Die muskuloskeletale Integrität des Bewegungsapparats ist einer der Faktoren, die für uns lebensbestimmend sind. Durch Aufrechterhaltung der Mobilität, Geschicklichkeit und Fähigkeit zu aktiver Lebensgestaltung determiniert sie die physische und psychische Gesundheit und Autonomie des Subjekts. Darüber hinaus beeinflusst die muskuloskeletale Gesundheit in relevantem Umfang Langzeitmorbidität und Mortalität.

Die COVID-19-Pandemie hat gravierende Auswirkungen auf die Betreuung von Patienyten mit Osteoporose

Osteoporose gehört zu den Volkskrankheiten. Laut der schon etwas älteren European Prospective Osteoporosis Study (EPOS) liegt in Deutschland bei 15 % postmenopausaler Frauen im Alter von 50 bis 60 Jahren und bei 45 % der über 70-Jährigen eine erniedrigte Knochendichte vor (Definition der Weltgesundheitsorganisation für Osteoporose mittels Dualröntgenabsorptiometrie[DXA]-T-Score ≤ −2,5). Auch Männer sind häufig betroffen: Eine entsprechend erniedrigte Knochendichte am Schenkelhals findet sich bei 2,4 % der 50- bis 60-Jährigen und bei 17 % der über 70-Jährigen [1]. Zusammengenommen besteht damit, auch auf der Grundlage von Versicherungsdaten, bei etwa 6,3 Mio. Bundesbürgern aktuell eine Osteoporose, definiert durch niedrige Knochendichte, osteoporotische Fraktur oder eine Osteoporosemedikation [2].

Hiermit einher geht eine Zunahme der Osteosarkopenie, unter der wir das gleichzeitige Vorliegen von Osteoporose und Sarkopenie verstehen. Letztere ist dabei definiert als Verlust von Muskelmasse und Funktion. Pathophysiologisch immer noch unzureichend verstanden, beträgt die Prävalenz bei älteren Erwachsenen > 65 Jahre 5–37 %, und bei höherem Lebensalter plus Osteoporosefrakturen sogar bis 46 % [3].

Aktuelle Umfragen bei Patienten und Beschäftigten in unterschiedlichen Gesundheitssystemen weltweit zeigen übereinstimmend, dass die COVID-19-Pandemie gravierende Auswirkungen auf die Betreuung von Patienten mit chronischen Erkrankungen hat. Dies trifft besonders auch auf Patienten mit Osteoporose zu, da sie altersbedingt zur besonders vulnerablen Risikopopulation gehören. Fragebogengestützte Erhebungen in den USA und weltweit zeigen, dass es in der Pandemie zu einem drastischen Rückgang der Osteoporosekonsultationen um bis zu 70 % kam, ohne dass telefonische Konsultationen und Videokonsultationen diese Ausfälle hätten kompensieren können. Neben drastisch rückläufigen DXA-Messungen wurde auch über Schwierigkeiten bei der Medikamentenversorgung bzw. der parenteralen Medikamentenapplikation berichtet [4, 5].

Dies sind alles gute Gründe, dass sich die vorliegende Ausgabe thematisch mit osteologischen Erkrankungen beschäftigt. Der erste Beitrag von Thomasius u. Bühring beschäftigt sich mit der Prädiktion des Frakturrisikos. Diverse Risikoscores wurden in den letzten Jahren entwickelt und validiert. Hiermit ist es jetzt möglich, für definierte Risikopopulationen das Frakturrisiko zu bestimmen. Für Deutschland hat sich das Modell des Dachverbands Osteologie etabliert, mit dem sich das 10-Jahres-Risiko von Wirbelkörper- oder Hüftfrakturen abschätzen lässt. Entsprechend dem Leitlinienalgorithmus entfällt bei einem 10-Jahres-Risiko ≤ 20 % eine weitere Diagnostik, bei > 20 % besteht eine Indikation zur Basisdiagnostik und bei > 30 % sind Basisdiagnostik und spezifische Osteoporosetherapie indiziert.

Der Beitrag von Obermayer-Pietsch, Fössl u. Dimai behandelt wichtige Fragen der Osteoporosetherapie, die sich aus der inzwischen sehr umfangreichen Literatur ergeben. So bestehen heute klare Empfehlungen zur Dauer der jeweiligen Therapie und zum Vorgehen bei Pausierung bzw. Beendigung der Therapie. Ebenfalls seit ein paar Jahren in den Fokus gerückt sind die Sequenz- und Kombinationstherapie, mit denen die Wirksamkeit der Osteoporosetherapien erhöht werden soll, optimalerweise bei Reduktion der substanzspezifischen Nebenwirkungen.

Die Übersichtsarbeit von Seefried u. Jakob stellt die neuesten Erkenntnisse zu seltenen osteologischen Erkrankungen dar. Die molekulare Pathophysiologie von Hypophosphatasie, X‑chromosomaler Hypophosphatämie und Osteogenesis imperfecta ist seit Längerem aufgeklärt, und wirksame Therapien für die monogenetischen Krankheitsbilder, insbesondere bei Vorliegen eines schweren Phänotyps, sind etabliert.

Operative Behandlungsbedürftigkeit bei primärem Hyperparathyreoidismus wird kontrovers diskutiert

Der primäre Hyperparathyreoidismus ist heute in mehr als 90 % der Fälle asymptomatisch und wird zufällig im Rahmen von Laborchecks diagnostiziert, wie der Beitrag von Gollisch u. Siggelkow ausführt. Die Frage der operativen Behandlungsbedürftigkeit beschäftigt die Community schon seit 20 Jahren, wobei sich leider ein gewisser Dissens zwischen den chirurgischen und endokrinologischen Kollegen in den letzten Jahren eher vertieft hat. Dies ist allerdings auch der immer noch unzureichenden Datenlage geschuldet, die der Willkür von Empfehlungen Tür und Tor öffnet. Es ist zu hoffen, dass mit der augenblicklich in Angriff genommenen S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie zum Wohl der Patienten ein interdisziplinärer Konsensus wiederhergestellt werden wird.

Besonderheiten geriatrischer Patienten bei osteologischen Fragestellungen sind mit erheblicher Verspätung in den Fokus der klinischen Praxis gerückt. So ist es inzwischen Common Sense, dass die üblichen Diagnoseverfahren einer Osteoporose bei hochbetagten und gebrechlichen Personen versagen können. Zudem spielt pathophysiologisch die Sarkopenie eine tragende Rolle bei Frakturursache und Frakturheilung. Die „unhappy triad“ – Gebrechlichkeit, Alter und Osteoporose – führt zu Stürzen, Frakturen, Behinderung und Mortalität, wie die Übersichtsarbeit von Drey u. Schmidmaier ausführt. Die Kombination der Knochendichtemessung mit einer Analyse der Gesamtkörperzusammensetzung mittels DXA erfasst nicht nur die kritische Minderung des Knochenmineralgehalts, sondern gleichzeitig auch quantitativ und reliabel die Abnahme der Muskulatur.

Wir hoffen, dass es uns gelungen ist, für Sie als Leserinnen und Leser der Zeitschrift Der Internist eine informative und praxisrelevante Ausgabe zusammenzustellen. Viel Freude beim Lesen!,

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M. Reincke,

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H. Lehnert