Hintergrund und Fragestellung

Antibiotikaverordnungen spielen in der ambulanten Pädiatrie eine wichtige Rolle. Das ärztliche Verordnungsverhalten weist dabei eine große regionale Spannweite auf. Das Erkennen solcher Varianzen – auch auf individueller ärztlicher Ebene – bietet Ansätze für eine gezielte Beeinflussung zu einem rationaleren Verordnungsverhalten. In dieser Studie wird eine Standortbestimmung anhand eines ambulanten Projekts aufgezeigt, das aus der Pädiatrie hervorging und inzwischen auch für andere Fachgruppen zum Beispiel wurde.

Bakterielle Antibiotikaresistenzen stellen ein großes Problem dar. In den letzten Jahren wurden zunehmend Initiativen eingeleitet, um die Entstehung und Ausbreitung von Resistenzen einzudämmen, etwa die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) [7], die u. a. einen sachgerechten Einsatz von Antibiotika fordert. In Deutschland werden Antibiotika regional in sehr unterschiedlichem Ausmaß eingesetzt [12]. Um die Ursachen dafür verstehen zu können, und um Grundlagen für gezielte Interventionsmaßnahmen zu gewinnen, werden bessere Daten zum Antibiotikaeinsatz benötigt [8].

Für all diese Maßnahmen ist inzwischen der Oberbegriff Antibiotic Stewardship (ABS) etabliert. Im Fokus der bisherigen ABS-Ansätze stand dabei ganz überwiegend der stationäre Sektor. Der ambulante Sektor, in dem ca. 85 % der Antibiotika verbraucht werden [6], blieb hingegen zunächst unterrepräsentiert. In den letzten Jahren entwickelte sich allerdings eine Reihe von Projekten auch zu ambulantem ABS [2, 13, 22].

Hierzu zählt auch das Projekt „Antibiotische Therapie in Bielefeld“ (AnTiB) [3, 5]. Neben interventionellen Zielen wie der Schaffung lokaler Verordnungsempfehlungen beschäftigte sich AnTiB schon frühzeitig mit der Entwicklung einer Methodik zur differenzierten Erhebung und Evaluation von Verordnungsdaten, um hieraus Ansätze für ein rationaleres Verordnungsverhalten ableiten zu können. Bislang standen nämlich nur regional aggregierte Verordnungsdaten zur Verfügung, die keinen tieferen Einblick in lokale bzw. individuelle Verordnungsmuster erlaubten.

In der vorliegenden Arbeit werden die Gewinnung und Auswertung von pädiatrischen Antibiotikaverordnungsdaten im Rahmen von AnTiB berichtet. Erstes Ziel dabei war die Entwicklung einer über die vorhandenen Ansätze hinausreichenden Methodik zur differenzierten Erhebung von ambulanten Verordnungsdaten. Zweites Ziel war die Anwendung dieser Methodik auf die Verordnungsdaten in Bielefeld, auch, um aus den gewonnenen Erkenntnissen die Grundlagen zur Anwendung auch bei anderen ambulanten Fachgruppen zu generieren.

Daraus leiten sich folgende Fragestellungen ab:

  • Wie können Antibiotikaverordnungsdaten auf lokaler Ebene gewonnen und ausgewertet werden?

  • In welchem Umfang und mit welchen Varianzen werden von ambulant tätigen Kinder- und Jugendärzten Antibiotika verordnet, sowohl insgesamt als auch unterteilt nach Wirkstoffgruppen?

  • Welche Einflussfaktoren auf eine Antibiotikaversorgung lassen sich erkennen?

  • Lassen sich bereits Effekte des AnTiB-Projekts erkennen?

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Das Studiendesign ist eine Querschnittsstudie zu ambulanten Antibiotikaverordnungsdaten auf der Basis von GKV-Sekundärdaten.

Arztseitig eingeschlossen wurden die ambulant tätigen Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte der KV-Bezirksstelle Bielefeld-Stadt. Patientenseitig eingeschlossen wurden alle gesetzlich versicherten Kinder von Geburt bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, die von diesen Ärzten im Studienzeitraum 2015–2018 eine Antibiotikaverordnung erhalten hatten.

Diese Verordnungen werden nach Einlösung in Apothekenrechenzentren digitalisiert und an die Kostenträger übermittelt [11]. Die kassenärztlichen Vereinigungen (KV) können gemäß SGB V § 300 (2) diese Daten anfordern. Zuständig für Bielefeld ist die KV Westfalen-Lippe (KVWL) mit 12 Bezirksstellen, wobei sich die Bezirksstelle Bielefeld nochmals in „Stadt Bielefeld“ und „Kreis Gütersloh“ unterteilt.

Datensatz

Der Verordnungsdatensatz enthält eine Vielzahl an Parametern, von denen die Autoren zusammen mit der KVWL diejenigen selektierten, die im Rahmen der Studie wünschenswert und mit Blick auf Handhabbarkeit und Datenschutz von der KVWL lieferbar waren (Tab. 1).

Tab. 1 Variablen der Verordnungsdatei

Mittels der LANR-/BSNR- bzw. der Patientencodes sind die Verordnungen individuellen Ärzten/Praxen bzw. Patienten – pseudonymisiert – zuordenbar.

Mit der Pharmazentralnummer (PZN) werden Pharmakon bzw. Wirkstoff eindeutig bestimmt. Die PZN dient u. a. zur Abrechnung der Apotheken mit den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) gemäß SGB V § 300 (3). Bei der Rezeptdigitalisierung werden die vom Arzt im Klartext auf dem Rezeptformular dokumentierten Medikamentenklarnamen in die entsprechenden PZN übertragen.

Die PZN wiederum werden von der KVWL automatisiert in das Anatomisch-Therapeutisch-Chemische (ATC-)Klassifikationssystem der WHO übersetzt (als „ATC WIdO“). Im Rahmen dieser Studie wurden ausschließlich Antibiotika zur systemischen Anwendung (ATC J01) einbezogen, bzw. nicht einbezogen wurden Antibiotikakombinationen zur Helicobacter-Eradikation (A02BD), Antibiotika zur topischen Anwendung (D06 und andere) sowie Tuberkulostatika (J04).

„Nennerdaten“

Um die arztbezogenen Verordnungszahlen bewerten zu können, ist auch ein Nennerbezug hinsichtlich der jeweils behandelten Patientenzahl erforderlich. Hierfür übermittelte die KVWL die jeweilige Anzahl der „Arzneimittelpatienten“ (AMP) pro Arzt, entsprechend der Zahl aller GKV-Patienten, die in einem bestimmten Zeitraum ein Medikament verordnet bekommen haben. Damit kann pro Arzt der Anteil der „Antibiotikapatienten“ am Gesamt der AMP errechnet werden.

Datenverarbeitung und -auswertung

Die Rohdaten wurden von der KVWL im .csv-Format übermittelt und in MS-Excel und in IBM-SPSS (V 25) weiterbearbeitet.

Ethik und Datenschutz

Die methodische Vorgehensweise wurde von der zuständigen Ethikkommission der Ärztekammer Westfalen-Lippe/Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit Az. 2017-610-f‑S positiv beschieden. Von den teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten wurde gemäß SGB V § 300 eine Datenfreigabeerklärung eingeholt. Der Datenschutz war dadurch gewährleistet, dass sowohl die Patienten als auch die Ärzte bzw. Praxen pseudonymisiert wurden.

Ergebnisse

Teilnahmefrequenz, Fallzahlen, Demografie

Von den in den jeweiligen Quartalen 2015–2018 in Bielefeld tätigen bis zu 30 Kinderärztinnen und -ärzten nahmen entspr. 28 an der Studie teil. Diese verteilten sich auf 16 Praxen – 9 Einzel-, 4 Doppel-, eine Dreierpraxis und 2 Viererpraxen.

Der Ausgangsdatensatz enthielt 28.753, nach Datenbereinigung noch 28.677 Antibiotikaverordnungen. Diese verteilten sich über die Erhebungsjahre wie in Tab. 2 ersichtlich.

Tab. 2 Verteilung der Anzahl der Antibiotikaverordnungen auf die Erhebungsjahre 2015–2018

In den einzelnen Jahren wiesen die meisten Patienten, mit je ca. 4000, nur eine Verordnung auf, je ca. 800 hatten zwei, je ca. 200 drei, je ca. 80 vier und je ca. 25 fünf Verordnungen. Mehr Verordnungen betrafen nur wenige Patienten (Tab. 3).

Tab. 3 Anzahl der Verordnungen pro individuellem Patienten 2015–2018

Der Altersmittelwert lag bei 6,15, der Median bei 5,0 sowie die 25- bzw. 75-Perzentile bei 2,6 bzw. 8,8 Jahren. Zum Vergleich erfolgte eine Einteilung entspr. den im Versorgungsatlas bzw. in der KiGGS-Studie benutzten Kategorien (Tab. 4).

Tab. 4 Alterskategorien der Patienten gesamt 2015–2018 nach Vorgaben des Versorgungsatlas bzw. der KiGGS-Studie

Das gesamte Kollektiv unterteilte sich in 14.115 Jungen (49,2 %) und 14.398 Mädchen (50,2 %) sowie 164 (0,6 %) o.A. In der Altersverteilung nach Geschlecht – entspr. den Kategorien des Versorgungsatlas – zeigt sich bei den Jungen ein allmählich abnehmender bzw. bei den Mädchen ein entspr. zunehmender Anteil (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Geschlechtsverteilung in den einzelnen Alterskategorien 2015–2018

Antibiotikaverordnungsdaten

Erkennbar ist eine deutliche Saisonalität, mit den meisten Verordnungen im jeweils 1. (Winter‑)Quartal, gefolgt vom 4. (Herbst‑)Quartal vs. deutlich weniger Verordnungen im Frühjahr und Sommer. Nach Monaten aufgelöst, ergibt sich ein sinusförmiges Bild (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Antibiotikaverordnungen 2015–2018 nach Kalendermonaten

Die meisten Verordnungen erfolgten montags, gefolgt von – relativ gleichverteilt – dienstags, donnerstags und freitags, einer ggü. montags um die Hälfte verringerten Häufigkeit mittwochs sowie schließlich nur wenigen Verordnungen samstags und sonntags (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Verteilung der Verordnungszahlen über die Wochentage 2015–2018

Am gleichen Tag eingelöst wurden 25.054 Verordnungen, 1445 (5,0 %) am Folgetag, weitere 1373 (4,8 %) – zus. also 97,2 % – im Laufe der ersten Woche nach der Verordnung. Die meisten übrigen Rezepte – 596 (2,1 %) – wurden binnen 4 Wochen eingelöst; in 13 Fällen noch später.

Nach ATC-Wirkstoffgruppen bzw. einzelnen Wirkstoffen zeigt sich – über den gesamten Studienzeitraum – das in Tab. 5 ersichtliche Verteilungsmuster.

Tab. 5 Absolute Anzahl der Verordnungen nach ATC-Wirkstoffgruppen bzw. Einzelwirkstoffen 2015–2018

Die absolute Anzahl bzw. der relative Anteil der Antibiotikaverordnungen nach ATC-Wirkstoffgruppen mit Blick auf einzelne Quartale geht aus Abb. 4 hervor. Dabei zeigt sich ein leichter Trend der Zunahme von Penicillinen, bei gleichzeitiger Abnahme von Cephalosporinen und Makroliden.

Abb. 4
figure 4

a Absolute Anzahl der verschiedenen Wirkstoffgruppen nach Quartalen 2015–2018, b relativer Anteil der verschiedenen Wirkstoffgruppen nach Quartalen 2015–2018. Q1-2015 1. Quartal 2015 usw.

Die Aufschlüsselung nach Wirkstoffgruppen je Arzt reicht von 100 % alleiniger Penicillinverordnungen bis zu lediglich 10 % Penicillinen – mit dann entsprechend höheren Anteilen der übrigen Wirkstoffe (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Unterschiedliche Verteilungen der jeweils häufigsten Wirkstoffgruppen je Arzt. (Nr. 1-28 der x‑Achse repräsentieren die einzelnen Lebenslangen Arztnummern)

Im eigenen Kollektiv nehmen die Penicillin-Betalactame (J01C) in den untersten 3 Alterskategorien (gemäß Versorgungsatlas) „0–<2“, „2–<6“ und „6–<10“ Jahre jeweils 53–60 % aller Verordnungen ein und gehen in der Kategorie „10–<15“ Jahre auf 45 % zurück. Der Rest verteilt sich überwiegend auf die anderen Betalactame (J01D) – mit je ca. 26 % über alle Altersgruppen – und die Makrolide (J01F), welche sich von der untersten Altersgruppe mit ca. 9 % bis zur Gruppe „10–<15“ auf ca. 16 % fast verdoppeln (Tab. 6).

Tab. 6 Verteilung der jeweiligen ATC-Wirkstoffgruppen nach Alterskategorien 2015–2018

„Nenner“ Arzneimittelpatienten

In Bezug auf den Anteil der Antibiotikapatienten an den AMP zeigt sich bei den Bielefelder Kinderärztinnen und -ärzten eine deutliche Varianz – von um 5 % bis um 15–20 % (Abb. 6a). Setzt man die zeitliche Entwicklung der absoluten Antibiotikaverordnungszahlen in Beziehung zu den AMP, zeigt sich eine Abnahmetendenz der Anteile der Verordnungen an den AMP. Dieser Trend findet sich jedoch nicht nur in Bielefeld, sondern in Westfalen-Lippe insgesamt (Abb. 6b; Werte des Unterbezirks Bielefeld-Stadt separat erfasst, übrige Bezirksstellen pseudonymisiert).

Abb. 6
figure 6

a Anteil der Antibiotikapatienten an allen AMP der Kinder- und Jugendärzte in Bielefeld Stadt 2015–2018. b Zeitliche Entwicklung des Anteils der Antibiotikapatienten an allen AMP der Kinder- und Jugendärzte je KVWL-Bezirksstelle nach Quartalen 2015–2018 (Bezirksstellen neben Bielefeld mit 2–12 pseudonymisiert). AMP Arzneimittelpatienten, KVWL Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe, Q1-2015 1. Quartal 2015 usw.

Diskussion

Methodische Aspekte

Im Erhebungszeitraum 2015–2018 waren in Bielefeld pro Quartal bis zu 30 Kinderärztinnen und -ärzte ambulant tätig. Davon nahmen entspr. 28 an der Studie teil. Inwieweit sich die teilnehmenden von den nichtteilnehmenden Ärzten unterschieden, konnte aufgrund der Anonymität nicht ermittelt werden. Denkbar ist, dass zu Beginn des Studienzeitraums ausgeschiedene Ärzte ein anderes Verordnungsverhalten als die nachrückenden jüngeren aufwiesen. Nicht einbezogen wurde die ambulant mitversorgende Notaufnahme der örtlichen Kinderklinik.

Die KV-Daten erfassen GKV-versicherte Kinder, nicht hingegen PKV-versicherte bzw. sonstige. Über Alter und Geschlecht hinausgehende soziodemografische Daten, wie Migrationshintergrund oder soziales Umfeld, waren nicht verfügbar. Hier ist bereits der Rohdatensatz limitiert, der allenfalls noch die Postleitzahl enthält, anhand derer Schlüsse auf die soziale Umgebung gezogen werden könnten.

Die vorliegenden Verordnungsdaten sind hochspezifisch, werden umfassend erhoben und sind zeitnah verfügbar. Für die Analyse des ambulanten Antibiotikaverbrauchs bieten sie daher eine gute Ausgangsbasis. Von uns wurden nur Antibiotika der ATC-Gruppe J01 untersucht, nicht hingegen weitere systemische bzw. topische Antiinfektiva, die im Kontext von Resistenzentwicklungen getrennt untersucht werden müssten.

Als Nenner der arztbezogenen Verordnungszahlen wurde der Parameter AMP, bzw. nicht die Fallzahlen, gewählt. Mittels AMP sind jedoch zeitliche Trends im Verordnungsverhalten ausreichend zuverlässig abbildbar. AMP scheinen darüber hinaus auch von anderen KVen favorisiert zu werden, was spätere Vergleiche erleichtern würde.

Inhaltliche Aspekte

Verordnungszahlen gesamt und nach Wirkstoffgruppen

Erste umfangreichere Auswertungen zeigten für die 23 KV-Regionen in Deutschland im Jahr 2001 eine Spannweite von 9,6 (jeweils Brandenburg und Sachsen) bis 17,3 (Saarland) Antibiotika-DDD/1000 Einwohner und Tag [10]. Im Jahr 2003 lagen die Zahlen in denselben 23 Regionen über alle Altersgruppen zwischen 9,2 in Brandenburg und 17,9 in der Pfalz – und, bezogen nur auf Kinder, zwischen 11,2 in Südwürttemberg und 22,4 in der Pfalz [16].

In einer Studie der Barmer GEK mit 1,2 Mio. Kindern wurde die Antibiotikaverschreibungshäufigkeit in 2010 nach Wohnsitz – differenziert in 412 „Distrikte“ (gemeint Kreise bzw. kreisfreie Städte) – aufgeschlüsselt. Die durchschnittliche Häufigkeit betrug 35,8 %, mit einer Spannweite von 19,3 bis 52,7 %, sowie 34,4 % bei Jungen und 37,1 % bei Mädchen. Die Altersgruppen 0 bis <3 und 3 bis <7 Jahre hatten mit um 50 % die höchsten Raten, die Gruppen 11 bis <14 mit ca. 25 % die niedrigste; 7 bis <11 und 14 bis 17 Jahre lagen mit je ca. 31 % gleichauf [20].

Ab etwa 2000 wurde ein starker Anstieg der Verordnungen von Oralcephalosporinen beobachtet [17]. Von 2008 bis 2014 nahm der Anteil der Cephalosporine der 2. Generation (insbes. Cefuroximaxetil) bundesweit in allen Alterssegmenten teilweise deutlich zu [4].

Neben den Penicillinen, den Cephalosporinen und den Makroliden spielten die übrigen Wirkstoffgruppen in unserer Studie eine nachgeordnete Rolle. Ein Vergleich der Zahlen aus Studien mit unseren Daten ist nicht ohne Weiteres möglich, da unsere Nennergröße explizit arzt- und nicht populationsbezogen war (zur weiteren methodischen Diskussion geeigneter Qualitätsindikatoren: z. B. [18]).

In unserer Studie wurden nur systemische Antibiotika (ATC J01) untersucht. In künftigen Studien sollte mitbedacht werden, inwieweit auch andere von uns nicht erfasste Antibiotika zum Resistenzgeschehen beitragen und ebenfalls Angriffspunkte für ABS sind.

Einflussfaktoren auf eine Antibiotikaverordnung

Zeitliche Faktoren

Die Verordnungen waren bei uns ungleich über die Wochentage verteilt, mit einer Betonung v. a. der Montage. Dabei handelte es sich möglicherweise um am Wochenende im KV-Notdienst erfolgte Verordnungen, für die ein gültiges GKV-Rezept nachgereicht bzw. um Anbehandlungen in Klinikambulanzen, für deren Weiterführung überhaupt noch ein Rezept ausgestellt werden musste. Auch könnten Eltern insbes. in der Infektzeit noch das Wochenende abgewartet haben, um dann montags ihren vertrauten Kinderarzt konsultieren zu können (analog gälte dies, in geringerem Ausmaß, auch für die Donnerstage).

Nicht überraschend war die Saisonalität der im Winterhalbjahr deutlich häufigeren Verordnungen, auch im Gefolge grippaler Infekte. Moduliert wird dies noch durch mehr oder weniger ausgeprägte Influenzawellen, v. a. im 1. Quartal 2018 mit ca. dem 2,5-fachen der üblichen Intensität; auch 2015, 2016 und 2017 lagen jeweils deutlich über dem Durchschnitt [1]. Für Bielefeld liegen uns keine kleinräumigen Daten vor.

Soziodemografische Faktoren

In unserer Stichprobe entfiel der größte Anteil der Verordnungen auf die Altersgruppe 2 bis <6 Jahre – analog zum Versorgungsatlas [15]. Teils unterschiedliche Alterskategorien in Studien erschweren die Vergleichbarkeit: Der Versorgungsatlas verwendet 0 bis <2, 2 bis <6, 6 bis <10, 10 bis <15 und 15 bis <65 Jahre [15]. In einer früheren Studie wurden die Altersgruppen 0 bis <5, 5 bis <10 und 10 bis <15 Jahre [14], 0 bis <3, 3 bis <7, 7 bis <11, 11 bis <14 und 14 bis <18 Jahre [19] bzw. 0 bis <5, 5 bis <15, und 15 bis <35 Jahre [1] verwendet.

Vergleicht man die unterschiedlichen Alterskategorien bei uns mit einer Betonung von Penicillinen in den jüngeren und von Makroliden in den älteren Gruppen – bei nahezu gleichbleibenden Anteilen von Cephalosporinen –, so zeigen sich im Versorgungsatlas ein fast identisches Bild bei Penicillinen und eine ähnliche Dynamik bei Cephalosporinen und Makroliden [15].

Das Verhältnis m‑w ist bei uns nahezu gleichverteilt. Auffallend ist die allmähliche Abnahme des Jungenanteils bzw. die Zunahme der Mädchen mit zunehmendem Alter. Gründe hierfür könnten z. B. eine höhere Morbidität von Jungen oder eine höhere Relevanz von – mädchenspezifischen – unkomplizierten Harnwegsinfekten sein. In der aktuellen Studie des Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) erfolgt keine Geschlechteraufgliederung [15].

Die eigenen Daten ließen keinen Sozialbezug zu. Mit Blick auf den Sozialstatus (der Eltern) konnte in der o. g. Barmer-GEK-Studie gezeigt werden, dass Kinder in den Distrikten mit der höchsten sozialen Deprivation eine ca. 20 % höhere Chance hatten, ein Antibiotikum zu erhalten, als die Kinder mit dem „besten“ sozialen Umfeld [20] – nota bene mit der Gefahr einer „ökologischen Verzerrung“.

Diagnosebezug

Aussagen zu zugrunde liegenden Diagnosen bzw. Indikationen können – aufgrund der unterschiedlichen Struktur von Verordnungs- und Diagnosedaten – nicht ohne Weiteres getroffen werden; eine solche Zuordnung ist schwierig und wurde – nach unserer Kenntnis bisher erst einmal vorgenommen [23].

In Kenntnis der Diagnosen, insbes. von Dauerdiagnosen, wäre auch besser zu bewerten gewesen, inwiefern die individuelle Behandlungshäufigkeit hiermit einherging. Praxisbesonderheiten, wie etwa die Versorgung von Patienten mit zystischer Fibrose, könnten das Verschreibungsmuster erheblich beeinflusst haben. Aufgrund der Anonymität konnten solche Faktoren innerhalb der eigenen Bezirksstelle nicht weiter aufgelöst bzw. adjustiert werden.

Infektiologische/epidemiologische Umgebungsbedingungen

Die Auswahl des jeweiligen Wirkstoffs könnte sich an der lokalen Resistenzlage orientieren. Zumindest in Bielefeld stehen den Kinder- und Jugendärzten entsprechende Informationen noch nicht systematisch zur Verfügung. Dieser Aspekt wäre bei überregionalen Vergleichen zu bedenken, ebenso auch unterschiedliche Raten des Impfschutzes gegen Pneumokokken und Influenza [4].

Arzt im Fokus

Vergleicht man die Verordnungshäufigkeiten der Ärztinnen und Ärzte untereinander, so finden sich sowohl erhebliche Unterschiede beim Gesamtanteil der Antibiotikaverordnungen als auch bei den Anteilen einzelner Wirkstoffgruppen.

Zunächst könnten diese Ärzte unterschiedliche Subspezialisierungen haben, mit mehr oder weniger Antibiotikaindikationen. Sodann könnte die individuelle „Arztbiografie“ eine Rolle spielen, mit Blick auf Alter, Zeitraum der Ausbildung, Rahmen der Weiterbildung, Präferenzen der Fortbildung etc. – mit mehr oder weniger ABS-Kompetenzerwerb.

Interessant zu wissen wäre, inwieweit die Ärzte jeweils Entzündungsparameter (insbes. CRP) bzw. mikrobiologische/virologische Diagnostik eingesetzt hatten, was ebenfalls Einfluss auf die unterschiedlichen Antibiotikaverordnungsraten gehabt haben könnte.

Auch Einstellungen oder Erfahrungen – insbes. negative Verläufe ohne Antibiotikum – könnten eine Rolle spielen. Dieser „forensische“ Aspekt wurde z. B. hinsichtlich der Einflussfaktoren auf die Verschreibung von Antibiotika-(EVA-)Studie des RKI aufgegriffen, wo 27 % der ambulant tätigen Ärzte angaben, ein Antibiotikum zu verordnen, „um auf der sicheren Seite zu stehen“ [24].

Denkbar ist auch, dass Pädiater unterschiedliche Maßstäbe anlegen: Wo der eine noch einen Infekt ambulant (antibiotisch) behandelt, überweist der andere an einen weiteren Facharzt oder weist gleich ins Krankenhaus ein. Im Übrigen werden Kinder nicht nur von Pädiatern versorgt: 2010 wurde bei ihnen nur etwa die Hälfte der Antibiotika von Pädiatern verordnet, gefolgt von einem Drittel durch Allgemeinmediziner sowie einem Sechstel durch Ärzte anderer Fachrichtungen [20]. Dabei können sich Verordnungsdaten für Kinder zwischen Allgemeinmedizinern und Pädiatern unterscheiden – somit könnten auch regional unterschiedliche Facharztverteilungen zu Variationen beitragen [4].

Die KVWL gibt übrigens seit 2018 einen jährlichen, von AnTiB mitinitiierten und mitentwickelten Antibiotikasonderreport heraus, in dem u. a. die ambulanten Pädiater individuell und anonym die eigenen Verordnungszahlen, verglichen mit ihrer lokalen Fachgruppe und ganz WL, erhalten [21].

Lokale Antibiotikaverordnungskulturen und Einfluss des eigenen Projekts

Angesichts unseres mit 16 Praxen bzw. 28 Ärztinnen/Ärzten rel. kleinen Kollektivs können die jeweiligen Anteile der Antibiotika am Gesamt der Arzneimittelverordnungen der einzelnen Ärzte wie auch die arztindividuellen Anteile der verschiedenen Wirkstoffe nur bedingt beurteilt werden. Im Vergleich der Bezirksstellen darf jedoch vermutet werden, dass die Patientenkollektive untereinander einigermaßen vergleichbar sind und folglich, bei einer allgemein verfügbaren bzw. gültigen Evidenz etwa in Form von Leitlinien, keine so deutlichen regionalen Unterschiede in der Verordnungshäufigkeit von Antibiotika resultieren sollten.

Bereits 2006 wurde hierzulande über einen „medizinkulturellen“ Einfluss durch benachbarte europäische Regionen nachgedacht [16]. In den letzten Jahren wurde auch lokalen „Verordnungskulturen“ eine bedeutsame Rolle zugeschrieben, die möglicherweise über den Einfluss von Leitlinien und „policies“ hinausgeht [9]. Im derzeitigen Evaluationsstand ist eine Analyse des Einflusses des Projekts AnTiB noch nicht möglich; eine tiefergehende Auswertung steht noch an.

Fazit für die Praxis

  • Die Eindämmung von Antibiotikaresistenzen hat hohe Priorität. Dabei steht auch eine Verbesserung des ambulanten Antibiotikaverordnungsverhaltens im Fokus. Um Defizite zu erkennen und Ressourcen gezielter einzusetzen, erscheint eine detaillierte quantitative und qualitative Analyse von Verordnungsdaten unabdingbar. Der vorgestellte Ansatz zeigt über eine bereits bekannte hohe Verordnungsvarianz zwischen Regionen hinaus auch eine Variabilität auf kleinräumiger Ebene und zwischen einzelnen Pädiaterinnen und Pädiatern.

  • Diese Unterschiede haben – neben medizinisch-epidemiologischen – eine Reihe von weiteren Ursachen, etwa ärztlicherseits Fachkenntnisse und Einstellungen, verfügbare Handlungsleitlinien sowie diagnostische Unsicherheit, über Patientenpräferenzen hin zu soziodemografischen und gesundheitssystembezogenen Faktoren. Mangelndes Problembewusstsein insbesondere auf ärztlicher Seite sowie lokale Antibiotikaverordnungskulturen dürften dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Die Datenbasis ist verfügbar. Sie sollte genutzt werden.