Einleitung – Problemskizze

In jüngerer Zeit ist die Hochschullandschaft in Deutschland vielfältiger geworden (Tab. 1). Allein in Bayern gibt es jetzt über 30 Hochschulen verschiedenen Typs. Dadurch werden der Überblick und die Auswahl erschwert, z. B. für junge Menschen bei der Suche nach dem passenden Beruf oder der geeigneten Ausbildungsform und -stätte. Die deutschen Universitäten und auch verschiedene nicht universitäre Hochschulen orientieren sich am Humboldt’schen Ideal der Einheit von Forschung und Lehre. Dieses Prinzip hat Vor- und Nachteile. Zu den Nachteilen zählt, dass nicht alle leidenschaftlich Forschenden das wünschenswerte Interesse an exzellenter Lehre oder die dazu erforderliche Begabung und Ausbildung mitbringen und umgekehrt. Zudem fördert in vieler Hinsicht sehr gute Forschung die Reputation mehr als sehr gute Lehre. Auch mögen die Lehrinhalte zu speziell auf die (aktuellen) Forschungsschwerpunkte der Lehrenden ausgerichtet sein. Der Präsenzunterricht bedingt oft in Bau und Unterhalt teure Gebäude (v. a. Hörsäle), die über das Jahr hinweg nicht gut ausgelastet sind (Leerkosten).

Tab. 1 Spektrum der Hochschultypen

Die informationstechnische Entwicklung (Technodruck), die Pandemie und die Preissteigerungen bei der Energie (Bedarfssog) sowie die damit einhergehende Zunahme der IT-gestützten Heimarbeit („Homeoffice“) haben dazu beigetragen, dass neuerdings im Internet viele Fernkurse angeboten werden. Da es zahlreiche Varianten gibt, die unterschiedliche Bezeichnungen tragen und sich zuweilen nur in Feinheiten unterscheiden, verwenden wir in der Folge die neutrale Bezeichnung „internetgestützter Fernunterricht“ und die Abkürzung I‑FER. Es handelt sich um Wissensvermittlung in ganz unterschiedlichem Kontext, z. B. allgemeine fachliche Bildung und Weiterbildung, Weiterentwicklung von Mitarbeitenden in geografisch dezentralisierten Konzernen, Beschreibungen von Zweck und Bedienungsanleitungen von Produkten („virtueller Beipackzettel“) bis hin zu indirekter Werbung für physische Produkte und Dienstleistungen.

Viele dieser Angebote zeichnen sich dadurch aus, dass sie

  1. a)

    sehr speziell sind und ein scharf abgegrenztes Wissen vermitteln (vgl. Tab. 2);

  2. b)

    von Spezialisten des Gebiets, das gelehrt wird, erarbeitet und geprüft wurden;

  3. c)

    Inhalte haben, welche besonders aktuell sind (zurzeit etwa Probleme des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes);

  4. d)

    die Möglichkeiten und Vorzüge des Mediums, soweit es die Veranschaulichung betrifft, nutzen (z. B. Filme, Animation, grafische Tricks, Simulationen, Augmented und Virtual Reality, Einspielen von Stellungnahmen von Pionieranwendern neuer Systeme sowie Interviews mit solchen Personen, mit Kritikern und mit „Vordenkern“);

  5. e)

    gedruckten Text, Audio und Video kombinieren.

Tab. 2 Zufallsstichprobe aus informatikbezogenen Inhalten von IT-gestütztem Fernunterricht

Sollte sich diese Form der Wissensvermittlung und Weiterbildung dauerhaft etablieren, was wahrscheinlich ist, so steht zu erwarten, dass Online-Kurse sich – anders als der Unterricht in Präsenzhochschulen – landesweit vergleichen lassen, so wie z. B. physische Produkte, Lehrbücher oder kommerzielle Dienstleistungen, etwa Versicherungen. Solche Vergleiche könnten in Form von kritischen Rezensionen der Kurse, Erfahrungsberichten durch Journalistinnen/Journalisten von Fachzeitschriften oder durch professionelle Tests und Testpersonen erfolgen und somit zu einer allmählichen oder auch raschen Qualitätssteigerung führen. Kriterien wären die fachliche Seriosität der Inhalte, die Didaktik und der Preis. Ausschreibungen, Wettbewerbe und Auszeichnungen für besonders gelungene Lehrpakete („IT-Oscar“) könnten diese Entwicklung weiter voranbringen.

Zu den I‑FERs gehören die Nano Degrees, die ursprünglich vor allem von dem deutschstämmigen Informatiker Sebastian Thrun an der Stanford University erprobt und eingeführt wurden. Die Nano Degrees mag man als Nachfolger von kompletten Ausbildungsgängen per Fernunterricht sehen, die aus „einem Guss“ entwickelt wurden, d. h. als Übertragung von Hochschuldisziplinen mit Lehre, Prüfung, Zertifizierung, Vergabe von Titeln in den Fernunterricht per Internet. Mit diesem ganzheitlichen Konzept wurde Thrun nicht wirklich zufrieden. Ein Hauptgrund lag darin, dass die Abbrecherquote der Studierenden sehr hoch war und somit die Zahl der Graduierten niedrig. Thrun zog daraus den Schluss, dass eine Art Baukasten mit frei von den Studierenden zu wählenden Bausteinen den Bedarf an Bildung und Weiterbildung am Arbeitsmarkt näherkomme. Er schlug daher vor, dass die Lernenden statt eines kompletten Studiengangs kleinere, oft sehr spezielle Fernkurse („Nanos“) absolvieren, die mit Prüfungen – in der Regel online – und darüber ausgestellten Zertifikaten abgeschlossen werden. Es findet sich auch der Begriff „Microlearning“ [5]. Im Umfang entsprechen die Nano Degrees etwa fünf bis zehn ECTS (European Credit Transfer and Accumulation System zur einheitlichen Leistungsmessung, zum Leistungsvergleich und zur Übertragung von erbrachten Leistungen zwischen verschiedenen Institutionen). Das Ausbildungsprofil, das die Lernenden entwickeln, fortschreiben und bei Bewerbungen vorlegen, ist die Gesamtheit der bestandenen Kurse („Degrees“), eine Art „Elektronisches Studienbuch“.

Eine gewisse Verwandtschaft zeigt sich mit den vielen Webinars und mit den MOOCs (Massive Open Online Courses). Im nächsten Abschnitt sind Ausprägungen der Lehrangebote beschrieben. Die Begriffsbildung ist nicht abgeschlossen, weder in der Fachwelt noch in Laiendarstellungen.

In der Gesamtheit werden die hier nur skizzierten Entwicklungen bereits als „Mögliche Revolution des Bildungssystems“ gesehen [4].

Vielleicht ist die Zeit gekommen, Bezugsrahmen, Systematiken, Konzepte und Szenarien zu entwickeln, welche den Studierenden ebenso wie den Arbeitgebern den Überblick weiter erleichtern und die klassische und inzwischen breit ausgefächerte Präsenzaus- und -weiterbildung mit den Möglichkeiten des Online-Unterrichts bzw. des IT-gestützten Fernunterrichts systematisch verbinden. An die Stelle der Konkurrenz träte die Kooperation bzw. eine partielle Integration. Vermehrt liest man jetzt die Bezeichnung „Hybridlehre“. In einer Studierendenbefragung in der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sprachen sich 83 % der Antwortenden für verschiedene Formen der Hybridlehre aus. Eine Umfrage der US-Bildungsorganisation Graduate Management Admission Council (GMAC) erbrachte ein wachsendes Interesse der Studierenden von Wirtschaftshochschulen an Verbindungen von Präsenz- und Online-Unterricht [11]. Eine Herausforderung bestünde darin, möglichst die Vorteile der beiden Lehrformen zu ernten und die Nachteile zu vermeiden und so per Saldo einen Fortschritt auch der Bildungsökonomie zu erreichen.

Es fällt auf, dass sich unter den Lehrangeboten viele befinden, die zu Gebieten der Informatik und der Wirtschaftsinformatik gehören (Tab. 2). Daher wählen wir solche (in einer Zufallsstichprobe gefundenen) Kurse zum Beispiel. Die nach eigener Darstellung größte Online-Plattform der Welt, Udemy mit über 200.000 Kursen, ist auf Lehre der Informatik spezialisiert (z. B. Programmieren, Data Science, KI, Autonome Systeme, Cybersecurity, Cloud Computing).

In diesem Beitrag werden mögliche Erscheinungsformen und Varianten skizziert und die Vor- und Nachteile bilanziert.

Ausprägungen der Lehr- und Prüfungsangebote von IT-gestütztem Fernunterricht

Die folgenden Abschnitte sollen die Vielfalt der gegenwärtig zu beobachtenden oder angedachten neueren Erscheinungsformen in Stichworten (morphologisch) aufzeigen.

Träger

Staat – Unternehmen – Private Stiftungen.

Medien

Nur online. I‑FER mit Schwerpunkt auf Vorlesungen, wobei die Lernenden im Netz Fragen stellen können (oft auch als MOOC bezeichnet). I‑FER ergänzt durch Präsenzveranstaltungen. Online-Fernkurse ergänzt durch schriftliche Materialien (Lehrbücher, Skripten, Lehrbriefe). I‑FER ergänzt durch Beratungsgespräche. I‑FER ergänzt durch dedizierte Plattformen für Fragen und Kommentare der Lernenden. I‑FER, wobei die Schulen den Lernenden Hilfen bei der Beschaffung der Hardware stellen (so z. B. die Wilhelm Büchner Hochschule). I‑FER, wobei Präsenzseminare als Vorbild dienen (Vorträge mit der Möglichkeit, dass die Lernenden den Referenten Fragen stellen oder Anmerkungen machen können, oft Webinare genannt). Spezielle „Marktplätze“ für Nachhilfe. Fernkurse, wobei Unternehmen der IT-Branche Module zu ihren Produkten bzw. der von ihnen benutzten Methoden (u. a. Algorithmen) beisteuern. In diese Richtung gehen Initiativen des Salesforce-Konzerns, der auf Kundenbeziehungsmanagement spezialisiert ist, [12] und der SAP SE mit einem vielfältigen Angebot, das man über [9] erreicht, aber auch Verlage von Fachzeitschriften, z. B. die WirtschaftsWoche (WiWoeLearning), oder von Fachbüchern wie die Akademie der Haufe-Verlagsgruppe. Sogar Urlaubsveranstalter können sich Lernmodule vorstellen, sodass Lernende die Zeit nutzen, Wissenslücken zu schließen [6].

Aufnahmebedingungen

Vorbildung. Erfolgreiches Arbeiten mit einem Probemodul. Auswahlgespräch online.

Prüfungen

Online. Präsenzprüfungen.

Dokumentation der Ergebnisse

Einzelzertifikate, z. B. Nano Degrees. Bestätigungen über einen Kurs, bestehend aus mehreren Modulen bzw. mehreren Nano Degrees. Akademische Bestätigungen über einen Studiengang (Bachelor, Master, Diplom) auf dem Niveau von Hochschulen, IHK-Schulungen u. a.

Integration der Lehrangebote

Keine Anrechnung. Anrechnung von Prüfungen, die an einer Präsenzhochschule in einem Studiengang erworben wurden, auf das I‑FER. Anrechnung der I‑FER auf ein Studium an einer Präsenzhochschule. Einbau von einzelnen Kursen und/oder Nano Degrees in die Studien- und Prüfungsordnungen von Präsenzhochschulen (s. nächsten Abschnitt).

Formen des Einbaus von Fernunterrichtselementen in die traditionelle Hochschulausbildung

Eine Entwicklung mag darin bestehen, dass traditionelle Hochschulen teilweise Ideen und Konzepte aus dem I‑FER übernehmen (Blended Learning). Bedingt vergleichbar wäre das Marktgeschehen bei handelbaren Gütern: Spezielle Kurse entsprechen Einzelteilen und ganze Lehrgänge Baugruppen. Die Präsenzhochschulen beziehen Einzelteile und Baugruppen, so wie etwa Automobilhersteller die Reifen oder ganze Bordnetze von Fremdlieferanten kaufen. Elemente wären:

  1. 1.

    Gelegentliches Abspielen von fremdbezogenen Filmen und Trickfilmen in Vorlesungen, Übungen und Seminaren (z. B. In-memory Computing, Fehler bei Systemkonzeption, Systementwicklung, Programmierung, Test und ihre Folgen, dazu ihre Entdeckung und Behebung). Ein Schwerpunkt wäre die Veranschaulichung von Automation in Produktion und Logistik, z. B. von Robotern mit ihrem Aufbau und ihren Arbeitsvorgängen, auch Fehlgriffen, Fahrten von Prototypen hochautomatisierter Fahrzeuge, auch Unfälle damit, weitgehend automatisierte Kommissioniersysteme im Versandhandel. Derartige Lehrformen könnte man als „virtuelle Betriebsbesichtigungen“ interpretieren.

  2. 2.

    Interviews mit Fach- und Führungspersonen, z. B. zu ihren Einschätzungen von Plänen, neuen in Praxis und Wissenschaft entwickelten Methoden, etwa KI, Erfahrungen mit Prototypen, Gründe für Fehlschläge.

  3. 3.

    Streitgespräche zwischen Fachpersonen, z. B. zu längerfristigen Chancen der KI in bestimmten Anwendungsbereichen oder zu Kryptowährungen.

  4. 4.

    Kleine, in sich abgeschlossene Lehrgegenstände ohne Prüfung, z. B. Übertragung der Programmierten Unterweisung [7] von der Buchform in einen Mensch-Computer-Dialog oder umfangreiche, mit Simulationen verbundene Fundierung von großen betrieblichen Investitionsentscheidungen [8].

  5. 5.

    Kleine, in sich abgeschlossene Lehrgegenstände nach Art der Nano Degrees, d. h. mit Prüfungen und Zertifikaten, die in der Präsenzhochschule als „Scheine“ anerkannt werden. Eine bedeutende Hilfe dazu dürfte eine Plattform werden, die nach Art eines Schaufensters oder einer jährlichen Messe den Vergleich der Angebote von Lehrsoftware erleichtert. Diese virtuelle Messe könnte auch das Forum für öffentliche Preisverleihungen abgeben (s. den ersten Abschnitt).

Eine relativ weit fortgeschrittene Zusammenarbeit von Präsenzhochschulen und einer Organisation, die Fernunterricht anbietet, ist die Virtuelle Hochschule Bayern (VHB).

Diese bezeichnet sich als „virtuellen Campus“ für 33 Trägerhochschulen. Die VHB offeriert Studierenden, die in bayerischen Universitäten sowie Hochschulen für angewandte Wissenschaften (Fachhochschulen) immatrikuliert sind, unter der Bezeichnung „CLASSIC vhb“ entgeltfreie Lehre. Zurzeit hat sie rund 500 Kurse im Repertoire. Nicht in Bayern eingeschriebene Studierende und Dritte, z. B. Unternehmen, können gegen Bezahlung teilnehmen.

Die Präsenzhochschulen sollen nur unterstützt werden. Ihre Existenzberechtigung wird nicht bestritten. Vielmehr können sie virtuelle Lehrangebote in ihren Lehrplan integrieren. Als Maß für den Umfang des Lehrstoffes dienen ECTS. Komplette Studiengänge sind nicht Aufgabe der VHB; insoweit besteht Ähnlichkeit mit Nano Degrees.

Die recht breite Palette von Kursen umfasst auch Informatik und Wirtschaftsinformatik. In der Selbstbeschreibung findet man eine Formulierung, wonach „die Lernenden bei den Herausforderungen des Digitalen Wandels unterstützt“ werden sollen.

Das Lehrangebot in Informatik enthält u. a. Kurse zu (Aufzählung hier in alphabetischer Folge, nicht vollständig): Advanced C++-Programmierung, Grundzüge der grafischen Datenverarbeitung, Information Retrieval, Relationale Datenbanken, Tele-Experiments with Mobile Robots. Dazu kommt „Business Application Re-Engineering“ (man fragt sich, warum dieser Kurs nicht der Wirtschaftsinformatik zugeordnet ist).

Auf dem Gebiet der Wirtschaftsinformatik findet man u. a. Kurse zu: Betriebliche Informationssysteme, Einführung in die Entwicklung mobiler Anwendungssysteme (Apps) für das Betriebssystem Android, Grundlagen und Anwendungsbereiche des Electronic Commerce, IT-Support im Supply Management, SAP-Grundlagen: Geschäftsprozesse zu Einkauf und Vertrieb, SAP-Geschäftsprozesse – Logistik-Überblick, Produktion und Customizing, SAP-Programmierung: ABAP-Grundlagen.

Man erkennt an diesen Aufzählungen keine geschlossene Darstellung, keine Trennung von Überblick und Spezialisierung, keinen Bezugsrahmen. Die Auswahl der Gegenstände, die online gelehrt werden sollen, erfolgt nach dem Bedarf: Immer wenn mindestens zwei Hochschulen den Bedarf für den gleichen virtuellen Kurs an die VHB melden, hat dieser gute Chancen, finanziert und aufgenommen zu werden. Dies bedingt, dass das Angebot eher an Hochschulen oder Unternehmen geht, die ihr Ausbildungskonzept bzw. dessen Systematik für sich selbst entwickelt haben und ihre Pflicht- und Wahlfächer zugrunde legen. Mit anderen Worten: Es handelt sich um den Austausch von Lehrmodulen, die eine Hochschule erstellt und eine andere Einrichtung als Studienleistung im Rahmen ihres Pflichtpensums anerkennt oder als Ergänzung einfügt, ähnlich wie Gastvorträge oder Exkursionen, jedoch ausführlicher.

Eine zweite Kategorie trägt die Bezeichnung „OPEN-vhb-Kurse“. Diese werden „anderen an akademischen Inhalten interessierten Zielgruppen“ entgeltfrei bereitgestellt.

Die dritte Kategorie ist das „Smart-vhb-Angebot“. Es gehört zum Typ Blended Learning. Adressaten sind Dozenten. Ihnen werden kompakte Einführungen geboten, z. B. in die Künstliche Intelligenz oder in Industrie 4.0.

VHB offeriert den Kursentwicklern, den Hochschulen und weiteren Nutzern Assistenz und Hilfsmittel, z. B. ein Repositorium (das ist eine Art Angebotsverzeichnis der verfügbaren Kurse), Mindestnormen, Ratschläge und Anregungen zu Verbesserungen, Hilfen zur Qualitätssicherung und einen Newsletter mit Hinweisen auf neue Kurse.

Eine gewisse Verwandtschaft mit der VHB zeigt die Virtuelle Fachhochschule (VFH), in der vor allem Fachhochschulen im norddeutschen Raum zusammenarbeiten. Die VHB und die VFH haben eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen.

Organisation/Koordination/Qualitätssicherung/Bepreisung

Das starke, dynamische Wachstum des IT-gestützten Fernunterrichts bringt die Vorteile eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbs mit sich, aber auch die Gefahr von Wildwuchs, Redundanz, Vernachlässigung von Bezugsrahmen, Systematiken u. a. m. Auch könnten sich „schwarze Schafe“ aufdrängen, die zu übertrieben werblich gefärbten Angeboten und Versprechen in Bezug auf die Erlernbarkeit und von erworbenem Wissen und dessen Verwertbarkeit am Arbeitsmarkt neigen. Deshalb gilt es, Formen der Koordination und der Qualitätssicherung auf allen Ebenen des tertiären Bildungssektors zu entwickeln. Die in den vorigen Abschnitten aufgeführten Beispiele zeigen, dass Kataloge der Anbieter von I‑FER (noch) recht unsystematisch und im jeweiligen Fachgebiet nicht vollständig ausfallen können.

Man kann sich staatliche oder halbstaatliche Organisationen vorstellen, die diese Funktionen wahrnehmen, u. a. Bildungsministerien, spezialisierte Behörden, Gutachter- und Beratungsgremien, Industrie- und Handelskammern, Wissenschaftliche Gesellschaften, Berufsverbände. Sie wären beratend oder auch verantwortlich für:

  1. 1.

    Aufbau der Studienpläne (Pflicht- und Wahlmodule),

  2. 2.

    Definition der Pflichtinhalte (nach dem Vorbild derer von Schulen),

  3. 3.

    Vorgabe der Prüfungsmodalitäten (u. a. Sicherung, dass ein Prüfling ohne unzulässige fremde Hilfe und Hilfsmittel arbeitet, Mindestkenntnisse, Grenzen zwischen Bestehen und Nicht-Bestehen, maximale Zahl der Wiederholungen),

  4. 4.

    Berichtswesen über Vorbilder und abschreckende Beispiele im nationalen und internationalen Rahmen („Benchmarking“), Schwachstellen, Organisation des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses.

Zur Entgeltregelung für die Überlassung von Lehrbausteinen kommen verschiedene Preismodelle in Betracht. Beispiele: einmaliger Fixpreis, Entgelte abhängig von der Zahl der Aufrufe, getrennte Bepreisung von Kursen für das Lehrpersonal, Tolerierung von nicht aufdringlicher Werbung für Sonderleistungen, etwa einschlägige Bücher oder Nachhilfeunterricht, Prüfungsgebühren.

Unabhängig davon müssen die Verträge zwischen den Produzenten und den nutzenden Institutionen und Personen so gestaltet werden, dass die Hersteller nicht unabgesprochen und unkoordiniert Änderungen („Updates“) erzeugen, die die nutzenden Institutionen nolens volens und im schlimmsten Fall sehr kurzfristig zu Anpassungen im Lehr- und Prüfungsprozess einschließlich lokal entwickelter Software und Begleitmaterial in Papierform zwingen.

Vor allem in staatlichen Präsenzhochschulen mag die Frage gestellt werden, inwieweit die Hochschullehrenden ihre in Stunden bemessenen Lehrverpflichtungen (Deputate) erfüllen, wenn sie größere Teile ihrer Vorlesung durch Fernlehrmaterial ersetzen, denn dies erspart ihnen viel Vorbereitungs- und je nach Ausgestaltung auch Prüfungsaufwand.

Sollen den Produzenten von Online-Lehrmaterial, die im Hauptberuf Beamte an einer staatlichen Präsenzhochschule sind, Kurse, welche in mehreren Hochschulen eingesetzt werden, auf ihr Lehrdeputat angerechnet werden, und wenn ja, wie?

Es gibt zwei Reformpfade: Entweder man überlässt die Entwicklung neuer Arten der Aus- und Weiterbildung dem „freien Spiel der Kräfte“ oder man strebt auf staatlicher Ebene ein Konzept an, welches in Pilotversionen erprobt, schrittweise verbessert und schließlich landesweit juristisch fundiert und eingeführt wird. Auf dem Hintergrund des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland dürfte das keine leichte Aufgabe sein. Sollte die Europäische Union die Beteiligung aller EU-Staaten einfordern, so droht eine hohe Bürokratielast. Man erkennt die sehr weitreichenden Pläne der EU-Kommission daran, dass sie in Krisenfällen sogar die Reihenfolgen im Rahmen der Fertigungssteuerung einzelner Industriebetriebe beeinflussen will [10]. Ein Mittelweg könnte eine Lösung für die schon jetzt recht ähnlichen Aus- und Weiterbildungssysteme der deutschsprachigen Länder sein.

Vergleich des IT-gestützten Fernunterrichts mit konventioneller Ausbildung

Es drängt sich auf, die skizzierte Ausbildung über I‑FER mit herkömmlichem Unterricht in Präsenzhochschulen zu vergleichen. Eine zu allgemeine Gegenüberstellung findet allerdings Grenzen insoweit, als verschiedene Ausprägungen „in einen Topf geworfen“ werden. Die folgende Gegenüberstellung geht von einer gewissen Reife und Koordination des Lehrangebots, wie im vorigen Abschnitt behandelt, aus.

  1. 1.

    Eine Ansammlung von Lehrpaketen ist keine geschlossene Ausbildung.

  2. 2.

    Das Humboldt’sche Konzept einer engen Verbindung von Forschung und Lehre in der Universität ist im bisher üblichen I‑FER in der Regel nicht verwirklicht.

  3. 3.

    Neue gesicherte bzw. begutachtete Forschungsergebnisse könnten in besonderen Lehrpaketen verbreitet werden und fänden u. U. rascher ein breites, kritikfähiges Publikum als über Fachzeitschriften mit oft langen Zeiten zwischen Einreichung des Manuskripts bis zur Veröffentlichung und zum Einbau in die Lehre. Ähnliches gilt für Vorträge vor einem ausgewählten Publikum, z. B. in Seminaren des Hauptstudiums (Master-Studiengänge, Promotionsstudium).

  4. 4.

    Spontane Rückfragen der Lernenden an die Lehrenden und umgekehrt sowie Diskussionen untereinander wie in einem Präsenzseminar mit gutem Zahlenverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden (d. h. kein Massenbetrieb wie in manchen Universitätsfächern zumindest in Deutschland) sind in stark automatisierten Versionen des I‑FER nicht einfach möglich. Die Entwicklung von Beziehungsnetzen und Freundschaften zwischen den Studierenden wird schwieriger bis hin zum Unmöglichen.

  5. 5.

    I‑FER könnte wegen des Wettbewerbs der Angebote im Netz rascher in guten Lösungen konvergieren als Hochschulunterricht, soweit er wegen unterschiedlicher Präferenzen und Begabungen der Lehrenden und Lernenden sowie wegen stark streuender Engagements in der Lehre auch unterschiedliche Ausbildungserfolge zeitigt. Teilweise könnten die im privatwirtschaftlichen Sektor entwickelten („herausgemendelten“) didaktischen Ideen den Präsenzhochschulen Anregungen für die eigene Lehre liefern, so wie es im sekundären Bildungssektor flexible Privatschulen in Relation zu staatlich gelenkten Schulen tun [2].

  6. 6.

    I‑FER würden durch die Verbreitung von Interviews, Diskussionen u. ä. den Einfluss von Spitzenkräften, v. a. aus der Privatwirtschaft, die direkt oder indirekt an der Aus- und Weiterbildung mitwirken, stärken.

  7. 7.

    Es winken erhebliche Einsparungen durch die Mehrfach- bzw. Vielfachverwendung von aufwendig zu produzierenden Filmen, Veranstaltungen mithilfe von besonderen optischen Effekten, Interviews u. a. m. sowie bei Errichtung und Unterhalt der Hochschulbauten (Fixkostendegression).

  8. 8.

    Die Lernenden würden vermehrt Fahrtkosten zwischen ihrer Wohnung und der Präsenzhochschule und Aufenthaltskosten am Lernort sparen; diesen Einsparungen stehen höhere Kosten für die Datenübertragung zu den und von den Lernenden und Investitionen in die heimische IT-Ausrüstung gegenüber. Dazu kommen die umweltschonenden Effekte.

  9. 9.

    Die zentrale Koordination des kommerziellen Angebots (Beseitigen von Lücken im Stoff, Beurteilung und Zulassung (Akkreditierung) von Angeboten, Qualitätssicherung, Verhinderung von Betrug bei Prüfungen) verursacht Kosten und zusätzliches Personal.

  10. 10.

    Es ergeben sich flexiblere Möglichkeiten einer Verbindung der Ausbildung mit einer Berufstätigkeit. Dies kann in den kommenden Jahrzehnten des extremen Fachkräftemangels, vor allem in Deutschland, von besonderer Bedeutung werden, auch dann, wenn sich der Fortschritt von Technologie, Technik, naturwissenschaftlichem, informatischem und wirtschaftswissenschaftlichem Wissen nochmals beschleunigen sollte.

  11. 11.

    I‑FER eignen sich zur Weiterbildung, wenn sich in etablierten Berufsfeldern neue Techniken durchsetzen, wie z. B. Elektro- statt Verbrennungsmotoren. Der 2022 ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Scheele, schrieb: „Wir brauchen ein Jahrzehnt der Weiterbildung“ [13].

  12. 12.

    Mit geeigneten Verbindungen von traditionellem Unterricht bzw. traditioneller Ausbildung, etwa in bestimmten Zweigen des Handwerks, und I‑FER könnte auch den aufkommenden Klagen – vor allem von mittelständischen Unternehmen vieler Art – es gäbe in Deutschland eine zu hohe Studenten- und Akademikerrate bei gleichzeitigem Mangel an Auszubildenden („Azubis“), Arbeitern, Angestellten und Beamten, teilweise Rechnung getragen werden [3].

  13. 13.

    I‑FER eignet sich besser als eine Präsenzhochschule für die Aus- und Weiterbildung von Personen mit Mobilitätseinschränkungen.

  14. 14.

    Die wichtige Frage, ob I‑FER der Präsenzlehre bei gegebenem Lehrgegenstand (Stoff) über- oder unterlegen ist, kann allgemeingültig nicht beantwortet werden. Bisherige Untersuchungen führten zu sehr differenzierten Ergebnissen. Beispielsweise werden gemessen:

    1. a)

      Wirkung der Parameter in den Phasen des Lernprozesses (Messung in der Mitte oder am Ende des Kurses) [1];

    2. b)

      Typ der Lernenden (z. B. Abiturientinnen und Abiturienten, Studierende im Grund- und Hauptstudium, Promovierende, Praktikerinnen und Praktiker);

    3. c)

      Akzeptanz;

    4. d)

      Freude am Lernen;

    5. e)

      Art der Belohnung für bestandene Prüfungen.

Vertiefende, allerdings nicht einfache Abschätzungen und Berechnungen, z. B. Kostenstellen- und Kostenträgerrechnungen, Investitionsrechnungen und Kosten-Nutzen-Vergleiche, sollten, etwa über ein Schwerpunktprogramm, in die Wege geleitet werden.