Die Digitalisierung verändert und erweitert das Spektrum der Instrumente im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung grundlegend. Erweiterte Möglichkeiten ergeben sich vor allem für die Gesundheitskommunikation, die datengestützte Adaptation von Maßnahmen, die Daten- und Bedarfserhebung zu Präventionspotenzialen und die Evaluation von Maßnahmen.

Die Digitalisierung bringt die Herausforderung mit sich, bewährte analoge Ansätze in Zukunft gewinnbringend mit digitalen Elementen zu kombinieren. Die Integration digitaler Instrumente (z. B. Apps) in analoge Prozesse des Alltagslebens scheint dabei weiterhin eine wichtige Voraussetzung für ihre nachhaltige Wirksamkeit.

Digitale Instrumente wie Apps erlauben es, Programme der Prävention und Gesundheitsförderung (z. B. Lebensweltansätze in Kommunen) anzureichern, die bisher eher analoge Materialien nutzen bzw. personalkommunikativ arbeiten. Ein analog-digitaler Methodenmix wird die Gesundheitskommunikation weiterhin prägen. Allerdings werden digitale Instrumente (z. B. der virtuelle Austausch in Echtzeit) zunehmend wichtige Teile der Wirkungskette von Programmen darstellen.

Angesichts der hier skizzierten Änderungen wird klar, dass mit der Digitalisierung in Prävention und Gesundheitsförderung ein Lernprozess einhergeht, der mit Chancen und Herausforderungen verbunden ist. So bringt dieser Lernprozess z. B. unterschiedlichste praktische Anwendungen hervor, deren Wert oft noch unklar ist bzw. für deren nachhaltige Wirksamkeit und Verankerung im Alltag der Menschen bestimmte Rahmenbedingungen notwendig sind (z. B. Zugang zur digitalen Infrastruktur).

Zudem sollten Grundsätze, die in der Prävention und Gesundheitsförderung als Kern von Public Health aus systemischen, rechtlichen und ethischen Gesichtspunkten berücksichtigt werden müssen, auch für neue digitale Angebote gelten. Beispielsweise muss vermieden werden, dass eine digitale Kluft („digital divide“) entsteht und das Präventionsparadoxon durch die Digitalisierung aufrechterhalten bzw. verstärkt wird (siehe Homeschooling in der Corona-Pandemie). Bevölkerungsgruppen mit hohem Versorgungsbedarf müssen erreicht werden und es dürfen keine neuen – gesundheitlichen – Ungleichheiten entstehen, weil Zugänge zu digitalen Angeboten für Prävention und Gesundheitsförderung sowie digitale Kompetenzen ungleich verteilt sind.

Grundsätzlich muss im Zuge der Digitalisierung die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und gesundheitlicher Risikogruppen gestärkt werden, um potenzielle Effektivitätssteigerungen im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung voll umsetzen zu können. Daneben spielt die Informationskompetenz der Gesundheitsberufe für die erfolgreiche Lenkung von Hilfesuchenden auf qualitätsgesicherte digitale Angebote eine wichtige Rolle.

Das vorliegende Themenheft ist das zweite Schwerpunktheft einer Reihe zu Digital Public Health. Während im ersten Heft (Februarausgabe 2020) Chancen und Herausforderungen, aber auch Schwierigkeiten für Public Health aus einer Vogelperspektive beleuchtet wurden, wenden wir uns nun – unter den oben skizzierten Perspektiven – einem ganz konkreten Feld zu, nämlich der Prävention und Gesundheitsförderung.

So werden in den ersten beiden Beiträgen des Heftes Voraussetzungen digitaler Prävention und Gesundheitsförderung reflektiert. Rebitschek und Gigerenzer zeigen, dass es für den mit der Digitalisierung einhergehenden Ausbau der zielgruppenspezifischen digitalen Gesundheitskommunikation und die vermehrte Nutzung von Algorithmen essenziell ist, die Risikokompetenz der Zielgruppen zu fördern. Es braucht neben digitalen Informationen digitale Instrumente, die den Nutzenden das Verständnis und die Interpretation von Informationen erleichtern und diesbezüglich nachhaltig Kompetenzen bei den Nutzenden aufbauen.

Eine weitere Voraussetzung sind wissenschaftliche Ergebnisse zur Wirksamkeit von digital gestützter Prävention und Gesundheitsförderung. Auch wenn Ergebnisse zu Wirksamkeitsvoraussetzungen zunehmen, thematisiert Fischer in seinem Beitrag, dass tatsächliche Wirksamkeitsnachweise für digitale Prävention und Gesundheitsförderung noch immer rar sind. Die ohnehin große methodische Herausforderung des Wirksamkeitsnachweises von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung in komplexen Kontexten steigt durch die Digitalisierung u. U. weiter an, da die Interventionsdesigns komplexer werden können, z. B. durch rückkoppelnde datengetriebene Maßnahmensteuerung.

Neben diesen Voraussetzungen gibt es Chancen und Risiken digitaler Prävention und Gesundheitsförderung: Der Beitrag von Link und Baumann beleuchtet anhand des Vergleichs von Webseiten versus Gesundheits-Apps, welche Chancen und Bedingungen für den Erfolg digitaler Kommunikationsangebote bestehen. So kann das Internet bereits als etablierte Informationsquelle für viele Zielgruppen gelten, während Gesundheits-Apps noch nicht vergleichbar vertraut wird. Wie umfassend sich durch die Digitalisierung auch ganze Berufsbilder verändern und welche Chancen und Risiken damit verbunden sind, stellen Tisch und Meyer für den Bereich der Pflege eindrücklich dar. Es zeigt sich, dass einzelne Tätigkeitsbereiche durch die Digitalisierung nicht wesentlich entlastet werden können, sondern sich eher neue Anforderungen (z. B. durch Dokumentation) ergeben.

Neben Voraussetzungen, Chancen und Risiken werden in einem weiteren Teil exemplarisch praktische digitale Ansätze vorgestellt, die u. U. die Wirksamkeit von Prävention und Gesundheitsförderung potenzieren könnten. Als ein Beispiel können hier Gamification- und Serious-Games-Ansätze genannt werden (Tolks et al.), die gerade durch die Digitalisierung vermehrt und einfacher zum Einsatz kommen können. Weiter beleuchtet Lampert das Potenzial von Gesundheits-Apps für Kinder und Jugendliche und Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit. Sie diskutiert fehlende Qualitätsstandards und mangelnde Transparenz auf dem App-Markt und zeigt auf, welche Optimierungen seitens der Anbieter entwickelt werden sollten. Zuletzt beschreibt Schwarz in ihrem Beitrag Praxisbeispiele audiovisueller Kommunikation und klärt, inwiefern die Gesundheitskommunikation über Bewegtbild gerade bei Zielgruppen mit geringer Gesundheitskompetenz Nutzen bringen könnte.

In einem letzten Teil des Heftes werden Möglichkeiten der Evaluation und Datennutzung diskutiert. Thielsch und Salaschek stellen ein digitales Instrumentarium (Toolbox) für die Messung der Nutzerfreundlichkeit (Usability) von Webseiten vor. Zens et al. beschreiben, welche Potenziale durch die digitale Integration von kommunalen Daten zu Prävention und Gesundheitsförderung entstehen. Anhand eines Beispiels aus Finnland wird diskutiert, wie Prävention und Gesundheitsförderung über eine interaktiv individualisierbare Datenplattform und ein zugehöriges Benchmarkmodell profitieren können. Als Abschluss diskutieren Friele et al. ethische und technische Kriterien, die bei der digitalen Zusammenführung von Daten für den Zweck der Prävention und Gesundheitsförderung beachtet werden müssen.

Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre,

Ihre Freia De Bock, Anke Spura und Heidrun Thaiss