FormalPara Hintergrund

Die orale Mukositis (OM) ist eine häufige und stark beeinträchtigende Nebenwirkung der Strahlentherapie (RT) bei Kopf- und Halstumoren, die fast immer eine Intervention im Rahmen von Supportivmaßnahmen erfordert. Das Ziel dieser multiinstitutionellen, randomisierten, doppelblinden Phase-IIb-Studie war es, die Wirksamkeit und Sicherheit von GC4419, eines Superoxiddismutasemimetikums zur Reduktion oraler Mukositis, gegenüber einem Placebo zu eruieren [1].

FormalPara Patientengut und Methoden

In die multizentrische, prospektive Studie wurden insgesamt 223 Patienten aus 44 Institutionen in den USA und Kanada mit einem lokal fortgeschrittenen Mundhöhlen‑/Oropharynxkarzinom eingeschlossen. Alle Patienten wurden einer definitiven oder postoperativen Radiochemotherapie (RCT) unterzogen. Die Gesamtstrahlendosis am Oropharynx betrug 60–72 Gy (minimale Dosis an mindestens zwei Lokalisationen der oralen Schleimhaut >50 Gy). Als Technik kam bei allen Patienten eine IMRT zur Anwendung. Simultan wurde Cisplatin (wöchentlich oder alle 3 Wochen) verabreicht. Alle Patienten erhielten vor jeder IMRT-Fraktion entweder GC4419 intravenös als 60-minütige Infusion oder ein Placebo. Randomisiert wurde zwischen einer Dosierung von 30 mg (n = 73) oder 90 mg (n = 76) sowie Placebo (n = 74). Der WHO-Grad der OM wurde während der Behandlung zweiwöchentlich und bis zu 8 Wochen nach Beendigung der Therapie alle 14 Tage evaluiert. Der primäre Endpunkt war die Dauer der schweren OM, die für jede aktive Dosisstufe gegenüber dem Placebo getestet wurde (zweiseitige Intention-to-treat-Analyse bei p = 0,05). Für die Klassifizierung von unerwünschten Ereignissen wurde die Version 4.03 der Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE) des National Cancer Institute verwendet. Patienten- und Tumormerkmale sowie die Therapiecharakteristika waren in allen Behandlungsgruppen vergleichbar. Als primäre und sekundäre abhängige Variable wurden Dauer, Inzidenz und Schweregrad der OM statistisch evaluiert.

FormalPara Ergebnisse

Die höhere Dosierung von GC4419 (90 mg) führte im Vergleich zu Placebo zu einer signifikanten Reduktion der schweren oralen Mukositis (p = 0,024; Median 1,5 vs. 19 Tage). Die Inzidenz der schweren oralen Mukositis (43 % vs. 65 %; p = 0,009) und der Schweregrad (Grad-4-Inzidenz, 16 % vs. 30 %; p = 0,045) wurden ebenfalls signifikant verbessert. Die 30-mg-Dosierung zeigte Werte, die zwischen der höheren Dosierung und Placebo lagen. Das Nebenwirkungsprofil war in allen Armen vergleichbar. Eine spezifische Toxizität von GC4419 wurde nicht festgestellt. Die 2‑Jahres-Nachbeobachtung der Tumorkontrolle ist noch nicht abgeschlossen.

FormalPara Schlussfolgerungen der Autoren

GC4419 mit einer täglichen Dosis von 90 mg führt zu einer signifikanten, klinisch relevanten Reduzierung der radiogenen oralen Mukositis (Dauer, Inzidenz und Schweregrad). Das Nebenwirkungsprofil dieser Medikation ist akzeptabel. Eine nachfolgende Phase-III-Studie (ROMAN) hat begonnen [2].

Kommentar

Behandlung der radiogenen Mukositis mit Mimetika der Superoxiddismutase (SOD) – Sinn oder Unsinn?

Die zweite randomisierte Studie zur Wirksamkeit von GC4419 zeigt sehr gute Ergebnisse [1]. Die vorliegenden Daten und diejenigen aus publizierten Studien haben die FDA dazu bewegt, ein beschleunigtes Zulassungsverfahren einzuleiten [1, 3, 4]. Bedeutet nun der Einsatz der SOD-Mimetika den Durchbruch bei der Prophylaxe bzw. Behandlung der radiogenen Mukositis?

Die iatrogene orale Mukositis bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren, charakterisiert durch Entzündung, Atrophie und Abbau der Schleimhaut oder der Auskleidung der Mundhöhle, gehört zur täglichen strahlentherapeutischen Erfahrung. Die damit assoziierten Schmerzen, Odynodysphagie, Dysgeusie, verminderte orale Nahrungsaufnahme und systemische Infektionen stellen alle Strahlentherapeuten vor therapeutische Herausforderungen und kompromittieren gelegentlich den onkologischen Behandlungserfolg.

Die Behandlung der radiogenen Mukositis ist multifaktoriell. Seit Langem wird diesbezüglich den radioprotektiven Substanzen ein hohes therapeutisches Potenzial zugeschrieben. Die manganhaltige Verbindung GC4419 gehört zusammen mit Amifostin, Palifermin und RRx-001 zu den Radioprotektiva mit potenziellem oder geprüftem klinischem Effekt [3].

Eine übermäßige Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies wie Superoxid (radikales O2) spielt eine zentrale Rolle in der Pathogenese der Mukositis. Das antioxidative Enzym Superoxiddismutase (SOD) entgiftet Superoxide durch Umwandlung in das relativ stabile und schlecht reaktive Oxidationsmittel Wasserstoffperoxid (H2O2). Dieser Effekt scheint eine klinisch messbare Reduktion der oralen Mukositis herbeiführen zu können.

Der indirekte Effekt der Strahlentherapie ist ebenfalls von der Radikalüberproduktion abhängig. Die Absorption von ionisierender Strahlung unterbricht direkt chemische Bindungen in Zellmolekülen oder verursacht Schäden durch Bildung von Radikalen, die mit nahegelegenen Molekülen reagieren und Proteine, Lipide und Nukleinsäuren schädigen. Die Summe aus Basenschäden, Zuckerschäden, Einzel- oder Doppelstrangbrüchen der DNA führt zum Zelltod [5]. Wird die Menge der Radikale reduziert, liegt die Befürchtung nahe, dass der zytotoxische Effekt am Tumor reduziert sein könnte. Die Befürworter der Substanz argumentieren jedoch, dass GC4419 Superoxid selektiv in ein H2O2-Molekül zerlegt, das selbst ein eigenständiges Oxidationsmittel ist und somit ebenfalls einen zytotoxischen Effekt am Tumor entfalten kann.

Strahlenbiologischen Erkenntnissen folgend, spielt die Vernichtung basaler Stammzellen der Schleimhaut eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der radiogenen Mukositis. Der gleiche Mechanismus liegt der Tumorkontrolle durch Strahlentherapie zugrunde. Es wird interessant sein zu verfolgen, ob und wie die beschriebenen Wirkungen des SOD-Mimetikums zwischen den beiden Stammzellarten differenzieren können. Sollte GC4419 diese Wirkung entfalten, könnte es trotz recht aufwendiger Applikation künftig eine wichtige Rolle in der multifaktoriellen Behandlung der radiogenen Mukosaschäden einnehmen.

Fazit

Die Aufgabe des Radioonkologen ist in erster Linie die Tumorbekämpfung und erst in zweiter Linie die Kontrolle der radiogenen Mukositis. Aus diesem Grund sollte man künftig genau auf die Tumorkontrolle achten, wenn SOD-Mimetika eingesetzt werden. Inwieweit GC4419 diesen Anforderungen gerecht wird, müssen die künftigen Studien zeigen. Sollten die Parameter der Tumorkontrolle dabei kompromittiert sein, könnte es der Substanz so ergehen wie damals Amifostin, einer Substanz, bei der ein protektiver Tumoreffekt nie sicher ausgeschlossen werden konnte.

Irenäus A. Adamietz, Herne