Einleitung

Im Sommer 1895 trafen sich Vertreter geographischer Disziplinen in London zum 6th International Geographical Congress. Eine der Sektionen behandelte die Polarforschung, insbesondere die Antarktisexploration. Die abschließende Erklärung hierzu lautete:

That the Congress records its opinion that the exploration of the Antarctic Regions is the greatest piece of geographical exploration still to be undertaken. That, in view of the additions to knowledge in almost every branch of science which would result from such a scientific exploration, the Congress recommends that the scientific societies throughout the world should urge, in whatever way seems to them most effective, that this work should be undertaken before the close of the century. (Keltie & Mill 1896: 780)

Wie dieser Beschluss zeigt, erschien die Erforschung der Antarktis um 1900 – zu diesem Zeitpunkt einer der letzten „weißen Flecke“Footnote 1 der Erde – als drängendes Ziel im Zuge der Erschließung der Welt. In den folgenden Jahrzehnten wurden einige Anstrengungen unternommen, dieses zu erreichen. Die gängigen Narrative über das sogenannte Heroic Age der Antarktisexploration werden dabei bis heute dominiert durch den Wettlauf zum Südpol, den der Norweger Roald Amundsen (1872–1928) im Dezember 1911 knapp vor dem Engländer Robert F. Scott (1868–1912) gewann (z. B. MacPhee 2010). Die zentrale Bedeutung des Wettbewerbs zwischen Menschen und Nationen, in dem das Bestreben Erster zu sein, als treibende Kraft wirkte, wird dadurch stark hervorgehoben.

Dieses Deutungsmuster stützt sich auf eine breite Quellenbasis, und weder die Rivalitäten noch ihre Relevanz werden hier bestritten. Allerdings zeigen sich bei näherer Betrachtung interessante Abweichungen, die im Folgenden für die deutsche Antarktisexploration in den Blick genommen werden. So schrieb etwa Erich von Drygalski (1865–1949), der Leiter der ersten deutschen Antarktisexpedition, in einer Denkschrift aus dem Jahr 1899 über sein geplantes Unternehmen:

Eine Deutsche Südpolar-Expedition ist nicht allein deshalb von hohem Wert, damit in dem friedlichen Wettstreit der Nationen deutsche Arbeit zu der ihr gebührenden Geltung kommt, sondern weil ein Zusammenwirken Deutschlands mit den anderen Nationen bei der Grösse des unbekannten Gebietes eine besonders weite Förderung der verschiedenartigen Probleme erwarten lässt. (Drygalski 1899a: 4)Footnote 2

Neben dem Diskurs um Konkurrenz, hier als „Wettstreit der Nationen“, sprachen die Akteure der deutschen Antarktisforschung ebenso oft und gerne von internationaler Zusammenarbeit und Kooperation – zuweilen sogar im gleichen Atemzug wie in diesem Beispiel. Auch auf der Sachebene zeigen sich kompetitive und kooperative Handlungsmuster gleichermaßen. Um diese nur scheinbar paradoxe Beobachtung geht es in diesem Aufsatz: die spannungsreiche Gleichzeitigkeit von Kooperation und Konkurrenz zwischen den Nationen in der deutschen Antarktisexploration um 1900.

Das Zusammenspiel dieser beiden Interaktionsmodi wurde in jüngerer Zeit in der Geschichtswissenschaft durch die Imperienforschung zur Moderne ausgelotet. Ohne Spannungen und Antagonismen zwischen den imperialen Mächten aus den Augen zu verlieren, richtet sich der Blick nun verstärkt auf Kontakte, Verflechtungen und Zusammenarbeit (z. B. Barth & Cvetkovski 2015; MacKenzie 2015). Im Zuge imperialer Interessen in kolonialen Kontexten kam es zwischen expandierenden Staaten zu Konflikten wie auch zu friedlicher Koexistenz, zu sowohl Rivalität als auch Unterstützung, Zusammenarbeit und koordinierenden Absprachen unter sorgfältiger Wahrung der Eigengeltung und Autonomie. Die neuere Forschung hat diese Dynamiken vor allem am deutschen und britischen Fall herausgearbeitet (z. B. Lindner 2011).

Ähnliches lässt sich für die Wissenschaftsgeschichte mit Blick auf Phänomene von Nationalismus und Internationalität sowie ihrer Verbindung im 19. und 20 Jahrhundert feststellen: Eine unübersehbare Spannung lag etwa zwischen dem Verständnis von Wissenschaft als übernationales, geradezu universales Unternehmen und dem Bestreben, wissenschaftliche Leistungen als nationale Erfolge zu verzeichnen. Die jüngere Forschung nimmt die verschiedenen Aspekte dieses scheinbaren Widerspruchs in den Blick ohne ihn jedoch ganz aufzulösen.Footnote 3 Gerade bei deutsch-britischen Wissenschaftsnetzwerken zeigen sich die wiederkehrenden Muster der Abgrenzung wie auch der Kontakte und Verbindungen deutlich (z. B. Ellis & Kirchberger 2014; Kirchberger 2000).

Am Fall von Explorationen als nationale und imperiale Großprojekte mit wissenschaftlichem Anspruch lassen sich diese Forschungsstränge fruchtbar zusammenführen (vgl. Naylor & Ryan 2010).Footnote 4 Die Antarktisexploration um 1900 stellt dabei ein vielversprechendes Beispiel dar angesichts der engen Verknüpfung wissenschaftlicher und nationaler wie imperialer Ziele (vgl. Day 2013). Gerade die Untersuchung des deutschen Falls erscheint außerdem lohnenswert, nachdem die Diskussion um das deutsche Kaiserreich vor allem aus transnationaler Perspektive und im Verhältnis zu anderen Nationen und imperialen Mächten nicht abreißt (vgl. Müller & Torp 2009; Conrad & Osterhammel 2004).

Die deutsche Polargeschichte wurde von der Forschung bereits mehrfach in den Blick genommen. Vor allem die Anfänge im 19. Jahrhundert, aber auch die Zeit nach der Jahrhundertwende sind in ihrem Verlauf detailliert beschrieben worden (Lüdecke 1995; Krause 1992). Untersuchungen zu thematischen Aspekten wie etwa der Sozial- und Alltagsgeschichte der Polarforschung und der Rückwirkung auf die deutsche Gesellschaft ergänzen das Bild (Rack 2010; Murphy 2002). Eine populärgeschichtliche Darstellung lenkte jüngst den Fokus wieder verstärkt auf die deutsche Antarktisexploration (Lüdecke 2015). Zur Zeit des Kaiserreichs fanden zwei deutsche Antarktisexpeditionen statt: ein erstes Unternehmen von 1901 bis 1903 unter der Leitung des Geographen und Polarforschers Erich von Drygalski sowie ein zweites in den Jahren 1911 und 1912 unter der Leitung des Offiziers der bayerischen Armee und Forschungsreisenden Wilhelm Filchner (1877–1957).

Das verbreitete Narrativ des Wettbewerbs beim Betrachten der Polarforschung wurde im Zuge der Neuauflage des Internationalen Polarjahrs 2007/2008 (erstmals: 1882/1883) erweitert: Seitdem fand internationale Kooperation in der Forschung größere Beachtung (z. B. Barr & Lüdecke 2010; DeVorkin et al. 2010; Summerhayes 2008). Auch die deutsche Antarktisexploration wurde unter dieser Perspektive bereits betrachtet. So nahm etwa Cornelia Lüdecke die Zusammenarbeit der ersten deutschen Antarktisexpedition vor allem mit einem parallelen englischen Unternehmen in den Blick (Lüdecke 2010; Lüdecke 2004; Lüdecke 2003). Jüngst untersuchte Pascal Schillings am gleichen Fall das Verhältnis verschiedener Explorationskulturen zueinander; dabei betrachtete er auch nationale, imperiale und globale Explorationsnetzwerke sowie Verbindungen und Abgrenzungen innerhalb dieser (Schillings 2016; Schillings 2014).

Demnach wurden Wettbewerb und Zusammenarbeit zwischen den Nationen bereits für die Antarktisexploration um 1900 und auch den deutschen Fall thematisiert. Eine systematische Untersuchung der Gleichzeitigkeit und Wechselwirkungen der beiden Modi blieb bislang jedoch aus: Hier setzt der vorliegende Aufsatz an. Mit Blick auf die Quellen wird nämlich deutlich, dass internationale Kooperation und Konkurrenz zwei zentrale Kategorien für die Akteure darstellten. Eine differenzierte Analyse dieser eng miteinander verflochtenen Modi eröffnet so eine wichtige ergänzende Perspektive auf grundlegende Charakteristika der deutschen Antarktisforschung um 1900. Erstmals werden im Folgenden daher die Quellen systematisch und differenziert hinsichtlich Kooperation und Konkurrenz als zwei zentrale Interaktionsmodi analysiert. Auf diesem Weg möchten wir das Verständnis für die Geschichte der Antarktisexploration weiter vertiefen. Gleichzeitig wollen wir zur konzeptuellen Schärfung der Begriffe Kooperation und Konkurrenz beitragen – etwa in ihren konkreten Formen und ihrem Verhältnis zueinander –, um die aus den Quellen sprechenden, situativ variablen Denk- und Verhaltensmuster der Akteure präziser erfassen und einordnen zu können. Denn die Gleichzeitigkeit von Kooperation und Konkurrenz ist in der Wissenschaft eher die Regel als die Ausnahme und lohnt der weiteren Untersuchung.

Wie eng diese Modi miteinander verknüpft sind, tritt deutlich hervor, wenn man sie mit Bezug auf die Ziele verschiedener Akteure definiert (vgl. Nickelsen & Krämer 2016). So lässt sich Kooperation als Zusammenarbeit von zwei oder mehr Akteuren verstehen, die ein Ziel verfolgen, das sie alleine nicht oder nur mit deutlich höherem Aufwand erreichen können. Differenzieren lässt sich dabei zwischen direkter, aktiver Zusammenarbeit, um gemeinsam das große Ziel zu erreichen; temporärer gegenseitiger Unterstützung bei Interessenkonvergenz in untergeordneten Zielen; und Koordination der jeweiligen Zielsetzung, um kompetitive Konstellationen zu vermeiden. Konkurrenz lässt sich fassen – aufbauend auf den Überlegungen des Soziologen Georg Simmel (1903) – als regelgeleiteter Wettbewerb zwischen mindestens zwei Akteuren, die ebenfalls dasselbe Ziel verfolgen: ein knappes Gut zu erlangen, das als Prämie des Wettbewerbs durch eine dritte Partei vergeben wird. Die konkurrierenden Parteien können nicht gewinnen, indem sie einander bekämpfen, sondern müssen die Gunst des Dritten erlangen – hier liegt in dieser Konzeption der Unterschied zum Konflikt.

Mit Blick auf Fälle von öffentlichem Wettbewerb wie sie auch bei der Antarktisexploration um 1900 vorliegen, hat der Soziologe Tobias Werron in Auseinandersetzung mit Simmel in jüngerer Zeit die Bedeutung von Kommunikation und Medien für Konkurrenzsituationen betont. Die Funktion des Dritten, der den Preis in einem Wettbewerb vergibt, kann in dieser Konstellation ein Publikum übernehmen, das unbekannt sowie unbestimmt bleibt und zu verstehen ist als „mitlaufende Fiktion öffentlicher Kommunikationsprozesse“ (2011: 239). Das Denken, Verhalten und vor allem die Kommunikation der Konkurrenten richtet sich demnach auf ein fiktives Publikum, dem man zugesteht, über Sieg oder Niederlage im Wettbewerb entscheiden zu können. Anstelle eines klar benennbaren Preisrichters tritt damit eine Publikumsfiktion, die durch die Kommunikation der medialen Öffentlichkeit bestimmt wird. Als Beispiel nennt Werron insbesondere den Wettbewerb zwischen Nationalstaaten und nationalen Bewegungen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend um „weiche Güter“ konkurrierten, darunter etwa Leistungsprestige in der Wissenschaft. Die gegenseitige Beobachtung und das Werben um die Gunst des Dritten, aber auch die Aushandlungen über den Ausgang des Wettbewerbs erfolgten hier vor allem medial, in öffentlichen Kommunikationsprozessen (Werron 2012). Gerade bei der Betrachtung der Diskurse im Zuge der retrospektiven Bewertung der beiden Antarktisexpeditionen im deutschen Kaiserreich ist diese Perspektive interpretativ erhellend, wie weiter unten ausgeführt wird.

Die Gliederung des Aufsatzes spiegelt die Bedeutung zentraler Akteure und Ereignisse der Antarktisexploration im deutschen Kaiserreich wider und greift diese exemplarisch heraus. Im ersten Abschnitt wird mit Georg von Neumayer (1826–1909) ein früher prominenter Fürsprecher und Förderer einer deutschen Erforschung der Antarktis betrachtet. Schon dieses Beispiel zeigt, wie der Diskurs von Anfang an zweigleisig bespielt wurde: Neumayer betonte sowohl den Wert internationaler Zusammenarbeit als auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Nation. Ein Blick auf einen Internationalisierungsversuch der Polarforschung dieser Zeit belegt weiterhin im zweiten Abschnitt, dass man in der Praxis bewusst das Verhältnis zwischen internationaler Kooperation und Konkurrenz in der Schwebe hielt und Deutungsambivalenzen für sich nutzte, um Vorteile aus beiden Konstellationen zu gewinnen.

Die folgenden Abschnitte richten den Fokus auf die beiden deutschen Antarktisexpeditionen unter Drygalski und Filchner selbst. Dabei rückt neben dem spezifischen Diskurs vor und nach den Unternehmen verstärkt die Handlungs- und Sachebene während der Fahrt ins Eis, also die Expeditionspraxis, ins Zentrum. Exemplarisch wird herausgearbeitet, wie nach sowohl kooperativer als auch kompetitiver Logik argumentiert und gehandelt wurde, wie das Wechselspiel sich gestaltete und in welcher Form dies Handlungen und Rhetorik prägte. Sehr deutlich ist dabei das Bemühen der Akteure erkennbar, beide Interaktionsformen im Spiel zu halten, also keinen der beiden Modi überwiegen zu lassen. Zuweilen entglitt ihnen indes die Kontrolle darüber, wie wir sehen werden, insbesondere bei der retrospektiven Bewertung der Drygalski- und der Filchner-Expedition.

Georg von Neumayer und die Anfänge der deutschen Antarktisexploration im 19. Jahrhundert: Zusammenarbeit und Wettbewerb im Diskurs

Das 19. Jahrhundert, das letzte Zeitalter der Entdeckungen (Osterhammel 2011: 132–135), sah die Fortsetzung und vielfach Intensivierung der westlich-europäischen Expansion, die mit einer Erforschung der Welt einherging. Die Antarktis rückte erst im späten 19. Jahrhundert in den Mittelpunkt des Interesses, dann jedoch trieb man ihre Exploration energisch voran – neben Skandinaviern und Briten wurden auch die Deutschen aktiv. Dabei zeigt die eingangs zitierte Erklärung des Londoner Kongresses, dass die Erforschung der Antarktis einerseits als universale Aufgabe beschrieben wurde, die eine Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen der verschiedenen Nationen möglich erscheinen ließ; dass man jedoch andererseits versuchte, die Eigenständigkeit nationaler Bemühungen zu wahren und damit auch den Wettbewerbsgedanken förderte.

Im deutschen Kaiserreich gewann die Erforschung der Antarktis erstmals mit Georg von Neumayer an Bedeutung. Neumayer war Gründungsdirektor der 1875 ins Leben gerufenen Deutschen Seewarte in Hamburg, dem zentralen Institut zur Erforschung der Meeresmeteorologie im deutschen Kaiserreich mit deutlicher Nähe zur Marine, und leitete diese bis zu seinem Ruhestand 1903. Zugleich war Neumayer ein prominenter Advokat und Förderer der Antarktisexploration (für biographische Informationen etwa Lüdecke 2007; Krause 2007b; Priesner 1999). Neumayer hatte sich bereits seit 1865 öffentlich für eine deutsche Antarktisexpedition eingesetzt, und durch sein stetes Wirken wurde dieses Ziel letztlich erreicht – so lesen wir es zumindest in Neumayers eigener Darstellung. Anlässlich der Drygalski-Expedition veröffentlichte er unter dem Titel Auf zum Südpol! einen Band mit Wiederabdruck seiner wichtigsten Vorträge und Aufsätze zu diesem Thema (Neumayer 1901). Diese Veröffentlichung diente Neumayer nicht zuletzt der Festschreibung seiner eigenen Rolle. Dessen ungeachtet handelt es sich um reichhaltiges Material zum entstehenden Diskurs in der deutschen Antarktisforschung.

Bereits im Vorwort des Bandes findet sich das zum Teil paradoxe Ringen um zugleich Internationalität und Nationalismus in der Antarktisforschung. Mit Blick auf die erste deutsche Antarktisexpedition schrieb Neumayer:

Wenn ich auch stets, wie es zur vollen Genüge aus diesen Darlegungen hervorgehen dürfte, den nationalen Gedanken, unsere nationale maritime Machtentfaltung auf dem Wege grosser oceanographischer und geographischer Forschung zu fördern hochhielt, so erblicke ich doch nun die grösste Genugthuung darin, dass nicht einseitig national, sondern unter Beteiligung auch anderer Nationen die Lösung der antarktischen Frage in Angriff genommen wird. (Neumayer 1901: xv)

Neumayer benannte also bereits in seinen einleitenden Worten Kooperation und Konkurrenz zwischen den Nationen als Optionen, die in ihrem Zusammenspiel die Erforschung der Antarktis prägten – und auch prägen sollten. Der „nationale Gedanke“ auf der einen und das eben nicht nur „einseitig nationale“ Vorgehen auf der anderen Seite bilden hier die beiden konträren Pole, die Neumayer ins Spiel führte, ohne den resultierenden Widerspruch aufzulösen. Diese Haltung bestätigt sich, wenn man die Vorträge und Schriften sowie das Wirken Neumayers näher betrachtet.

So reichte Neumayer etwa als Beitrag zur Südpolarforschung zum ersten Internationalen Geographenkongress im Sommer 1871 in Antwerpen unter anderem eine Aufstellung aller bisherigen Unternehmen zur Erforschung der Antarktis ein, und zwar unter Berücksichtigung der jeweils erreichten südlichen Breite (Neumayer 1901: 57–67). Die resultierende Tabelle ist ein plastisches Beispiel für einen Rekurs auf „konkurrenzkonstituierende Semantiken“, wie sie Werron am Beispiel von Ranglisten definiert (2011: 250–252). Auch wenn die Akteure selbst sich möglicherweise gar nicht in Konkurrenz zueinander sahen – oder zum Zeitpunkt der Reise gesehen hatten –, wurden sie durch Neumayers Liste absichtlich oder unabsichtlich als solche präsentiert. Zugleich definierte die Art der Darstellung den Preis dieses Wettbewerbs als das Erreichen besonders südlicher Breitengrade auf dem Globus. Dass sich Neumayer außerdem der Wirkung von Konkurrenz bewusst war, zeigt eine beigefügte Erklärung:

Es ist vorauszusehen, dass alle seefahrenden Nationen von einiger Bedeutung sich bei dem Wettkampfe, der um jene Zeit und vielleicht für lange Jahre […] den Forschungseifer anfachen wird, beteiligen werden. Es steht daher auch zu erwarten, dass am Ende jener Periode die wichtigsten Fragen über das antarktische Gebiet in ihren Grundzügen als erledigt betrachtet werden können. (Neumayer 1901: 64)

Neumayer sah demnach im „Wettkampf“ zwischen den Nationen einen entscheidenden Antrieb für die Forschung.

In der Folge nutzte er solche Rhetorik mit ihrem Schwerpunkt auf Konkurrenz und Wettbewerb insbesondere vor einem deutschen, wissenschaftlich wie imperial interessierten Publikum, das er bei verschiedenen Gelegenheiten und über Jahrzehnte hinweg von einer Beteiligung an der Erforschung der Antarktis zu überzeugen suchte. So formulierte er etwa in einem Vortrag aus dem Jahr 1876 vor dem Verein zur Erforschung Central-Afrikas in Berlin mit Blick auf einen Aufschwung der Antarktisexploration: „Hoffen wir, dass, wenn dies der Fall, unsere Kämpfer für wissenschaftliche Erkenntnis im edlen Wettstreite mit anderen Nationen erfolgreich […] sein mögen“ (Neumayer 1901: 168). Wie nicht nur dieses Zitat zeigt, ging es Neumayer bei der von ihm propagierten Konkurrenz in der Regel weniger um geographische Breiten als um wissenschaftliche Reputation und Erkenntnisgewinn.

Doch auch die Bedeutung von Kooperation wusste Neumayer zu nutzen. So unterstützte er etwa – stets mit Fokus auf die Antarktisexploration – ein internationales Polarprojekt, das 1882–1883 unter deutscher Beteiligung stattfand und im Rückblick als Erstes Internationales Polarjahr bezeichnet wurde. Im Kern bestand es aus der planmäßigen Zusammenarbeit verschiedener Polarexpeditionen und -stationen nach einem gemeinsamen wissenschaftlichen Programm, bei dem geophysikalische Messungen im Vordergrund standen (z. B. Rothenberg 2009; Krause 2007a). Diese internationale Entwicklung in der Polarforschung setzte Neumayer ebenfalls argumentativ zur Gewinnung der wissenschaftlich interessierten deutschen Öffentlichkeit ein. In einem Vortrag im Jahr 1880 vor der 53. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Danzig, drückte er etwa den Wunsch aus, „dass das grossartige internationale Unternehmen, das ich vor Ihnen darzulegen die Ehre hatte, durch das friedliche Zusammenwirken aller civilisierten Nationen gesichert und zur Ehre und zum Nutzen der Menschheit zu Ende geführt werden möge“ (Neumayer 1901: 224). Darüber hinaus erklärte Neumayer seine Zuversicht …

… dass auch die deutsche Nation in dieser hochwichtigen, wissenschaftlichen Sache an dem ihr zufallenden Beobachtungsposten erscheinen werde, und dass ihre zur Förderung des Unternehmens berufenen Gelehrten an Tüchtigkeit, Opferfreudigkeit und Hingabe an die Sache der systematischen Polarforschung den Gelehrten keiner anderen Nation nachstehen werden. (Neumayer 1901: 223)

Auch das Bestreben um Kooperation, um das „friedliche Zusammenwirken aller civilisierten Nationen“ konnte demnach als Argument für eine deutsche Beteiligung dienen. Selbst hierbei blieb aber Raum für Konkurrenz, und sei es nur der Wettbewerb um charakterliche Tugenden oder die Bereitstellung von Ressourcen.

Neumayer propagierte also Kooperation und Konkurrenz zwischen den Nationen als gleichzeitig bestehende und zu verfolgende Handlungsoptionen, setzte aber abhängig von Situation und politischer Stimmung den Akzent auf die eine oder andere Strategie – ohne indes die damit implizierten Interessenskonflikte zu thematisieren. Stets galt es dabei, das Publikum von den eigenen Zielen, nämlich der Förderung der Antarktisexploration, zu überzeugen. Neumayer wandte sich im Rahmen nationaler wie internationaler Kongresse, aber auch bei Versammlungen verschiedener Verbände und Vereinigungen an ein sowohl deutsches als auch internationales Publikum, das wissenschaftliche Themen mit Interesse und Vorbildung verfolgte. Geschickt stellte er stets neben dem Wettbewerb auch das Potential für internationale Kooperationen heraus, um das Publikum vom Wert der Antarktisforschung zu überzeugen, wenn es ihm opportun schien. Neumayer verwies dazu auf das übergreifende, große Ziel der wissenschaftlichen Antarktisexploration, das alle Nationen gemeinsam verfolgten; er erwähnte aber auch die Vorteile einer konkreten Zusammenarbeit zur koordinierten Erhebung von Daten und Messwerten in bestimmten Gebieten. Wettbewerb konnte ebenfalls in variabler Gestalt auftreten: Bei Neumayer ging es neben der – wohl eher in Kauf genommenen – Konkurrenz um das Erreichen hoher südlicher geographischer Breiten vor allem um Erfolge im wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Stets waren dabei die erbrachte Leistung und damit das Prestige der eigenen Nation gegenüber den anderen von Bedeutung. Mit dieser Strategie war Neumayer letztendlich erfolgreich: Die Antarktisexploration gewann im deutschen Kaiserreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts an Aufmerksamkeit; gleichzeitig etablierten sich Kooperation und Konkurrenz als zentrale Argumente im Diskurs.

Internationalisierungsversuch der Polarforschung vor dem Ersten Weltkrieg: Balance zwischen Kooperation und Konkurrenz in der Praxis

Ein ähnliches Muster zeigt sich, wenn man die Perspektive weitet und Entwicklungen in der Polarforschung und Antarktisexploration um 1900 anderenorts betrachtet. Ein interessantes Beispiel ist ein von belgischer Seite ausgehender Vorschlag zur Internationalisierung der Polarforschung im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg und die deutschen Reaktionen darauf (z. B. Lüdecke 2001). Die Episode muss betrachtet werden vor dem Hintergrund des allgemeinen Aufschwungs internationaler Zusammenschlüsse in der Wissenschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, die in enger Wechselwirkung mit einem zunehmenden Nationalismus entstanden (z. B. Rothenberg 2010, Somsen 2008). Nicht zuletzt bildeten diese Vereinigungen geeignete Arenen für Kooperation und Konkurrenz zwischen Nationen: Foren des Wettbewerbs, in dem nur gewinnen konnte, wer sich an Regeln hielt, und Foren der Aushebelung des Wettbewerbs durch Zusammenarbeit in kooperativen Formaten. Paul Forman (1973) hat die resultierende Dynamik mit den Olympischen Spielen verglichen: Ziel war das Erringen einer Prämie im internationalen Wettbewerb. Voraussetzung für die Akzeptanz des Ergebnisses war jedoch die Einigung auf Regeln und Standards, die von allen eingehalten wurden. Im Fall der Polarforschung wird deutlich, wie um 1900 auch auf dieser Ebene um Kooperation und Konkurrenz zwischen den Nationen gerungen und die Voraussetzungen für deren praktische Bedeutung geschaffen wurde.

Damit zurück zum Internationalisierungsversuch der Belgier (vgl. Lüdecke 2001; zur Rolle Belgiens Herren 2000: 180–185). Ihren Anfang nahm diese Episode im Jahr 1905, als verschiedene Polarforscher im Rahmen der Weltausstellung in Belgien anregten, die Polarforschung künftig international zu koordinieren. Die belgische Regierung griff diesen Vorschlag auf und initiierte im Herbst 1906 in Brüssel einen internationalen Kongress, auf dem die Einrichtung einer Internationalen Polarkommission diskutiert wurde. Ein nächstes Treffen folgte im Frühjahr 1908 in Brüssel – doch bei diesem waren nach Abflauen des ersten Interesses deutlich weniger Nationen vertreten als zuvor. Beschlossen wurde nichts, weitere Treffen blieben ebenfalls folgenlos, und spätestens mit Beginn des Ersten Weltkriegs fand der Internationalisierungsversuch sein Ende. Betrachtet man die deutschen Reaktionen, die hier im Mittelpunkt stehen sollen, zeigt sich, wie bewusst man sowohl Zusammenarbeit als auch Wettbewerb als argumentative Ressourcen, aber auch als Handlungsoptionen in der Praxis ins Feld führte und wie wichtig offenbar der Aspekt der Augenhöhe für beide Modi war.

Erich von Drygalski hatte als Leiter der ersten deutschen Antarktisexpedition und damit wichtiger deutscher Vertreter der Polarforschung an dem Kongress von 1906 teilgenommen und unterstrich in einem ersten Bericht an die deutschen Behörden, die mit der internationalen Organisation der Polarforschung betraut waren, grundsätzlich die positive Koordination der Forschung verschiedener Länder. Er hob aber zugleich bereits hier den deutschen Beitrag hervor, der bei dem Vorhaben eine zentrale Rolle spielen würde – schon jetzt sei Deutschlands Stimme wesentlich in die Diskussion einbezogen worden:

Es darf indessen bemerkt werden, dass nicht ein Gegenstand behandelt wurde, über welchen nicht vorher in Deutschland bestehende Ansichten gehört waren, und dass kein Beschluss zustande kam, für welchen nicht die deutsche Zustimmung vorher oder während der Sitzung erstrebt und erlangt wurde. Dieser, wie auch andere Vorgänge, durften dahin gedeutet werden, dass die deutsche Polarforschung nach Methode, Inhalt und Ergebnissen im Ausland geschätzt wird.Footnote 5

Es wird bereits hier deutlich, dass die internationalen Kongresse von den Teilnehmern als wichtige Arenen wahrgenommen und genutzt wurden, um sowohl Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten als auch sich im Rahmen eines antizipierten Wettbewerbs zwischen den Nationen in Stellung zu bringen – gerade im Hinblick auf die Beobachter in der Heimat.

Interessant im Hinblick auf die weiteren Entwicklungen ist, dass Drygalski dann jedoch den Regierungsbehörden empfahl, von einer Beschickung des nächsten geplanten Treffens im Frühjahr 1908 abzusehen: Es zeichnete sich nämlich ab, dass dort kaum andere bedeutende Nationen vertreten sein würden. Seinem Brief legte Drygalski die Schreiben des englischen Generalsekretärs der Royal Geographical Society sowie des französischen Vorstandsmitglieds der Société de Géographie zu Paris bei, aus denen hervorgeht, dass diese sich über ihre Teilnahme bzw. ihre Absage abgesprochen hatten.Footnote 6 In einem späteren Bericht an die offiziellen Stellen des Kaiserreichs im Herbst 1908 bekräftigte Drygalski diese Einschätzung:

Außer Deutschland fehlten bei der Tagung auch England, Frankreich, Österreich und Norwegen, die Staaten, welche in der Pflege polarer Interessen mit Deutschland entschieden im Vordergrund stehen und deren Fernbleiben an sich schon zeigt, daß der Tagung eine Bedeutung nicht beigemessen werden kann.Footnote 7

Ob sich aus Perspektive der Akteure eine Zusammenkunft lohnte, hing demnach davon ab, ob sich auch andere, mindestens als ebenbürtig wahrgenommene Nationen beteiligten. Nur unter diesen Umständen war aus deutscher Sicht die Begegnung in einem internationalen Kongress von Wert, bei dem man sich über die Voraussetzungen von Kooperation und Konkurrenz verständigen konnte. Augenhöhe stellte damit eine grundlegende Bedingung dar: Nur mit gleichrangigen Nationen, zu denen man sich in Konkurrenz sah, wollte man auch kooperieren und umgekehrt. Eine Teilnahme lediglich kleinerer Nationen wie etwa der Belgier reichte dafür nicht aus.

Die deutschen Reaktionen auf den Internationalisierungsversuch zeigen weiterhin, inwiefern aus Sicht der deutschen Antarktisforscher Kooperation und Konkurrenz zwischen den Nationen in der Praxis der Polarforschung und Antarktisexploration eine Rolle spielten bzw. spielen sollten. Instruktiv ist hier ein Artikel, mit dem Drygalski sich nach dem Kongress von 1906 an der Debatte um die Gründung einer Internationalen Polarkommission beteiligte. Diese – so ein Vorschlag – sollte unter anderem die Organisation von gemeinsamen Polarexpeditionen übernehmen. Drygalski sprach sich gegen Unternehmen dieser Art aus: aus praktischen Gründen, vor allem aber deswegen, weil damit Konkurrenz als wichtiger Antrieb für die Polarforschung wegfiele.

An eine Vereinigung der Mittel der verschiedenen Staaten zu einem gemeinsamen Unternehmen ist hier wohl nicht zu denken, da eine international gebildete Expedition schlechterdings unmöglich ist. Berechtigte verschiedenartige Auffassungen der Ziele bei den einzelnen Nationen, die Fragen der Leitung, der personellen Beteiligung der Staaten, der späteren Verwertung der Sammlungen machen solche unmöglich, auch wenn man nationalem Streben und nationalem Ehrgeiz keinen Raum gewähren will, wodurch aber eine wesentliche Grundlage des Erfolges in Fortfall käme. (Drygalski 1907: 52)

„Nationales Streben“ und „nationaler Ehrgeiz“ werden von Drygalski zwar problematisiert, aber dennoch als wichtige Faktoren für die Polarforschung charakterisiert. Eine weiterreichende Kooperation etwa in internationalen Expeditionen war hingegen nicht denkbar.

Zugleich befürwortete Drygalski aber prinzipiell eine Koordination im Rahmen einer Internationalen Polarkommission, so schrieb er:

Die beschlossene Kooperation kann von hohem Wert sein, da sie eine Verständigung zwischen den Nationen erleichtern, vorbereitende Arbeiten anregen und auch leisten, Rat und Hilfe gewähren kann, die autoritative Mitwirkung von Vereinen und Kommissionen in sich schließt und doch keinen zu bestimmten Richtungen und Plänen verpflichtet. (Drygalski 1907: 53)

Die internationale Kooperation sollte sich also darauf beschränken, den nationalen Unternehmen die bestmögliche Ausgangssituation zu verschaffen, im Sinne kontinuierlicher Absprachen und Unterstützung von vorbereitenden Maßnahmen. An einer direkten Zusammenarbeit, an deren Ende auch die Prämie geteilt werden müsste, zeigte sich Drygalski in diesem Beitrag hingegen nicht interessiert. Die Chancen, die sich aus einer solchen eingeschränkten Zusammenarbeit ergeben würden, sollten dementsprechend genutzt werden ohne Wettbewerb als Motor der Forschung zu verlieren. Auch unter diesen Umständen war damit Konkurrenz zwischen den Nationen aus Perspektive der Akteure mindestens ebenso wichtig wie Kooperation und beide Optionen wurden bewusst verfolgt und in einem Gleichgewicht gehalten: Jeweils wollte man dabei deren Vorteile in der Praxis nutzen, ohne dass sich beide Modi gegenseitig aufheben oder schmälern sollten. Im Folgenden prüfen wir, wie sich diese Befunde zu Kooperation und Konkurrenz in Diskurs und Praxis im Vor- und Umfeld bei den beiden deutschen Antarktisexpeditionen unter der Leitung Drygalskis und Filchners konkret widerspiegelten.

Deutsche Antarktisexpeditionen 1901–1903 und 1911–1912

Vorbereitung: Kooperation und Konkurrenz als Argumente im Diskurs

Antarktisexpeditionen waren Großprojekte, deren Vorbereitung sich aufwändig und komplex gestaltete – nicht zuletzt waren sie sehr teuer. Mit der verlässlichen Finanzierung stand und fiel das Unternehmen. Wir können daher annehmen, dass die Protagonisten alle als aussichtsreich eingeschätzten, argumentativen Ressourcen nutzten, um für ihr Vorhaben zu werben. Im Folgenden betrachten wir insbesondere die Kommunikationsstrategien zur Legitimierung und zur Begründung der Mittelverwendung. Verweise auf Zusammenarbeit und Wettbewerb spielten hier im Diskurs, wie sich zeigt, eine wichtige Rolle.

Die Drygalski-Expedition sollte mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, dementsprechend warben die Akteure über die Ansprache eines breiten Publikums um Unterstützung. Drygalski organisierte in vielen deutschen Städten Veranstaltungen zu dem Projekt, die ihren Höhepunkt im Januar 1899 in Berlin erreichten: in einer gemeinsamen Versammlung der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin und der Abteilung Berlin-Charlottenburg der deutschen Kolonial-Gesellschaft (Drygalski 1899a). Durch die doppelte Gastgeberschaft wurde die Antarktisexploration in die imperialen Interessen des deutschen Kaiserreichs eingeordnet, und etwa 1.300 ranghohe Gäste nahmen an der Versammlung teil – darunter viele Regierungsvertreter und Reichstagsabgeordnete. Seine Ansprache dieses Publikums wählte Drygalski mit Bedacht. Zunächst betonte er – neben dem wissenschaftlichen wie auch praktischen Nutzen einer deutschen Antarktisexpedition – einen sich abzeichnenden Wettbewerb zwischen den Nationen, der eine deutsche Beteiligung zwingend erfordere:

Wieder rüsten sich deshalb jetzt die seemächtigen Völker, dieses Ziel [die Erforschung der Antarktis] zu erreichen. Es scheint fast, als solle ein Wettstreit entstehen. Eine belgische und eine kleine englische Expedition sind bereits unterwegs. England rüstet zu einer größeren. Auch Nordamerika scheint Vorbereitungen zu treffen. Da rührt sich auch in Deutschland allerwärts das Bestreben, nicht zurückzustehen und mitzuwirken bei der Lösung der wichtigen Probleme. (Drygalski 1899b: 69)

Nur wenig später hob Drygalski allerdings hervor, dass auch die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit dem geplanten englischen Unternehmen bestünde – ein zusätzlicher Grund für eine baldige deutsche Antarktisexpedition:

Es wäre das [die englische Antarktisexpedition] für den deutschen Plan von großem Wert, weil dann eine Kooperation mit England eintreten könnte, indem die Erforschung des Südpolar-Gebietes von zwei Seiten gleichzeitig gefördert würde. Dieses ist bei der Größe des unbekannten Gebietes und der Fülle der vorliegenden Probleme von Bedeutung und wird in Deutschland wie in England in gleicher Weise erstrebt. Es ist dies ein schwerwiegender Grund, mit der Entsendung der deutschen Expedition nicht zu säumen. (Drygalski 1899b: 74 f.)

Gerade die geographischen Ausmaße, aber auch die Menge der offenen wissenschaftlichen Fragen wurden dabei als wichtige Aspekte angeführt, die durch ein koordiniertes Vorgehen zweier Unternehmen an verschiedenen Punkten des Südpolargebietes besser als durch eine einzelne Expedition in Angriff genommen werden konnten. Das Verhältnis des zuvor angesprochenen Wettbewerbs und der nun in Aussicht gestellten Zusammenarbeit thematisierte Drygalski jedoch nicht näher. Offenbar stellte dies aus seiner Perspektive keinen Widerspruch dar.

Eine ganz ähnliche Argumentation findet sich in einem Immediatgesuch vom Sommer 1898 an den Kaiser.Footnote 8 Auch hier verwies Drygalski einerseits auf einen aufkeimenden Wettbewerb in der Antarktisexploration, in dem es das Prestige des deutschen Kaiserreichs zu sichern galt. Worum sich dieser Wettbewerb eigentlich drehte, woran und von wem der deutsche Beitrag gemessen werden würde, blieb allerdings vage. Geographische Fragen wurden genau wie wissenschaftliche Problemstellungen als Ziele des Unternehmens in den Raum gestellt, eine Fokussierung, an der sich auch eine spätere Bewertung auszurichten hätte, erfolgte jedoch nicht. Andererseits führte Drygalski wie bereits früher an, dass das deutsche Unternehmen bei der Bearbeitung konkreter wissenschaftlicher Probleme zum eigenen Vorteil mit anderen Nationen zusammenarbeiten könnte. Diese Doppelstrategie war offenbar gut gewählt: Drygalski erhielt einen positiven Bescheid, und die Finanzierung des Unternehmens war damit gesichert.

Entscheidend ist, dass eine solche Argumentation, die mit einem Verweis auf mögliche Konkurrenz oder auch Kooperation zwischen den Nationen für die Bewilligung von Geldern warb, nur dann wirksam war, wenn tatsächlich mehrere Nationen an einer Erforschung der Antarktis interessiert waren, also dasselbe Ziel verfolgten. Das war den wissenschaftlichen Akteuren bewusst und man bemühte sich aktiv darum, diese Konstellation zu erhalten oder gar erst herbeizuführen – und zwar durchaus international koordiniert. So schrieb etwa Drygalski im Rückblick zu einer deutschen Nachfrage zum Stand der Planungen einer Antarktisexpedition in England:

Die Anfrage […] war in dem Sinne gehalten, daß, falls noch keine Aussichten dort beständen, sie dazu anregen sollte, solche zu schaffen, weil in Deutschland Aussichten wären, die aber ihrerseits wiederum durch Antworten mit positiven Nachrichten aus England gefördert werden sollten; es war ein schwieriger Kreislauf. (Drygalski 1904a: 21 f.)Footnote 9

Es wird deutlich, dass sowohl die deutschen als auch die englischen Protagonisten der Antarktisforschung sich gezielt um eine positive Bestärkung der eigenen Pläne durch Anfragen nach den Planungen der jeweils anderen Seite bemühten. Man unterstützte sich demnach gegenseitig darin, die Situation mehrerer nationaler, in Vorbereitung befindlicher Unternehmen zu sichern bzw. herbeizuführen. Erst unter dieser Voraussetzung, die die Antarktisforscher selbst mitschufen, war dann die Anführung von Wettbewerb und Zusammenarbeit als Argumente im Diskurs möglich.

Ganz ähnliche Argumentationsmuster wie bei der Drygalski-Expedition zeigten sich zehn Jahre später im Vorfeld der zweiten deutschen Antarktisexpedition. Anfang 1910 legte Wilhelm Filchner den staatlichen Stellen des Kaiserreichs seinen „Plan einer deutschen Südpolarexpedition“ vor.Footnote 10 Darüber hinaus hielt er eine Reihe öffentlicher Vorträge, in denen er das sowohl kompetitive als auch kooperative Potential des Unternehmens hervorhob und um private Spenden warb – erfolgreich: Letztlich wurde die Antarktisexpedition fast ausschließlich durch solche Mittel finanziert (Filchner 1910a; Filchner 1910b). Generell präsentierte Filchner seine Pläne in kompetitiver Hinsicht deutlich konturierter als vor ihm Drygalski. So hob Filchner hervor, dass es bei dem Unternehmen insbesondere um das Erreichen geographischer Leistung gehen sollte. Dabei war zunächst von einer Durchquerung der Antarktis die Rede, später nur noch von einem möglichst weiten Vordringen in das Südpolargebiet. Diese Pläne führte er dem Publikum sehr konkret in Form geplanter und bereits durchgeführter Routen vor Augen – auch Filchner griff damit auf das Mittel der konkurrenzkonstituierenden Semantik durch Karten zurück (zur Wissensgeschichte von Kartografie und Geografie: Holtorf 2017).Footnote 11

Das Wechselspiel von Kooperation und Konkurrenz im Diskurs zeigte sich also auch bei den konkreten Vorbereitungen der deutschen Antarktisexpeditionen und insbesondere bei dem Bemühen um eine Finanzierung. Dies diagnostiziert bereits Pascal Schillings, der diese Vorgehensweise als eine gängige imperiale Strategie deutet. Mit Bezug auf die erste deutsche Antarktisexpedition spricht er von einem „Referenzsystem […], in dem die jeweils anderen Projekte sowohl als Konkurrenten als auch als potentielle Kooperationspartner vorgestellt“ und „als Grund dafür angeführt [wurden], dass das eigene Unternehmen dringend umgesetzt werden müsse“ (Schillings 2016: 102). An dieser Stelle lässt sich jedoch noch weiter differenzieren, wie vor allem Drygalskis strategischer Umgang mit Konkurrenz und Kooperation zeigt. Nicht nur dienten Kooperation und Konkurrenz als immer wieder herangezogene, gewichtige Argumente bei der Legitimation der ersten deutschen Antarktisexpedition, sie dominierten zuweilen sogar den Diskurs. Dies wiederum war nur möglich, da die Situation mehrerer nationaler Unternehmen im Planungsstadium gezielt von den Akteuren gefördert wurde. Die Filchner-Expedition zeigt weiter, dass Konkurrenz und Kooperation als Argumente auch bei der zweiten deutschen Antarktisexpedition in ähnlicher Weise von Bedeutung waren.

Die Paradoxie der Verbindung von internationaler Kooperation und Konkurrenz schien dabei weder bei den Akteuren noch den Adressaten ihrer Kommunikation einen Widerspruch hervorzurufen und konnte damit weiter verfolgt werden. Während mit Blick auf Kooperation verschiedene Formen im Diskurs ausgelotet wurden, gestaltete sich die Konkurrenz zunächst flüchtiger: Drygalski hatte in seinem Werben um eine Finanzierung den zu befürchtenden Wettbewerb vor allem mit den Engländern ins Feld geführt.Footnote 12 Diese Konkurrenz lässt sich als heraufbeschworene Konstruktion der Antarktisforscher deuten, die aber durchaus in Wechselwirkung mit einer Erwartungshaltung der deutschen Öffentlichkeit stand, und zwar in Folge der weitverbreiteten Wahrnehmung einer realen Rivalität des Deutschen Reichs mit Großbritannien auch in anderen Bereichen, etwa in der Flottenpolitik. Ohne dass dessen Gestalt näher bestimmt wurde, setzte sich der Wettbewerbsgedanke in der Imagination des Publikums fest, und zwar mit erheblicher Beharrungskraft wie wir später bei der Bewertung der ersten deutschen Antarktisexpeditionen sehen werden. Im Gegensatz zu Drygalski formulierte Filchner später die eigenen Ziele vor allem in kompetitiver Hinsicht deutlich präziser. Dies sollte ebenfalls Auswirkungen auf den Diskurs nach Rückkehr des Unternehmens haben.

Durchführung: Wettbewerb und Zusammenarbeit in der Expeditionspraxis

Nachdem jeweils die Finanzierung gesichert und die Vorbereitungen abgeschlossen waren, verließen die Expeditionsschiffe „Gauß“ und „Deutschland“ am 11. August 1901 bzw. am 7. Mai 1911 die deutschen Häfen und machten sich auf den Weg in das Südpolargebiet. Dort angekommen, wurde die Drygalski-Expedition zunächst auf unangenehme Weise ausgebremst: Zu Beginn des Jahres 1902 fror die „Gauß“ ein, an einer Position unweit des südlichen Polarkreises, etwa 85 Kilometer von der antarktischen Küste entfernt, und kam erst nach knapp einem Jahr im Eis wieder frei. Während dieser Monate diente das unbewegliche Schiff als Station für wissenschaftliche Arbeiten sowie als Ausgangspunkt für Schlittenreisen. Im Frühjahr 1903 kehrte die „Gauß“ schließlich nach Kapstadt zurück, von wo aus sie die Heimreise antrat. Die Filchner-Expedition hingegen erreichte Anfang 1912 das Weddell-Meer und drang bis etwa 78 Grad südlicher Breite vor: Dort wurde die Fahrt durch eine Eisbarriere beendet. Nachdem Landungsversuche erfolglos geblieben waren, zog sich die „Deutschland“ aus dem Südpolargebiet zurück, fror aber in einer Eisscholle ein und sah sich einer knapp neunmonatigen Driftfahrt ausgesetzt. Die Expeditionsziele blieben damit unerreicht und das Unternehmen löste sich nach der Rückkehr nach Südgeorgien Ende 1912 unter schwierigen Bedingungen auf (z. B. Drygalski 1904a; Filchner 1922).

In beiden Fällen zeigt sich die Gleichzeitigkeit von Kooperation und Konkurrenz zwischen den Nationen in der Praxis der Unternehmen auf verschiedenen Ebenen. Bevor wir uns allerdings den Reisen der beiden Expeditionen sowie deren Erfahrungen im Südpolargebiet zuwenden, werfen wir noch einmal einen kurzen Blick zurück auf die zwischen den beiden deutschen sowie den zeitgleich geplanten Antarktisexpeditionen anderer Nationen getroffenen Vereinbarungen. Hier wird nämlich deutlich, inwiefern internationale Kooperation und Konkurrenz nicht nur im Vorfeld als Argumente im Diskurs von Bedeutung waren, sondern auch für die Praxis festgeschrieben wurden.

Im Fall der Drygalski-Expedition kristallisierte sich dies vor allem im Rahmen des 7. Internationalen Geographischen Kongresses heraus, der im Herbst 1899 in Berlin stattfand (z. B. Luedtke 2010). Die Internationalen Geographenkongresse stellten zu diesem Zeitpunkt bereits ein etabliertes Forum des Austausches über die Planung von Polar- bzw. Antarktisexpeditionen dar. Zusammen mit den deutschen Absichten wurden im Zuge des Berliner Kongresses daher auch die Bestrebungen einer englischen Antarktisexpedition unter der Leitung von Robert F. Scott diskutiert und Voraussetzungen von Kooperation und Konkurrenz mehr oder weniger explizit festgelegt. So berichteten die Vertreter des deutschen und des englischen Unternehmens im Herbst 1899 zum einen über ein gemeinsames, kooperativ angelegtes Forschungsprogramm auf bestimmten wissenschaftlichen Gebieten, wie etwa der Meteorologie und des Erdmagnetismus, auf das sie sich geeinigt hatten. Durch koordiniert durchgeführte Messungen nach gleichen Standards und einen anschließenden Datenaustausch wollte man dem Ziel der Erforschung der Antarktis näher kommen (Markham 1901; Drygalski 1901; zur Praxis verschiedener Explorationskulturen: Schillings 2016: 183–228). Diese Zusammenarbeit ging jedoch an keiner Stelle so weit, dass tatsächlich gemeinsam geplante und durchgeführte Antarktisexpeditionen verhandelt wurden.

Vielmehr setzte man zum anderen die Trennung der Expeditionen auch räumlich fest, indem sich die Protagonisten der Antarktisforschung auf eine Aufteilung des Südpolargebietes in Sektoren einigte, die von der jeweils einen oder anderen Nation erforscht werden sollten. Durch diese klare Trennung deutscher und englischer Zugriffsrechte, eine bewährte Methode aus der kolonialen Aufteilung von Territorien, beugte man zwar direkten Konflikten vor; damit verhinderte man jedoch auch die weitere gegenseitige Unterstützung vor Ort – etwa ganz praktisch über einen Austausch von Ausrüstung oder Vorräten – und schuf nicht zuletzt beste Voraussetzungen für einen kompetitiven Vergleich der Unternehmen. Sehr instruktiv ist in dieser Hinsicht eine Karte, die Drygalski seinem offiziellen Bericht über den Kongress für die wissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit beifügte (Abb. 1). Hier sind unter anderem in Farbe die beiden geplanten Routen des deutschen und englischen Unternehmens mit Stoßrichtung zum Südpol eingezeichnet: Auch ein Hinweis auf die mögliche Bedeutung von Konkurrenz in geographischer Hinsicht, die aber nicht explizit festgesetzt wurde.

Abb. 1
figure 1

Skizze der geplanten Routen des englischen und deutschen Unternehmens. (Drygalski 1901: 640–641)

Ähnliches lässt sich auch im Fall der Filchner-Expedition feststellen. Statt im Rahmen eines internationalen Kongresses erfolgten die Absprachen hier im Vorfeld des Unternehmens direkt zwischen Filchner und den Leitern der gleichzeitig geplanten englischen bzw. schottischen Antarktisexpeditionen, Robert F. Scott sowie William Bruce (1867–1921). Filchner berichtete davon in einer Rede im Jahr 1910 vor der 82. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Königsberg (Filchner 1910b: 434 f.). Demnach verständigten sich auch Filchner, Scott und Bruce grundsätzlich auf getrennte Arbeitsgebiete. Wiederum wurde damit Konflikten vorgebeugt und Raum für potentielle Konkurrenz geschaffen. So wollten sich sowohl Filchner als auch Bruce der Antarktis durch das Weddell-Meer nähern, auf eng benachbarten Routen. Die räumliche Teilung verhinderte, dass man sich in die Quere kam; eine Zusammenarbeit in Form direkter Koordination oder gar gemeinsamer Durchführung wurde jedoch nicht diskutiert.

Demgegenüber sprach Filchner im Hinblick auf Scott durchaus von einer möglichen Kooperation: Scott hatte eine Route durch das Ross-Meer ins Auge gefasst, dem traditionellen Arbeitsgebiet der Engländer. Dieses lag geographisch gegenüber der Region, die Filchner erforschen wollte, auf der anderen Seite des Kontinents. Sollten sich die deutsche und englische Expedition auf ihrem Weg durch die Antarktis begegnen, so die Vereinbarung laut Filchner, wollten sie sich zusammenschließen und mit der jeweils anderen Gruppe zu deren Ausgangspunkt zurückkehren. So könnte eine vollständige Durchquerung der Antarktis gelingen. Zwar wurde nichts aus diesen Plänen, die möglicherweise lediglich Filchners Vorstellungen entsprangen; sie zeigen jedoch, dass Zusammenarbeit auch in geographischer Hinsicht zumindest nicht außerhalb des Denk- und Sagbaren lag.

Dieser knappe Rückblick zeigt, dass sich auch bei den Planungen im Vorfeld der beiden deutschen Antarktisexpeditionen das bekannte Muster im Hinblick auf das Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz abzeichnete: Bewusst bemühten sich die Akteure darum, sowohl die aus einem Wettbewerb resultierenden Vorteile für sich zu nutzen als auch die einer Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen. Weder setzte man nur auf die eine, noch auf die andere Karte. Vielmehr versuchten die Antarktisforscher bewusst die beiden Modi in der Waage zu halten. So wurde ein entfesselter Wettbewerb vermieden, ohne dass es aber auch zu einer weiterreichenden Zusammenarbeit in der Antarktisexploration um 1900 kam. Im Folgenden prüfen wir, wie sich internationalen Kooperation und Konkurrenz als zwei Handlungsmodi in der Expeditionspraxis äußerten.

Ein Blick auf die Fahrten der „Gauß“ und der „Deutschland“ zeigt dabei, dass sowohl die Drygalski- als auch die Filchner-Expedition bei ihrer Reise ins Südpolargebiet von Vertretern anderer Nationen Unterstützung erfuhren. So wurde etwa die erste deutsche Antarktisexpedition während eines Zwischenaufenthalts von den Engländern in Kapstadt aufgenommen. In seinem Reisebericht hob Drygalski den Einsatz des Leiters der englischen Antarktisforschung für das deutsche Unternehmen hervor und verwies auf die „gemeinsamen Ziele“:

In diesen Dank darf ich jedoch nicht unterlassen, auch den Leiter der englischen Südpolar-Expedition, Kapitän R. Scott, einzuschließen, welcher einen Monat vor uns mit der „Discovery“ in Kapstadt geweilt hatte, da ich verschiedentlich bemerken konnte, in wie freundschaftlicher und unseren gemeinsamen Zielen entsprechender Weise er auf unseren bevorstehenden Aufenthalt hingewiesen hatte. (Drygalski 1902: 9)

Filchner beschrieb in seinem Expeditionsbericht tatkräftige Unterstützung durch die Norweger. Im Hafen von Buenos Aires trafen sie auf die „Fram“, das Schiff der norwegischen Antarktisexpedition unter Leitung von Roald Amundsen, und deren Besatzung half aktiv bei Reparaturen am deutschen Schiff (Filchner 1922: 45, 50).Footnote 13 Solche wohl auf Gegenseitigkeit ausgerichtete Unterstützung ist eine unspezifische – aber nicht zu unterschätzende – Form der Zusammenarbeit, die sich vor dem Hintergrund einer westlich-europäischen Erschließung der Welt auf das allgemeine Ziel der Erforschung der Antarktis richtete.

Dennoch verlor die Vorstellung eines Wettbewerbs für die Akteure bei der Fahrt ins Südpolargebiet nie an Bedeutung. So waren sich die beiden Expeditionsleiter, Drygalski und Filchner, während der ganzen Zeit der Unternehmen anderer Nationen bewusst (etwa Drygalski 1904a: 90 f.; Filchner 1950: 111). Diese kontinuierliche Beobachtung und Reflexion von Konkurrenz konnte auch auf die Vergangenheit ausgedehnt werden. Auf diese, durch mediale Vermittlung geschaffene Möglichkeit verweist auch Werron (2011: 252–255). So las Drygalski während der Reise die Berichte früherer Antarktisexpeditionen und verglich sie mit dem eigenen Unternehmen (Drygalski 1904a: 388 f.). Filchner schrieb in einem Tagebucheintrag mit Bezug auf die erreichte südliche Breite von James Weddell (1787–1884), Namensgeber des Weddell-Meers: „Morgens wurde ich durch den Ruf geweckt, daß Weddell geschlagen ist“ (nach Kirschmer 1985: 92). Mit der Ankunft der deutschen Antarktisexpeditionen im Südpolargebiet änderten sich indes die Bedingungen grundlegend. Wie zu erwarten war, verhinderte die Abgeschiedenheit im Eis bis zur Rückkehr in bewohnte Gebiete jede Kommunikation in die Heimat oder zwischen den verschiedenen Unternehmen. Damit wurde die kontinuierliche gegenseitige Beobachtung unmöglich. Die Akteure hatten schlicht keinen Sachstand mehr über den Fortgang konkurrierender oder kooperierender Unternehmen.

Bei der Filchner-Expedition traten Kooperation und Konkurrenz aufgrund des unvorhergesehenen Verlaufs und dem letztendlichen Scheitern der Reise in den Hintergrund. Anders gestaltete sich dies bei der Drygalski-Expedition. Ein wichtiger Teil ihres Auftrags waren die meteorologischen und erdmagnetischen Messungen, für deren Erhebung eine Zusammenarbeit zwischen der deutschen und der englischen Antarktisexpedition in einem internationalen Programm vereinbart worden war (Bidlingmaier 1901). Ziel dieser Kooperation, der sich später weitere zeitgleiche Unternehmen anschlossen, war die gemeinsame Bearbeitung eines konkreten wissenschaftlichen Problems: Die Datenbestände sollten sich ergänzen und letztlich beiden Parteien eine bessere Grundlage für weitere Arbeiten liefern. Aufgrund der Situation vor Ort – also im Eis – gab es allerdings keine Möglichkeit die Einhaltung der Messungen durch das andere Unternehmen zu überprüfen. Drygalski wusste daher nicht, ob die Engländer sich an die Abmachung hielten, das heißt selbst unter widrigen Umständen die Daten erhoben unter Einhaltung der vereinbarten Standards. Er musste sich darauf verlassen – allerdings hatte er auch keinen Grund etwas anderes anzunehmen. Drygalski selbst hielt sich pflichtgemäß an die Durchführung des Programms und stellte sicher, dass die deutschen Teilnehmer ihrerseits die Messungen zuverlässig und termingerecht vornahmen, sogar in Schneestürmen (Drygalski 1904a: 260). Vertrauen sowie Pflichtbewusstsein wurden unter diesen Bedingungen zu zentralen Prinzipien der Kooperation.

Jenseits dieser spezifisch vereinbarten Zusammenarbeit sah sich jedoch Drygalski weiterhin stets zu den Unternehmen anderer Nationen in Konkurrenz wie bereits zuvor ausgeführt: Die entsprechenden Aussagen im Vorfeld waren durchaus nicht nur leere Rhetorik. Allerdings war es keineswegs klar, in welcher Hinsicht man eigentlich konkurrierte, anhand welcher Kriterien, und von wem die eigene Leistung gemessen werden würde. Dies ließ sich während der Expedition auch nicht mehr justieren, denn Drygalski steckte abgeschnitten von jeder Kommunikation im Eis fest. Damit fehlte ihm der Kontakt zur „Konkurrenzöffentlichkeit“, auf die etwa Werron als wichtige Voraussetzung für die gegenseitige Beobachtung und Aushandlung der Entscheidung im Wettbewerb verweist (2011: 239). Weder konnte Drygalski mit Blick auf die im Vorfeld beschworene Konkurrenz den entsprechenden Diskurs rezipieren oder gar in seinem Sinne beeinflussen noch – und das war besonders bedeutsam – beobachten, was seine Konkurrenten zeitgleich unternahmen.

Diese Situation musste bei den deutschen Expeditionsteilnehmern zu erheblicher Verunsicherung über die weitere, möglichst strategische Ausrichtung des eigenen Handelns führen. Es stellte sich etwa die Frage, ob man mit Schlitten weiter in das Landesinnere vordringen sollte, um eine südlichere Breite zu erreichen, oder lieber vor Ort bleiben, um möglichst aussagekräftige wissenschaftliche Messungen zu erheben. Drygalski wusste, dass die Engländer mit ihrer geplanten Route durch das Ross-Meer eine südlichere Ausgangslage angestrebt hatten als die Deutschen nun erreicht hatten. Auf dem Weg zum Südpol wären sie unter diesen Umständen nicht einzuholen. Allerdings wusste er nicht, ob die Engländer dieses Ziel jemals verwirklicht hatten. In diesem Fall hätten die Deutschen die Chance, sich durch ein weiteres, allerdings äußerst mühevolles Vordringen gen Süden zu profilieren. Drygalski entschied sich in dieser Situation für eine Fortsetzung der Stationsarbeit: Statt auf geographische Vorstöße setzte er damit auf naturwissenschaftliche Leistungen als Erfolgskriterium. In seinem späteren Expeditionsbericht äußerte sich Drygalski unter anderem zu weiteren Schlittereisen im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Stationsarbeiten folgendermaßen: „Wir mußten uns aber sagen, daß dieses nur eine sportliche Aufgabe gewesen wäre, die keinen inneren Zweck gehabt hätte“ (Drygalski 1904a: 420).Footnote 14

Dass ihm das Risiko dieser Entscheidung bewusst war, zeigt eine Nachricht von Drygalski an das Reichsamt des Innern, die er nach seinem Rückzug aus dem Südpolarmeer in der britischen Kapkolonie verfasste. Er betonte den erfolgreichen Verlauf der Reise, fügte aber hinzu:

Trotzdem haben wir alle das Südpolargebiet mit einem Gefühl des Bedauerns, fast der Unbefriedigung verlassen, wie wenn etwas fehlt, und das liegt daran, dass man wohl vom Standpunkt der Fachgelehrten in jeder Beziehung befriedigt sein kann, nicht aber von dem allgemeinen Standpunkte der Deutschen Expedition. Wir sind zu wenig herausgekommen: die eigentliche Fahrt durch das Polargebiet war zu kurz. Es fehlt eine deutsche Route da, wo weite Routen anderer Nationen liegen, wenn unser Weg auch noch so inhaltsreich sein mag. Das ist nicht allein eine Äußerlichkeit, wenn es auch wesentlich von den weiten Kreisen bemerkt werden wird […].Footnote 15

Drygalski wusste, dass er in zwei unterschiedlichen Wettbewerben zu bestehen hatte. Auf dem Feld der Wissenschaft gab es keinen Grund zur Sorge. Wie Drygalski betonte, konnte man „vom Standpunkt der Fachgelehrten“ mit dem Ertrag der Reise überaus zufrieden sein. Dasselbe galt jedoch nicht vom „allgemeinen Standpunkte der Deutschen Expedition“. Drygalski war nicht so weit in die Antarktis vorgedrungen wie die Unternehmen anderer Nationen. Er befürchtete – zu Recht, wie sich zeigen sollte –, dass ihm dies im Nachhinein von der deutschen Öffentlichkeit zum Nachteil ausgelegt werden würde und bat um eine Verlängerung der Mission. Doch diese wurde nicht gewährt und die erste deutsche Antarktisexpedition kehrte in die Heimat zurück.

Die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen nationalen Unternehmen wurde hier vielfältig fortgesetzt. Ähnliches sehen wir auch nach der Rückkehr der Filchner-Expedition. Die Akteure blieben in Kontakt mit ihren internationalen Kollegen und sowohl publizierte als auch nicht publizierte Ergebnisse wurden ausgetauscht.Footnote 16 Im Folgenden richten wir jedoch den Blick auf einen anderen Aspekt: die Rezeption der Antarktisexpeditionen und ihres Ertrags vor allem in der deutschen Öffentlichkeit.

Rezeption: Ende des Gleichgewichts zwischen Kooperation und Konkurrenz

Wie sich bald zeigte, waren Drygalskis Sorgen nicht unbegründet: Die breitere Rezeption seiner Forschungsreise in der deutschen Öffentlichkeit rückte schon bald die Konkurrenz um geographische Leistungen ins Zentrum des Diskurses (zu Wissenschaft und Öffentlichkeit Nikolow & Schirrmacher 2007; zur Rezeption von Polarexpeditionen Schimanski & Spring 2015; zur Rolle von Fotografien in der Rezeption der Drygalski-Expedition Müller 2009). Dies war kaum verwunderlich, suggerierte doch schon der offizielle Name der Drygalski-Expedition, nämlich „Südpolarexpedition“, das Erreichen möglichst südlicher Breiten oder gar des Südpols selbst als Ziel.Footnote 17 Meinungsbildend für den öffentlichen Diskurs im deutschen Kaiserreich wirkten in beiden Fällen Kommentatoren in Zeitungen und Zeitschriften sowie die Herausgeber von Medien populärer Wissenschaftsvermittlung wie etwa Petermanns Geographische Mitteilungen (zur Bedeutung dieser Akteure vgl. Werron 2012: 343 f.).

In deren Augen fiel das Urteil über die erste deutsche Antarktisexpedition wenig günstig aus, gerade auch im Vergleich mit der englischen Konkurrenz. Drygalski war nicht annähernd so weit in das Südpolargebiet vorgedrungen wie Scott – bedingt durch die nördlichere Ausgangslage, aber auch aufgrund der bewussten Entscheidung gegen weitere Schlittenreise und für die Stationsarbeit. Die naturwissenschaftlichen Leistungen spielten jedoch in der öffentlichen Rezeption eine deutlich untergeordnete Rolle – nicht zuletzt deswegen, weil diese Leistungen zum Teil noch gar nicht einzuschätzen waren: Die Auswertung und Verbreitung meteorologischer, ozeanographischer oder biologischer Daten und Sammlungen war ungleich aufwändiger und zeitintensiver als der Eintrag neuer geographischer Erkenntnisse in Karten.Footnote 18 So hieß es etwa in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift Globus zur Drygalski-Expedition:

Mag die Fülle des wissenschaftlichen Stoffs noch so überreich sein, sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Expedition nicht mit dem Erfolge abgeschlossen hat, den wir ihr im Interesse des Fortgangs der Südpolarforschung gewünscht hätten. Diese bedarf zunächst augenfälliger Ergebnisse, nämlich einer räumlichen Erweiterung unserer Kenntnis von der Antarktis. […] Bei der englischen Expedition nach dem Viktorialande war es ganz anders! (Singer 1903: 128)

Drygalski bemühte sich nach Kräften und auf unterschiedlichem Wege um eine Korrektur dieser Wahrnehmung. Vor internationalem Publikum hob er die erfolgreiche Kooperation hervor, etwa bei einer Rede vor der Royal Geographical Society in London im Frühjahr 1904:

It has been a very great pleasure for us to co-operate with the other nations, with England, the Argentine Republic, and Sweden, in the Antarctic Regions, and in such an unknown region as we have in the Antarctic, such international co-operation is in the highest degree desirable. The region is too large to be satisfactorily dealt with by one expedition and every observation which is made has more value when it can be compared with similar observations made simultaneously elsewhere. The great point in the present state of Antarctic research is that different nations have been working in co-operation at the same time. (Drygalski 1904b: 152)

Doch die Rolle des eigentlichen Dritten, also des Preisrichters, der über Sieg oder Niederlage im Wettbewerb entschied, nahm zumindest aus Drygalskis Perspektive das deutsche Publikum ein – und zwar nicht nur ein Fachpublikum, sondern eine breitere, wissenschaftlich interessierte und einflussreiche Öffentlichkeit, an die er sich auch im Vorfeld im Rahmen der Finanzierung des Unternehmens gewandt hatte. Auf diesen Adressaten fokussierte Drygalski nun seine Kommunikation. Dabei bediente er sich einer anderen Strategie: Der Verweis auf Erfolge in der internationalen Wissenschaftskooperation schien in diesem Kontext wenig vielversprechend. Stattdessen bemühte Drygalski sich in Vorträgen und Veröffentlichungen eine alternative Beschreibung der Konkurrenzsituation zu etablieren, die zu einem für ihn günstigeren Urteil führte. Konkret versuchte er einerseits, das deutsche Unternehmen dem Wettbewerb in geographischer Hinsicht zu entziehen, und andererseits, naturwissenschaftliche Leistungen als Beurteilungskriterium durchzusetzen. Diese Leistungen zu erringen, wurde zudem als das ursprüngliche und einzige Ziel beschrieben, das die Expedition jemals verfolgt hatte.

Deutlich zeigte sich diese Strategie bei einer Rede auf dem 15. Deutschen Geographentag in Danzig im Sommer 1905. Dort hielt Drygalski fest: „Nicht zu sportlichen Leistungen und nicht, um Sensationen zu erregen, sind wir in die Antarktis gezogen, sondern zum Nutzen der Wissenschaft“ (Drygalski 1905: 4). Weiter führte er aus, dass „keine Station der gleichzeitigen anderen Expeditionen ihre Aufgabe so vollständig zu erfüllen vermocht hat, wie die unsrige“ (Drygalski 1905: 6), wobei „das Vorgehen des ‚Gauss‘ den lange Jahre betonten Zwecken antarktischer Forschungen besonders entsprach“ (Drygalski 1905: 11). Dieselbe Strategie nutzte er in der Kommunikation gegenüber den staatlichen Stellen.Footnote 19 Drygalski versuchte also die im Vorfeld nur vage umrissene Konkurrenz um nationale Reputation zu seinen Gunsten zu nutzen und im Nachhinein auf ein für ihn positiveres Erfolgskriterium festzulegen.

Bei der zweiten deutschen Antarktisexpedition war die Rezeption vor allem durch das offensichtliche Scheitern des Unternehmens geprägt. Im Gegensatz zu Drygalski hatte Filchner sich bereits vor der Reise auf geographische Leistungen als Erfolgskriterium festgelegt – möglicherweise im Wissen um die Schwierigkeiten, mit denen Drygalski zu kämpfen hatte. Doch gerade hinsichtlich der erreichten südlichen Breite fiel Filchners Expedition durch. So wurde etwa in einem synoptischen Bericht über die vergangenen Antarktisexpeditionen in Petermanns Geographischen Mitteilungen eine Karte mit den Reiserouten abgedruckt (Abb. 2): Es war unmittelbar evident, dass die Filchner-Expedition weit hinter den Unternehmen von Amundsen und Scott zurückblieb, die beide bis zum Südpol vorgedrungen waren.

Abb. 2
figure 2

Skizze der Routen vergangener Antarktisexpeditionen. (Wichmann 1913: Tafel 13)

Auch aus Sicht Filchners stellte letztlich die deutsche Öffentlichkeit den entscheidenden Dritten dar bei der Vergabe der Prämie im Wettbewerb, sprich vor allem des nationalen Prestiges; neben dem breiteren Publikum, an das auch Drygalski sich gewandt hatte, richtete er sich wie bereits im Vorfeld zudem verstärkt an die staatlichen Entscheidungsträger. An Filchners Werben um die Gunst dieses Drittens beteiligte sich der Geograph Albrecht Penck (1858–1945), der bereits früher als wissenschaftlicher Berater und Unterstützer der zweiten deutschen Antarktisexpedition aufgetreten war. Ähnlich wie Drygalski bemühte er sich um eine alternative Beschreibung der Situation, die sicherstellen sollte, dass die Filchner-Expedition in ihrem Erfolg nicht hinter den Unternehmen anderer Nationen – gegenwärtige wie frühere – zurückblieb. Anders als Drygalski verzichtete Penck aber darauf, das Erfolgskriterium und damit das Ziel des Wettbewerbs zu verändern. Penck nutzte diese Strategie in öffentlichen Vorträgen (z. B. Penck 1914), aber auch in einem Bericht an das Geheime Zivilkabinett. Dort hieß es:

Die „Deutschland“ hat einen gut gelungenen Vorstoß bis in das Innerste der Weddellsee hineingemacht und ist fast 400 km hinausgekommen über den südlichsten Punkt, den Weddell dort am 20. Februar 1822 erreicht hat (74° 15′ S., 34° 16′ 45″ W.) und hat südlich von dem von Bruce entdeckten Coatsland, an dessen Küste die Scotia in 74° 1′ S. umkehren mußte, neues Land gefunden.Footnote 20

Durch geschickte Engführung auf Vorstöße im Weddell-Meer, im Gegensatz zu Südpolar-Expeditionen im Allgemeinen, entwarf Penck einen Wettbewerb zwischen Filchner und seinen Vorgängern, den Filchner klar für sich entschieden hatte. Die Filchner-Expedition, so Penck, wäre zudem in geographischer Hinsicht den zeitgleich durchgeführten Unternehmen von Amundsen und Scott nicht nur ebenbürtig, sondern hätte diese sogar übertroffen. Penck schrieb:

[A]n drei Stellen sind tiefe Vorstöße in das Unbekannte gemacht worden: durch Scott und Shackleton, durch Amundsen und auf der anderen Seite durch Filchner. So erhält dessen Expedition ähnliche Bedeutung wie die drei großen, die von der Roßsee ausgegangen sind, und deren Erfolge im Wesentlichen auf Eis- und Landwanderungen beruhen. […] [D]urch Filchner [ist] der Durchmesser des unbekannten Südpolargebietes in noch größerem Umfange eingeengt worden als durch Amundsen: dessen unvergleichlicher Vorstoß gegen den Südpol engte den Durchmesser des Unbekannten um 180 km ein – Filchner’s Vorstoß um fast 400 km.Footnote 21

Auch Penck bemühte sich also nach Kräften um eine Beschreibung des Wettbewerbs und dessen Regeln dergestalt, dass Filchner günstig abschnitt. Die durchaus riskante Strategie bestand in dem Versuch nachzuweisen, dass Filchners Expedition die größere geographische Leistung erbracht hatte – man musste nur die entsprechende Vergleichsgruppe sowie eine geeignete Definition von geographischer Leistung wählen. Dass Penck damit wie zuvor auch Drygalski scheiterte, zeigen Anmerkungen von Wilhelm II. am Rande des Berichts: „Wortklauberei um eine verfehlte Expedition hinterher zu rechtfertigen!“Footnote 22

Im Ringen um die angemessene Rezeption der deutschen Antarktisexpeditionen trat also der Bezug auf Zusammenarbeit im Diskurs deutlich hinter den Aushandlungen um Erfolg im Wettbewerb zurück – und das obwohl während der Unternehmen bewusst beide Modi bespielt wurden. Das Bestreben der Akteure, ein gewisses Gleichgewicht zwischen Kooperation und Konkurrenz aufrechtzuhalten und damit die Vorteile beider Modi für sich zu nutzen, stieß damit an seine Grenzen. Ruft man sich in Erinnerung, dass sich sowohl bei der breiteren deutschen Öffentlichkeit als auch bei den staatlichen Entscheidungsträgern im Vorfeld das Versprechen auf Wettbewerbserfolg wirksam gezeigt hatte, durfte dies weder Drygalski noch Filchner überraschen.Footnote 23 Beide Expeditionen fielen in der Folge beim deutschen Publikum durch, das als der entscheidende Dritte und damit Preisrichter im Wettbewerb vor allem um nationales Prestige in öffentlichen Kommunikationsprozessen angesprochen wurde. In beiden Fällen versuchten die Akteure eine günstigere Einschätzung herbeizuführen, indem sie sich bemühten, eine alternative Beschreibung des Wettbewerbs und seiner Sieger zu etablieren. Keine der Strategien erwies sich als sonderlich erfolgreich. In dem sich mehr und mehr verselbstständigenden medialen Diskurs, in dem der Ausgang des Wettbewerbs verhandelt wurde, gelang es den Akteuren offenkundig nicht, die Deutungshoheit über die Beurteilung ihrer Unternehmen an sich zu ziehen beziehungsweise ihre Deutungsangebote durchzusetzen.

Fazit

Internationale Zusammenarbeit und Wettstreit der Nationen: Beides prägte die deutsche Antarktisforschung um 1900. Von Beginn an wurden beide Interaktionsmodi als Handlungsoptionen bedacht und als argumentative Ressourcen herangezogen. Dabei schlossen sich kooperative und kompetitive Logiken und Verhaltensweisen nicht aus, sondern prägten Handlungen und Rhetorik gleichermaßen. Situativ variabel konnte der eine oder andere Aspekt stärker betont werden. Die Akteure bemühten sich aber darum, keinen der beiden Modi überwiegen zu lassen, sondern eine Balance zwischen Kooperation und Konkurrenz zu wahren, um die daraus resultierenden Vorteile für sich zu nutzen. Wie jedes Doppelspiel war dies jedoch nicht ohne Risiko und trug letztlich dazu bei, dass sich die deutschen Antarktisforscher im Aushandlungsprozess um die Deutungshoheit über ihr eigenes Handeln nicht durchsetzen konnten. Denn das deutsche Publikum war nicht bereit, bei der Bewertung der Expeditionen die eigenen Kriterien zu flexibilisieren: In beiden Fällen wurden die deutschen Expeditionen am Schluss auf einen Wettbewerb festgelegt, in dem sie als Verlierer dastanden.

Über weite Strecken gelang jedoch die Balance: Geschickt nutzte man beide Modi für die Verfolgung der eigenen Ziele. Handlungen und Rhetorik der Akteure konnten dabei durchaus konträr zueinander verlaufen, ohne dass offensichtliche Widersprüche zu Irritationen führten. Die Art des Wettbewerbs, der sich sowohl auf naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn als auch auf geographische Leistungen beziehen konnte, und seine Regeln mussten dabei nicht von vornherein festgelegt sein – oder konnten sich zumindest im Laufe der Zeit verschieben. Dies barg Chancen und Risiken. Bei einem nur vage beschriebenen Wettbewerb, etwa um nationales Prestige, blieb ein gewisser Spielraum, das eigene Abschneiden retrospektiv zu verbessern, indem man eine neue Beschreibung vornahm und die Kriterien umdefinierte. Drygalski führte dies instruktiv vor Augen, selbst wenn er in diesem Bestreben nur mäßig erfolgreich war. Zusammenarbeit konnte entweder in Form gegenseitiger Unterstützung mit dem unspezifischen Ziel der Erforschung der Antarktis auftreten oder sich konkret auf die Beantwortung bestimmter wissenschaftlicher Fragen richten und war selbst in geographischer Hinsicht nicht völlig undenkbar. Auch unter diesen Umständen durfte Kooperation die nationalen Erfolge allerdings nicht schmälern: Angestrebt wurde eher eine Koordination der Unternehmen, die dabei half, den Wettbewerb zu minimieren. Zu einer direkten Kooperation im Rahmen gemeinsam geplanter und durchgeführter Expeditionen kam es nicht und Konkurrenz wurde stets als Motor der Forschung hochgehalten.

Bei der Praxis von Kooperation und Konkurrenz im Eis zeigt sich schließlich, wie entscheidend Kommunikation und Öffentlichkeit für beide Modi waren; als beides wegfiel, blieb nur noch das wechselseitige Vertrauen in die Einhaltung von Absprachen und deren pflichtgemäße Erfüllung von eigener Seite bzw. die Unsicherheit über das weitere Vorgehen der anderen Seite. Systematisch interessant ist zudem die Beobachtung, dass eine wahrgenommene Augenhöhe die Voraussetzung war sowohl für Konkurrenz als auch für Kooperation: Man befand sich nur im Wettstreit mit Parteien, gegen die man auch verlieren konnte; zugleich lohnte es sich nicht, mit Parteien zusammenzuarbeiten (und den Erfolg zu teilen), von deren Unterstützung man kaum profitierte. Dies zeigte sich vor allem im Zuge der internationalen Zusammen- und Übereinkünfte, zu denen es in der Polar- und Antarktisforschung um 1900 kam bzw. nicht kam.

Diese Einsichten erweitern nicht nur unser Bild der Antarktisforschung um 1900 und vor allem des deutschen Falls, sondern helfen uns auch, das Agieren der Wissenschaft vor dem Hintergrund von Imperialismus, Nationalismus und Internationalität besser zu verstehen. Das Changieren zwischen Konkurrenz und Kooperation war ein zentraler, charakterisierender Aspekt der deutschen Erforschung der Antarktis. In den Quellen sind die entsprechenden Rhetoriken und das Ausloten bestmöglicher kompetitiv oder kooperativ orientierter Handlungsspieloptionen allgegenwärtig. Die vorgeschlagenen Kategorien und ihre konkreten Ausformungen schärfen unseren Blick auf diesen Aspekt wissenschaftlicher Arbeit auch mit Blick auf die Gegenwart.

Danksagung

Unser erster herzlicher Dank geht an Cornelia Lüdecke (Hamburg), Pascal Schillings (Köln), Elke Seefried (München) und Darina Volf (München) für ihre kritischen Anmerkungen und konstruktiven Hinweise zu einem frühen Entwurf des Textes. Weiterhin danken wir zwei anonymen Gutachter*innen sowie der Redaktion von NTM für ihre ebenfalls sehr hilfreichen Kommentare zum Aufsatz in seiner ersten Fassung. Der Beitrag entstand im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe „Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften“ (FOR 2553).