Liebe Leserin, lieber Leser,

unter der Federführung des Bundesministeriums für Gesundheit wird derzeit eine neue „Strategie der Bundesregierung zu globaler Gesundheit“ entwickelt. Damit soll auf neue globale Herausforderungen reagiert und eine Aktualisierung der Ziele des deutschen Engagements vorgenommen werden [1]. Ein internationales Beratergremium wurde eingerichtet und hat Mitte 2019 seine Empfehlungen vorgelegt [2]. Zusätzlich haben verschiedene deutsche Akteure Positionspapiere erstellt, in denen weitere Überlegungen und Anregungen zur neuen Strategie zusammengefasst sind.

Impfungen spielen bei den Überlegungen zur Verbesserung der globalen Gesundheit eine entscheidende Rolle, gehören sie doch zu den wirksamsten und auch effizientesten Maßnahmen der modernen Medizin. Durch sie können Erkrankungen erfolgreich eliminiert und allgemeine Gesundheitsziele erreicht werden, wie die Senkung von Kindersterblichkeit, gesundes Altern oder die Reduzierung von Ungleichheiten in der Gesundheit. Die Bundesregierung beteiligt sich beispielsweise an der weltweiten Ausrottung der Poliomyelitis – seit 1996 hat sie mehr als 450 Mio. € zu ihrer Bekämpfung beigesteuert [1]. Auch die globale Impfallianz (GAVI) wird gefördert als Teil des Engagements der Bundesregierung im Bereich der Gesundheitssystemstärkung und Kindergesundheit. Für die Finanzierungsperiode 2016 bis 2020 gehört Deutschland mit einer Zusicherung von 600 Mio. € zu den vier größten GAVI-Geldgebern (nach dem Vereinigten Königreich, USA und Norwegen) [3]. Deutschland ist zudem Gründungsmitglied der Impfstoffinitiative „Coalition for Epidemic Preparedness Innovations“ (CEPI) und wird diese bis 2022 mit bis zu 90 Mio. € unterstützen. CEPI ist eine Non-Profit-Organisation, die Impfstoffe gegen Erreger mit hohem Pandemiepotenzial entwickeln soll.

Trotz der Fortschritte in der Prävention, Diagnostik und Therapie von Malaria, Tuberkulose und Dengue stellen diese Erkrankungen global weiterhin ein relevantes Public-Health-Problem dar. Die Forschung zu neuen Impfstoffen gegen diese Erreger wurde in den letzten Jahrzehnten vorangetrieben und hat dazu geführt, dass sich aktuell diverse Impfstoffkandidaten in der Entwicklung befinden, ein erster Dengueimpfstoff zugelassen wurde und ein erster zugelassener Malariaimpfstoff in großen Pilotprojekten in Afrika hinsichtlich seiner Effekte auf die Gesundheit der Bevölkerung getestet wird.

Im globalen Aktionsplan der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen ist die Investition in neue Impfstoffe als strategisches Ziel aufgeführt [4]. Verschiedene Impfstoffkandidaten, die gegen bakterielle Erreger mit einer Resistenzproblematik gerichtet sind (z. B. Clostridium difficile, Staphylococcus aureus, Mycobacterium tuberculosis), werden derzeit entwickelt [5]. Aber auch etablierte Impfstoffe (z. B. gegen Pneumokokken, Typhus und Influenza) tragen bereits jetzt zur Reduzierung des Antibiotikaverbrauchs und damit zur Reduzierung antimikrobieller Resistenzen bei und könnten es – bei höheren Impfquoten – in noch größerem Maße tun.

Impfungen spielen auch bei der Eindämmung drohender Pandemien und Epidemien eine wichtige Rolle und tragen so zu globalem Gesundheitsschutz und globaler Gesundheitssicherheit bei. Im aktuellen Ebolafieberausbruch, der seit April 2018 in der Demokratischen Republik Kongo grassiert, konnte in der betroffenen Region durch den frühen Beginn einer Impfkampagne mit einem zu diesem Zeitpunkt noch experimentellen Impfstoff das Risiko, an Ebola zu erkranken, um 70 % gesenkt werden [6]. Der Grund, warum die Impfkampagne nicht noch erfolgreicher war, lag primär nicht am Impfstoff, sondern an den Herausforderungen bei der Umsetzung der Impfstrategie, vor allem an der kritischen örtlichen Sicherheitslage. Mittlerweile ist der Impfstoff von den europäischen Behörden zugelassen und hat auch von der WHO im November 2019 eine Präqualifizierung erhalten. Damit auch für andere bedrohliche Erreger im Epidemiefall zeitnah Impfstoffe zum Einsatz kommen können, müssen diese im Vorfeld entwickelt und möglichst bis zu ihrer Zulassung gebracht werden. Da solche Impfstoffe aber vergleichsweise selten benötigt werden und somit für multinationale Hersteller eher unattraktiv sind, wurden Initiativen wie die in diesem Themenheft beschriebene CEPI gegründet; sie investiert aktuell u. a. in die Entwicklung von Impfstoffkandidaten gegen Lassa, Nipha und das Middle East Respiratory Syndrome (MERS).

Nationale Impfprogramme gibt es in allen Ländern der Welt. Sie haben zur Senkung der Kindersterblichkeit maßgeblich beigetragen. In den meisten Ländern unterstützen nationale Impfkommissionen durch evidenzbasierte Entscheidungsprozesse die Einführung neuer Impfungen und die Entwicklung nationaler Impfstrategien und werden dabei von den Expertengremien der WHO begleitet. Um möglichst hohe Impfquoten zu erreichen und damit das Potenzial der Impfstoffe für die Gesundheit der Bevölkerung voll ausschöpfen zu können, müssen die verantwortlichen Akteure die Ursachen von Impfakzeptanz und -ablehnung sowie die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung kennen. Das WHO-Regionalbüro Europa hat daher, wie hier im Themenheft beschrieben, ein Konzept zur Erfassung der Impfakzeptanz und der Entwicklung zielgerichteter Interventionen erstellt, das sogenannte Tailoring Immunization Programme (TIP).

Ungleichheiten beim Impfen können zwischen Ländern, aber auch innerhalb eines Landes bestehen. So weisen Länder mit mittlerem Einkommen die niedrigste Zahl an neu eingeführten Impfungen in ihren nationalen Impfprogrammen auf und im Durchschnitt auch die niedrigsten Impfquoten bei etablierten Impfungen im Vergleich zu Ländern mit hohen, aber auch niedrigen Einkommen [7]. Letztere profitieren von externen Geldgebern bzw. der Bereitstellung von Impfstoffen zu günstigen Preisen. Innerhalb einzelner Länder können Ungleichheiten bei der Inanspruchnahme von Impfungen z. B. aufgrund des sozioökonomischen Status oder des Bildungstands auftreten. Selbst in Deutschland gibt es solche Unterschiede, insbesondere in Bezug auf Region (z. B. liegen die HPV-Impfquoten im Osten mittlerweile bei über 60 % und im Süden nur bei 30 %) oder Migrationsstatus (z. B. mit niedrigeren Impfquoten gegen Tetanus oder Masern bei Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind oder die nicht gut Deutsch sprechen). Strategien, wie Impfprogramme als integraler Bestandteil funktionierender Gesundheitssysteme zu einer gerechteren Bereitstellung und Inanspruchnahme von Impfungen und damit zu einer Verringerung gesundheitlicher Ungleichheit beitragen können, sind daher von besonderer Bedeutung.

Reisende können zur globalen Verbreitung von Infektionserregern beitragen. Impfungen gegen Gelbfieber, Meningokokken oder Poliomyelitis können bei Ein- bzw. Ausreise vorgeschrieben sein; Reiseimpfungen sind aus diesem Grund im Kontext globaler Herausforderungen mit zu betrachten. Eine zunehmende Herausforderung für reisemedizinisch tätige Ärzte ist dabei die Impfung von besonderen Risikogruppen, wie zum Beispiel Senioren oder Menschen mit bestimmten Grundkrankheiten (inkl. immunsuppressiver oder immunmodulatorischer Therapie), die das Risiko für schwere Krankheitsverläufe erhöhen und die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe reduzieren können oder aber eine Anwendung gar nicht erlauben.

In diesem Themenheft werden zwei grundlegende Arten von Herausforderungen behandelt: einerseits die vielfältigen Herausforderungen im Bereich der globalen Gesundheit, die mit wirksamen Impfstoffen adressiert werden können, und andererseits die Barrieren bei der Umsetzung der Impfstrategien. Das Spektrum, wie Impfungen zur globalen Gesundheit beitragen, hat sich dabei über die letzten Jahrzehnte zunehmend verbreitert. Nicht nur, weil es mittlerweile Impfstoffe gegen deutlich mehr Erreger gibt (einschließlich solcher, die Krebs verursachen, wie Hepatitis B oder humane Papillomviren), sondern auch, weil Impfen inzwischen breiter gedacht wird und als integraler Bestandteil eines funktionierenden Gesundheitssystems mit Relevanz für alle Altersgruppen gilt. Viele dieser Aspekte sollen in der künftigen „Immunization Agenda 2030“ verankert werden, die aktuell von der WHO im Rahmen eines größeren Konsultationsprozesses erarbeitet wird und im Mai 2020 verabschiedet werden soll. Barrieren, die die Umsetzung von Impfstrategien und die Entfaltung des tatsächlichen Public-Health-Potenzials der verfügbaren Impfungen behindern (wie Impfskepsis, niedrige Impfquoten und eine Ungleichheit bei der Inanspruchnahme von Impfungen auf subnationaler Ebene oder durch Risikogruppen), bleiben Probleme, mit denen fast alle Länder konfrontiert sind.

Nur durch den internationalen Austausch von Expertise und Erfahrungen sowie durch innovative Impfstrategien und ein gemeinsames Vorgehen von Nord und Süd bei der Entwicklung und Bereitstellung wirksamer, sicherer und preisgünstiger Impfstoffe können wir den hier beschriebenen Herausforderungen begegnen. Wir hoffen, dass dieses Themenheft, das wichtige Entwicklungen auf den genannten Gebieten zusammenfasst, zum Verständnis der Bedeutung und des Potenzials von Impfungen für die globale Gesundheit beitragen kann.

Ihre

Ole Wichmann

Lars Schaade