (2024). https://doi.org/10.1007/s00350-024-6702-2
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