Hintergrund

Seit Beginn der COVID-19-Pandemie kam es in Deutschland in Sammelunterkünften (SU) für Geflüchtete zu 199 Ausbrüchen (Stand: 11.08.2020) in Zusammenhang mit laborbestätigten SARS-CoV-2-Infektionen, die an das Robert Koch-Institut gemeldet wurden (RKI; [1]). Obwohl diese nur knapp 2,5 % aller 7864 an das RKI übermittelten SARS-CoV-2-Ausbrüche ausmachten, zählte das Infektionsumfeld der SU mit einer durchschnittlichen Fallzahl von ca. 21 Infizierten pro Ausbruch zu den größten, noch vor Alten- und Pflegeheimen [1]. In einzelnen Einrichtungen wurde trotz Eindämmungs- und Quarantänemaßnahmen bei mehr als 50 % der Bewohner*innen eine Infektion mit SARS-CoV‑2 nachgewiesen [2].

Besondere Fürsorge und Schutz für Geflüchtete ist ableitbar von internationalen und EU-weiten Rechtsnormen zur Wahrung eines angemessenen Lebensstandards, zu adäquater Unterbringung und Zugang zu gesundheitlicher Versorgung sowie der Wahrung des individuellen Rechts auf Vorbeugung und Bekämpfung epidemischer Erkrankungen [2]. Aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Unterbringung und Sicherstellung der medizinischen Versorgung von Geflüchteten [3, 4] sind die oberen und unteren Aufnahmebehörden im Zuge der COVID-19-Pandemie auch in der Pflicht, Infektionsschutzmaßnahmen umzusetzen.

Diese Aufgabe wird durch den föderalen Prozess der Unterbringung Geflüchteter (gem. §§47, 53, 56 AsylG, §2 AsylbLG) und die Sammelunterbringung von Geflüchteten auf engstem Raum jedoch erschwert [5]. In Deutschland lebten Ende 2018 ca. 200.000 Geflüchtete in SU [6]. Dazu gehören sowohl Erstaufnahmeeinrichtungen (EA) der Länder als auch Gemeinschaftsunterkünfte (GU) der Kreise. Üblicherweise werden in SU mehrere Hundert Geflüchtete mit gemeinschaftlich genutzten Schlafräumen, Sanitäreinrichtungen und Kochmöglichkeiten untergebracht. Etwa die Hälfte aller Geflüchteten wohnte 2016 in Deutschland in SU mit durchschnittlich 11 qm Wohnfläche pro Person [7]. So sind angesichts der Unterbringungssituation die Empfehlungen zur Hygiene und zur physischen Distanzierung erschwert bis unmöglich umsetzbar. Die gängige Praxis der Verlegung Geflüchteter zwischen Unterkünften und der damit einhergehende behördliche Zuständigkeitswechsel stellen eine weitere Herausforderung für den Infektionsschutz dar.

Für Geflüchtete, welche durch traumatisierende Erfahrungen vor oder während der Flucht bereits überproportional häufig psychische Belastungen aufweisen, können Isolations- und Quarantänemaßnahmen zusätzliche Belastungen bedeuten [8, 9]. Die gesundheitliche Versorgung ist durch ein Zusammenspiel verschiedener Akteur*innen auf diversen föderalen Ebenen gekennzeichnet [4]. Somit stellt die COVID-19-Pandemie die Aufnahmebehörden sowie die Strukturen und Institutionen der Infektionskontrolle vor eine besonders komplexe Aufgabe, für die es aufgrund der fehlenden Berücksichtigung Geflüchteter im nationalen Pandemieplan [2] keine bundesweiten Vorgaben gab. Zwar hat das RKI Mitte Juli 2020 Empfehlungen für die Prävention und das Management von COVID-19-Erkrankungen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften herausgegeben [10], jedoch ist unklar, wie die lokalen Aufnahmebehörden in der Zeit davor, seit Nachweis des ersten SARS-CoV-2-Falls in Deutschland (28.02.2020), gearbeitet haben, um mit den diversen Herausforderungen des Ausbruchsgeschehens im Fluchtkontext umzugehen.

Ziel dieser qualitativen Studie ist eine Situationsanalyse der Regelungen und Maßnahmen auf lokaler Ebene, die zur Prävention und Eindämmung der SARS-CoV-2-Ausbreitung in SU für Geflüchtete ergriffen wurden. Es stellen sich 3 Fragen: Welche Maßnahmen wurden zum Infektionsschutz, zur Prävention von psychischen Belastungen und zur Aufklärung ergriffen? Auf welchen Informationen und Grundlagen basieren die Maßnahmen? Welche Bedarfe liegen seitens der Aufnahmebehörden vor?

Im Folgenden wird zunächst die methodische Vorgehensweise dieser Interviewstudie erläutert. Die Ergebnisse der geführten Interviews werden in 3 thematischen Abschnitten berichtet: Heterogenität der getroffenen Maßnahmen, intersektorale Zusammenarbeit und Verknüpfung zentraler Vorgaben mit lokaler Expertise. Abschließend werden die Ergebnisse mit Blick auf die Forschungsfragen diskutiert und Handlungsempfehlungen abgeleitet.

Methoden

Es wurden semistrukturierte telefonische Leitfadeninterviews mit Akteur*innen aus EA und GU geführt (Zeitraum: 01.05.–31.07.2020). Der Leitfaden (siehe Onlinematerial) beinhaltete wesentliche Dimensionen der Prävention und Gesundheitsförderung, Infektionskontrolle und intersektoralen Zusammenarbeit. Maßnahmen der Sozialberatung, Alltagsbetreuung und Gesundheitsversorgung während der Pandemie waren aufgrund ihrer großen Bedeutung für die psychische Gesundheit Geflüchteter ein weiterer, essenzieller Bestandteil der Interviews. Nach Zustimmung der Innenministerien sowie Landkreistage wurden die für die Unterbringung Geflüchteter zuständigen Ansprechpartner*innen in den Sozial‑, Migrations- oder Ordnungsämtern (GU) bzw. in den Landesbehörden (EA) zum Interview eingeladen. Diese wurden über bestehende Forschungsnetzwerke zur Fluchtmigration bundeslandübergreifend rekrutiert.

Auf Ebene der EA konnten über ein überregionales Forschungsnetzwerk 18 Teilnehmer*innen aus 8 Bundesländern rekrutiert werden. Auf GU-Ebene fokussierte sich die Datenerhebung auf ein Flächenland mit einer hohen Flüchtlingszuweisung (nach Königsteiner Schlüssel, der die Aufteilung des Länderanteils bei gemeinsamen Finanzierungen regelt) und großen regionalen Strukturunterschieden. In diesem Bundesland wurden mit 27 Teilnehmer*innen Interviews geführt. Durch gezielte Rekrutierung von 3 Akteur*innen aus 3 weiteren Bundesländern wurden Interviews auf mögliche Sättigungseffekte überprüft. Die Interviews dauerten 25–105 min und wurden jeweils zu zweit geführt (von LB, RJ, CP, AG, ER).

Die Telefoninterviews wurden nach Information und schriftlicher Zustimmung digital aufgezeichnet, als Volltexte transkribiert, pseudonymisiert und mit MAXQDA Version 20 mittels der Framework-Analysemethode [11] in 2 Schritten qualitativ ausgewertet: Zunächst wurde in einem induktiv-deduktiven Verfahren auf Grundlage von Interviewnotizen ein Codesystem zu zentralen Themenbereichen entwickelt (siehe Onlinematerial) und dieses unter regelmäßigem Austausch auf alle Transkripte angewendet. Im zweiten Schritt wurden für jeden Themenbereich mittels einer Übersichtsmatrix (inkl. Information zu Art, Größe und Anzahl der SU; Bundesland; vorliegende Coronafälle) über die Interviews hinweg wichtige zusätzliche Informationen zu Mustern getroffener Maßnahmen und geäußerter Unterstützungsbedarfe gewonnen. Dabei wurden geäußerte Herausforderungen einem entsprechenden Handlungsbedarf gegenübergestellt und beispielhafte Zitate des jeweils zugeordneten Codes tabellarisch illustriert.

Ergebnisse

Die 48 Studienteilnehmer*innen waren für insgesamt 441 SU und 37.009 Geflüchtete zuständig und hatten zwischen einer und 98 SU in ihrer Verantwortung. Während 23 Teilnehmer*innen zum Interviewzeitpunkt noch keine bestätigten COVID-19-Fälle hatten, berichteten die verbleibenden 25 über Fallzahlen zwischen einem bis über 400 infizierten Bewohner*innen. Die zweistufige Auswertung ergab 3 zentrale Themen, denen die folgende Ergebnisdarstellung in ihrer Struktur folgt: Heterogenität der Maßnahmen, intersektorale Zusammenarbeit, Verknüpfung zentraler Informationen mit lokaler Expertise.

Heterogenität der getroffenen Maßnahmen

Es zeichnete sich eine hohe Heterogenität in der Aufklärung der Bewohner*innen, den allgemeinen Infektionsschutzmaßnahmen, dem Umgang mit sozialen und gesundheitlichen Angeboten sowie Test- und Quarantänemaßnahmen ab.

Gesundheitliche Information und Aufklärung

Die Teilnehmer*innen berichteten, dass Bewohner*innen aller Einrichtungen Informationen zum neuartigen Coronavirus und zu empfohlenen Verhaltensweisen erhielten. Dabei wurden unterschiedliche Informationswege genutzt. Allgemeine Informationen zum Virus und Hygienemaßnahmen wurden tendenziell schriftlich und, wenn vorhanden, über multimediale Informationswege (vor allem soziale Medien, aber auch vereinzelt eigens entwickelte Apps und Videos) kommuniziert. Mündliche Informationswege dienten vor allem zur Sensibilisierung sowie der Informierung zu einrichtungsspezifischen und personenbezogenen Infektionsschutzmaßnahmen (z. B. Quarantäne). Vereinzelt boten ehrenamtliche Multiplikator*innen Schulungen an oder informierten die Bewohner*innen mündlich. Einige Teilnehmer*innen betonten die hohe Relevanz mündlicher Information, um Fehlinformation, Panik oder Verharmlosung entgegenzuwirken: „Bewohner sind mal […] vorstellig geworden, dass sie gesagt haben ‚Wir haben in Afrika Ebola überlebt, was soll uns hier irgend so ein deutscher Virus‘ und denen wurde dann eben gesagt ‚Ja, auch euch betriffts, auch euch kann es schädigen‘ also es geht […] um Sensibilisierung, vor allem, um übertriebenen Reaktionen entgegenzuwirken, in dem man einfach aufklärt“ (12LK).

Als Informations- und Materialquellen wurden Rechtsverordnungen, das Informationsangebot des RKI, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung sowie ergänzende landes- und kreisspezifische Informationsangebote aufgeführt.

Es zeigte sich, dass der Einsatz von Übersetzungen und Sprachmittler*innen sehr heterogen erfolgte. Meistens wurde auf bestehende Übersetzungen zurückgegriffen, seltener wurden zusätzliche Übersetzungen angefertigt (z. B. einrichtungsspezifische Informationen, behördliche Anordnungen). In Einzelfällen wurden professionelle Sprachmittler*innen eingesetzt. In der Regel kam dabei überwiegend bestehendes Personal (v. a. aus der Sozialbetreuung und dem Sicherheitsdienst) zum Einsatz.

Die Informierung der Bewohner*innen ist den Teilnehmer*innen zufolge vor allem aufgrund der Informationsfülle und -komplexität herausfordernd. Daher äußerten sie den Bedarf nach einer zentralen Auswahl von Informationsangeboten, die auf den Kontext der Unterkünfte angepasst sind (z. B. in leichter Sprache und/oder mit Piktogrammen), sowie einer stärkeren Einbindung von Sprachmittler*innen für die persönliche Kommunikation (Tab. 1).

Tab. 1 Herausforderungen und Handlungsbedarfe in der Eindämmung von COVID-19 in Sammelunterkünften für Geflüchtete. (Quelle: COVMIG-Studie, Heidelberg, 2020)

Infektionsschutzmaßnahmen in SU

Laut der Teilnehmer*innen wurden als allgemeine Infektionsschutzmaßnahmen Mund-Nasen-Bedeckungen (MNS) für Mitarbeitende und Bewohner*innen ausgegeben sowie teils Desinfektionsmittel und Seifenspender bereitgestellt. Vereinzelt wurden Änderungen der Reinigungsintervalle und vermehrte Flächendesinfektion berichtet. Das Tragen eines MNS für Bewohner*innen sei in den meisten Unterkünften nicht verpflichtend bzw. nur räumlich begrenzt gewesen. Während in einigen Einrichtungen MNS bereits im Februar/März beschafft oder über Nähprojekte selbst produziert wurden, erfolgte eine Ausgabe anderswo erst nach behördlicher Maskenpflicht.

Abstandsregelungen galten für Gemeinschaftsanlagen wie Küchen, Sanitäranlagen, Spielplätze und Wartebereiche. SU mit Kantinen stellten vielerorts auf „Folienessen“ (27EA) zum Verzehr auf den Zimmern um. Zur weiteren Kontaktreduzierung wurden, insbesondere in größeren SU, Besuchsverbote ausgesprochen – „dass eben nur tatsächlich Bewohner oder eben Mitarbeiter vor Ort in die Unterkünfte dürfen, um dieses Infektionsrisiko zu reduzieren“ (38SK).

Etwa die Hälfte der Interviewten veranlasste eine Entzerrung der Belegung in den SU. In 2 Bundesländern erfolgte dies primär durch fortgesetzte Weiterverlegungen von EA in GU. In anderen Bundesländern und auf Kreisebene wurden Geflüchtete innerhalb bestehender Strukturen umverteilt. Auf GU-Ebene wurde nur vereinzelt die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten berichtet, auf EA-Ebene war dies öfters der Fall. Teilweise seien Personen mit einer erhöhten Vulnerabilität kontaktarm untergebracht oder prioritär aus den EA in GU oder spezielle Schutzunterkünfte verlegt worden.

Während physische Distanzierung in einigen, kleineren Unterkünften mit „Wohnungscharakter“ (9LK) gut möglich war, war sie in großen, dicht belegten SU mit gemeinschaftlichen Koch- und Sanitäreinheiten besonders herausfordernd. Als Unterstützungsbedarf wurde vorwiegend eine allgemeine Verbesserung der Kapazitäten und der baulichen Bedingungen in den SU genannt (Tab. 1).

Anpassungen sozialer Unterstützungsangebote

Soziale Unterstützungsangebote wurden je nach Angebotsart unterschiedlich an Distanzierungs- und Infektionsschutzmaßnahmen angepasst. Gruppenangebote und Kinderbetreuung wurden (teils temporär begrenzt) eingestellt sowie Spiel- und Sportplätze geschlossen. Teilweise wurden professionelle und ehrenamtliche Beratungs‑, Freizeit- und Bildungsangebote komplett ausgesetzt. Daraus resultierte ein Wegfall der Tagesstruktur für die Bewohner*innen, was auch in Bezug auf die psychische Belastung als Stressor betrachtet wurde: „Es ist brutal schwierig, wenn die komplette Tagesstruktur wegbricht in Form von Kinderbetreuung, von Sprachkursen, von Integrationskursen, von Arbeitsgelegenheiten für die Gemeinnützigen, Sportgelegenheiten ebenso. Und es ist quasi nichts da, was das auf irgendeine Art und Weise kompensieren kann“ (31EA). Vereinzelt wurde als Ausgleich auf Individualangebote, auf Bildungsangebote mit schriftlichen Lernmaterialien oder auf Onlinelernformate umgestellt.

Auch die Alltagsbetreuung, das Integrationsmanagement sowie die Sozial- und Verfahrensberatung stellten sich unterschiedlich auf die veränderten Umstände ein. In einigen Einrichtungen blieben Sozialarbeiter*innen weiterhin vor Ort, wobei Beratungsangebote unter Berücksichtigung von Infektionsschutzmaßnahmen (1,5–4 m Abstand, MNS-Pflicht, Schutzausrüstung, Plexiglasscheiben) oder eingeschränkt bei Neuzugängen und in Notfällen stattfanden. Teils wurden offene Sprechzeiten reduziert oder eingestellt bzw. durch Terminvergaben ersetzt, in externen Büros oder im Freien abgehalten.

Zwar wurden für Sozialberatung, administrative Aufgaben und behördliche Angelegenheiten vermehrt postalische, elektronische und telefonische Kommunikationswege (einschließlich Messengerdienste) genutzt, jedoch wiesen einige Teilnehmer*innen darauf hin, dass diese Ausweichmöglichkeiten Inanspruchnahmebarrieren erzeugen können. Persönliche Kontakte seien gerade während der Coronapandemie wichtig, um auf Ängste, Beratungs- und Informationsbedarfe der Bewohner*innen einzugehen und somit die mögliche psychische Belastung in der Situation abzufedern: „Gerade in dieser Coronazeit, wo sich ja alle anderen zurückgezogen haben, sämtliche Migrationsberatungsstellen […] haben ihren Betrieb eingestellt, die Sozialämter haben ihre Häuser geschlossen und waren für die Bewohner auch nur noch telefonisch oder online zu erreichen was dann ja auch oft eine Barriere darstellt, auch eine sprachliche Barriere, also so dass wir zu Zeiten des ganzen Lockdowns auch die einzigen Ansprechpartner waren und da musste die Sozialberatung einfach weitergehen, […] das konnten wir nicht auch noch zurückfahren“ (45LK).

Anpassung gesundheitlicher Versorgungsangebote

Ein Großteil der Teilnehmer*innen gab an, weiterhin eine adäquate medizinische Versorgung gewährleisten zu können. Stellenweise wurden pandemiebedingte Herausforderungen berichtet, z. B. aufgrund wahrgenommener Mehrbedarfe der Bewohner*innen im Bereich psychosozialer Belastung, aufgrund von geänderten Abläufen oder aufgrund von Ängsten in umliegenden Praxen vor Ansteckungen durch die SU-Bewohner*innen. Daher wurden medizinische Angebote vor Ort teils spezifisch ausgeweitet sowie die koordinative und kommunikative Rolle der Soziarbeiter*innen in der medizinischen Versorgung gestärkt (Tab. 1). In einer Einrichtung wurde ein neues Programm zur psychosozialen Unterstützung initiiert. In einzelnen Fällen jedoch waren die Möglichkeiten, durch Anpassungen der Versorgung auf COVID-19 zu reagieren, aufgrund vorbestehender Problemlagen, wie zum Beispiel Ärztemangel, stark eingeschränkt.

Testung auf SARS-CoV-2

In Bezug auf die Testung von Personen mit klinischem Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion wurden unterschiedliche Vorgehensweisen sowie Herausforderungen berichtet. Bereits die Erfassung von Verdachtsfällen variierte. Es wurde sowohl von strukturierten Verdachtserfassungen berichtet (über die Einrichtungsambulanzen, mobile Teams zur Fiebermessung, Durchführung strukturierter Symptomabfragen, Fiebermessungen durch nichtärztliches Personal) als auch von Fallerfassungen in der Einrichtungsambulanz, durch nichtärztliches Einrichtungspersonal oder auf Initiative der betroffenen Bewohner*innen direkt durch die behandelnden Hausärzt*innen ohne Einbindung von Einrichtungspersonal.

Weitgehende Einheitlichkeit bestand lediglich im Bereich der Testung und 14-tägigen Isolation von neu registrierten Asylsuchenden. 11 Teilnehmer*innen der EA berichteten zudem, Testungen von Asylsuchenden vor Verlegung in die Anschlussunterbringung routinemäßig durchzuführen, in anderen war dies nur teilweise der Fall oder wurde prinzipiell abgelehnt. Darüber hinaus fanden in mehreren SU Reihentestungen statt. Diese erfolgten entweder nach Auftreten bestätigter SARS-CoV-2-Infektionen oder seltener präventiv aufgrund von hohen Infektionszahlen in anderen Aufnahmeeinrichtungen oder Pflegeheimen.

Als gemeinsame Herausforderung der verschiedenen Testungsanlässe und -abläufe zeichnete sich vor allem die Inkenntnissetzung der Einrichtungsleitung, d. h. die zeitgerechte Informationsweitergabe über positive Testergebnisse bei Bewohner*innen, ab. Vor allem in GU, in denen umliegende Praxen die Testungen ohne Beteiligung der Einrichtungsleitung oder Sozialarbeiter*innen durchführten, erfolgte die Informationsweitergabe nach Aussage der Interviewten teilweise nur unvollständig oder gar nicht (Tab. 1). Bei engen Kontakten zum Gesundheitsamt konnten positive Testergebnisse oft zeitnah weitergegeben werden, wobei in Einzelfällen die Weitergabe unter Verweis auf den Datenschutz (z. B. bei Personal der SU) nur verzögert stattfand.

Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen

Bei Auftreten einer Infektion in der Unterkunft wurde von Quarantänemaßnahmen mit getrennter Unterbringung von Infizierten und Kontaktpersonen berichtet, entweder innerhalb der SU oder in einer speziell dafür vorgesehenen Unterkunft. Einige Teilnehmer*innen beschrieben, dass eine Trennung Infizierter untereinander nicht notwendig sei, da „es nicht darauf ankommt, ob er sich das zweite dritte vierte Mal infiziert“ (13EA).

Teilnehmer*innen, in deren SU noch keine Infektionen aufgetreten waren, nahmen oftmals an, dass es bei Auftreten eines Falles zu einer Gesamtquarantäne der Unterkünfte kommen würde, da dies in anderen SU der Fall war: „im Allgemeinen oder zu 99 %, so wie wir es mitbekommen haben, wird ja die gesamte Einrichtung unter Quarantäne gestellt“ (20LK). Jedoch wurde nur vereinzelt bzw. bei größeren Ausbruchsgeschehen von einer tatsächlich eingetretenen Gesamtquarantäne der Unterkünfte berichtet. Mehrere Teilnehmer*innen bewerteten die Gesamtquarantäne aus praktischen und ethischen Gesichtspunkten kritisch: „ganz klar ist, man sollte die Leute nicht vor-verurteilen, davon ausgehen, dass sich keiner daranhalten wird, und deswegen eine Unterkunft die unter Quarantäne steht einfach mal per se abschließen, ich finde daran kann Keiner Interesse haben“ (12LK).

Die Quarantänemaßnahmen wurden laut Teilnehmer*innen vielerorts durch Aufstellen von Bauzäunen und vermehrten Einsatz von Sicherheitspersonal durchgesetzt. Einige Teilnehmer*innen thematisieren hierbei die Unterschiede im Vergleich zur deutschen Regelbevölkerung: „diejenigen, die bei uns in Quarantäne sind oder in Isolation sind VIEL überwachter als Menschen, die sich in der Allgemeinbevölkerung anstecken“ (39EA). Manche Kreise entschieden sich deshalb gegen eine vermehrte Überwachung: „Die hatten keinen Sicherheitsdienst, weil wir auch gesagt haben: ‚eigene Verantwortung, so wie bei jedem Deutschen auch‘“ (23LK).

In den Interviews wurde ein sehr hoher Bedarf an Informationen und Expertise bei der frühzeitigen Planung sinnvoller, angemessener und praktikabler Quarantänemaßnahmen geäußert, um bei Auftreten einer Infektion oder im Ausbruchsfall in der SU adäquat reagieren zu können. Dies sei gerade deswegen von hoher Relevanz, da eine Ausgangssperre bzw. Quarantäne der gesamten Einrichtung zusätzliche psychische Belastungen unter Geflüchteten verursachen kann. Eine weitere Herausforderung entstand aus dem organisatorischen Aufwand, die Verpflegung mit Nahrungsmitteln, Betreuung, gesundheitliche Versorgung, aber auch z. B. die Müllabfuhr für die Bewohner*innen in der Quarantäne sicherzustellen. Hier wurde insbesondere auch die Beschaffung von Schutzausrüstung für Mitarbeitende im Quarantänebereich genannt, welche sich teils sehr schwierig darstellte und durch Organisationen des Katastrophenschutzes oder der Bundeswehr unterstützt werden musste. Um diesen Aufwand zu bewältigen, wurde eine frühzeitige Planung der konkreten Quarantänemaßnahmen gemeinsam mit dem Gesundheitsamt sowie die Klärung und ggf. Zentralisierung der Beschaffung als notwendig erachtet (Tab. 1).

Intersektorale Zusammenarbeit

Trotz der zentralen Rolle der Aufnahmebehörden bei der Unterbringung Geflüchteter zeigte sich die hohe Relevanz einer effektiven intersektoralen Kooperation und Kommunikation zwischen den zahlreichen an der Flüchtlingshilfe beteiligten Akteur*innen. Zentral sind die Gesundheitsämter, aber auch örtliche Ordnungsämter und Polizeibehörden (z. B. bei der Umsetzung der Distanzierungs- und Quarantänemaßnahmen), zuständige Sozialbehörden sowie externe Dienstleister (z. B. mit der Sozialberatung beauftragt).

Zusammenarbeit mit Gesundheitsämtern

In der Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern berichteten die Teilnehmer*innen von sehr unterschiedlichen Formen und Erfahrungen. Obwohl es mehrere Schnittstellen zur Zusammenarbeit zwischen Gesundheits- und Aufnahmebehörden gibt (Tab. 2), variierte die konkrete Kooperation lokal erheblich. Überwiegend wurde von praktischer Zusammenarbeit (z. B. im Rahmen der Ausbruchskontrolle) und seltener von konzeptioneller (z. B. präventiver) Zusammenarbeit mit den zuständigen Gesundheitsämtern berichtet.

Tab. 2 Auswahl an berichteten Anlässen zur konzeptionellen und praktischen Zusammenarbeit zwischen Gesundheits- und Aufnahmebehörden. (Quelle: COVMIG-Studie, Heidelberg, 2020)

Um den Herausforderungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie gemeinsam begegnen zu können, wurde eine gute Erreichbarkeit des Gesundheitsamtes und eine gemeinsame Be- und Erarbeitung von spezifischen Maßnahmen als notwendig erachtet. Bereits etablierte und tragfähige Kooperationsstrukturen waren hierbei förderlich. Insbesondere auf Kreisebene erleichterten kurze Dienstwege innerhalb der Behörde, wie beispielsweise die Zugehörigkeit von Aufnahme- und Gesundheitsbehörde innerhalb eines Dezernats, die intersektorale Zusammenarbeit.

Ein überwiegender Teil der Teilnehmer*innen berichtete jedoch auch über vorübergehende oder dauerhafte Herausforderungen, die sich vor allem in Form unzureichender Erreichbarkeit sowie gänzlich fehlender Möglichkeiten des Austauschs und der Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen Gesundheitsämtern darstellten. Gleichwohl wurde durchgängig hohes Verständnis für die Arbeitsbelastung in den Gesundheitsbehörden geäußert. Entsprechend wurden vielfach Wünsche nach einer Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) geäußert, um hierdurch die Zusammenarbeit zwischen den Aufnahme- und Gesundheitsbehörden intensivieren zu können. Einige der Teilnehmer*innen aus EA, die mit mehreren Gesundheitsämtern zusammenarbeiteten, berichten zudem von unterschiedlichen Herangehensweisen und Empfehlungen der jeweiligen Gesundheitsämter (z. B. bei Testverfahren, Kontaktpersonenermittlung). Daraus resultierten Unsicherheiten bei der Maßnahmenplanung und -umsetzung (Tab. 1).

Lokalpolitische Zusammenarbeit

Einige Teilnehmer*innen thematisierten explizit die Notwendigkeit einer engen und vertrauensvollen Kommunikation mit lokalen Akteur*innen, um in der erlebten Krisensituation eine effektive Zusammenarbeit zu gewährleisten. Hier wurde oft darauf verwiesen, dass diese Vertrauensbasis über mehrere Jahre der Zusammenarbeit und gerade auch durch die gemeinsame Arbeit im Jahr 2015 geschaffen wurde: „Also das Netzwerk hat funktioniert und das ist ein komplexes Netzwerk gewesen. Natürlich hat es nur deswegen funktioniert, weil wir das Vertrauensverhältnis schon vorher hatten aus der anderen Zeit“ (40EA).

Nahezu alle Teilnehmer*innen berichteten, dass die intersektorale Zusammenarbeit unter Pandemiebedingungen über Verwaltungs‑, Führungs- bzw. Krisenstäbe in ihrem behördlichen Umfeld gesteuert wurde. In diesen Strukturen seien die Teilnehmer*innen jedoch nur teilweise selbst eingebunden. Einige Teilnehmer*innen berichteten explizit, dass aufgrund der konkurrierenden Prioritäten im Zuge der Pandemie das Thema der Flüchtlingsunterbringung Fürsprache erforderte: „[…] wir mussten eben auch erstmal hinkriegen, dass man so registriert auf allen Ebenen, dass unsere Belange durchaus auch sehr wichtig sein könnten“ (12LK). Bei entsprechender Priorisierung konnten die Maßnahmen in den SU maßgeblich unterstützt und notwendige Ressourcen für das Ressort gesichert werden (z. B. Beschaffung von Schutzausrüstung, Erweiterung der Unterbringungs- und Quarantänekapazitäten; Tab. 1).

Verknüpfung zentraler Informationen mit lokaler Expertise

In den Interviews zeigte sich durchweg ein hoher Bedarf an einer wissenschaftlichen Bewertung verschiedener Maßnahmen sowie praktischer, infektionsepidemiologischer Expertise bei Entscheidungen vor Ort. Alle Teilnehmer*innen nannten die allgemeinen RKI-Richtlinien zu COVID-19 als zentrale Informationsquelle, vor allem zur Orientierung in Sachen physischer Distanzierung, Testung und Quarantänemaßnahmen. Zusätzlich orientierten sie sich an Vorgaben auf Bundes‑, Landes- und Kreisebene.

Mehreren Interviewteilnehmer*innen zufolge ließen sich viele der bestehenden Vorgaben (z. B. zum Arbeitsschutz, zu Quarantäne) jedoch nicht vollständig auf das Setting der SU übertragen. Die baulichen Gegebenheiten sowie Landesvorschriften zur Mindestbelegung, durch welche viele Geflüchtete auf sehr engem Raum untergebracht sind, führten zum Beispiel dazu, dass die effektive Trennung Infizierter von Nichtinfizierten „nur auf dem Papier“ (31EA) ermöglicht werden konnte (Tab. 1).

Neben der allgemeinen Verbesserung der Unterbringungssituation Geflüchteter plädierten die Teilnehmer*innen für konkrete Empfehlungen in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Ein Bedarf für spezifische Empfehlungen wurde dabei besonders im Bereich der konkreten Umsetzung von Infektionsschutz- und Quarantänemaßnahmen in der Unterbringung von Geflüchteten geäußert. Hier wurde vermehrt darauf hingewiesen, dass die Aufnahmebehörden keine medizinische Fachexpertise haben und deshalb für eine Übersicht der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und daraus resultierenden Handlungsoptionen auf andere Instanzen angewiesen sind, welche in eine entsprechende bundesweite Strategie eingebunden sind (Tab. 1).

Wegen der sehr unterschiedlichen Bedingungen in jedem Landkreis und auch in jeder Unterkunft wurde zusätzlich zu zentral bereitgestellten wissenschaftlichen Empfehlungen und Handlungsoptionen der Bedarf an lokaler praktischer Expertise und Beistand zur Umsetzung von Empfehlungen vor Ort geäußert. Auch deshalb wurden die Stärkung des ÖGD und dessen stärkere und unmittelbare Einbindung in die Aufgaben der Flüchtlingshilfe als essenziell erachtet (Tab. 1): „[…] die klassische Frage: ‚Gibt es einen Plan für unsere Unterkunft, wenn wir einen Fall haben?‘ die wurde dann oft damit beantwortet mit ‚naja dann machen wir einen Plan‘ – da hätte ich mir gewünscht, dass man sich da auch einfach mal mit dem Gesundheitsamt vielleicht auch mal richtig zusammengesetzt hätte und einen Plan zusammen entwickelt hätte“ (45LK).

Diskussion

Diese für Deutschland erste empirische Situationsanalyse der ergriffenen Infektionsschutz‑, Präventions- und Informierungsmaßnahmen in Sammelunterkünften für Geflüchtete zeichnet insgesamt ein sehr heterogenes Bild.

Die Situation ist geprägt durch ein hohes Engagement der Akteur*innen vor Ort und verdeutlicht die zentrale Rolle von Aufnahmebehörden für die Prävention von COVID-19 und von psychischen Belastungen sowie für die gesundheitliche Aufklärung im Setting SU. So übernahmen sie vielerorts Verantwortung für die Kommunikation mit Geflüchteten, kommunalen Akteur*innen und Landes- bzw. Bundesbehörden. Soweit möglich, stellten sie zur Prävention psychischer und körperlicher Erkrankungen unter Pandemiebedingungen die gesundheitliche Versorgung und soziale Beratung weiterhin sicher. Jedoch sind die Aufnahmebehörden nicht per se mit der notwendigen Expertise im Bereich Gesundheitsschutz, Medizin und Public Health ausgestattet, um diesen komplexen Aufgaben nachzukommen. Zudem ist das Selbstverständnis, diese Aufgaben zu übernehmen, unterschiedlich ausgeprägt. Auch unterscheidet sich das Selbstverständnis in Abhängigkeit von den föderalen Ebenen. So kommt im Zuge des Sicherstellungsauftrags der medizinischen Versorgung den Aufnahmebehörden in den EA im Allgemeinen eine größere Rolle zu als z. B. in den GU, wo die Regelversorgung eine größere Rolle spielt [4]. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsamt und Aufnahmebehörde war in dieser Studie eine Ausnahme. Selbst wenn eine Erreichbarkeit vorlag und es zu einer Unterstützung der Aufnahmebehörden vor Ort kam, umfasste diese zwar praktische Aspekte der Testung oder Quarantäne, nur in Einzelfällen aber auch präventivkonzeptionelle Aspekte.

Aus den Interviews lassen sich 4 prioritäre Bedarfe im Kontext der Pandemie ableiten:

Erstens eine allgemeine Verbesserung der Unterbringungssituation für Geflüchtete, inklusive räumlicher Kapazitäten für eine entzerrte Unterbringung und Isolations- und Quarantänemaßnahmen.

Die Relevanz dieser Forderung der Aufnahmebehörden bekommt insbesondere dort eine Dringlichkeit, wo die Umsetzung von präventiven Maßnahmen durch bauliche Bedingungen erschwert wurde oder Quarantänemaßnahmen und die effektive Trennung Infizierter von Nichtinfizierten im Ausbruchsfall nicht umgesetzt werden konnten.

Zweitens zentrale sowie settingspezifische Vorgaben, die die Situation in den Sammelunterkünften adäquat berücksichtigen und über allgemeine Empfehlungen hinausgehen.

(Anmerkung: Die spezifischen Empfehlungen des RKI zum Umgang mit der COVID-19-Pandemie in Aufnahmeeinrichtungen [10] wurden erst nach Abschluss dieser Studie am 10.07.2020 veröffentlicht.) Empfehlungen und Informationsmaterial – auch von Bundesebene – werden wahrgenommen und genutzt, jedoch besteht ein hoher Bedarf an settingspezifischen Anpassungen, darunter zum Beispiel der Umgang mit Quarantänemaßnahmen, welcher den notwendigen Infektionsschutz mit den psychischen Belastungen langwieriger und erzwungener Isolation abwägt. Diese Vorgaben sollten neben essenziellen Infektionsschutzmaßnahmen auch soziale und psychische Bedarfe berücksichtigen, um zusätzliche Stressoren unter Geflüchteten während der Pandemie zu minimieren.

Drittens eine enge Kooperation zwischen Aufnahmebehörden und lokaler, gesundheitlicher Fachexpertise, um eine kontextspezifische Implementierung zentraler Vorgaben unter Berücksichtigung der jeweils lokalen Situation zu ermöglichen.

Diese beinhaltet explizit die frühzeitige Planung und Umsetzung präventiver und allgemeiner Infektionsschutzmaßnahmen, aber auch die antizipierende Planung von zu ergreifenden Maßnahmen im Ausbruchsfall.

Viertens ein umfängliches, zentral gesteuertes und wissenschaftlich begutachtetes Informationsangebot für das Setting der SU unter Berücksichtigung der Notwendigkeit von Mehrsprachigkeit, einfacher Sprache und Piktogrammen für die effektive Kommunikation mit Geflüchteten.

Dieses sollte flankiert werden von lokalen Strukturen, die einen systematischen Einsatz von geschulten Sprachmittler*innen in der gesundheitlichen Prävention in SU ermöglichen, um über geltende Maßnahmen und Regelungen aufzuklären, Bedenken und Ängste zu adressieren und Akzeptanz herzustellen.

Vergleicht man die Ergebnisse dieser Studie mit bestehenden Erkenntnissen zur gesundheitlichen Versorgung von Geflüchteten, ist zu erkennen, dass die im Zuge der Pandemie getroffenen Maßnahmen die Heterogenität der Strukturen des Flüchtlingskontexts widerspiegeln. Diese sind, sowohl im Sommer der Migration 2015 [4] als auch mehrere Jahre danach, in Fragen des Gesundheitsschutzes [12], der Prävention und Gesundheitsförderung sowie der allgemeinen gesundheitlichen Versorgung [13, 14] durch eine ausgeprägte Diversität von Ansätzen, Vorgehen und Lösungen charakterisiert. In diesem Zusammenhang wurde bereits gezeigt, dass das komplexe Versorgungsgefüge zwischen Behörden, Regelversorgung und ÖGD zu Zugangsbarrieren und Versorgungslücken in der praktischen Gesundheitsfürsorge bei der Gruppe der Geflüchteten führen kann [4, 15]. Weiterhin notwendig ist eine breitere Diskussion über die Rolle und das Selbstverständnis des ÖGD in Zusammenhang mit Prävention, Gesundheitsförderung und medizinischer Versorgung Geflüchteter [4], insbesondere angesichts der Herausforderungen der COVID-19-Pandemie [5]. Hierfür sollten Erfahrungen guter Praxis aus 2015 zu Modellansätzen der Einbindung des ÖGD in die Flüchtlingsversorgung dringend breitere Anwendung finden [14, 16].

Diese Studie profitiert von einem qualitativen Ansatz, welcher tiefe Einblicke in den Kontext und die derzeitige Arbeitsweise der Aufnahmebehörden erlaubte. Aufgrund mehrjähriger qualitativer Forschungserfahrung der Interviewer*innen in diesem Kontext und unter Wahrung der Anonymität von Teilnehmer*innen wurden sensitive Fragen in aller Regel sehr offen beantwortet. Eine weitere Stärke ergibt sich durch die Anzahl der Teilnehmer*innen und die Bandbreite der abgedeckten Bundesländer, wodurch Einblicke in diverse infrastrukturelle und behördliche Strukturen gewonnen werden konnten. Der kurze Zeitraum der Erfassung ermöglichte zudem eine zeitnahe, der Dringlichkeit der Pandemie angemessene Situationsanalyse. Eine Schwäche der Studie auf GU-Ebene ergibt sich durch den starken geografischen Fokus auf ein Bundesland. Jedoch kamen bei GU in anderen Bundesländern keine gänzlich neuen Aspekte hinzu, sodass davon auszugehen ist, dass die Heterogenität innerhalb des Flächenlands die Situation in anderen Flächenländern mit ähnlicher Struktur widerspiegelt. Die Aussagen beziehen sich auf den ersten Abschnitt der SARS-CoV-2-Pandemie in Deutschland (Erhebungszeitraum Mai–Juli 2020). Es ist nicht auszuschließen, dass in Anbetracht der dynamischen Pandemielage eine Folgebefragung neue Kategorien und Dimensionen bezüglich der Fragestellung hervorbringen würde.

Fazit

Die Heterogenität der im Zuge der COVID-19-Pandemie getroffenen Maßnahmen lässt sich zum Großteil auf die hohe Anzahl an Akteur*innen sowie der Komplexität von Strukturen und Prozessen der Aufnahme und gesundheitlicher Versorgung Geflüchteter zurückführen. Diese waren vorbestehend und zuletzt auch 2015 deutlich zutage getreten. Im Geflecht dieser Strukturen übernehmen Aufnahmebehörden für die Sicherstellung der Gesundheit ad hoc essenzielle Aufgaben, für die sie jedoch fachlich und praktisch unzureichend von lokalen, regionalen und bundesweiten Instanzen unterstützt werden. Für eine effektive Eindämmung der COVID-19-Pandemie und weitere gesundheitliche Herausforderungen sind eine gesteuerte und settingspezifische Bündelung fachlicher Empfehlungen und Information auf Bundesebene sowie die stärkere, proaktive Einbindung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in die Planung und Umsetzung der Maßnahmen vor Ort unabdingbar.