Die Idee, dass Anästhetika die elektrische Aktivität der Großhirnrinde in charakteristischer Art und Weise verändern, ist wahrlich nicht neu. Schon 1972 konnten z. B. Homi et al. zeigen, dass das damals neue volatile Anästhetikum Isofluran je nach Ausmaß der klinischen Narkosetiefe das Elektroenzephalogramm (EEG) beeinflusst. Je tiefer die Narkose klinisch, desto niederfrequenter und hochamplitudiger das EEG [4].

Aus solchen Beobachtungen wurden folgerichtig Monitore entwickelt, mit deren Hilfe die Narkosetiefe objektiviert werden sollte. Als das recht komplexe EEG-Signal dann ab Mitte der 1990er-Jahre in einen einfachen Index zwischen 0 und 100 „übersetzt“ wurde (z. B. BIS®-Monitor [Medtronic, Dublin, Ireland], hier nur als ein Beispiel von vielen) schien die Welt in Ordnung und ein Problem gelöst: Die Wirkung von Anästhetika in ihrem primären Zielorgan, dem Zentralnervensystem (ZNS), war vermeintlich direkt sichtbar und damit objektivierbar geworden. Narkosetiefe schien messbar und dadurch unerwünschte Wachheit in Narkose (wenn mit expliziter Erinnerung verbunden awareness genannt) vermeidbar. Schließlich bestätigte im Jahre 2004 die hochrangig publizierte „B-Aware“-Studie auch, dass ein EEG-basiertes Narkosetiefemonitoring (hier mit BIS®) bezüglich der Verhinderung von Awareness der normalen klinischen Routine überlegen ist [8].

Dennoch kam recht bald Kritik an der Idee des EEG-basierten Narkosetiefemonitorings auf. In einer wunderbar designten und bis heute lesenswerten Studie relaxierten sich Kolleginnen/Kollegen aus Erlangen gegenseitig bei vollem Bewusstsein und leiteten dabei BIS®-Werte ab (Aspect A‑1000 Monitor, Software Version 3.31): Die Werte fielen bei Relaxierung der Muskulatur, aber voll erhaltenem Bewusstsein auf unter 40 [7]. Laut Hersteller des Monitors korrelieren solche Werte jedoch mit der Narkose (moderate hypnotic state). Diese Arbeit zeigte somit, dass zumindest diese frühe Version des BIS®-Monitors nicht in allen Fällen zwischen „wach“ und „Narkose“ unterscheiden konnte. Hintergrund war, dass der verwendete Monitor nur schlecht zwischen dem EEG und dem Elektromyogramm (EMG) unterscheiden konnte, zwei elektrophysiologischen Signalen, deren Frequenzspektren sich weit überlappen. Die durch Relaxierung fehlende, hochfrequente EMG-Komponente wurde vom Monitor als verändertes EEG erfasst und somit fälschlicherweise als erloschenes Bewusstsein interpretiert.

Auch in weiteren großen klinischen Studien konnten die Erfolge von „B-Aware“ nicht bestätigt werden: So zeigten „B-Unaware“, „BAG-RECALL“ und „MACS“ in den Jahren 2008–2012 vereinfacht gesagt, dass eine simple Überwachung der endtidalen Konzentration des volatilen Anästhetikums bezüglich der Verhinderung von Awareness genauso wirksam ist wie BIS®-Monitoring [1, 2, 6]. Damit blieb als letzte Daseinsberechtigung des EEG-basierten Narkosetiefemonitorings die totale intravenöse Anästhesie, da hier bis vor Kurzem keine endtidale Konzentration des Hypnotikums Propofol gemessen werden konnte. Aber auch dies könnte bald Geschichte sein. Seit Kurzem haben Systeme zur Bestimmung der Propofolkonzentration in der Ausatemluft Marktreife erlangt, z. B. das EDMON®-System (B. Braun Melsungen AG, Melsungen, Deutschland; hier exemplarisch, andere werden vermutlich folgen). Damit wäre auch diese Lücke geschlossen. Ist nun EEG-basiertes Narkosetiefemonitoring endgültig überflüssig geworden?

Keineswegs! Zunächst sollte erwähnt werden, dass ein einfaches frontales EEG, wie es z. B. der BIS®-Monitor verarbeitet, bei Weitem nicht alles ist. Schon vor einigen Jahren wurde von der European Anesthesia Monitoring Study Group gezeigt, dass multimodale Systeme, welche neben dem EEG auch noch andere patientenbezogene Daten verarbeiten, präziser zwischen „wach“ und „Narkose“ unterscheiden können [10].

Darüber hinaus konnten Radtke et al. sowie die „CODA trial group“ ein völlig neues Terrain für das EEG-basierte Narkosetiefemonitoring erschließen. In zwei unabhängigen, aber weitestgehend zeitlich parallel durchgeführten Studien konnten sie nachweisen, dass eine individualisierte Anästhetikadosierung mittels EEG-basiertem Narkosetiefemonitoring das Auftreten eines postoperativen Delirs bzw. von POCD reduzieren kann (für Details sei auf den nachfolgenden Beitrag verwiesen; [3, 9]). Diese Studien haben maßgeblich zu einem Sinneswandel in Bezug auf EEG-basiertes Narkosetiefemonitoring beigetragen. Früher war es unser Bestreben, die uns anvertrauten Patienten sicher durch den Eingriff zu begleiten. Und so haben wir im Narkosetiefemonitoring auch „nur“ ein Werkzeug zur Verhinderung von unerwünschter intraoperativer Wachheit gesehen. Heute hat sich unser Blick geweitet: All unsere Maßnahmen vor, während und nach einem Eingriff sind darauf ausgerichtet, das generelle Outcome für unsere Patienten zu verbessern. Genau hierbei kann uns EEG-basiertes Narkosetiefemonitoring durch Reduktion von Delir und POCD helfen.

Fazit: EEG-basiertes Narkosetiefemonitoring ist aus drei Gründen sinnvoll: Erstens aus ganz grundsätzlichen Erwägungen: Das ZNS ist das Zielorgan all unserer Hypnotika und Anästhetika. Ein Monitoring des Zielorgans sollte dabei genauso selbstverständlich sein wie z. B. die Relaxometrie. Wie Georgii und Schneider im nachfolgenden Beitrag sehr treffend schreiben, ist die Überwachung der Aktivität des Gehirns nach wie vor die einzige Möglichkeit, die Wirkung der Anästhesie am Zielorgan direkt zu beurteilen. Dabei ist nicht nur ein errechneter Index wie z. B. der BIS®-Wert zu beurteilen, sondern stets die vom Monitor angezeigten Roh-EEG-Spuren, denn insbesondere damit können z. B. burst suppression (mehr dazu im nachfolgenden Beitrag) oder aber die für adäquate Narkosetiefe charakteristischen Alpha-Oszillationen nach kurzem Training einfach erkannt werden [5]. Zweitens kann EEG-basiertes Narkosetiefemonitoring dazu beitragen, Awareness zu verhindern. Und drittens vermag EEG-basiertes Narkosetiefemonitoring eine für den individuellen Patienten zu tiefe Narkose durch Detektion von Burst suppression zu erkennen, was eine Verbesserung des Outcome durch Reduktion von POD und POCD ermöglicht. Somit gilt auch für den Einsatz von EEG-basiertem Narkosetiefemonitoring: „If you don’t take a temperature, you can’t find a fever“ (Stephen Josef Bergman, 1978 [11]).